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Die Politik gibt vor, Medien übernehmen: Mediale Narrative über die PKK zwischen Mythos und Denunziation

  • April 8, 2025
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Sarya Taro Kurdistan – das kannten bis zu den 80er Jahren meist nur Leser:innen von Karl-May-Büchern. Ein Land, weit weg und wild. Kurd:innen, die mit der ersten »Gastarbeiter«-Generation

Die Politik gibt vor, Medien übernehmen: Mediale Narrative über die PKK zwischen Mythos und Denunziation

Sarya Taro

Kurdistan – das kannten bis zu den 80er Jahren meist nur Leser:innen von Karl-May-Büchern. Ein Land, weit weg und wild.

Kurd:innen, die mit der ersten »Gastarbeiter«-Generation aus der Türkei kamen, hatten alle einen türkischen Pass, also waren sie »Türken«. Bis heute werden sie in offiziellen Statistiken nicht als gesonderte Gruppe erfasst. Sie sind syrische, irakische, iranische oder türkische Staatsangehörige. In einer Welt der Nationalstaaten bestimmt der Pass die Identität. Man schätzt die Zahl der Kurd:innen in Deutschland heute auf ca. 1,5 Millionen.

Der türkische Staat, entstanden auf den Trümmern des Osmanischen Reiches und gegründet mit einer völkischen Ideologie, unternahm alles, um aus der kurdischen Bevölkerung »Türken« zu machen. Kurd:innen hatten sich zu assimilieren. Die Antwort darauf war die Gründung der PKK 1978, die nach vielen niedergeschlagenen Aufständen und einer sich ausbreitenden Agonie für das Wiedererwachen der kurdischen Identität sorgte. Bald schon identifizierte Ankara die PKK als Gefahr für die ethnisch homogen gewollte Türkei und erklärte die noch junge, aber schnell wachsende kurdische Freiheitsbewegung zum Staatsfeind Nummer eins. Wer sich zur PKK bekannte (oder auch nur Sympathie bekundete), wurde gejagt, eingesperrt, gefoltert, ermordet. Viele sahen in der Flucht den einzigen Ausweg.

Politisch verfolgte »Bergtürken«

Die ersten politisch verfolgten Kurd:innen kamen wohl Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland. Sie organisierten sich in kurdischen Vereinen, blieben anfangs meist unter sich, aber freuten sich über ausgestreckte Hände der deutschen Zivilgesellschaft. Als Anfang 1981 in Nürnberg eine kommunale Bildungseinrichtung einen »Kurdischen Abend« mit länderkundlichen Informationen, Musik und Tanz ankündigte, kam es beinahe zu einem diplomatischen Eklat, den die Abendzeitung mit der Überschrift »Auf heißes Pflaster gewagt« aufgriff.¹ Kurz nach Erscheinen des Programmhefts rief der türkische Konsul aufgebracht den Oberbürgermeister an. Was diese Veranstaltung bedeute? Es gäbe keine Kurden, es handele sich um »Bergtürken«. Schon damals nahm der türkische Staat mehr oder weniger subtil über seine Konsulate Einfluss und signalisierte Verstimmung über eine deutsche Einmischung in die »inneren Angelegenheiten der Türkei«, wie der Anruf begründet wurde. Selbstverständlich fand der »Kurdische Abend« trotzdem statt.

Auf offizieller deutscher und türkischer Seite pflegte man gute Beziehungen – schließlich reichte die Freundschaft zurück bis ins Kaiserreich. Trotz gelegentlicher Irritationen über den sich zur Autokratie transformierenden türkischen Staat sind die vielfältigen Beziehungen und gemeinsamen Interessen zu wichtig, als sie durch allzu scharfe Kritik zu gefährden. Im Lauf der Jahre verstetigte sich der Austausch, auch zwischen den Behörden. Mittlerweile ist es normal, wenn der türkische Staat Listen von Oppositionellen (meist Kurd:innen) übergibt, deren Inhaftierung oder Auslieferung er gerne hätte. Zu oft werden diese Wünsche erfüllt.

In den seltenen Artikeln über Kurd:innen waren diese damals noch Opfer des türkischen Militärregimes. So schrieb der ›Spiegel‹: »Bis auf den heutigen Tag sind die türkischen Kurden ein gedemütigtes, von mörderischen Armee- und Gendarmerie-Aktionen gepeinigtes Volk.«² Der Tenor war durchaus empathisch. Die damals 3-jährige Arbeiterpartei Kurdistans blieb noch außen vor.

