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Automatisierung des Tötens: Im Wettrüsten mit KI wird die Schwelle zum autonomen Krieg überschritten

  • April 8, 2025
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Cenî, Kurdisches Frauenbüro für Frieden Wir befinden uns in den Anfängen einer neuen Ära der Kriegsführung. Künstliche Intelligenz und autonome Systeme verändern das Wesen militärischer Konflikte grundlegend. Der

Automatisierung des Tötens: Im Wettrüsten mit KI wird die Schwelle zum autonomen Krieg überschritten

Cenî, Kurdisches Frauenbüro für Frieden

Wir befinden uns in den Anfängen einer neuen Ära der Kriegsführung. Künstliche Intelligenz und autonome Systeme verändern das Wesen militärischer Konflikte grundlegend. Der Artikel beschreibt die derzeitigen Ausmaße dieser Technologie und geht darauf ein, wie sie auch von deutschen Unternehmen weiterentwickelt wird.

Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet die Fähigkeit von Computern und Maschinen, durch Algorithmen und maschinelles Lernen menschenähnliche Entscheidungen zu treffen und sich an veränderte Umstände anzupassen. Während KI in vielen zivilen Bereichen als Fortschritt gilt, entwickelt sie sich im militärischen Kontext zunehmend zu einer strategischen Schlüsseltechnologie. Die fortschreitende Automatisierung im Kriegsgeschehen lässt die Grenzen zwischen Mensch und Maschine immer mehr verschwimmen. Während diese Entwicklungen technologische Fortschritte und Effizienzgewinne versprechen, werfen sie zugleich erhebliche ethische, rechtliche und sicherheitspolitische Fragen auf. Israel, die Türkei und Deutschland stehen beispielhaft für den globalen Trend hin zu KI-gestützten Waffensystemen, die in aktuellen und künftigen Kriegen eine immer entscheidendere Rolle spielen werden. Israel ist in der Implementierung von KI-gestützten Waffensystemen stark vorangeschritten und hat diese bereits in realen Konflikten, insbesondere in Gaza, eingesetzt. Die Türkei setzt verstärkt auf Drohnen- und KI-Technologie und nutzt sie zur Projektion militärischer Macht in verschiedenen regionalen Auseinandersetzungen. Deutschland wiederum spielt als einer der technologisch führenden Akteure in Europa eine entscheidende Rolle in der Entwicklung moderner militärischer KI-Systeme, insbesondere durch Unternehmen wie Helsing, die ihre Technologien bereits im Krieg in der Ukraine zur Anwendung bringen.

Ein bedeutender Unterschied zwischen herkömmlichen Drohnen, wie sie die USA in Afghanistan eingesetzt haben, und autonomen Waffensystemen, die durch KI gesteuert werden, besteht im Grad der menschlichen Kontrolle. Während Drohnen wie die »MQ-9 Reaper« ferngesteuert werden und stets eine menschliche Entscheidung zur Zielerfassung und zum Angriff benötigen, sind autonome Waffensysteme in der Lage, Ziele selbstständig auszuwählen und anzugreifen, ohne direkte menschliche Eingriffe. Dieser entscheidende technologische Wandel könnte die Kriege der Zukunft fundamental verändern, da autonome Waffen nicht nur schneller agieren, sondern auch in großem Umfang ohne menschliche Kontrolle operieren könnten. Beispiele für autonome Waffensysteme sind etwa unbemannte Kampfflugzeuge, die selbstständig Luftkämpfe führen, autonome Drohnenschwärme, die koordiniert Ziele angreifen, sowie KI-gestützte Artilleriesysteme, die eigenständig feindliche Stellungen identifizieren und bekämpfen.

Die Entwicklung dieser Technologien geschieht nicht isoliert. In verschiedenen internationalen Foren wird über Regulierungen und Beschränkungen diskutiert, doch bislang gibt es keine völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen zur Kontrolle autonomer Waffensysteme. Die Vereinten Nationen debattieren seit Jahren über ein Verbot sogenannter »Killerroboter«, jedoch ohne konkrete Ergebnisse. Während einige Länder, darunter Deutschland und Frankreich, für eine, wenn auch schwammige, internationale Regulierung eintreten, blockieren Großmächte wie die USA, Russland und China jegliche Fortschritte in dieser Richtung. Derzeit gibt es keine einheitlichen Standards oder Mechanismen, die verhindern, dass diese Technologien unkontrolliert weiterentwickelt und in Konflikten eingesetzt werden.

