Reclaim the initiative! – Peoples’ Platform Europe – 14. bis 16. Februar in Wien

Reclaim the initiative! – Peoples’ Platform Europe – 14. bis 16. Februar in Wien

Wolfgang Struwe, Aktivist | 800 Delegierte von verschiedenen Organisationen und Initiativen aus mehr als 30 europäischen Ländern kamen am 14. Februar in der österreichischen Hauptstadt unter dem Motto „Reclaim the initiative!“ für drei Tage zur "Peoples' Platform Europe" zusammen.

Wolfgang Struwe, Aktivist

Es herrschte absolute Stille im Audimax der Universität von Wien, als die Teilnehmenden der Peoples’ Platform Europe der Gefallen der Revolutionen gedachten. 800 Delegierte von verschiedenen Organisationen und Initiativen aus mehr als 30 europäischen Ländern kamen am 14. Februar in der österreichischen Hauptstadt unter dem Motto „Reclaim the initiative!“ für drei Tage zusammen.

Die Organisator:innen der Peoples’ Platform Europe hatten für die Zeit vom 14. bis 16. Februar demokratische Kräfte und Aktivist:innen aus progressiven, revolutionären und systemkritischen Bewegungen nach Wien eingeladen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln und auf organisierte Weise den vielfältigen Krisen der kapitalistischen Moderne entgegenzutreten. »Gemeinsam können wir eine gerechte, freie, ökologische und friedliche Welt aufbauen!«

Aber zurück zum Beginn: Die Gedenkminute endete mit lautem Klatschen und mit Parolen wie »Jin Jiyan Azadî – Frau Leben Freiheit«. Teilnehmende aus den verschiedenen Ländern trugen ein Banner mit den Worten Abdullah Öcalans »We achieve the life we want not trough miracles, but trough revolution« (Wir erreichen das Leben, das wir wollen, nicht durch Wunder, sondern durch Revolution) quer durch den vollbesetzten Saal auf die Bühne. Danach führte die brasilianische Internationalistin und Künstlerin Rojda Têkoşîn Dandara einen beeindruckenden Tanz auf, der aus dem Leben der argentinischen Internationalistin Alina Sánchez (Lêgerîn Çiya) erzählte. Die kulturelle Eröffnung endete mit der kurdischen Folkloregruppe Evina Welat.

Mit einer Rede von Adem Uzun, Mitglied des ‚Nationalkongress Kurdistan‘ (KNK), endete die feierliche Eröffnung der Versammlung. Er betonte: »Wir sind davon überzeugt, dass eine kollektive Diskussion auf der breitesten Plattform demokratischer und revolutionärer Organisationen notwendig ist, um die richtigen Antworten auf die Krisen unserer Zeit zu finden. Ja, wir sind die Mehrheit, und wir haben die Motivation, die Initiative zurückzugewinnen!«

Podiumsdiskussion

Anschließend begann die Podiumsdiskussion. Leider konnten nur Mireille Fanon Mendès-France, französische Juristin und Aktivistin gegen Rassismus und Tochter Franz Fanons mit ihrem Beitrag »The 100th Anniversary of Frantz Fanon: Between Race and Class« und der Politikwissenschaftler John Holloway »Perspectives in the Storm« live teilnehmen. Der US-Soziologe William I. Robinson trug mit einem zuvor aufgenommen Video zur epochalen Krise des globalen Kapitalismus und den Herausforderungen für den Widerstand der Völker zur Versammlung bei. Silvia Federici, feministische Aktivistin, Autorin und emeritierte Professorin für politische Philosophie und Women Studies referierte per Live-Schaltung unter dem Titel »For an International Feminist Movement against Capitalist Patriarchy and its Ongoing War on Social Reproduction«. Aufgrund von Zeitmangel konnten allerdings alle vier nur ihren Beitrag vortragen, Diskussionen und Fragen waren nicht mehr möglich.

Workshops

Der Schwerpunkt der dreitägigen Versammlung waren die in langer Vorbereitung organisierten Workshops, die am Freitagnachmittag begannen und am Samstagvormittag abgeschlossen wurden. Die Ergebnisse wurden in gemeinsamer Runde im Audimax vorgetragen und diskutiert.