Verfolgung und Verleumdung

Als sich die PKK in Deutschland formierte und ihren Forderungen in den 90er Jahren auch militant Nachdruck verlieh, kostete es die deutsche Regierung nicht viel, dem türkischen Verlangen nachzukommen, sie auf die Abschussliste zu setzen. Zudem konnte man nach dem RAF-Trauma eine (damals noch) marxistisch-leninistisch orientierte Gruppierung wirklich nicht gebrauchen.

Als die Türkei den Mord von Olaf Palme der PKK anzulasten versuchte, war man sich innerhalb der NATO-Staaten schnell einig, zum Schlag auszuholen. Deutschland schritt voran und erhob im spektakulär inszenierten »Düsseldorfer Prozess« Anklage gegen 19 kurdische Politiker. Das Ziel war, der PKK einen »Terror-Stempel« zu verpassen. Am Ende wurden die Angeklagten größtenteils freigesprochen. Das änderte jedoch nichts daran, dass die PKK in Deutschland von nun an als »terroristisch« galt und 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt wurde. Auch der von Öcalan aufgerufene Gewaltverzicht für Europa konnte dies nicht verhindern.

1994 brachte der ›Spiegel‹ einen längeren Artikel³, der zeigt, wie wenig sich in den letzten 30 Jahren geändert hat: »Die Bundesregierung laviert hilflos zwischen den Fronten. Sie verschärft den Konflikt, indem sie der Türkei Waffen liefert und nun kurdische Rebellen abschieben will.« Derselbe Beitrag gab auch das Framing bei PKK-Bezug vor, das die meisten anderen Medien übernahmen. Man schrieb vom »Kurdenproblem« und den »Krawall-Kurden«. Gemeint war die PKK, etikettiert wurden »die Kurden«. Die Wortwahl zur Einordnung der PKK war deutlich und infam: »PKK-Pistolero«, »terroristisch versierte Kader der kommunistischen PKK«, »straff geführte Kaderorganisation«, »Abdullah Öcalan, der militanteste Kurdenführer«, »der langjährige Stalinist Öcalan, der seine PKK-Kämpfer 1984 in den Krieg hetzte« usw. Interessanterweise schrieb man noch von einem »Bürgerkrieg« in der Türkei; von »Terrorismus«, gegen den sich der türkische Staat zu verteidigen gezwungen sah, war noch nicht die Rede.

Um die Gefährlichkeit der PKK weiter zu unterstreichen, versuchten reißerische Schlagzeilen die Partei in die Nähe von Schwerkriminalität zu rücken. Titel wie »Spenden her – oder es brennt!«⁴ oder »Heroin, Waffen, Immobilien – Die schmutzigen Geschäfte der PKK in Deutschland«⁵ schürten Ängste und beschworen Ressentiments, die bis heute nachwirken.

Festgelegte und medial gern übernommene Narrative

Was noch schwerer wiegt, war die Entpolitisierung der Anliegen der PKK. Das kriminalisierende Stigma unterband jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den kurdischen Forderungen. Es ging allein um das Generieren von Aufmerksamkeit auf Boulevardniveau. So verfestigte sich in weiten Teilen der Gesellschaft die Assoziation Kurden = PKK = Kriminalität, Terror, Gefahr.

Die Journalist:innen wähnten sich auf der sicheren Seite, bestätigten doch die Berichte des Verfassungsschutzes, auf die sie sich regelmäßig bezogen, Jahr für Jahr das Bild der »Terror-Kurden«. Interessant, dass die PKK dieses Narrativ frühzeitig wahrnahm. Ihre Antwort darauf stand dann auch im VS-Bericht für 1993: »Über ihre Nachrichtenagentur […] forderte sie [die PKK] alle Journalisten auf, ihre Berichterstattung aus den Kurdengebieten zu beenden und die Region […] zu verlassen.«⁶ Dass im selben Jahr die PKK den ersten einseitigen Waffenstillstand ausrief, um zu einer politischen Lösung des Konflikts beizutragen, verschwieg der VS.