Die Nutzung von KI im militärischen Bereich begann mit einfachen Automatisierungssystemen für Logistik und Aufklärung. Bereits in den 1980er-Jahren experimentierten ­große Militärmächte mit Systemen zur Mustererkennung, um feindliche Aktivitäten frühzeitig zu identifizieren. In den 2000er-Jahren wurden erste KI-gestützte Entscheidungsunterstützungssysteme in Kampfflugzeugen integriert, um Piloten bei der schnellen Analyse von Situationen zu unterstützen. In jüngster Zeit hat sich die Entwicklung auf vollständig autonome Waffensysteme konzentriert, die komplexe taktische Entscheidungen ohne menschliches Eingreifen treffen können.

Die Auswirkungen autonomer Waffensysteme sind bereits in mehreren Konflikten erkennbar. In Libyen setzte die Türkei 2020 erstmals KI-gesteuerte Kampfdrohnen vom Typ Kargu-2 ein, die feindliche Kämpfer ohne menschliche Steuerung attackierten – ein Präzedenzfall für die Zukunft autonomer Kriegsführung.¹ In der Ukraine nutzen beide Seiten fortschrittliche KI-gestützte Systeme, die entweder für die autonome Zielerkennung oder für die Berechnung von Angriffsstrategien eingesetzt werden.² Auch im Konflikt um Bergkarabach 2020 spielten autonome Drohnen eine entscheidende Rolle. Aserbaidschan setzte türkische Bayraktar-Drohnen ein, die mittels KI-gesteuerter Zielerfassung präzise Angriffe auf armenische Stellungen ausführten und so maßgeblich den Ausgang des Krieges beeinflussten.³ Besonders alarmierend ist der Einsatz von KI-Systemen im Gazastreifen, wo Israel »Habsora« und »Lavender« zur Generierung und Priorisierung von Zielen verwendet. Diese Technologien haben die Zahl der täglich angegriffenen Ziele drastisch in die Höhe getrieben und führen zu einer weiteren alarmierenden Entmenschlichung des Krieges. Sie beschleunigen die Tötung in einem beispiellosen Ausmaß, ohne dass moralische oder ethische Bedenken eine wirkliche Rolle spielen. Die Gefahr massiver Kollateralschäden steigt rasant, während die Verantwortung für diese Angriffe zunehmend in die Hände emotionsloser Algorithmen gelegt wird.

Israel hat sich als Vorreiter der autonomen Kriegsführung etabliert. Mit Systemen wie »Habsora« und »Lavender« nutzt das israelische Militär hochentwickelte Algorithmen, um in Echtzeit feindliche Ziele zu identifizieren und zu eliminieren. Diese Systeme wurden intensiv im Gazastreifen eingesetzt. »Habsora« ermöglicht es, täglich Hunderte von Zielen zu generieren – eine drastische Steigerung im Vergleich zu vorherigen Operationen, die wenige Dutzend Ziele pro Jahr auswiesen.⁴ In Berichten ehemaliger Geheimdienstoffiziere heißt es, dass dieses System eine »Massenmordfabrik« ermögliche, bei der die Anzahl der Angriffe entscheidender ist, als die Präzision der Zielauswahl.⁵ Trotz einer oberflächlichen menschlichen Kontrolle bleibt kaum Zeit für eine echte Prüfung der Zielgenauigkeit. Dies führt dazu, dass die moralische Hemmschwelle für Angriffe sinkt und die Unterscheidung zwischen Kämpfer:innen und Zivilist:innen zunehmend verwischt. Kritiker:innen warnen, dass dieser Grad an Automatisierung das humanitäre Völkerrecht untergräbt und zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung führt.

Auch die Türkei setzt verstärkt auf autonome Waffensysteme. In den vergangenen Jahren hat sie ihre Verteidigungsindustrie massiv ausgebaut, insbesondere im Bereich der Drohnentechnologie. Türkische Drohnen, allen voran die »Bayraktar TB2«, wurden bereits in mehreren Kriegen erfolgreich eingesetzt, darunter in Libyen, Syrien, Bergkarabach und der Ukraine. Die Türkei betrachtet diese Technologien als strategischen Vorteil und wird sie in zukünftigen Konflikten vermutlich weiter ausbauen.⁶ Neben der reinen Drohnentechnologie arbeitet das Land verstärkt an weiterentwickelten KI-gestützten Waffensystemen, die sich zunehmend von direkter menschlicher Steuerung lösen. Dies wird die Art und Weise, wie die Türkei in zukünftigen militärischen Konflikten agiert, grundlegend verändern und möglicherweise zu noch rascheren Eskalationen beitragen.

