Südkurdistan ist in Gefahr
- Juli 2, 2023
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Die Einflüsse der aktuellen Entwicklungen in der Region auf die Lage in Südkurdistan Südkurdistan ist in Gefahr Baxtiyar Çelê, Mitglied im Volksrat des Geflüchtetencamps Mexmûr
Die Einflüsse der aktuellen Entwicklungen in der Region auf die Lage in Südkurdistan Südkurdistan ist in Gefahr Baxtiyar Çelê, Mitglied im Volksrat des Geflüchtetencamps Mexmûr
In den Jahrzehnten ihres administrativen Bestehens bis heute ist die Region Südkurdistan mit den Interessen internationaler wie auch regionaler (Kolonial-)Mächte konfrontiert. In dieser Gemengelage existiert ein System, das auf der Macht zweier Großfamilien, Barzanî und Talabanî, beruht. Diese beiden Familien ringen ständig um den Ausbau und den Erhalt ihres Einflusses und um Profit. Aus diesem Antrieb heraus werden unterschiedliche Kollaborationen eingegangen sowie politische und wirtschaftliche Pläne geschmiedet, denen regelmäßig eine kurdische Einheit als Dorn im Auge erscheint. Hierunter leiden die Stabilität der Region, die Demokratie und allen voran die kurdische Bevölkerung.
Die strategischen Veränderungen in der globalen Politik des kapitalistischen Imperialismus haben zu raschen Veränderungen in der Nahost-Region geführt. Nachdem die USA und ihre Partner ihre Ausbeutungsbestrebungen auf Russland und China ausgerichtet und sich aus Afghanistan zurückgezogen hatten, versuchte China sofort, das im Nahen Osten entstandene Vakuum zu nutzen und mit der Belt and Road Initiative1 seinen Einfluss in der Region geltend zu machen. Die Versöhnung und Verständigung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die durch Vermittlung des chinesischen Staatspräsidenten erreicht wurden, führten zu einer Wiederbelebung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Dies setzte eine Neukalibrierung des politischen Gleichgewichts in der Region in Gang und hatte unmittelbare Auswirkungen auf den Jemen, Syrien, den Libanon und den Irak, welcher als Vorhut des Iran gilt.
Der Iran nutzt seinen Einfluss im Irak, um mit der Bildung der Regierung der schiitischen Allianz die irakischen politischen Kräfte (die seit Jahren nicht in der Lage waren, eine stabile Politik bei der Bildung einer Regierung zu verfolgen) mit der bisher unter Führung von Mohammed Shia´ al-Sudani2 verfolgten Politik auf einen stabilen Kurs zu bringen. Zumindest erweckt diese den Eindruck, dass sie den Aufstand auf den Straßen des Irak, welcher zum Sturz mehrerer irakischer Regierungen geführt hat, ruhig stellen konnte. Gesellschaftlich einflussreiche Personen wie Muqtada al-Sadr3 scheinen mit dem Verlauf der Ereignisse zufrieden zu sein. Sudanis Ansatz zur Entwicklung konstruktiver und praktischer Lösungen im eigenen Land ist positiv und wird akzeptiert. Im Hinblick auf Südkurdistan scheint Sudani mit seiner Politik der Wiederherstellung der staatlichen Autorität und der Ausübung von Druck zur Schließung der rechtlichen Lücken, die durch das so genannte Unabhängigkeitsreferendum der PDK4 auf der Grundlage der irakischen Verfassung entstanden sind, bisher erfolgreich gewesen zu sein. Die Aussetzung der Erdöl- und Erdgaseinnahmen Südkurdistans, auf denen die Familie Barzanî ihre Existenz aufgebaut hatte, durch die Entscheidung des internationalen Schiedsgerichts in Frankreich trug zur Versöhnung zwischen der türkischen und der irakischen Regierung bei und bildete die Grundlage für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Region Kurdistan. Dies führte zur Annullierung der Abkommen Barzanîs mit der faschistischen Erdoğan-Regierung. Die Enthüllung all der schmutzigen und dunklen Beziehungen, die Barzanî mit dem Feind der Kurd:innen, dem faschistischen Völkermörder Erdoğan, entwickelt hatte, schwächte und entlarvte seine kollaborative Haltung.