Entsprachen kurdische Aktivitäten nicht den sensationslüsternen Erwartungen, hob man dies extra hervor. Die Berliner Zeitung⁷ etwa schrieb über den Trauermarsch für Gülnaz Baghistani: »Allen Unkenrufen zum Trotz marschierten gestern etwa 10 000 Kurden friedlich. […] Die Kurden selbst, die ihre Kinder – auch die kleinsten – mitgebracht hatten, hatten offenbar sowieso nicht vorgehabt, den Marsch in einer Schlägerei mit der Polizei enden zu lassen.« Dass die 41-jährigen Kurdin, die sich an einem Hungerstreik beteiligte, an den Folgen eines von der Polizei erzwungenen Gewaltmarsches bei brütender Hitze an Entkräftung starb⁸, wurde ausgespart.

2008 ließ der ›Spiegel‹ die umstrittene Publizistin Necla Kelek in einem Gastbeitrag⁹ zu Wort kommen. Unter der Überschrift »Wie die PKK den Kurden die Demokratie verweigert« lässt sich Kelek zunächst über »archaische Sitten der Stammesgesellschaft« aus und kommt dann zu ihrem Schluss: »Wenn die bürgerlichen und demokratischen Kräfte der Kurden keine innerkurdische Auseinandersetzung mit diesen Kräften [gemeint ist die PKK] führen, wenn sie sich nicht von der ›klammheimlichen Freude‹ über den Terror verabschieden, wenn sie ihren Frauen keine Rechte zugestehen, wird es auch keine Lösung in der ›Kurdenfrage‹ geben.« Kelek scheint übersehen zu haben, dass schon im 1. Programm der PKK die Forderung nach Gleichstellung der Frau enthalten war und seit Mitte der 90er Jahre Frauen in eigenen Guerillaverbänden kämpften.

Kratzen an der Oberfläche

Wie man sieht, findet in den Medien keine Beschäftigung mit der inhaltlichen Ausrichtung der PKK und ihrer ideologischen Entwicklung statt. Deshalb auch die Verwunderung über die Rolle der Frauen beim Sieg über den sogenannten Islamischen Staat. Mit einer dem europäischen Orientalismus entsprungenen Faszination wurden Kämpferinnen der YPJ porträtiert. Im Focus konnte man erfahren: »Die kurdischen Verteidigungseinheiten von Kobane werden sogar von einer Frau angeführt.«¹⁰ Der Stern fragte: »Warum IS-Kämpfer Angst vor Mädchen haben« und gab gleich die Antwort: »Die Geheimwaffe der kurdischen Kämpferinnen: Ihr Geschlecht.«¹¹

In diesem kurzen Zeitfenster waren Kurd:innen gefeierte Held:innen im Kampf gegen den Dschihadismus. Volker Kauder (CDU) dachte laut darüber nach, die PKK mit deutschen Waffen auszurüsten¹². Die TAZ titelte »Die PKK gehört zu Deutschland«¹³ – und wusste wahrscheinlich nicht, wie recht sie schon damals hatte. Doch auch diese neue Sympathie führte nicht zu einem Verständnis dessen, was die Freiheitsbewegung antrieb. Man verharrte auf einer voyeuristischen Oberfläche und spann schräge Mythen um »kurdische Amazonen«.

Die deutsche Linke indes feierte die Revolution in Rojava und verfolgte sie in der Nische ihrer Medien und über Presseorgane der kurdischen Bewegung. Vergessen war die Abwendung vom Kampf der PKK infolge nicht-vermittelbarer Militanz. Jetzt besuchte man kurdische Vereine oder machte sich gleich auf den Weg nach Kobanê, um zu erfahren, wie sich Selbstverwaltung anfühlt – ganz wie damals nach Portugal zur Nelkenrevolution oder nach Nicaragua. ›Die Zeit‹ sah darin »linke Kurdenfolklore« und »Revolutionstourismus« und warnte: »Die Besucher verkennen den Kampf und die PKK.«¹⁴

Spalte und …

Die Annäherung zwischen (Teilen) der deutschen Linken und kurdischen Strukturen blieb auch dem Verfassungsschutz nicht verborgen: »Die PKK nutzt den Reputationsgewinn, um vehementer noch als in der Vergangenheit die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland zu fordern. Sie ist bestrebt, sich vom Makel einer verbotenen Organisation zu befreien und erfährt hierbei Unterstützung aus dem linksextremistischen Spektrum.«¹⁵ Seither werden gemeinsame Aktivitäten der PKK und der deutschen radikalen Linken mit Argusaugen verfolgt.

