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Der Isthmus von Tehuantepecund der dritte Weltkrieg

  • Februar 6, 2025
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Abdullah Öcalan in Mexiko Carlos Beas Torres, UCIZONI[1] In der Region des Isthmus von Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca im Südosten Mexikos leben indigene Völker. Sie und ihr Land

Der Isthmus von Tehuantepecund der dritte Weltkrieg

Abdullah Öcalan in Mexiko

Carlos Beas Torres, UCIZONI[1]

In der Region des Isthmus von Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca im Südosten Mexikos leben indigene Völker. Sie und ihr Land wurden Opfer ökologischer und sozialer Zerstörungen, denn seit mehr als hundert Jahren wird versucht, dort Megaprojekte durchzusetzen. Diese zielen im Wesentlichen darauf ab, die geografischen Gegebenheiten der Landenge – die Tatsache, dass hier nur 300 Kilometer den Atlantischen vom Pazifischen Ozean trennen – zu nutzen.

In der Vergangenheit haben sich westliche Mächte wie England, Frankreich und die Vereinigten Staaten um die wirtschaftliche Kontrolle dieser Region gestritten, vor allem weil es sich um einen strategisch wichtigen interozeanischen Korridor für den globalen Warenkreislauf handelt. Seit über 100 Jahren ist der Isthmus von Tehuantepec zu einem Gebiet der Energiegewinnung geworden. Die erste Raffinerie in Mexiko wurde mit englischem Kapital gebaut und 1907 in Minatitlán, Veracruz, eröffnet. Sechzig Jahre später begannen in Salina Cruz, Oaxaca, die Bauarbeiten für die Raffinerie Antonio Dovalí Jaime. Außerdem wurden in den 1970er Jahren im Veracruz-Teil des Isthmus drei große petrochemische Komplexe errichtet. Alle diese Projekte hatten große Auswirkungen auf uns, die indigenen Gemeinschaften, die in dieser Region leben. Zu Beginn des neuen Jahrtausends rief der mexikanische Präsident mit dem englischen Nachnamen Vicente Fox den so genannten Plan Puebla-Panama (PPP) ins Leben. Dabei handelt es sich um ein Megaprojekt, das die Energie- und Kommunikationsinfrastruktur im gesamten mesoamerikanischen Raum modernisieren sollte.

Seit 2007 haben ausländische Direktinvestitionen in unserer Region exponentiell zugenommen. Die Unternehmen verfolgen das Ziel, sich Gebiete anzueignen und ihre Geschäfte dort auszubauen, wo die lokale Bevölkerung nicht davon profitiert. Transnationale Unternehmen, vor allem aus Europa, haben den Isthmus von Tehuantepec zum wichtigsten Gebiet für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien in Mexiko gemacht. Derzeit sind beispielsweise mehr als 2.000 Windturbinen in 29 Windparks in Betrieb. Die Durchsetzung dieser Megaprojekte bedeutet für die zwölf in der Region lebenden indigenen Völker hohe soziale, ökologische und kulturelle Kosten: Enteignung, Gewalt, kulturelle Verluste und schwerwiegende Schäden für Mutter Erde. Das hat im Laufe der Jahre zu zahlreichen Widerstandsaktionen geführt, darunter Rebellionen, lokale Proteste und nationale Mobilisierungen.

Der Einfluss der Globalisierung

Viele Jahre lang fand die Verteidigung dieser Gebiete isoliert statt – was zweifellos eine Schwäche war –, bis wir nach dem Aufstand der bewaffneten zapatistischen Bewegung und der Durchsetzung der PPP den Aufbau einer gebietsübergreifenden Artikulation der Völker Mesoamerikas schafften, wodurch wir uns in die Lage versetzten, diesem Expansionsplan des globalen Kapitals mit größerer Kraft zu begegnen. Im Jahr 2013 verschwand diese lokale mesoamerikanische Ausrichtung jedoch, weil den nationalen Agenden Vorrang eingeräumt wurde.

Um zu verstehen, was mit uns geschieht, analysierten wir die globalen Beziehungen. Dabei waren unsere wichtigsten Bezugspunkte Autoren wie Immanuel Wallerstein (Weltsystemtheorie) und die Theoretiker der so genannten Dependenztheorie (Fernando Cardozo und Theotonio do Santos). Zu diesen Theorien mussten Konzepte wie Globalisierung und Neoliberalismus hinzugefügt werden, um den Kontext besser zu verstehen, in dem wir unsere Kämpfe als Verteidiger:innen des Territoriums in Abya Yala führen. Diese Theorien und Konzepte sagten uns jedoch wenig, da sie von einem eurozentrischen, akademischen Standpunkt aus erarbeitet wurden und in gewisser Weise die aktuelle globale Dynamik ignorierten. Erst in den letzten Jahren wurden wir auf die Analyse der multiplen globalen Krise aufmerksam, die von Autoren der kurdischen Befreiungsbewegung, insbesondere in den Schriften von Abdullah Öcalan, ausgearbeitet wurde. Diese Analyse trägt unserer Meinung nach zum Verständnis des aktuellen globalen Kontextes bei, in den unsere Kämpfe zur Verteidigung des Lebens eingebettet sind.