Zu neun verschieden ­Themen kamen die Teilnehmenden ­zusammen:

– Krieg und Frieden – Europäischer Militarismus und ­Imperialismus verstehen und widerstehen

– Antifaschismus – Der Aufstieg des Faschismus und der ­Zustand der Demokratischen Kräfte in Europa

– Ökologischer Widerstand – Das Leben verteidigen

– Demokratische Konföderation der Frauen – Frauen in ­Zukunft

– Jugendidentität und Widerstand – Vertiefung der ­Notwendigkeit der Autonomen Jugendorganisation

– Autonomie – Selbstverwaltung, Selbstversorgung und Selbstverteidigung

– Aktivismus und Organisation – Für einen langfristigen Kampf in der Gesellschaft

– Gegen völkermörderische Politik – Gegen die ­Genozidpolitik der kapitalistischen Moderne

– Demokratische Medien – Der Kampf um Herz und ­Verstand

In einer Nebenveranstaltung ging es um Technologie jenseits der kapitalistischen Moderne.

Aus den Arbeitsgruppen heraus wurden viele Vorschläge unterbreitet, von Aktionstagen gegen NATO-Treffen über Bildung zu demokratischen Medien und regelmäßigen Treffen zu verschiedenen Themen.

Auch Kritik wurde geäußert, vor allem an der Dominanz der weißen Menschen auf der Versammlung und an der zu gering empfundenen Beachtung Osteuropas.

In einer abschließenden Bewertung betonten die Organi­sa­tor:innen der Peoples’ Platform Europe, dass die Diskussionen in den Workshops und die dort gemachten Vorschläge für Projekte, Pläne und gemeinsame Prinzipien zu den organisatorischen Säulen der Plattform zählen und dass sich die zukünftige praktische Arbeit auf die gemeinsam diskutierten Vorschläge stützen wird.

Sie sehen die dringende Notwendigkeit, die Kämpfe in Europa mit den antikolonialen Kämpfen im Globalen Süden zu verbinden und die antirassistischen Kämpfe von migrantischen Gemeinschaften in Europa ebenfalls in diesem Kontext zu sehen. Sie müssen an vorderster Front des Kampfes für ein Europa der Völker stehen. Zudem ist der Kampf der Frauen wegweisend für eine Überwindung des patriarchalen Systems und beim Aufbau der demokratischen Moderne. »Zusammen mit dem Kampf der Jugend für ihr Recht auf eine Zukunft ist die Frauenbewegung der grundlegende Kompass unseres Kampfes«.

Nun muss sich in der Praxis zeigen, wie die verschiedenen Kämpfe für eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit an Kraft gewinnen. Zeit ist ein wichtiger Faktor, wenn wir die Analyse zur kapitalistischen Moderne zur Grundlage nehmen. Zunehmende Umweltzerstörung, offener Rassismus und Nationalismus, Kriege um Herrschaft und verbliebene Ressourcen zerstören den Planeten und die Gesellschaften.

Das Zusammenkommen in Wien konnte vielen Menschen Hoffnung geben, die drei Tage waren geprägt von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Es wurden Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und nicht auf Trennendem beharrt, um die verschiedensten politischen Ansätze zusammenzubringen.

Beitrag zum 15. Februar

Nicht zu vergessen ist der Beitrag von Mahmut Şakar am Abend des 15. Februar. Nicht nur für die kurdische Gesellschaft wurde der 15. Februar zu einem »Schwarzen Tag«, denn vor 26 Jahren wurde der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan in einer internationalen Geheimdienstaktion in Kenia entführt. Seitdem ist er unter schwersten Isolationsbedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert. Şakar war einer der ersten Anwält:innen, die den kurdischen Vordenker auf der Insel im Marmarameer besuchen konnten. Er beschrieb die Besuche des Anwält:innen-Teams unter extremsten Bedingungen, manchmal war es ihnen nicht einmal erlaubt einen Zettel oder Stift mitzunehmen, um sich Notizen zu machen. Mit Parolen wie »Bijî Serok Apo« und »Jin Jiyan Azadî« wurde auf den Beitrag geantwortet.

Viele Teilnehmende wollten nicht wahrhaben, dass die Veranstaltung am Sonntagnachmittag zu Ende ging. »Ach, es wäre gut, wenn wir noch einige Tage zusammenbleiben könnten«, so eine Freundin. Doch mit einem Zusammenschnitt der Mediengruppe der Plattform über die bewegenden Tage endete die Versammlung mit dem Lied »El pueblo unido jamás será vencido« (Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden) und dem Partisanenlied »Bella Ciao« sowie Tanz und vielen internationalistischen Parolen.