In dieser Zeit hat auch die deutsche Medienwelt gelernt, dass eine Differenzierung bei »den Kurden« hilfreich ist. So erklärt die Berliner Morgenpost die Unterschiede zwischen PKK, YPG und Peschmerga¹⁶. Natürlich fehlt bei der PKK nicht der Hinweis auf das Verbot und irgendwas mit »Terror«. Bei der Peschmerga hingegen handele es sich um »Widerstandskämpfer«, die für den Kampf gegen den IS Waffen aus Deutschland erhalten. Sie waren die »Guten«.

In der Sendung Monitor griff Georg Restle das Thema »Gute Kurden, schlechte Kurden« auf und fragt, ob das PKK-Verbot noch zeitgemäß ist.¹⁷ Wie das Innenministerium die Frage beantwortete, ist bekannt. An der Verbotspolitik hat sich nichts geändert.

Als ab 2016 die Repression in der Türkei wieder eskalierte, sparten deutsche Medien nicht mit Kritik. Hin und wieder ließ man jetzt auch Betroffene zu Wort kommen. So ­zitierte zum Beispiel Deniz Yücel in der ›Welt‘¹⁸ Faysal Sarıyıldız, den ehemaligen HDP-Abgeordneten und Augenzeugen des Massakers in Cizîr. Im Deutschlandfunk durfte Leyla Imret, ­frühere Bürgermeisterin von Cizîr in einem Beitrag mit dem Titel »Mörderischer Herbst in Südost-Anatolien« feststellen: »Die Türkei unterstützt den IS«.¹⁹

Die Berichterstattung über den Kurs des AKP-Regimes bewirkte, dass sich in der deutschen Öffentlichkeit für den türkischen Präsidenten der Wind drehte. Ein Aufreger war Jan Böhmermanns Schmähgedicht²⁰, das auf Erdoğans Betreiben hin zu einer Reihe von Strafanzeigen führte. Die Medien breiteten das Thema genüsslich aus, Merkel reagierte nicht amüsiert und Deutschland diskutierte, wie weit Meinungs- und Kunstfreiheit gehen darf. Die ›Zeit‹ brachte ein Interview mit Böhmermann mit dem Titel »Präsident Erdoğan zu beleidigen, ist mir zu doof«²¹. Außenpolitisch hatte man alle Hände voll zu tun, die zunehmend negative Presse über die Türkei aufzufangen. Es war das Jahr 2016, und man brauchte den türkischen Türsteher zur Abwehr von Geflüchteten.

Fortgesetzte und erweiterte Kriminalisierung

2017 stand das Verfassungsreferendum in der Türkei vor der Tür. Auftritte türkischer Politiker wurden untersagt und bei einer kurdischen Großkundgebung wehten Öcalan-Fahnen, vermeldete die F.A.Z.²² und zitierte erboste türkische Politiker. Innenminister de Maizière (CDU) bescherte Ankara ein kleines Geschenk: Das PKK-Verbot wurde erweitert durch eine lange Liste von Symbolen, die nicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen. Die Presse war sich weitgehend einig über den Hintergrund. In der ›Welt‹ gab Cem Özdemir (Grüne) zu denken: »Soll es hier mal wieder um eine Wahlhilfe für den unter Druck geratenen Diktatoren-Freund Erdoğan gehen?«²³

In den Folgejahren beschäftigte das Symbolverbot unzählige Gerichte. Meist ging es um Fahnen der YPG/YPJ/PYD. Die PKK habe, so die Argumentation, diese Fahnen »usurpiert«.²⁴ Auch das Abbild von Öcalan wurde verboten wegen des »erheblichen Emotionalisierungseffekts«, wie der Verfassungsschutz aufzudecken glaubte²⁵. Letztlich sorgte die lange Liste verbotener Symbole bei den Sicherheitsbehörden für große Verwirrung und Spott in den Medien.²⁶

Die Bundesregierung indes blieb bei ihrer harten Linie. Weder die Feststellung des Kassationshofs in Brüssel, die PKK sei Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt noch das vorläufige Ergebnis des luxemburgischen EU-Gerichthofes, die PKK sei zu Unrecht auf der EU-Terrorliste, hatten Folgen, was der Tagesschau eine Meldung²⁷ unter der wehenden PKK-Fahne wert war.