Zuvor beschränkte sich unser Verständnis der Expansionspläne des Kapitals in unserer Region auf den Versuch, den Prozess auf nationaler und globaler Ebene zu verstehen, dies jedoch aus einer lokalen und isolierten Perspektive; das heißt, wir verstanden die Megaprojekte in unserer Region als losgelöste Prozesse. Diese eingeschränkte politische Sicht schwächte uns natürlich, zermürbte uns und führte schließlich zu unserer Niederlage. Da wir nicht verstanden haben, wie die »Mächte der kapitalistischen Moderne« die Welt nach ihren Interessen umgestalten wollen, waren unsere Schläge schwach und unscharf. Daher ist es wichtig, die Analysen in einer globalen Perspektive miteinander zu verbinden, um den Ursprung und die Funktionsweise der staatlichen Herrschaft in der heutigen kapitalistischen Moderne zu verstehen.

Ende 2018 kündigte Präsident López Obrador in einem Brief an Präsident Trump die Umsetzung mehrerer Megaprojekte an, deren Einzugsgebiet der mexikanische Südosten sein würde. Dabei standen der Interozeanische Korridor des Isthmus von Tehuantepec, die zynisch Tren Maya benannte Eisenbahnstrecke und der Bau der Raffinerie Dos Bocas im Mittelpunkt der Agenda des Staates. In der ersten Phase wurden die drei Projekte mit Hilfe von Steuermitteln umgesetzt, was zu einer Militarisierung der Region sowie der Ausbreitung krimineller Gruppen im gesamten Südosten Mexikos führte.

In den letzten sechs Jahren haben die drei Projekte trotz des Widerstands der indigenen Völker und Organisationen erhebliche Fortschritte gemacht. Dieser Widerstand wurde getrennt voneinander geführt, obwohl die Megaprojekte eng miteinander verbunden sind. In jüngster Zeit wurden die verschiedenen Kämpfe auf nationaler Ebene wieder miteinander verknüpft, und es wird daran gearbeitet, Beziehungen für gemeinsame Aktionen mit lateinamerikanischen, europäischen und nordamerikanischen sozialen Organisationen zu schaffen und wiederherzustellen.

Eine neue Sichtweise

Seit einigen Jahren haben wir theoretischen und persönlichen Kontakt mit den Kämpfen des kurdischen Volkes im Nahen Osten und seiner Diaspora in Europa, insbesondere mit dem Paradigma, das uns durch die autonome Erfahrung von Rojava im Norden und Osten Syriens vorgeschlagen wird. Trotz der geografischen und kulturellen Entfernung identifizieren wir uns mit den Grundsätzen des demokratischen Konföderalismus, mit der Frauenbefreiung als Grundlage Freiheit und mit der respektvollen Beziehung, die mit Mutter Erde, der Natur und dem ökologischen System bestehen muss. Es ist uns sogar gelungen, einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Kampf der Völker Kurdistans und den Kämpfen der Zapatistas oder der Mapuches in Chile zu finden als Ergebnis des Dialogs, den wir mit den kurdischen Aktivist:innen geführt haben, die uns und unsere Kämpfe besucht haben. Dies hat uns zweifelsohne dem Vorschlag der Theorie von Abdullah Öcalan und anderen Theoretiker:innen der kurdischen Befreiungsbewegung nähergebracht.

Einige Zeit später erlaubte uns die Lektüre des kleinen, aber bereichernden Textes »Chancen und Gefahren des Dritten Weltkriegs«, der von der Akademie der Demokratischen Moderne herausgegeben wurde, den Charakter und das Ausmaß des bestehenden Konflikts zwischen dem mexikanischen Staat und den globalen Mächten zu verstehen. Er erlaubte uns auch zu begreifen, wie in unserem Territorium und in Lateinamerika die beschleunigte Konkurrenz zwischen China und den Vereinigten Staaten um Investitionsräume und die Kontrolle von Häfen ein weiterer Ausdruck dessen ist, was Öcalan den Dritten Weltkrieg nennt. Dieser Konflikt treibt den Bau von Häfen und Gaspipelines in Mexiko voran, und damit verschärfen sich die Prozesse der Enteignung und der Gewalt gegen die Eigentümer:innen des Territoriums. Das Leben ist in Gefahr.