Ein besonders bemerkenswerter Akteur in der europäischen KI-Militärtechnologie ist das deutsche Unternehmen Helsing. Die Softwarelösungen von Helsing werden bereits aktiv in der Ukraine eingesetzt, wo sie bei der Zielerkennung und Einsatzplanung unterstützen. Helsing setzt auf hochentwickelte Algorithmen, die in Echtzeit große Datenmengen analysieren, um die Effizienz militärischer Operationen zu maximieren. 2023 erhielt Helsing den Auftrag, den Eurofighter für den elektronischen Kampf auszurüsten, während das Unternehmen auch maßgeblich an der KI-Infrastruktur des Future Combat Air System (FCAS) beteiligt ist.⁷ Die enge Zusammenarbeit mit der Ukraine zeigt, wie rasant auch Europa auf die Integration von KI in militärische Prozesse setzt, auch wenn politische Entscheidungsträger dies öffentlich oft relativieren.

Fazit

Der zunehmende Einsatz autonomer Waffen wird die Art der Kriegsführung radikal verändern. KI-gestützte Systeme ermöglichen eine höhere Geschwindigkeit und Genauigkeit in Gefechten, wodurch der Faktor Mensch immer weiter in den Hintergrund tritt. Dies birgt jedoch erhebliche Risiken: Der Wegfall menschlicher Entscheidungsfindung könnte dazu führen, dass Maschinen Fehler machen, die zu Eskalationen oder unerwarteten Kriegsverbrechen führen. Zudem könnten automatisierte Waffensysteme von feindlichen Akteuren gehackt und gegen ihre ursprünglichen Betreiber eingesetzt werden. Auch psychologische Aspekte sind nicht zu unterschätzen: Die Tatsache, dass KI ohne emotionale Hemmungen operiert, könnte Kriege noch brutaler und skrupelloser machen.

Während Organisationen wie Human Rights Watch und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz eine Regulierung fordern, gibt es bisher keine verbindlichen internationalen Abkommen zur Einschränkung autonomer Waffensysteme. Der Widerstand gegen strikte Regulierungen kommt vor allem von den großen Militärmächten, die befürchten, durch Restriktionen technologische Nachteile zu erleiden. Gleichzeitig wächst der öffentliche Druck auf Regierungen, verbindliche ethische Standards für den Einsatz von KI in der Kriegsführung zu entwickeln.

Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt. Die Entwicklung KI-gestützter Waffensysteme ist nicht mehr aufzuhalten. Die großen Militärmächte liefern sich ein Wettrüsten um die Vorherrschaft in dieser neuen Technologie, und jeder Akteur ist gezwungen, Schritt zu halten. KI-gestützte Waffen werden schneller, präziser und tödlicher. Die Kontrolle des Menschen über den Krieg schwindet zusehends, während Algorithmen immer größere Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Die Automatisierung des Tötens ist längst keine dystopische Zukunftsvision mehr – sie ist Realität.



¹ UN-Bericht. (2021). Autonomous weapons in Libya: The case of the ­Kargu-2 drone. Verfügbar bei den Vereinten Nationen.

² The Guardian. (2024). Ukraine war: How AI is changing modern ­battlefields. Abgerufen von https://www.theguardian.com

³ BBC, (2020). Nagorno-Karabakh conflict: How drones are revolutionising warfare. Abgerufen von https://www.bbc.com

⁴ The Guardian. (2023). AI-driven warfare: Israel’s controversial use of ‘Habsora’ in Gaza. Abgerufen von https://www.theguardian.com

⁵ +972 Magazine, 2024. ‘A mass assassination factory’: Inside Israel’s calculated bombing of Gaza. Abgerufen von https://www.972mag.com

⁶ Carnegie Endowment for International Peace. (2023). Turkey’s military AI ambitions: Strategic implications. Abgerufen von https://carnegieendowment.org

⁷ Defense News. (2023). Helsing’s role in AI-powered warfare: Europe’s push for autonomous military tech. Abgerufen von https://www.defensenews.com