2018/19 geriet die Besetzung von Efrîn, Girê Spî und Serêkaniyê in den Fokus. Die zahlreichen Aktionen der kurdischen Bewegung in Europa zeigten Wirkung. Fast alle Medien berichteten, vereinzelt wurde auch der Einsatz von Giftgas erwähnt²⁸. Die deutlichsten Worte fand wieder Georg Restle in der Sendung Monitor: »Da führt ein NATO-Partner mithilfe islamistischer Terroristen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen westliche Bündnispartner – mit jeder Menge deutscher Waffen. Und die Bundesregierung? Spricht von einer ›fluiden Lage‹, die sie nicht bewerten will. Geht’s eigentlich noch verlogener?«²⁹

Das Erstarken der PKK in Europa nach 2014/15 entging auch dem Verfassungsschutz nicht: Die PKK sei »unverändert die mitgliederstärkste und schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland«³⁰. Die F.A.Z. vermeldete: »Die kurdische Terrororganisation PKK wächst an allen Ecken und Enden«³¹.

Zeit, daran zu erinnern, mit wem man es zu tun hatte. Die Razzien und das Verbot des Mezopotamien Verlags und MIR Multimedia boten den Anlass. Die ›Welt‹ titelte: »So gefährlich ist die verbotene PKK in Deutschland«³². Der Focus setzte noch eins drauf mit dem Hetzartikel »Wie die PKK unter dem Deckmantel eines Verlags ihr Geschäft in Deutschland finanzierte.«³³ Die Feststellung »Deutschland ist ›Raum des Rückzugs, der Refinanzierung und Rekrutierung‹« ist direkt abgeschrieben vom Verfassungsschutz und entspricht den Vorwürfen Erdoğans und seiner Presse. Die Folgen der medialen Hetze: Die Zahl von Verhaftungen und Verurteilungen vermeintlicher PKK-Aktivisten nach §§129a/b nahm kontinuierlich zu.

Es geht auch differenzierter

Nur wenige trauten sich subtil gegen die Dämonisierung der PKK anzuschreiben oder das verbreitete Narrativ zu relativieren. Am 20. Jahrestag der Verschleppung von Öcalan erschien ein längerer Beitrag in ›Zeit online‹ unter dem Titel »Der mächtigste Häftling der Türkei«³⁴. Die PKK wurde hier (nur) als »militant« bezeichnet, und die Rede ist von Isolationshaft ohne die sonst üblichen Anführungszeichen. Auch die Aussage »Erdoğan leitete Friedensprozess ein – und beendete ihn wieder« überraschte, ließen die meisten anderen Medien doch offen, wer 2015 für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich war.

Zu Newroz 2018 veröffentlichte die T.A.Z ein »Kurdendossier«. Während die meisten Autor:innen verschiedene Aspekte zumeist sachlich beleuchten, versucht sich Canset İçpınar lritik an einem Portrait von Öcalan und schon die Überschrift »Der Kult um den Ex-Terrorchef«³⁵ verhieß nichts Gutes. Man fragt sich, wie ein derartiger Beitrag in schnoddrigem Tonfall und ohne Substanz in dieses Dossier geraten konnte.

Immer deutlicher zeigt sich, dass die Berichterstattung mit PKK-Bezug zwischen den Aktionsorten unterscheidet. Betraf es Geschehnisse in Deutschland, wie Razzien in kurdischen Vereinen, Verhaftungen, Prozesse gegen mutmaßliche PKK-Aktivist:innen oder Veranstaltungen, blieb es beim gewohnten Framing. PKK = verboten, terroristisch.

Geht es um die Türkei, verlässt man sich nicht mehr nur auf die Propaganda türkischer Medien, sondern schaut genauer hin, fragt nach. Der Anschlag 2024 auf ein Rüstungsunternehmen in Ankara und das Selbstbekenntnis der PKK fand große Aufmerksamkeit. Das ZDF fragt »Ankaras Reaktion bereits sorgfältig vorbereitet?«³⁶ Neu ist der Bezug »Kurdische Nachrichtenagenturen«, die »Luftangriffe auf grenznahe Regionen im Norden Syriens und in den Kandil-Bergen im Nordirak« melden.

Die Koppelung der türkischen Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens an die Auslieferung vermeintlicher PKK-Aktivisten quittierten die Medien mit einer meist anti-türkischen Tonlage³⁷. Die FR relativierte durch Anführungszeichen: »Hinter der türkischen Blockade steht der Vorwurf, dass insbesondere Schweden ein Zufluchtsort für ›Terroristen‹ sei.«³⁸

Ende 2024 gerieten die türkischen Angriffe auf die Autonomieregion in Nordsyrien in die Schlagzeilen. Ein Korrespondent berichtete in der Tagesschau live aus Qamişlo und benennt recht deutlich die Rolle der Türkei³⁹: »Den Sturz Assads nutzt er [Erdoğan] nun, um seine Attacken auf die kurdischen Kräfte zu verstärken.« Vielfach erinnerte man sich noch an Kobanê und den Sieg über den IS.

