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KR 228 | Juli/August 2023

Yıkılacak Duvarlar – Tearing Walls Down

  • Juli 2, 2023
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Dokumentarfilm über die kurdischen Politikerinnen Aysel Tuğluk, Figen Yüksekdağ und Gültan Kışanak Yıkılacak Duvarlar – Tearing Walls Down Interview des Kurdistan Report mit den Macher:innen des Films

Dokumentarfilm über die kurdischen Politikerinnen Aysel Tuğluk, Figen Yüksekdağ und Gültan Kışanak

Yıkılacak Duvarlar – Tearing Walls Down

Interview des Kurdistan Report mit den Macher:innen des Films

Filmplakat Tearing Walls DownDer Kurdistan Report interviewte Anfang Mai die an der Entstehung des Films beteiligten Hebun Polat (Regisseur), Zehra Suyu (Ko-Produzentin; beide aus der Türkei), Yeşim Çoşkun, Onur Güler (Produzent:innen, beide aus Duisburg) und Sibel Yiğitalp (ehemalige Abgeordnete der HDP – seit 2018 im Exil in Berlin).

Anfang Mai diesen Jahres gab es in Köln die Premiere eures Dokumentarfilms »Tearing Walls Down« über die drei HDP-Politikerinnen Gültan Kışanak, Aysel Tuğluk und Figen Yüksekdağ. Könnt ihr für unsere Leser:innen bitte kurz den Inhalt des Films umreißen? Und stellt ihr ganz kurz die drei Frauen und auch die HDP-Politikerin Sibel Yiğitalp, die aus dem hiesigen Exil am Film beteiligt ist, vor?

Yeşim Çoşkun: Dieser Film erzählt die Geschichte der ehemaligen Ko-Vorsitzenden der oppositionellen Parteien in der Türkei, wie der DTP, BDP und HDP. Alle drei Frauen waren Ko-Vorsitzende dieser Parteien und mussten für ihre Arbeit ins Gefängnis.

Die Menschenrechtsaktivistin Gültan Kışanak gehört zu den zentralen Akteurinnen der kurdischen Frauenbewegung. Schon in den 80er Jahren, nach dem Militärputsch vom 12. September, wurde sie als 19-Jährige festgenommen und saß für zwei Jahre in einem der für Folter berüchtigten Gefängnisse in Amed. Nach ihrer Entlassung war sie weiterhin politisch aktiv, arbeitete als Journalistin und setze sich für die Menschenrechte ein. Sie wurde Ko-Vorsitzende der BDP und vertrat sie auch im türkischen Parlament. 32 Jahre nach den Erlebnissen im Gefängnis von Amed (tr. Diyarbakır) wurde sie zur Oberbürgermeisterin von Amed gewählt. Sie ist die erste Oberbürgermeisterin in der Geschichte von Amed. Seit 2016 sitzt sie im Gefängnis.

Aysel Tuğluk ist Rechtsanwältin und ist die ehemalige Ko-Vorsitzende der DTP. Sie wurde auch 2016 als Abgeordnete der HDP verhaftet und erkrankte im Gefängnis schwer an Demenz. Erst durch den starken öffentlichen Druck wurde Aysel im Oktober 2022 aus der Haft entlassen.

Figen Yüksekdağ war die Ko-Vorsitzende der HDP gemeinsam mit Selahattin Demirtaş. Sie sitzt seit 2016 genauso wie Gültan Kışanak, Selahattin Demirtaş sowie viele weitere Politiker:innen im Gefängnis.

Sibel Yiğitalp war gemeinsam mit den drei Frauen für die HDP im türkischen Parlament. Sie musste wegen einer drohenden Haftstrafe von mindestens 22 Jahren die Türkei verlassen und lebt seitdem im Exil in Berlin. Sie setzt sich aus dem Exil weiterhin für die Freilassung ihre Freund:innen, Mitstreiter:innen und Genoss:innen ein.

Was hat es mit dem Titel des Films auf sich?

