2025 KR 236 | Januar-März 2025 Report Editorial KR 236 Editorial

Editorial 236

  • Februar 6, 2025
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Liebe Leserinnen und Leser, während wir diese Worte zu Papier bringen, erreicht uns die Nachricht vom Ende des Assad-Regimes in Syrien. Ein historischer Moment, denn damit geht die

Editorial 236

Liebe Leserinnen und Leser,

während wir diese Worte zu Papier bringen, erreicht uns die Nachricht vom Ende des Assad-Regimes in Syrien. Ein historischer Moment, denn damit geht die jahrzehntelange Diktatur der Baath-Partei zu Ende. Wenn ihr diese Worte lest, habt ihr sicher eine bessere Vorstellung davon, in welche Richtung sich die Situation in Syrien nach dem Sturz Assads entwickelt hat. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen mischt sich in die Freude über das Ende einer Diktatur, die jahrzehntelang Kurd:innen und andere Volksgruppen in Syrien brutal unterdrückt hat, auch die Sorge, inwieweit die neuen mächtigen Akteure im Land, wie die islamistischen Truppen der HTS und die Türkei-treuen Dschihadisten der SNA, ihre neue Rolle nutzen werden, um den Krieg gegen die Selbstverwaltung im Norden und Osten Syriens zu intensivieren. Das würde bedeuten, dass uns nach dem Sturz Assads ein neuer, brutaler Krieg erwarten könnte. Bereits kurz nach dem verkündeten Ende des Assad-Regimes erreichten uns Berichte über heftige Angriffe der Dschihadistenallianz SNA auf die Stadt Minbic, das Teil der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens ist.

Die Situation in Syrien zeigt einmal mehr, dass es dringend einer grundlegenden Antwort auf die andauernden Krisen und Konflikte im Nahen Osten bedarf. Das nord- und ostsyrische Gesellschaftskonzept der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung bietet ein Modell für eine solche Antwort. Der Ansatz einer basisdemokratischen Verwaltung, der Aufbau autonomer Frauenstrukturen und die Gleichberechtigung aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften bilden die Grundlage für eine Perspektive für Syrien jenseits von Krieg, Diktatur, Autoritarismus und Islamismus. Die Gesellschaftstheorie des demokratischen Konföderalismus hat das Potenzial, über Syrien hinaus den gesamten Nahen Osten nachhaltig zu verändern. Und das ist heute vielleicht dringender denn je.

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe des Kurdistan Reports beschäftigt sich mit dem Ideengeber dieser Gesellschaftstheorie: Abdullah Öcalan. Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans und Repräsentant der kurdischen Bevölkerung wird seit 1999 unter schwersten Isolationsbedingungen auf der Gefängnisinsel İmralı inhaftiert. Dennoch werden seine Ideen und Konzepte derzeit in Kurdistan und anderen Teilen des Mittleren Ostens umgesetzt und weltweit diskutiert. Auch wir möchten mit dieser Ausgabe dazu beitragen, die Isolation auf İmralı zu durchbrechen. Deshalb haben wir uns neben weiteren wichtigen Artikeln zu anderen Themen unter anderem mit den theoretischen Konzepten Öcalans, der juristischen Ebene seiner Haftsituation, aber auch mit der internationalen Kampagne für seine Freiheit beschäftigt.

Abdullah Öcalan hat viele Jahre seines politischen Lebens in Syrien verbracht. Sein Einfluss auf die Menschen in Rojava ist auch 26 Jahre, nachdem er das Land verlassen musste, unübersehbar. Es sind seine Ideen und Konzepte, die heute, ausgehend von Rojava, Syrien und die gesamte Region aus der langjährigen Krise führen könnten.

Eure Redaktion