Auch die Spekulationen über einen neuen Friedensprozess mit der PKK und Gespräche mit Öcalan sind oft Thema. Während sich die meisten Beiträge um Sachlichkeit bemühen, wärmt ein Podcast der ARD⁴⁰ alte und boshafte Legenden auf. Ein Korrespondent im ARD-Studio Istanbul erklärt zunächst, um wen es sich bei Abdullah Öcalan handelt: »Wir reden hier über einen Hochkriminellen, einen Verbrecher, einen Terroristenführer.« In den Vordergrund gestellt wird der militärische Kampf. Weiter geht es mit der türkischen Propaganda von angeblichen Verschleppungen kurdischer Jugendlicher seitens der PKK. Schließlich kommt man auf die DAANES zu sprechen, wo sich »eine Art Selbstverwaltung« etabliert habe. Abschließend meint der Korrespondent zu wissen, Öcalan habe verstanden, »dass die PKK mit ihrem Kampf am Ende ist« und man »nichts erreicht« habe.

Selbst wenn man in Betracht zieht, dass Auslandskorrespon­dent:innen in Istanbul immer Gefahr laufen, ihre Akkreditierung zu verlieren, wenn sie dem AKP-Regime nicht nach dem Mund reden, fällt dieser von Falschbehauptungen, Verleumdungen und dem Nachbeten türkischer Narrative strotzende Beitrag doch weit hinter den Diskurs in anderen Medien zurück. Dass es auch anders geht, beweist ein Beitrag⁴¹ der Tagesschau mit einer differenzierteren Einordnung.

Fassen wir zusammen: Die PKK ist medial durchaus präsent. Ihre Rolle beim Sieg über den IS kratzte (kurzfristig) am lange Jahre aufrecht erhaltenen »Terror«-Narrativ. Das hielt nicht lange vor. Nur wenige Medien wagen es, der Türkei durch eine von ihr als »PKK-freundlich« empfundene Berichterstattung auf die Füße zu treten. Zwar wird Erdoğan als autokratisch wahrgenommen, der repressiv gegen Kurd:innen vorgeht. Hier ist durchaus Sympathie für die kurdische Sache zu spüren. Der türkische Krieg gegen die Guerilla dagegen wird meist ausgeblendet, auch bei offensichtlichen Verletzungen des Völkerrechts oder dem Einsatz geächteter Chemiewaffen.

Keine inhaltliche Auseinandersetzung

Mit den Analysen und Forderungen der PKK setzt man sich weiterhin kaum auseinander, PKK-nahe Medien werden ignoriert. So schreibt eine Korrespondentin aus Istanbul auf Zeit-Online noch 2024 von der »streng marxistisch-leninistischen Ideologie«⁴² der PKK. Auch der kurdische »Traum vom eigenen Staat«⁴³ geistert immer noch herum. Eine Welt ohne Nationalstaaten ist nicht vorstellbar. Ansonsten folgt man dem Kurs der Außenpolitik, zeigt Verständnis für den »türkischen Partner« und seine »legitimen Sicherheitsinteressen«.⁴⁴ Nur wenigen fällt die außenpolitische Doppelmoral bei völkerrechtswidriger Annexion und Kriegsverbrechen auf. Es geht schließlich nicht um Putin.

Innenpolitisch hält die bürgerliche Presse an der Stigmatisierung der PKK als »verboten« und/oder »terroristisch« fest und teilt die Ansicht des Verfassungsschutzes.⁴⁵ Wann immer Kurd:innen mit ihren Anklagen und Forderungen in die Öffentlichkeit gehen, wird ein »PKK-Bezug« vermutet. Man übernimmt die Formulierungen der Polizei vom »erhöhten Konfliktpotenzial«⁴⁶, das restriktive Auflagen rechtfertigt. Zwischenfälle wie neulich beim Langen Marsch in Lahr, der selbst der Tagesschau eine Meldung wert war⁴⁷, bestätigen dann, was die Leserschaft schon immer zu wissen glaubte: »Kurden-Demo – Krawall«.