Yeşim Çoşkun: Die Kunst war immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. So hat auch Literatur eine enorm wichtige Rolle in Zeiten politischer Repression, in denen Minderheiten und Menschen systematisch zum Schweigen gezwungen werden. Figen und Gültan haben sich während ihrer Gefangenschaft nicht nur mit Politik beschäftigt, sondern auch zwei Bücher geschrieben. Der Titel »Yıkılacak Duvarlar« (Tearing Walls Down) stammt von Figen Yüksekdağs Gedichtband, so lautet der Titel des Buches. Dieser Name passte hervorragend zu unserem Film.

Er hatte einen kämpferischen Charakter und eine symbolische Bedeutung im Hinblick auf die Haltung und die Hoffnung der politischen Gefangenen. Symbolisch steht der Titel auch für die unsichtbaren Mauern im Exil in Form von Sehnsucht, Hoffnung und physischen Grenzen. Inhaltlich haben wir im Film das Buch »Kürt Siyasetinin Mor Rengi« (Die lila Farbe der kurdischen Politik) von Gültan Kışanak als Grundidee verwendet.

Wie ist die Idee zu dem Film entstanden? Ist euer Film auch eine Art Fortsetzung der Dokumentation »Gefängnis oder Exil«, den die Produzenten eures neuen Films zuvor produziert hatten und in dem einer eurer beiden Regisseure bereits die Regie führte?

Onur Güler: Ja genau. Wir hatten mit dem Dokumentarfilm »Gefängnis oder Exil« die Zwangsverwaltungspolitik (kayyum) der AKP-Regierung unter Präsident Erdoğan und die Geschichte der Oberbürgermeister:innen erzählt. Als eine inoffizielle Fortsetzung dieser künstlerischen und politischen Arbeit ist der neue Film entstanden. Diesmal geht es um die Geschichte der inhaftierten Politiker:innen, da wir auf die Situation der inhaftierten Frauen und politischen Gefangenen und die Situation der Menschenrechte aufmerksam machen wollten.
Es sind gewählte Vertreterinnen, die seit mehr als sechs Jahren im türkischen Gefängnis sitzen. Es gibt keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Gefangenschaft. Die Gerichtsprozesse sind von Willkür geprägt. Die Situation der Familien der inhaftierten Aktivistinnen ist in dem Film auch sehr transparent geschildert, sodass die Zuschauer:innen die Emotionen und Konsequenzen sehr gut nachempfinden können. Unser Ziel war es, die Ungerechtigkeiten, denen diese Menschen ausgesetzt sind ans Licht zu bringen und gleichzeitig zu zeigen, wie politische Überzeugungen weltweit, auch im Exil sehr wirkungsvoll eingesetzt werden können, wofür Sibel als Paradebeispiel wirkt.

Wie habt ihr gearbeitet? Wie sind die Möglichkeiten, einen Film über Menschen zu drehen, die selbst gar nicht zu Wort kommen können, weil sie hinter Gefängnismauern sitzen?

Hebun Polat: Es ist derzeit nicht einfach, in der Türkei kritische Filme zu drehen bzw. daran zu arbeiten. Die Dreharbeiten standen auch unter dem Schatten der Wahlen in der Türkei.

Wir hätten die Erlaubnis nicht bekommen, die inhaftierten Politikerinnen Figen Yüksekdağ und Gültan Kışanak im Gefängnis zu besuchen bzw. Aufnahmen mit ihnen zu machen.

Die Familien und Angehörigen waren für uns die Verbindung zu ihnen.

Wir waren vor dem Kandıra-Gefängnis, in dem die beiden Politikerinnen sitzen. Dabei haben wir Evin Jiyan Kışanak (Tochter von Gültan) und Sedat Şenoğlu (Ehemann von Figen Yüksekdağ) auf ihrem Weg ins Gefängnis begleitet. Die beiden Angehörigen haben auch von unserem Projekt erzählt, Figen und Gültan haben sich über das Filmprojekt sehr gefreut. Figen liest im Telefongespräch mit ihrem Mann Sedat, aus ihrem Gedichtband »Yıkılacak Duvarlar«. Die Aufnahmen von Aysel waren für uns auch sehr emotional. Nach dem Tod ihrer Mutter hat sich ihre gesundheitliche Situation sehr verschlechtert, was man auch im Film nachvollziehen kann.