Trotzdem hat Barzanî alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel für den Sieg des Erdoğan/Bahçeli-Faschismus bei den Wahlen in der Türkei mobilisiert. Er rief die kollaborierenden Parteien und kollaborierenden Stammesältesten aus dem türkisch besetzten Teil Kurdistans nach Südkurdistan und forderte sie in Versammlungen auf, für die AKP zu stimmen. Er unterstützte das Bündnis der Hüda Par5 mit der AKP, indem er sich mit den kollaborierenden islamistischen Strukturen verband. Hüda Par ist der politische Arm der türkischen »Hizbullah«, der Contra-Organisation, die in den 90er Jahren als Auftragskiller für den türkischen Staat tätig war und Tausende von patriotischen und demokratischen Kurd:innen ermordet hat und für die bis heute ungeklärten »Morde unbekannter Täter« in Kurdistan verantwortlich ist. Es ist abzusehen, dass sie diese Mörderbande wiederbeleben und gegen das kurdische Volk und seine Avantgarde einsetzen werden. Und sie werden dies in einem noch größeren Rahmen tun. Zusammen mit dem türkischen Geheimdienst versuchen sie, durch die Hüda Par und mit Hilfe des Islamismus, eine Front gegen die Errungenschaften der kurdischen Befreiungsbewegung in Südkurdistan zu schaffen. Der Vorsitzende der Hüda Par, Zekeriya Yapıcıoğlu, traf sich mit islamistischen Parteien in Südkurdistan, bat diese um Unterstützung für die AKP und bot an, gemeinsam gegen die Befreiungsbewegung PKK zu kämpfen, die in allen Teilen Kurdistans an Stärke gewinnt. Vor den Wahlen in der Türkei wurde die Grüne Linkspartei YSP in den virtuellen Medien diffamiert und es wurden gezielt Desinformationen gestreut. Internetseiten wie RWN Media, die mit der »Komale Dadgeri«, einer islamistischen Gruppierung, verbunden sind, taten dies offen unter dem Deckmantel des Islam. Einige kollaborierende Parlamentarier und Imame machten beleidigende Aussagen über die YSP.
Barzanîs Zusammenarbeit mit dem AKP/MHP-Faschismus
Die Wahlen in der Türkei hatten ebenso Auswirkungen auf die Türkei und Nordkurdistan wie auf Südkurdistan. Die Familie Barzanî hat im Bündnis mit dem AKP/MHP-Faschismus gemeinsam gegen die PKK-Bewegung agiert und bei den letzten Wahlen offen als Vertreter der AKP in Südkurdistan gewirkt. Während die ganze Region und sogar die Welt erwartet hatte, dass das faschistische, völkermörderische System in der Türkei abgewählt werden würde, unterstützen Parteien und einflussreiche Persönlichkeiten in Südkurdistan die türkische faschistische Regierung auf der Grundlage einer Strategie, die den Völkermord an den Kurd:innen für die eigenen Interessen legitimiert. Das stimmt nachdenklich und offenbart eine Situation, die diskutiert und verhindert werden muss.
Şengal und Mexmûr im Visier
Es zeigt sich, dass Barzanî, wie in der Vergangenheit, eine neue Front gegen die Errungenschaften des kurdischen Volkes und der demokratischen Befreiungsbewegung schaffen will, indem er sich mit den Feinden der Kurd:innen und Kurdistans arrangiert. Er nutzt seinen Einfluss bei der irakischen Regierung, um sich dafür einzusetzen, dass die PKK-Bewegung auf Antrag des türkischen Staates als terroristisch eingestuft wird. Seit Jahren versuchen die Barzanîs, die irakische Regierung unter dem Vorwand, die eigenen Grenzen zu schützen, in einen Krieg gegen die Befreiungsbewegung der PKK zu treiben. Nun versuchen sie die Gelegenheit zu nutzen, die Regierung in Bagdad davon zu überzeugen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Die Familie Barzanî hat in den USA, bei den Vereinten Nationen und im Irak ihre Aktivitäten intensiviert, um die lokale Verwaltung von Şengal (arab. Sindschar) auszuschalten und das Abkommen (das sogenannte »Şengal-Abkommen6« zwischen Bagdad und Hewlêr (arab. Erbil) vom 9. Oktober 2020) so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Wir beobachten außerdem, dass sich diese gegnerischen Aktivitäten verstärkt haben, nachdem die deutsche Regierung ein besonderes Interesse an Şengal zeigte und ihre Außenministerin dorthin schickte.
