Die Muslimbruderschaft, die Hamas und die AKP
- Dezember 30, 2023
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Wie der Islamismus im Mittleren Osten die Völker an ihrer Emanzipation hindert Die Muslimbruderschaft, die Hamas und die AKP Ali Roj Da alle drei Organisationen – die
Wie der Islamismus im Mittleren Osten die Völker an ihrer Emanzipation hindert Die Muslimbruderschaft, die Hamas und die AKP Ali Roj Da alle drei Organisationen – die
Da alle drei Organisationen – die Muslimbruderschaft, die Hamas sowie die AKP – eine islamistische Ideologie vertreten, ist es sinnvoll, kurz auf die Entstehung des Islam und seine heutige Situation einzugehen.
Der Islam entstand als dritte monotheistische Religion der abrahamitischen Tradition mit dem Anspruch, die angestauten sozioökonomischen und politischen Probleme der arabischen Völker zu lösen, die zwischen den beiden damaligen Hegemonialmächten, dem Römischen und dem Persischen Reich, eingeklemmt waren. Mit anderen Worten, die Krise und die chaotische Situation der arabischen Gesellschaften führten zur Entstehung des Islam, der sich in seiner Anfangszeit als fähig erwies, Probleme zu lösen, und in kurzer Zeit zunächst den Nahen Osten beherrschte und sich dann über die ganze Welt ausbreitete.
Jahrhundertelang war er die zentrale hegemoniale Macht, aber er verlor diese Position, als der Kapitalismus die zentrale Machtstruktur in Europa wurde. Wenn wir also die Praxis des Islam in den letzten eintausendvierhundert Jahren bewerten, können wir feststellen, dass er nur als ein Pflaster und nicht der realen Überwindung der Probleme gedient hat; und wir können sagen, dass er auch gegenwärtig die Probleme weder löst noch mildert, sondern sie verschärft und ihre Bewältigung erschwert.
Heute halten Organisationen, die sich auf die Ideologie des Islam stützen, die Abkehr von den Wurzeln des Islam für die Ursache der bestehenden sozioökonomischen und politischen Probleme und präsentieren die Rückkehr zum Wesen des Islam als Lösung. Auf dieser Grundlage wollen sie den Staat zu übernehmen organisieren, zu Koran und Sunna zurückkehren und schließlich eine Gesellschaft schaffen, in der Scharia-Gesetze gelten, in der Annahme, alle Probleme auf diese Weise lösen zu können. Das gemeinsame Ziel und der gemeinsame Zweck der meisten islamischen Organisationen (auch die der Muslimbruderschaft) ist letztlich der Weg zum Scharia-Gesetz – für sie ein Gebot Gottes –, und alle, die sich ihm widersetzen, müssen bekämpft werden.
Es gibt allerdings auch – wenn auch nur wenige – islamische Gruppen, die nicht von dieser Haltung angetrieben werden, sondern vielmehr von der kulturellen Praxis des Islam und der Notwendigkeit, Kompromisse mit anderen Kräften zu schließen. Das Leben des Propheten in der Zeit von Medina und die Praktiken dieser Zeit bilden die wichtigste Grundlage dafür; der Pluralismus in der Zeit von Medina schließt demokratische Strukturen ein. Islamische Organisationen wie die Ikhwan (Muslimbruderschaft) hingegen stehen demokratischen Werten grundsätzlich ablehnend gegenüber, da sie auf dem Mehrheitsprinzip und nicht auf Pluralismus basieren. Die wichtigste Grundlage für diese Auffassung ist die Phase des Propheten in Mekka. Sie akzeptieren demokratische Werte als Argumente, die nur dann verwendet werden, wenn sie dem eigenen Zweck dienen, und dies lässt sich leicht feststellen, wenn wir die historische Vergangenheit und Gegenwart der Ikhwan und Organisationen mit ähnlicher Ideologie betrachten. Die Organisation der Muslimbrüder in Palästina zum Beispiel stützt sich auf den Dschihad, d.h. auf Gewalt, während die syrische Ikhwan sagt, dass sie sich aufgrund der Umstände auf demokratische Methoden stützt, und der AKP-Führer Erdoğan, der eine ähnliche Ideologie hat, vergleicht die Demokratie mit einem Zug, den man besteigen muss, um ans Ziel zu kommen.
