Ein Demokratiespektakel in Südkurdistan
- Februar 6, 2025
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Die Wahlen am 20. Oktober 2024 in Nord-Irak Kamal Chomani, Doktorand an der Universität Leipzig und Editor von The Kurdistan Times Die Wahlen in der Region Kurdistan Irak
Die Wahlen am 20. Oktober 2024 in Nord-Irak Kamal Chomani, Doktorand an der Universität Leipzig und Editor von The Kurdistan Times Die Wahlen in der Region Kurdistan Irak
Die Wahlen am 20. Oktober 2024 in Nord-Irak
Kamal Chomani, Doktorand an der Universität Leipzig und Editor von The Kurdistan Times
Die Wahlen in der Region Kurdistan Irak (RKI)[1] halten eine demokratische Fassade aufrecht, die die Aufteilung der Einflussgebiete zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und der Patriotischen Union Kurdistans (YNK)[2] verbirgt. Bei jeder Wahl teilen dieselben Eliten Positionen und Ressourcen unter sich auf und verdrängen wirkliche Reformen. Ein echter Wandel erfordert, dass die Opposition ihre Kompromissbereitschaft aufgibt und eine demokratische Vision vorantreibt, die dieses fest verwurzelte System in Frage stellt.
Die Region Kurdistan Irak hat am 20. Oktober 2024 Parlamentswahlen abgehalten, nachdem diese zwei Jahre lang verschoben worden waren. Diese Wahlen fanden in einer angespannten Zeit im Nahen Osten statt, in der wirtschaftliche, politische und geopolitische Ängste verbreitet waren, die noch durch die größeren regionalen Spannungen, insbesondere dem Krieg in Gaza und im Libanon, verstärkt wurden. Doch die Aufgeregtheiten im Wahlkampf, in dem die politischen Parteien nichts unversucht ließen, sich gegenseitig anzugreifen, waren nichts als Maskerade, da es im derzeitigen politischen System keine glaubwürdigen demokratischen Veränderungen gibt.
Seit der Gründung der RKI im Jahr 1992 sind Wahlen zu einem zunehmend paradoxen Ritual geworden. Oberflächlich betrachtet stellen sie sich als legitimer demokratischer Prozess dar, ähnlich wie in jeder liberalen repräsentativen Demokratie. In Wirklichkeit dienen sie jedoch als Instrument zur Legitimierung eines autoritären politischen Systems. In den letzten drei Jahrzehnten haben die PDK und die YNK Wahlen genutzt, um ihre Macht zu festigen. Doch die Frage bleibt: Könnten die Wahlergebnisse von 2024 diesen Teufelskreis durchbrechen?
Die Realität der Region Kurdistan im Irak
Entgegen der weit verbreiteten Wahrnehmung unter externen Beobachtern, dass die RKI im Vergleich zum Zentralirak ein Modell der Demokratie und Stabilität sei, ist die Realität alles andere als demokratisch. Zwei Herrscherfamilien dominieren die Region: die Familie Barzani, die die konservative Demokratische Partei Kurdistans (PDK) führt, und die Familie Talabani, die die sozial-liberalere Patriotische Union Kurdistans (YNK) führt. Theoretisch ist die Region seit 2003 vereint, aber praktisch bleibt sie entlang der Grenzen geteilt, die in der Zeit nach dem Bürgerkrieg (1994-1998) gezogen wurden. Die PDK kontrolliert die Provinzen Hewlêr (arab. Erbil) und Dihok, während die YNK über Silêmanî (arab. Sulaimaniyya) und Helebce (arab. Halabdscha) herrscht. In diesen Gebieten kontrollieren die beiden Parteien alles von Moscheen bis zu natürlichen Ressourcen. Das Wirtschaftssystem ist zutiefst von Vetternwirtschaft geprägt und kommt den herrschenden Eliten zugute, insbesondere der PDK, die ihre finanzielle Macht nutzt, um die Bevölkerung in großem Maßstab zu kontrollieren.
Die Peschmerga-Milizen und Sicherheitskräfte (Asayiş) stehen nach wie vor unter dem Kommando von Parteiführern. Obwohl sie formal in das Verteidigungsministerium integriert sind, agieren diese Kräfte in der Praxis unter der direkten Kontrolle der PDK- oder YNK-Führung. Sie sind in erster Linie den Parteiinteressen gegenüber loyal und nicht gegenüber der nationalen Aufsicht. Insbesondere in den von der PDK kontrollierten Gebieten wird ein hegemonialer Diskurs durchgesetzt, der Angst, Spaltung und Bestrafung gegen jeden fördert, der die Grundlagen der aktuellen offiziellen Linie in Frage stellt. Dissidenten riskieren, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ihr Leben in Gefahr bringen oder inhaftiert zu werden, nur weil sie die nationalistische Haltung in Frage stellen. Unter solchen Bedingungen werden Wahlen zu nichts weiter als einem Ritual, bei dem die PDK und die YNK ihre Macht sichern und ihre seit 2003 vereinbarte Machtverteilung wiederherstellen.