Es ist natürlich eine positive Entwicklung, dass die deutsche Regierung den Völkermord in Şengal in ihrem Parlament diskutiert und offiziell als Genozid anerkannt hat. Solche Beschlüsse zu fassen, bedeutet normalerweise, Völkermord und ähnliche unmenschliche Praktiken zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht wiederholen. In der Realität werden jedoch Lösungen entwickelt, die den eigenen Interessen dienen und zwar im Namen der Êzîd:innen, aber ohne sie einzubeziehen. Alles Weitere wird dem Irak und der PDK überlassen, welche aber den Völkermord an den Êzîd:innen mit verursacht haben. All dies heißt, die êzîdischen Menschen zu ignorieren und lässt all die Völkermordbeschlüsse der europäischen Parlamente bedeutungslos bleiben.
Die Êzîd:innen erheben fast täglich ihre Stimme und entwickeln Vorschläge, um mit ihrem freien Willen bei den Entscheidungen über ihre eigene Zukunft mitreden zu können. Doch beim kleinsten Problem wird der Grenzübergang Semalka (zwischen Südkurdistan und der Selbstverwaltungsregion Nord- und Ostsyrien) als Erpressungsmittel eingesetzt. Zur gleichen Zeit, zu der das syrische Regime gegen die autonome Region Nord- und Ostsyriens vorging, wurden die Grenzübergänge ohne jegliche Begründung geschlossen und dadurch die Menschen in der Region von humanitären Hilfsgütern abgeschnitten.
Die Familie Barzanî steht seit 1998 in ständiger Feindschaft zu den aus Nordkurdistan vertriebenen Menschen, die gezwungen sind, im Flüchtlingscamp Mexmûr zu leben. Die irakische Regierung betreibt, in Zusammenarbeit mit der faschistischen türkischen Regierung, seit Jahren eine Politik der Unterdrückung, der Erpressung, der Repression, der psychologischen Kriegsführung aller Art, des Embargos usw. gegen die Menschen in Mexmûr. Die Barzanî-Familie hat sich ständig bei der irakischen Regierung beschwert, da diese hiermit nicht den gewünschten Erfolg erzielte. Es wird davon ausgegangen, dass die Bewohner:innen des Lagers, die seit 25 Jahren dort leben und von der irakischen Regierung als politische Flüchtlinge anerkannt werden, gezwungen werden sollen, aufzugeben und aus dem Lager auszuwandern, damit es aufgelöst wird.
Zwei Verwaltungen und eine Regierung
Es entsteht der Eindruck, dass ein neues Konzept in die Tat umgesetzt wird, an dem alle Kolonialstaaten der kurdischen Gebiete beteiligt sind. Es zeigt sich, dass die Anhängerschaft Barzanîs, die Teil dieser Pläne ist, auch an neuen Konzepten gegen die Befreiungsbewegung der PKK beteiligt ist und eine Rolle als Hauptakteur in Südkurdistan spielt. Die USA riefen 1998 die, aufgrund von Verteilungskämpfen um Einfluss und Geld aus den Ölexporten, verfeindeten Celal Talabanî, Vorsitzender der YNK7, und Mesûd Barzanî nach Washington und versöhnten sie durch die Aufteilung Südkurdistans in zwei Verwaltungen und eine Regierung im Gegenzug für ihren Kampf gegen die PKK. Jetzt versöhnen die USA die beiden Söhne der Kontrahenten, Mesrûr Barzanî und Qubat Talabanî, die sich ebenfalls immer gestritten haben. Qubat Talabanî, der stellvertretende südkurdische Premierminister, der sich aus der lokalen Regierung zurückgezogen hatte, wurde überzeugt und mit Mesrûr Barzanî, dem südkurdischen Premierminister, versöhnt. Auf diese Weise wurde die Wirksamkeit der USA in der Region, die zwischen den beiden Familien geteilt war, wiederhergestellt, so als ob sie sagen wollten: »Wir haben euch diesen Status gegeben, wir werden nicht akzeptieren, dass ihr Entscheidungen trefft und sie unter der Aufsicht des Irans und der Türkei gegen uns durchsetzt.« Auf diese Weise wurden auch die Versuche der Einflussnahme durch Barzanî in der von Talabanîs YNK regierten Region abgewehrt. Die Errichtung einer geschützten Einfluss-Sphäre für Barzanî ist aber auch eine Antwort an den Iran, der ständig gegen die unter Barzanîs Kontrolle stehende Region in die Offensive geht. Der Irak und Südkurdistan sind ein ständiges Feld des Kampfes zwischen US-Amerika und dem Iran. Der iranische Einfluss in der von Talabanî verwalteten Region hat eine lange Geschichte. Wird Talabanî als Gegengewicht zur Politik der irakischen Regierung unter Sudani, die den Status der Region Kurdistan schwächen will, dienen?
