Eziden auf der FluchtEditorial

Liebe Leserinnen und Leser,

vergangenen Monat erreichten uns schreckliche Meldungen aus Südkurdi­stan. Seitdem der Islamische Staat (IS) die êzîdische Stadt Şengal am 3. August eingenommen hatte, gingen Nachrichten über Massaker, Massenentführungen und Massenflucht um die Welt.
Die südkurdischen Peschmerga-Kräfte waren aus der Stadt abgezogen und hatten die Menschen wehrlos den Islamisten überlassen. Die Folge: tausende Tote, hunderttausende Flüchtlinge. Als die Menschen sich ohne genug Wasser und Nahrung auf die Şengal-Berge flüchteten, entgingen sie knapp einer humanitären Katastrophe. Die ÊzîdInnen sprechen dieser Tage vom 73. Massaker an ihrer Religionsgruppe.

Was sich allerdings in der Folge ereignete, kann als historisch bezeichnet werden. KämpferInnen von YPG und YPJ aus Rojava kämpften den Weg frei und retteten die rund 200 000 Menschen, unterstützt von HPG-Kräften aus Kandil. Rund hunderttausend Menschen konnten nach Rojava gebracht und versorgt werden, das selbst einem Wirtschaftsembargo unterliegt und ebenfalls wieder verstärkt den dschihadistischen IS-Angriffen ausgesetzt ist. Die Kämpfe um die Şengal-Berge halten derzeit weiter an. Naturgemäß und unplanmäßig bilden Artikel zu diesen Ereignissen einen Schwerpunkt in unserer aktuellen Ausgabe.

In Deutschland und anderen westlichen Staaten wird unterdessen offiziell die Aufrüstung Südkurdistans im Kampf gegen den IS betrieben. Es soll Profit gezogen werden aus dem Kampf gegen den IS, für dessen Erstarken dieselben Staaten nicht unwesentlich Vorarbeit leisteten. Erste Lieferungen haben bereits Hewlêr erreicht. Dagegen kommt die Diskussion über humanitäre Hilfe, auch für die Menschen in Rojava, viel zu kurz. Ebenso wäre eine Debatte über die Aufhebung des Verbots der PKK und deren Streichung von der EU-Terrorliste sicherlich angemessener, als allein eine weitere Militarisierung des Mittleren Ostens zu befördern. Denn immerhin erweist sich gerade die kurdische Freiheitsbewegung als wichtigste Garantin für den Kampf der Völker gegen die Gräueltaten des IS.

Nach der Einweihung des Denkmals an Mahsum Korkmaz griff das türkische Militär die Bevölkerung auf einem Friedhof in Piran an | Foto: DIHA

Die Tatsache, dass HPG-Kräfte aus Kandil derzeit an vorderster Front die Verteidigung Südkurdistans gegen den IS stützen, versuchen wiederum Türkei und Iran auszunutzen. Sowohl in Nordkurdistan als auch in den Meder-Verteidigungsgebieten kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Guerilla und Militär. Daneben geht die Türkei nach dem Auftrieb, den die kurdische Bewegung mit dem Wahlerfolg von Selahattin Demirtaş für die HDP bei der Präsidentschaftswahl (knapp 10 %) verbuchen konnte, mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor. Bei Angriffen des Militärs auf eine Demonstration in Pîran (Lice) wurde am 19. August ein Demonstrant mit gezieltem Schuss getötet. Die Demonstrationen griffen daraufhin auf weitere Städte über. Nordkurdistan wird seither von Serhildans (Volksaufständen) beherrscht.

Berxwedan jîyan e! – Widerstand bedeutet Leben! Die Losung der kurdischen Freiheitsbewegung gilt dieser Tage mehr denn je.

Ihre Redaktion