Als 2015 die Oppositionspartei Gorran (Die Veränderungspartei), die damals als mögliche Alternative zu den beiden Regierungsparteien galt, das Präsidentengesetz ändern wollte, verweigerte die PDK dem Parlamentspräsidenten zwei Jahre lang den Zutritt, und das Parlament blieb während dieser zwei Jahre geschlossen. Unter diesen Umständen von Wahlen echte Veränderungen zu erwarten, ist bestenfalls eine Illusion.
Die Oppositionsgruppen haben diese Illusion auch aufrechterhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Oppositionsparteien an diesem fehlerhaften System teilgenommen, in der Hoffnung, soziale und wirtschaftliche Reformen durchzusetzen. Stattdessen hat ihre Teilnahme nur dazu gedient, die bestehenden Machtstrukturen zu legitimieren, anstatt einen echten demokratischen Prozess zu fördern, der Rechtsstaatlichkeit etablieren und eine gute Regierungsführung fördern könnte.
In einer funktionierenden Demokratie sind Wahlen nur dann sinnvoll, wenn Wähler und politische Parteien die Möglichkeit einer Niederlage akzeptieren. In der RKI haben jedoch weder die PDK noch die YNK den Gedanken akzeptiert, eine oppositionele Rolle einzunehmen. Stattdessen manipulierten sie den Wahlprozess, um das Fortbestehen ihrer Dominanz auf Kosten der politischen Stabilität und des demokratischen Fortschritts sicherzustellen.
Wählerunterdrückung von Minderheiten
Das Parlament Südkurdistans hatte seit 2005 111 Sitze, von denen 11 für Turkmenen und Christen reserviert waren. Diese Sitze wurden jedoch häufig von der PDK ausgenutzt, die ihre Kandidaten durchsetzte und sich deren Loyalität durch Manipulation und Zwang sicherte. Die der PDK treu ergebenen Peschmerga-Milizen wurden eingesetzt, um die Stimmen der Minderheiten zu kontrollieren und damit sicherzustellen, dass diese Sitze an Kandidaten gingen, die der PDK nahestanden. Die YNK erhob Einspruch dagegen und brachte die Angelegenheit 2023 vor den Obersten Gerichtshof des Irak, der die Minderheitensitze schließlich auf fünf reduzierte. Diese wurden dann zwischen Dihok (ein Sitz), Hewlêr (zwei Sitze) und Silêmanî (zwei Sitze) aufgeteilt. Die Gesamtzahl der Parlamentssitze wurde ebenfalls auf 100 reduziert. Wenig überraschend wurde die Minderheitenquote nicht den Minderheiten überlassen, sodass sie selbst ihre Vertreter demokratisch hätten wählen können.
Wahlergebnisse
Auf Grundlage der Wählerstimmen in den vier RKI-Gouvernements Silêmanî, Helebce, Hewlêr und Dihok teilen sich dem endgültigen Ergebnis zufolge die meisten Sitze unter der PDK (39 Sitze), der YNK (23 Sitze), der neuen Generation (15 Sitze) und der Islamischen Union Kurdistans (7 Sitze) auf. Die Neue Generation, eine populistische liberale politische Partei unter Führung des Medienmoguls und Geschäftsmanns Şaswar Abdulwehîd, konnte die Anzahl ihrer Sitze ausbauen. Dennoch kann die PDK als klarer Gewinner betrachtet werden, die seit 2003 die Hauptregierungsmacht der RKI ist.
Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in der RKI (20. Oktober 2024):[3]
Partei Gesamtzahl der Sitze
Die Folgen der Machtteilung
Die bisherige Aufteilung der Einflusssphären zwischen PDK und YNK haben weder zu einer besseren Regierungsführung, noch zu sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit oder zur Ausweitung von Freiheit und Demokratie geführt. Die Menschen in der RKI haben noch immer keinen Zugang zu stabiler Elektrizität, gutem Trinkwasser oder Arbeitsplätzen, während die Wirtschaft hauptsächlich von den Einnahmen aus Ölexporten abhängt. Mittlerweile ist die RKI seit Mitte der 2000er Jahre zu einer Konsumgesellschaft geworden, die fast alles von Tomaten bis zu fortschrittlicher Technologie aus dem Ausland importiert, während die Exporte sehr gering sind. Darüber hinaus haben die Regierungsparteien eine Form von Vetternwirtschaft etabliert, die sogar die YNK-Präsident Bafil Talabanî und RKI-Premierminister Mesrûr Barzanî öffentlich kritisiert haben. Den Kern der demokratischen Fassade der RKI bildet diese Praxis der Machtteilung, bei der jede Wahl mit einer Vereinbarung endet, wichtige Regierungspositionen und Ressourcen zwischen den beiden Parteien aufzuteilen. Derzeit gibt es keine starken Oppositionsgruppen. Die größte Oppositionspartei Gorran ist seit 2013 in die Regierung integriert, die Islamische Union Kurdistans und die Neue Generation halten sich draußen.