Das Regionalparlament, das seit 31 Jahren in Südkurdistan besteht, wurde auf der Grundlage der Dominanz von zwei Parteien gebildet, die von Zeit zu Zeit anderen Parteien kleine Anteile zukommen ließen, ihnen einen Platz in den Regierungen einräumten und einen Anteil am Profit abgaben, um sie zum Schweigen zu bringen. So wurde eine Ordnung geschaffen, die noch immer andauert. Durch die Aufteilung der Macht auf diese zwei Familien wurde ein System geschaffen, in dem systematische Veruntreuung und Ausbeutung verwurzelt sind. Die erste Entscheidung des unter dem Namen »Kurdistan« gegründeten Parlaments war, Krieg gegen die freien Kurd:innen zu führen. Als Ergebnis dieser Entscheidung starben Tausende von Kurd:innen, weitere Tausende wurden verletzt und versehrt. Von diesem Krieg profitierten nicht die Kurd:innen, sondern die feindlichen Kräfte in der Region. Während diese Region eine Hoffnung für alle Kurd:innen hätte sein können, stellt sich die Situation heute umgekehrt dar. Aufgrund der Entscheidungsbefugnis, die sich die Regierung der Region, selbst durch Überschreitung der irakischen Verfassung, angemaßt hat, besteht heute die Gefahr, dass sie vom Status einer Föderation auf den einer autonomen Region reduziert wird. Die von der derzeitigen irakischen Regierung vorgelegten Pläne weisen deutlich auf diese Gefahr hin. Vor allem die von der Familie Barzanî beherrschte Region ist für die Besetzung durch die Feinde der Kurd:innen zugänglich gemacht worden. Es zeigt sich, dass die Entwicklung des gesellschaftlichen demokratischen Reflexes sehr schwach ist und dass die Clan-Struktur der Gesellschaft in ganz besonderer Weise am Leben erhalten wird. Damit wird eine Politik verfolgt, die auf der lokalen Verwaltung der Gesellschaft durch das Stammesoberhaupt und die Clanmitglieder beruht. Fast alle diese Familien sind auf eine Rolle als Kollaborateure reduziert worden. Vor allem die Beziehungen der Briten zu diesen Familien haben eine lange Geschichte, die bis heute andauert. Von Zeit zu Zeit besuchten britische Delegationen die Stammesoberhäupter in Südkurdistan. Manchmal lenkten sie sie auch, indem sie die Oberhäupter nach England beorderten und ihnen ihre Entscheidungen diktierten. Erst kürzlich besuchte eine Delegation im Namen der britischen Botschaft die Stämme in Südkurdistan und hielt ein Treffen ab. Die historische Realität, die Erfahrungen der Vergangenheit sowie die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass Großbritannien hinter der offensichtlichen Intervention der USA und der UNO steckt.
Schrei nach Freiheit
Das Fehlen der Meinungsfreiheit ist eine gemeinsame Feststellung der demokratischen Organisationen der Zivilgesellschaft und in der Gesellschaft bekannt. Es ist auch zu beobachten, dass die Einkommensverteilung keineswegs gerecht ist, sondern sich auf eine bestimmte reiche Oberschicht verteilt. Gleichzeitig verarmt die restliche Bevölkerung zunehmend und die Arbeitslosigkeit steigt. Diese sowie ähnliche Gründe führen zu Misstrauen und Hoffnungslosigkeit gegenüber der Regierung. Das Gleichgewicht, das auf Basis der Aufteilung der Profite sichergestellt wurde, ist weit davon entfernt, die grundlegenden Probleme der Menschen zu lösen. Diese Situation hat zu einer Verschlimmerung der Probleme geführt. Die Regierenden beschäftigen sich mit ihren eigenen, internen Problemen und Widersprüchen, anstatt die grundlegenden Probleme Kurdistans zu diskutieren und Lösungen zu finden. Die Region, die bereits durch die Invasion und die Angriffe des türkischen Staates sowie die ständigen Interventionen des iranischen Staates geschwächt ist, leidet nun zusätzlich unter den Maßnahmen der irakischen Regierung, die in der letzten Zeit ebenfalls gegen die Region vorgegangen ist.
