Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
zum neuen Jahr ereilen uns erfreuliche Nachrichten aus Kobanê. Nach 134 Tagen wurde das Stadtzentrum vollständig befreit und täglich werden weitere umliegende Dörfer zurückerobert. Die Selbstverteidigungskräfte der »demokratisch-autonomen Verwaltung«, allen voran die kämpfenden Frauen, haben den Mythos der Unbesiegbarkeit des Islamischen Staates (IS) gebrochen. Dieser vorläufige Triumph ist nicht nur als militärischer Sieg in einer Stadt zu werten. Vielmehr ist es ein Sieg des in Rojava im Aufbau begriffenen alternativen Systems, ein Sieg der kurdischen Frauenbewegung und ihrer Frauenbefreiungsideologie. Mit verschiedenen Artikeln beleuchten wir auch in dieser Ausgabe die diversen Aspekte der gesellschaftlichen Revolution in Rojava und sprechen auch an, welche Implikationen sich daraus für internationale linke Bewegungen ergeben (könnten).
Nun ist der Fokus der Bevölkerung auf den Wiederaufbau der vom Krieg gezeichneten Stadt gerichtet. Mit der Revolution von Rojava und den monatelangen Kämpfen um Kobanê haben die nationalstaatlichen Grenzen insbesondere in den Köpfen der Menschen in Nordkurdistan immer mehr an Bedeutung verloren. So übernimmt die Frauenbewegung in Nordkurdistan, die sich mit der Gründung des Kongresses der Freien Frauen (KJA) am 1. Februar neu organisiert hat, die Vorreiterinnenrolle für den Aufbau Kobanês. So wie in Amed will sie auch dort eine »Stadt der Frauen« schaffen.
Wie wichtig die Linie der Frauenbefreiung ist, die die Grundlage des kurdischen Freiheitskampfes darstellt, hat sich wieder einmal an der brutalen Ermordung der Studentin Özgecan Aslan gezeigt, die die gesamte Türkei/Nordkurdistan erschütterte. In diesem Kontext spiegelt sich auch das tiefgreifende Verständnis der kurdischen Bewegung vom sogenannten Friedensprozess in der Türkei wider. So nimmt die Frage der Frauenbefreiung einen zentralen Platz im »Entwurf für Frieden und Demokratie im Verhandlungsprozess« von Abdullah Öcalan ein. Die KCK-Exekutivratsvorsitzende Besê Hozat verdeutlicht in ihrer Kolumne nochmals dieses Verhältnis zwischen dem Friedensprozess und den Frauenmorden.
Es nähern sich das Newroz-Fest und die Parlamentswahlen in der Türkei am 7. Juni. Wir geben in dieser Ausgabe, u. a. auch in einem Interview mit dem HDP-Kandidaten Mithat Sancar, die Einschätzungen der kurdischen Seite zu den Wahlen, den Perspektiven einer umfassenden Demokratiebewegung um HDP/HDK und der Zukunft des Friedensprozesses wieder. In einem längeren Interview analysiert der Mitbegründer der PKK, Cemil Bayık, anlässlich des 16. Jahrestags der Verschleppung Abdullah Öcalans und der mehr als zehn Millionen gesammelten Unterschriften für dessen Freiheit umfangreich dessen Rolle für die kurdische Freiheitsbewegung und die kurdische Gesellschaft.
Zum 8. März, dem internationalen Tag der Frauen, grüßen wir alle Frauen im Kampf um Freiheit, Demokratie und gesellschaftliche Gerechtigkeit und gedenken in der Person Özgecan Aslans aller Opfer patriarchaler Gewalt.
Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit!
Ihre Redaktion
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