Die Hauptpropaganda der von Hassan al-Banna und seinen Freunden in den 1920er Jahren gegründeten Muslimbruderschaft zielte auf die Überwindung sozialer Probleme und Ungerechtigkeiten. Durch die Betonung von sozialer Solidarität, Kooperation und Bildung wollten sie die Massen erreichen, was ihnen auch gelang. Die Tatsache, dass die Region damals unter britischer Herrschaft stand, spielte dabei eine entscheidende Rolle: Anders als die ägyptische Regierung vor dem und während des Zweiten Weltkriegs unterstützte die Muslimbruderschaft das Nazi-Regime, was zu einer Vertiefung und Verankerung des islamischen Nationalismus in der Ikhwan führte, und Hitlers ›Mein Kampf‹ ist noch immer eines der meistgelesenen Bücher auf der Ikhwan-Website.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sie ihren Aktivismus nicht nur gegen Briten und Ausländer, sondern auch gegen die säkularen Werte des Lebens im Allgemeinen fort. Nach der Ermordung von Hassan al-Bannan als Vergeltung für die Ermordung des ägyptischen Premierministers wurde Sayyid Qutb, der erst später der Organisation beitrat, zum einflussreichsten Vordenker der Muslimbruderschaft. Für Sayyid Qutb ist die muslimische Gesellschaft unislamisch und muss durch eine gewaltsame Revolution und die Herrschaft der Scharia über die Regierungen aller muslimischen Länder zum Wesen des Islam zurückgeführt werden.
Der Name Sayyid Qutb wird von Tayyip Erdoğan und seinem Sohn Bilal Erdoğan oft genannt und seine Idee einer ummahistischen1 und religiösen Revolution als Vorbild angeführt. Für Erdoğan, der Georgier ist und dessen Frau Araberin, ist der islamische Nationalismus (man könnte ihn auch islamischen Faschismus nennen) zumindest das Hauptargument, um an der Macht zu bleiben. Schaut man sich seine Anhänger in der Türkei, im Nahen Osten und in der ganzen Welt an, ist diese Motivation leicht zu erkennen. Mit dieser Motivation kann er seine politische Macht leicht konsolidieren, indem er eine Basis mobilisiert, die sich auf islamische Empfindlichkeiten stützt, insbesondere innerhalb der Türkei. Es stellt sich die Frage, ob sie sich wirklich der islamischen Ideologie, dem Ikhwan-Gedankengut und den Lehren Sayyid Qutbs verschrieben haben oder ob sie diese als Mittel benutzen, um an der Macht zu bleiben und von deren Segnungen zu profitieren. Ich denke, wir können sagen, dass beides miteinander verbunden ist. Wir können sagen, dass die Muslimbrüder die AKP als das Modell akzeptiert haben, dem sie folgen sollten, um ihre Ziele nach dem Arabischen Frühling zu erreichen. Die von ihnen gegründeten politischen Parteien mit ähnlichen Namen und Programmen in Marokko, Tunesien und Ägypten sind Beispiele dafür. In Syrien haben sie den westlichen Mächten wiederholt erklärt, dass sie demokratische Methoden anwenden würden, die auf dem Diskurs des Modells der islamischen Mäßigung basieren, um die Macht zu ergreifen, und in Palästina kämpfen sie weiterhin mit der Hamas mit der Motivation des aktiven Dschihad.
Die Hamas greift sowohl das historische als auch das ideologische Erbe der Muslimbruderschaft auf, überträgt es auf Palästina. Für sie ist das Hauptproblem Israel, aber die Hauptlösung zur Beseitigung Israels und aller Probleme ist die Rückkehr zur Essenz des Islam, d.h. zur Scharia, und auf dieser Grundlage muss der Dschihad geführt und die Gesellschaft verändert werden. Dies ist die grundlegende Politik der Hamas gegenüber der palästinensischen Gesellschaft. Der Grund für die Angriffswelle gegen Israel am 7. Oktober 2023 liegt wahrscheinlich in diesem islamistischen Gedankengut der Ikhwanisten, so dass die Aussage, dass es eine Partnerschaft zwischen Hamas, Ikhwan und AKP gibt, angemessen und wahr ist. Es wäre nicht falsch zu sagen, dass die Hamas zu dieser Aktion ermutigt wurde.