Die Punkte, an denen wir diesen Konflikt am intensivsten wahrnehmen, sind zweifellos die Seehäfen und insbesondere diejenigen, die an bestehenden oder geplanten interozeanischen Korridoren liegen. Seit den 1980er Jahren hat China Handelsabkommen mit lateinamerikanischen Ländern unterzeichnet und eine starke Präsenz in den Häfen von Panama, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Peru und Ecuador gewonnen, was heute als Neue Seidenstraße bezeichnet wird. Derzeit ist das chinesische Unternehmen Cosco Shipping mehrheitlich am Bau des Megahafens von Chancay in Peru beteiligt, der im November 2024 im Beisein des chinesischen Präsidenten Xi Jinping eingeweiht werden soll [2]. Dieses Megaprojekt stellt aufgrund der wachsenden Präsenz Chinas in Lateinamerika eine Herausforderung für die Vereinigten Staaten dar.

Für die Völker des Isthmus und Lateinamerikas ist es wichtig zu verstehen, wie sich Konflikte zwischen den herrschenden Systemen äußern und auf unsere Region auswirken. Es ist auch von grundlegender Bedeutung zu wissen, wie transnationale Investitionsprojekte von diesen Konflikten geleitet werden. In diesem Sinne war die von Öcalan vorgeschlagene Analyse aufschlussreich.

Erste Schlussfolgerungen und Beiträge zum Brückenbau zwischen den Kämpfen

Für uns geht der Dritte Weltkrieg über bewaffnete Konflikte oder Handels- und Territorialstreitigkeiten hinaus. Natürlich sind wir besorgt über den Flächenbrand, der sich rasch ausbreitet und immer mehr Länder im Nahen Osten und die Ukraine betrifft. Dessen brutalstes Gesicht ist der Völkermord an den Menschen, wie er derzeit in Palästina, in Kurdistan, aber auch in verschiedenen indigenen Gebieten von Abya Yala stattfindet. Neben den bewaffneten Konflikten machen uns auch der Klimawandel und die Pandemien Sorgen, die ein weiterer Ausdruck der Dynamik des globalen Kapitals sind, die das ökologische System beeinträchtigen und unseren traditionellen Lebensweisen schaden.

Wir stimmen mit den Ansichten des kurdischen Vordenkers Öcalan und mit denen überein, die eine Systematisierung seines Denkens vorgenommen haben, wie der Theoretiker Arif Rhein. Er zeigt auf, wie wir diese kritische Phase des Dritten Weltkriegs durch die Schaffung internationaler Warenkorridore erklären können und wie sich der Kampf um die territoriale Kontrolle dieser Kreisläufe auf die traditionellen Eigentümer der Gebiete auswirkt. Das bedeutet, dass wir unsere Aktionen zur territorialen Verteidigung neu ausrichten müssen, indem wir die lokale Organisierung stärken und gebietsübergreifende Allianzen von der lokalen bis zur globalen Ebene auf der Grundlage antikapitalistischer, antipatriarchaler und nichtstaatlicher Prinzipien bilden.

Auf diesem Weg schlägt der theoretische Ansatz von Abdullah Öcalan einen Zukunftshorizont vor, der auf radikalem kritischem Denken beruht. Nachdem der Staatssozialismus auf globaler Ebene besiegt wurde, stimmen wir mit dem kurdischen Volk darin überein, dass eine der Alternativen für die Menschheit im demokratischen Sozialismus als politischem Horizont zu finden ist, der auf einer dezentralisierten sozialen Organisation (demokratischer Konföderalismus) und einer nicht-hierarchischen Organisation der Gesellschaft basiert. Inspiriert wird dieser Horizont von der kommunalistischen Tradition unserer Völker und dem Vorschlag des antiautoritären und libertären Kommunalismus von Murray Bookchin. Nur ein großes globales Bündnis mit diesen Eigenschaften wird in der Lage sein, den Projekten des Todes entgegenzutreten, die die Strategie der Herrschaft dessen ausmachen, was Öcalan als das »Reich des Chaos« bezeichnet hat.

Rincón Viejo, Petapa, Oaxaca, Mexico, October 2024


[1]     Unión de Comunidades Indígenas de la Zona Norte del Istmo (Union of Indigenous Communities of the Nothern Zone of the Isthmus)

[2]     Die Einweihung des Hafens fand am 14. November statt. Der Text wurde im Oktober 2024 verfasst.