Dieses Arrangement basiert nicht auf ideologischen oder politischen Differenzen, sondern auf dem gemeinsamen Verständnis, dass es vorteilhafter ist, an der Macht zu bleiben, als durch ein wettbewerbsorientiertes politisches System Instabilität zu riskieren.
Was wird als Nächstes passieren?
Wenn dieselben Mechanismen der Machtteilung erneut angewendet werden – was am wahrscheinlichsten ist – wird sich nichts ändern. Sollte es jedoch zu einer Verschiebung hin zu einer Mehrheitsregierung kommen, die die YNK in die Opposition zwänge, würde die YNK wahrscheinlich auf eine Rückkehr zu einem Zwei-Regierungen-System drängen, in dem die üblichen Regionen unter der PDK und YNK aufgeteilt würden. Die PDK, die von den aktuellen Regelungen profitiert, wird einen Wandel wahrscheinlich nicht unterstützen. Obwohl beide Seiten letztendlich eine Einigung erzielen werden, kann diese Zwickmühle nur durch die traditionellen Machtteilungsregelungen gelöst werden, und das kann einige Zeit dauern, insbesondere angesichts der bevorstehenden irakischen Wahlen 2025. Nach den Wahlen haben die PDK und die YNK sehr widersprüchliche Erklärungen abgegeben. Die YNK besteht darauf, dass sie eine von der PDK dominierte Regierung nicht akzeptieren wird und fordert stattdessen glaubwürdige Machtteilungsmechanismen. Als Reaktion darauf gab die PDK eine öffentliche Erklärung ab, in der sie bekräftigte, dass sie eine Mehrheitsregierung wolle. Als erste Reaktion auf die PDK hat die YNK die Frage der biometrischen Registrierung von öffentlichen Angestellten vor den irakischen Obersten Gerichtshof gebracht. Sie fordert eine direkte Bezahlung der Angestellten durch die irakische Regierung statt durch die Regierung der RKI. Die irakischen Wahlen 2025 werden wahrscheinlich bestimmen, was als nächstes passieren wird.
Jenseits der Illusion
Diese Wahl wird wahrscheinlich die anhaltende Doppelherrschaft der YNK und der PDK in der RKI legitimieren, ein System, das aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen ist. Ich hoffe, dass die Wahlergebnisse die Opposition dazu ermutigen werden, darüber nachzudenken, dass echter Wandel nur durch eine demokratische Vision erreicht werden kann, die eine Alternative zu den fest verwurzelten Machtstrukturen bietet – und nicht durch halbherzige Versuche, sich in das bestehende System einzufügen. Die Doppelzüngigkeit der YNK – sie verhält sich in ihrer kontrollierten Zone in gewisser Weise wie die PDK, während sie sich im Diskurs dagegen stellt – und der Narzissmus der Oppositionsfiguren, deren einziges Ziel es ist, Widerstand zu leisten, ohne sinnvolle Alternativen anzubieten, werden nicht den Wandel herbeiführen, den der Süden Kurdistans braucht.
Damit die RKI diesem Teufelskreis entkommen kann, muss es einen grundlegenden Wandel in ihrer politischen Kultur geben, und die Opposition sollte in der Lage sein, ein alternatives Paradigma zum derzeitigen monopolisierten wirtschaftlichen und stammespolitischen System zu entwickeln. Die Illusion der Wahlen muss zerstört werden, und die Region muss sich in Richtung eines Systems bewegen, in dem die politische Macht dem Volk gegenüber wirklich rechenschaftspflichtig ist. Dazu bedarf es nicht nur einer Wahlreform, sondern auch einer Veränderung der Arbeitsweise von PDK und YNK. Nur wenn sie bereit sind, die Möglichkeit einer Opposition zu akzeptieren und ihr Monopol auf Milizen, Wirtschaft und natürliche Ressourcen aufzugeben, kann die Region Kurdistan im Irak einer Zukunft entgegengehen, in der Demokratie mehr als nur Fassade ist.
Dieser Text erschien zuerst bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Libanon: https://rosalux-lb.org/publications/httpsrosalux-lborgnodeaddpublicationthe-show-democracy-kurdistan-region-iraq-elections
[1] Region Kurdistan Irak, die Autonome Region Kurdistan, auf Kurdisch: Başûrê Kurdistanê, Südkurdistan
[2] Die PDK wird im Deutschen häufig auch als KDP abgekürzt und die YNK als PUK.
[3] Die kurdischen Namen der jeweiligen Parteien sind die folgenden:
Demokratische Partei Kurdistans (PDK): Partiya Demokrat a Kurdistanê); Patriotische Union Kurdistans (YNK): Yekêtîy Nîştimanîy Kurdistan); Neue Generation: Cûłanewey Newey Nwê; Islamische Union Kurdistans: Yekgirtiya Îslamî ya Kurdistanê; Gerechtigkeitsgruppe Kurdistans: Komellî Dadgerî Kurdistan; Helwest Bewegung: Rewtî Helwêstî Nîştimanî; Volksfront: Bereyî Gel; Koalition der Region Kurdistans: Hizbî Sosyal Dîmukratî Kurdistan; Gorran: Bizûtinewey