Wie lange kann sich die Familie Barzanî noch gegen die nationale demokratische Bewegung positionieren und sich mit ihrer üblichen Kollaboration und dem Verrat am Leben erhalten? Wie sehr können sie ihr Leben mit dieser Strategie verlängern? Wie lange können sie auf der Seite der faschistischen, genozidalen Macht des türkischen Staates gegen das kurdische Volk kämpfen? In allen vier Teilen Kurdistans schreit das kurdische Volk gemeinsam mit anderen Völkern nach Freiheit. Das nationale Bewusstsein hat sich im gesamten kurdischen Volk entwickelt, die fragmentierende, auf Familienzugehörigkeit beruhende Macht wird nicht akzeptiert. In anderen Teilen Kurdistans widersetzt sich das kurdische Volk, setzt sich für seine Rechte ein und kann durch organisiertes Handeln etwas bewirken. Die kurdische Frage ist zu einem internationalen Thema geworden. Die Kurd:innen haben sich zu einer politischen Macht im Mittleren Osten entwickelt. Diese Macht wird von der intellektuellen Kraft der Systemtheorie Rêber Apos (Abdullah Öcalans) angeführt. Die rückständigen, reaktionären Kräfte werden sich entweder an diese Entwicklungen in Kurdistan anpassen müssen, oder sie werden schwächer werden und nach Wegen suchen, um aus Kurdistan zu entkommen, indem sie mehr kapitulierende Zusammenarbeit entwickeln. Oder die widerstandsfähige, organisierte Kraft des kurdischen Volkes und die von ihm initiierte demokratische Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene werden dies auf natürliche Weise erreichen. Auf jeden Fall werden sie den Verrat, den sie begehen wollen, nicht mehr so leicht begehen können wie bisher. Die faschistische, völkermordende AKP/MHP-Regierung macht deutlich, dass sie mit der Unterstützung von Hüda Par und der Barzanî-Familie eine neue alternative Formation in Kurdistan anstrebt, die auf der Synthese von Türkentum und Islam basiert und sich auf den radikalen sunnitischen Islam stützt. Diese zielt darauf ab, die Kurd:innen unter der Idee des sunnitischen Islams zu vereinen und sie in den Dienst des Türkentums zu stellen. Ob diese veraltete Mentalität vom kurdischen Volk akzeptiert wird, ist fraglich. Sie kann jedoch Resonanz in einigen der Parteien finden, die Politik auf Grundlage des Islams machen, aber das wird nicht entscheidend sein. Die integrative demokratische Struktur der kurdischen Bewegung mit ihrem neuen Paradigma hat die Voraussicht und die Fähigkeit, diese und ähnliche Strategien zu vereiteln.
1 In Deutschland bekannt als Projekt Neue Seidenstraße. Darunter sind Projekte zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der Volksrepublik China und über 60 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas zusammengefasst. Die Belt and Road Initiative bezieht sich nun auf den gesamten geografischen Raum des historischen, bereits in der Antike genutzten, internationalen Handelskorridors »Seidenstraße«.
2 Mohammed Shia ́ al-Sudani (geb. um 1970 in Bagdad) ist ein irakischer Politiker. Seit Oktober 2022 ist er Premierminister des Irak. Zuvor war er von 2009 bis 2010 Gouverneur von Maisan und von 2010 bis 2014 Minister für Menschenrechte im Irak.
3 Muqtada as-Sadr (geb. am 12. August 1973 im Irak), ist ein radikaler irakischer Geistlicher, Milizenführer und Schiiten-Politiker, dessen Streitkräfte von 2004 bis 2008 gegen US-amerikanische und irakische Truppen kämpften.
4 PDK – Partiya Demokrata Kurdistanê, Demokratische Partei Kurdistans, auf Deutsch häufig auch KDP abgekürzt.
5 Die Hür Dava Partisi (Kurzbezeichnung: Hüda Par) ist eine von sunnitischen Muslimen vorwiegend kurdischer Herkunft in der Türkei am 19. Dezember 2012 gegründete Partei. Ihr wird nachgesagt, dass sie die Ideologie der im Jahre 2000 zerschlagenen illegalen Organisation Hizbullah vertritt.
6 Am 9. Oktober 2020 hat die irakische Regierung mit der südkurdischen Führung in Hewlêr ein Abkommen über die Aufteilung der Herrschaft im êzidîschen Hauptsiedlungsgebiet Şengal geschlossen, ohne die Bevölkerung der Region einzubeziehen. Der auf Druck der USA und der Türkei unter UN-Aufsicht in Bagdad zustande gekommene Vertrag richtet sich insbesondere gegen die basisdemokratischen Strukturen, die nach dem Völkermord an den Êzîd:innen im August 2014 etabliert wurden.
7 YNK – Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê, Patriotische Union Kurdistans, auf Deutsch häufig PUK abgekürzt.
Kurdistan Report 228 | Juli / August 2023