Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen im neuen Jahr. Wieder steht Kurdistan, die kurdische Freiheitsbewegung, im Zentrum dynamischer Veränderungen und historischer Umbrüche im Nahen und Mittleren Osten. Mit den IS-Angriffen im August auf Şengal und im September auf Kobanê, den Kanton der autonomen Verwaltung in Rojava, zog es den Blick der Weltöffentlichkeit auf sich. Der bei Drucklegung dieses Heftes seit drei Monaten andauernde Widerstand in Kobanê steht für die Situation im Mittleren Osten, reflektiert gleichzeitig aber auch die Errungenschaften der kurdischen Bewegung. Denn beim Kampf um Kobanê geht es nicht bloß um eine Stadt, ihre Bevölkerung. Hier prallen zwei Ideologien, Zukunftsvisionen aufeinander. Die gesellschaftliche Revolution in Rojava – ob die zentrale Rolle der kurdischen Frauenbewegung und ihrer Frauenbefreiungsideologie, den ökologischen Bereich oder den ökonomischen – versuchen wir mit dem einen oder anderen Artikel zu beleuchten.
In der Türkei/Nordkurdistan dauert der »Friedensprozess« zwischen PKK und Staat, auch 2014 von Tiefen und Höhen geprägt, weiter an. An der antidemokratischen Haltung von Staat und AKP-Regierung hat sich jedoch nichts geändert: weder in ihrer Rojava-Politik noch mit der Festnahmewelle gegen tausende politische AktivistInnen seit Oktober noch der Ermordung demonstrierender ZivilistInnen noch der fehlenden Bereitschaft zur Haftentlassung kranker Gefangener …
Abdullah Öcalan hält dennoch an seiner Newroz 2013 verkündeten Linie »Die Waffen sollen endlich schweigen, Gedanken und Politik sollen sprechen« fest und wagt mit dem »Entwurf für Frieden und Demokratie im Verhandlungsprozess« einen neuen Vorstoß, allerdings: »Von uns kommt nichts mehr, bis dieser Entwurf umgesetzt ist!« In einem Artikel über Lösungsprozesse in Irland und Südafrika soll die Rolle von Führungspersönlichkeiten und Verhandlungen im internationalen Kontext verglichen werden.
Deutschland sah auch im vergangenen Jahr wieder Demonstrationen gegen das PKK-Verbot, Solidaritätsaktionen für Kobanê führten hier zur Annäherung zwischen unterschiedlichsten Gruppen und der kurdischen Bewegung. Mit der zweiten »Network for an Alternative Quest«-Konferenz »Die kapitalistische Moderne herausfordern« wird 2015 nun auch dem theoretischen und ideologischen Austausch über revolutionäre Theorieansätze Raum gegeben.
Am 9. Januar jähren sich die Pariser Morde an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Die Forderung nach Rechenschaft und Verurteilung der Verantwortlichen, die ihren Ausdruck in wöchentlichen Mahnwachen in vielen europäischen Städten findet, besteht weiter. Wir möchten hier auch mit Freude und einer ersten Leseprobe die deutschsprachige Veröffentlichung des ersten Teils der Autobiografie von Sakine Cansız am 9. Januar beim Mezopotamya Verlag bekannt geben.
Unsere Gedanken sind bei allen gefallenen Revolutionärinnen und Revolutionären; den einfachen Menschen, die wie so oft am härtesten unter den Kriegen zu leiden haben und unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern den Winter überstehen müssen; den Angehörigen der Opfer des Roboskî-Massakers vom 28. Dezember 2011, die im vierten Jahr immer noch für Gerechtigkeit kämpfen ...
Ihre Redaktion
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