Wäre die deutsche Politik bereit und mutig, ihre überholte Sicht auf die PKK zu revidieren, könnte Deutschland bei der Vermittlung zwischen dem türkischen Staat und der PKK einen Beitrag leisten – auch als kleine Wiedergutmachung für jahrzehntelange Diffamierung und Ausgrenzung der kurdischen Bewegung. Dabei könnten Medien eine wichtige Rolle spielen, wenn sie nicht primär die Narrative des deutschen Staates wiedergäben oder von türkischen Nachrichtenagenturen abschrieben, sondern versuchen zu ergründen, worum es der PKK-Bewegung geht. Man könnte Öcalan lesen oder sich zumindest in kurdischen Medien informieren, die zu zitieren noch ein Tabu ist. Man könnte auch direkt das Gespräch mit Vertreter:innen der kurdischen Freiheitsbewegung suchen. Die Türen stehen offen.

Viele Konjunktive. Ob wir eine Zeitenwende in der Einschätzung der PKK bei dem sich hier abzeichnenden autoritären Umbau des Staates erleben dürfen, ist fraglich. Doch die kurdische Bewegung lehrt: Gib niemals die Hoffnung auf!

¹ Abendzeitung, 18.02.1981, online nicht verfügbar

² Der Spiegel, »Verfolgt, verjagt, vergast«, 07.04.1991 https://www.spiegel.de/politik/verfolgt-verjagt-vergast-a-4cd5a662-0002-0001-0000-000013488550

³ Der Spiegel, 27.03.1994, https://www.spiegel.de/politik/die-saat-der-gewehre-a-51477457-0002-0001-0000-000013686684

⁴ TAZ, 17.02.1993 https://taz.de/!1629768

⁵ Sendung Panorama / NDR, 05.08.1999 https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama/archiv/1999/-,panoramaarchiv1398.html

⁶ Verfassungsschutzbericht 1993, https://verfassungsschutzberichte.de/bund/1993#169

⁷ Berliner Zeitung, 02.08.1995, https://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-trauermarsch-fuer-guelnaz-baghistani-blieb-friedlich-obwohl-er-auch-politische-demonstration-war-hinter-dem-leichenwagen-wurde-getanzt-li.1002236

⁸ ANF, 27.07.2018 https://anfdeutsch.com/hintergrund/guelnaz-baghistani-und-das-pkk-verbot-in-deutschland-5809

⁹ Der Spiegel, 15.07.2008 https://www.spiegel.de/politik/ausland/gastbeitrag-wie-die-pkk-den-kurden-die-demokratie-verweigert-a-565737.html

¹⁰ Focus, 12.10.2014, https://www.focus.de/politik/ausland/kampf-um-kobane-eine-frau-kommandiert-die-kurdischen-kaempfer_id_4197721.html

¹¹ Stern, 11.12.2015 https://www.stern.de/politik/ausland/islamischer-staat–warum-is-kaempfer-angst-vor-maedchen-haben-6598470.html

¹² Siehe u.a. Spiegel, 24.08.2014 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/waffen-fuer-pkk-merkel-schliesst-waffenlieferung-aus-a-987817.html

¹³ TAZ, 03.09.2014 https://taz.de/!301795/

¹⁴ Die Zeit, 10.08.2015, https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-08/pkk-kurden-linke-tuerkei

¹⁵ Verfassungsschutzbericht 2015, https://www.statewatch.org/media/documents/news/2016/jun/germany-bfv-annual-report-2015-de.pdf

¹⁶ Berliner Morgenpost, 03.08.2015, https://www.morgenpost.de/politik/article205530865/PKK-YPG-und-Peschmerga-Organisationen-der-Kurden.html

¹⁷ ‚Monitor‘, 23.10.2014, https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-gute-kurden-schlechte-kurden-pkk-verbot-aufheben-100.html

¹⁸ Die Welt, 02.02.2016, https://www.welt.de/politik/ausland/article151764449/Die-AKP-fuehrt-die-Tuerkei-in-den-Buergerkrieg.html

¹⁹ Deutschlandfunk, 27.10.2015 https://www.deutschlandfunk.de/tuerkische-kurdengebiete-moerderischer-herbst-in-suedost-100.html

²⁰ Das Video der Sendung Magazin Royale ist mittlerweile gesperrt; der Text des Schmähgedichts findet sich u.a. hier: https://www.musikexpress.de/zdf-zensiert-Erdoğan-gedicht-von-boehmermann-517449/

²¹ Die Zeit, 03.05.2016, https://www.zeit.de/kultur/2016-05/jan-boehmermann-interview