Diese Aktion hat dem palästinensischen Volk große Verluste und Schmerzen zugefügt. Es ist ein großer Fehler, von Erfolg und Freude zu sprechen, wenn Tausende von Zivilisten, Frauen und Kindern getötet wurden. Obwohl das offizielle Gründungsdatum der Hamas das Jahr 1987 ist, geht sie auf die frühen siebziger Jahre zurück, als die Muslimbruderschaft als Wohltätigkeitsorganisation gegründet wurde, und sogar noch weiter zurück in die dreißiger Jahre. Soweit wir wissen, wurde dieser Organisation, deren Gründung Israel genau beobachtete, die Möglichkeit gegeben, sich gegen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zu richten; so konnte sie – trotz anfänglicher geringer Beliebtheit – sich entwickeln und wachsen, die PLO wurde zerschlagen und der palästinensische Befreiungskampf gelähmt.
Die islamistische Ideologie hat versucht, sich an die Stelle der auf der sozialistischen Befreiungsideologie der Geschwisterlichkeit der Völker basierende Befreiungsideologie zu setzen. Mit den Angriffen vom 7. Oktober scheint die Hamas ein regionales Chaos provozieren zu wollen. Dieses Chaos wird den Normalisierungsprozess der arabischen Staaten mit Israel vorerst verhindern und kann auch als Schachzug gesehen werden, um die neue Handelsroute zwischen Indien und Europa, die auf dem G20-Gipfel geplant worden war, und den Russland-Ukraine-Krieg zu vereiteln.
Es ist klar, dass sie den Iran und die schiitischen Kräfte um ihn herum in eine Konfrontation mit Israel treiben wollen, um eine neue Krise im Nahen Osten heraufzubeschwören, das Chaos zu vertiefen und den Ikhwanisten zu neuen Erfolgen zu verhelfen, wie es nach dem Arabischen Frühling der Fall war. Ikhwan, die AKP und Russland scheinen diejenigen zu sein, die am meisten von der aktuellen Krise profitieren. Doch es ist klar, dass der legitime Kampf des palästinensischen Volkes dadurch größten Schaden nimmt. Nationalistische und religiöse Ansätze werden auf beiden Seiten nur zu mehr Zerstörung, mehr Verwüstung und mehr Toten führen. Natürlich ist der Islam in den Gesellschaften des Nahen Ostens verankert, aber in seiner gegenwärtigen Form kann er nicht mehr tun, als die Probleme zu vertiefen; das Angemessenste, was er tun kann, ist, aus der kapitalistischen Moderne herauszutreten und eine kulturelle Rolle im Leben der alternativen, demokratischen Moderne zu spielen.
Israels Beharren auf der nationalstaatlichen Schiene und seine spezifische Herangehensweise an die Konflikte machen die Probleme nur noch unlösbarer. Es mag sich aufgrund seiner politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht im Moment als Gewinner oder als am wenigsten Geschädigter sehen, es mag sich als Beschützer seiner Bevölkerung darstellen – aber es ist wichtig zu erkennen, dass es mit dieser Politik der jüdischen Gemeinschaft den Boden entzieht und einer Entwicklung den Weg bereitet, in der Zukunft ähnliche Tragödien zu erleben, wie sie die jüdische Gemeinschaft in der Geschichte erlebt hat. Aber wenn Israel das Paradigma der demokratischen Nation und der demokratischen Moderne mit der Kraft, der Fähigkeit und dem Potenzial, über die es verfügt, verwirklicht, könnte damit nicht nur das israelisch-palästinensische Problem gelöst werden, sondern es könnte auch zur Lösung des sogenannten kurdischen Problems beitragen, das mindestens ebenso tiefgreifend, umfassend und global ist. Auf diese Weise wird es die wohlwollendste Rolle gegenüber der Welt und der Menschheit spielen, das Schicksal der Welt positiv verändern.
1 Umma: Begriff, der für die religiös fundierte Gemeinschaft der Muslime verwandt wird.
Kurdistan Report 231 | Januar / Februar 2024