Inwiefern ist der Film eine Dokumentation der staatlichen Repression nicht nur gegen Politikerinnen der HDP sondern auch gegen die kurdische Frauenbewegung und gegen die Organisierung von Frauen für ihre Rechte und Demokratie in Nordkurdistan und der Türkei?

Zehra Suyu: Mich hat der Kampf und der Widerstand der Frauen, die eine Vorreiterrolle spielen, irgendwie berührt. Wir stehen einer Macht gegenüber, die den Willen der Frauen unterdrücken will, und es gibt den Widerstand der Frauen gegen diese Macht. Es gibt Frauen mit einem Geist des Widerstands, die den Kampf fortsetzen. Unsere Freundinnen führen diesen Kampf weiter. Der Widerstand der Frauen ist ein andauernder Kampf, und dieser Widerstand gegen das System geht auch heute noch weiter. Selbst während der Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm habe ich wieder einmal festgestellt, dass die Regierung Angst vor Frauen hat.

Seid ihr bei den Arbeiten auf Hindernisse gestoßen, z.B. weil der Staat euch Steine in den Weg gelegt hat?

Hebun Polat: Man braucht für die Dreharbeiten die Erlaubnis des Gouverneurs und der Stadtverwaltung. Als wir den Film drehten, dachten wir, dass eine solche Genehmigung nicht erteilt werden würde und beantragten sie auch nicht, damit wir nach einer größtmöglichen Ablehnung nicht auffallen und unsere Arbeiten verhindert werden. An einem Ort, an dem Theateraufführungen und Konzerte verboten sind, ist eine solche Dokumentation natürlich eine Bedrohung für den Staat und die Regierung. Wir können sagen, dass wir vor allem bei der Reise zum Kandıra-Gefängnis große Schwierigkeiten hatten. Wir mussten dort heimlich filmen.
Die Dreharbeiten mit Sibel Yiğitalp in Berlin und Köln waren natürlich nicht davon betroffen.

Sibel, wie war es für dich, vom Exil aus an den Filmarbeiten beteiligt zu sein?

Sibel Yiğitalp: Es ist nicht einfach, sich ans Exil zu gewöhnen. Es fehlt die Nähe zur Heimat, zur Familie, zu den Freund:innen und Genoss:innen. Aber unser Kampf und die politische Arbeit geht auch im Exil weiter, und ich versuche von hier die politische Arbeit weiterzuführen. Besonders versuche ich, mich für meine inhaftierten Genossinnen einzusetzen, und dieser Film ist ein wichtiger Beitrag dafür.

Wird der Film auch in der Türkei gezeigt? Wie sind die Bedingungen in der Türkei für das Zeigen kritischer Filme? Welche Rolle spielt kritisches Kino in der politischen Arbeit in der Türkei?

Zehra Suyu: Wir planen auch Vorführungen in der Türkei. Die Wahlen prägen die momentane politische Atmosphäre tief, daher arbeiten wir mit alternativen, kritischen Einrichtungen und Kinos. Sobald die Termine feststehen, werden wir sie auf unseren Socialmedia Accounts veröffentlichen. Das Interesse an diesem Film ist sehr groß.

Durch solche Filme können wir auf das Leid und die Erlebnisse der Gesellschaft aufmerksam machen und zeigen dabei auch die staatliche Repression. Alternative, kritische Filme spielen in der Erinnerungskultur eine sehr wichtige Rolle. Es gibt ein Sprichwort: Einmal sehen ist besser als tausendmal hören. Die visuelle Ebene trifft auf die dramatische Realität, der wir leider begegnen. Wir hoffen und arbeiten daran, dass wir die Stimme der Betroffenen besser hörbar machen.

 

Trailer zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=G01Y-z2XCfg

Kontakt für Filmveranstaltungsanfragen:
filmtearingwallsdown@gmail.com

Crowdfunding-Kampagne für die Übersetzung der Untertitel in mehrere Sprachen:

Stimmen der Solidarität
IBAN: DE79370501981935631083
Sparkasse Köln Bonn
Betreff: Film – Spende

 


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