²² F.A.Z. 19.03.2017 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wegen-pkk-symbolen-tuerkei-veraergert-ueber-frankfurter-kurden-demo-14932004.html

²³ Die Welt, 11.03.2017, https://www.welt.de/politik/ausland/article162763712/Oezdemir-findet-Zeitpunkt-fuer-Oecalan-Verbot-verdaechtig.html

²⁴ Siehe u.a. Süddeutsche Zeitung, 02.12.2020, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-urteil-kurden-fahne-pkk-1.5133657

²⁵ Verfassungsschutzbericht 2018, https://verfassungsschutzberichte.de/bund/2018

²⁶ Süddeutsche Zeitung, 18.09.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/pkk-fahne-es-muss-nicht-immer-das-blaue-hemd-sein-1.3671966

²⁷ Tagesschau 15.11.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/pkk-eu-gericht-101.html

²⁸ Siehe u.a. Spiegel, 17.02.2018 https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-beobachter-und-kurden-werfen-tuerkei-giftgaseinsatz-in-afrin-vor-a-1194040.html oder Die Zeit https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-02/syrien-tuerkischer-giftgasangriff-afrin-kurden

²⁹ Monitor (ARD), 01.02.2018 https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/krieg-gegen-die-kurden-100.html

³⁰ Verfassungsschutzbericht 2019, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb-2019-gesamt.html

³¹ F.A.Z., 26.07.2018, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kurdische-terrororganisation-mehr-geld-und-anhaenger-fuer-die-pkk-in-deutschland-15707957.html

³² Die Welt, 2.02.2019, https://www.welt.de/politik/deutschland/plus188673419/Terrororganisation-So-gefaehrlich-ist-die-verbotene-PKK-in-Deutschland.html

³³ ‚Focus, 12.02.2019, https://www.focus.de/politik/sicherheitsreport/seehofer-verbietet-pkk-organisation-wie-die-buchhaendler-aus-neuss-die-pkk-finanzierten_id_10312762.html

³⁴ ‚Zeit online‘, 15.02.2019, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-02/abdullah-oecalan-pkk-fuehrer-20-jahre-inhaftierung-tuerkei-kurdenkrieg

³⁵ T.A.Z, 21.3.2018, https://taz.de/PKK-Gruender-Abdullah-Oecalan/!5491509/

³⁶ ZDF, 07.10.2023, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/tuerkei-Erdoğan-pkk-kurden-nato-schweden-100.html

³⁷ Vgl u.a.: Tageschau: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/pkk-mitglied-auslieferung-schweden-verhaftet-101.html; Zeit Online: https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-12/asyl-schweden-tuerkei-pkk-nato

³⁸ Frankfurter Rundschau, 04.12.2022 https://www.fr.de/politik/nato-schweden-finnland-tuerkei-beitritt-aufnahme-blockade-pkk-ausgeliefert-Erdogan-91955742.html

³⁹ Tagesschau, 10.12.2024, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/syrien-kurden-tuerkei-kaempfe-100.html

⁴⁰ Podcast der ARD, 23.01.2025, https://www.tagesschau.de/multimedia/podcast/11km/podcast-11km-2286.html

⁴¹ Tagesschau, 18.01.2025, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/tuerkei-pkk-friedensprozess-huerden-100.html

⁴² Zeit-Online, 31.12.2024. https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-12/tuerkei-kurden-gruppen-konflikt-recep-tayyip-Erdoğan

⁴³ TAZ, 20.3.2018, https://taz.de/Geschichte-der-kurdischen-Gesellschaft/!5490050/

⁴⁴ Regierungspressekonferenz, 18.12.2024 https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz-2691304

⁴⁵ Verfassungsschutzbericht Bund 2022: »Wenngleich in Europa ­weiterhin friedliche Veranstaltungen und Aktivitäten im Vordergrund stehen, bleibt Gewalt eine strategische Option der PKK-Ideologie.« https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2023-06-20-verfassungsschutzbericht-2022.

⁴⁶ Siehe u.a. F.A.Z., 16.11.2024 https://www.faz.net/aktuell/politik/tausende-demonstrieren-bei-kurden-demo-in-koeln-fuer-pkk-chef-oecalan-110116113.html

⁴⁷ Tagesschau, 14.02.2025, https://www.tagesschau.de/inland/regional/badenwuerttemberg/swr-mehrere-polizisten-verletzt-bei-kurden-demo-in-lahr-100.html