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»Freiheit für Abdullah Öcalan – eine politische Lösung für die kurdische Frage«

  • Februar 6, 2025
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Jahresrückblick der Offensive İmam Kahraman, Solidaritätsnetzwerk Deutschland »Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage« Das am 9. Oktober 1998 eingeleitete internationale Komplott basiert auf der

»Freiheit für Abdullah Öcalan – eine politische Lösung für die kurdische Frage«

Jahresrückblick der Offensive

İmam Kahraman, Solidaritätsnetzwerk Deutschland »Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage«

Das am 9. Oktober 1998 eingeleitete internationale Komplott basiert auf der bis heute ungelösten kurdischen Frage und ging als eine von den Interessen der Weltmächte getragene Operation in die Geschichte ein. Abdullah Öcalan, der als politische Geisel unter strengster Isolation auf der türkischen Gefängnisinsel İmralı festgehalten wird, gilt für das kurdische Volk und seine Unterstützer schon seit Beginn des Freiheitskampfes als zentrale Figur und anerkannter Repräsentant. Der anhaltende Einsatz für seine Freilassung, der seit 26 Jahren geführt wird, erreichte durch die internationale Kampagne eine neue Dimension. So werden unterschiedliche Arten des Widerstandes zusammengebracht und als einheitliche Kraft gebündelt.

Der internationale Aufruf »Freiheit für Abdullah Öcalan – Eine politische Lösung für die kurdische Frage« wurde am 10. Oktober 2023 als neue politische Offensive lanciert. Getragen von der kurdischen Gesellschaft und ihren Unterstützer:innen, setzte sie sich das Ziel, die physische Freiheit Öcalans zu erwirken und die internationale Anerkennung der Kurd:innen zu fördern. Zugleich wurde der Druck auf globale Institutionen erhöht, um sie in punkto Lösung der Kurdistan-Frage stärker in die Verantwortung zu nehmen.

Erste Phase: Internationale Solidarität und Mobilisierung

Den Auftakt der Offensive bildeten Pressekonferenzen in 83 Städten weltweit, darunter Straßburg – Sitz des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – sowie Städte in Bangladesch, Pakistan, Japan, Indien, Kenia, Südafrika und Lateinamerika. Zivilgesellschaftliche Organisationen, politische Parteien, Akademiker:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Philosoph:innen und Frauenorganisationen aus diesen Regionen solidarisierten sich und forderten ein Ende der Isolationshaft Öcalans. 27 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus Rojava, Intellektuelle und Künstler:innen aus der arabischen Welt und das Oromo-Volk in Kenia schlossen sich dem an.

Ebenso unterstützten 1025 Anwält:innen aus Syrien und Rojava die Initiative, indem sie Unterschriften sammelten und diese an Amnesty International und an das Anwaltsbüro Asrın, das Abdullah Öcalan vertritt, übermittelten.

Zahlreiche prominente Unterstützer:innen brachten ihre Solidarität zum Ausdruck. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek unterstrich, dass die Unterstützung für Öcalan weit über bloße Sympathiebekundungen hinausgehe und dass seine Freiheit ein Schlüssel zur Lösung der kurdischen Frage darstelle. Auch der Internationale Direktor der britischen Gewerkschaft Unite the Union, Simon Dubbins, sowie politische Stimmen wie Lorena Lopez de Lacalle von der Europäischen Freien Allianz (EFA) verurteilten die Isolation und hoben Öcalans Rolle als Denker des demokratischen Konföderalismus hervor. Das ehemalige CPT-Mitglied Jean-Pierre Restellini kritisierte scharf die internationale Untätigkeit und verwies auf unzureichende Maßnahmen zur Beendigung des aktuellen Zustands. Ähnliche Kritik kam zudem von der ehemaligen Europa- und Zypern-Abgeordnetem Eleni Theocharous, die energischere Schritte für seine Freilassung forderte. Sie bezeichnete die Stille Europas als »Undankbarkeit« und betonte, dass Druck auf die EU ausgeübt werden müsse, um die PKK von der Terrorliste zu streichen.

Offensive in Nordkurdistan und der Türkei

In der Türkei und Nordkurdistan fanden zahlreiche Proteste und Solidaritätsbekundungen statt: 78 prominente Persönlichkeiten, darunter Intellektuelle, Politiker:innen und Künstler:innen, schlossen sich einem gemeinsamen Friedensappell an. Inhaftierte aus politischen Gerichtsverfahren der PKK und PJAK nahmen an einem rotierenden Hungerstreik, begleitet von Mahnwachen in mehreren Städten teil und begrüßten die Kampagne mit revolutionärer Energie. Trotz Polizeigewalt beteiligten sich tausende Menschen aus 122 Städten an einem Sternmarsch unter dem Motto  »Wir verteidigen die Freiheit gegen die Isolation« in Richtung Gemlik, dem Hafen für die Überfahrt zur Gefängnisinsel İmralı.

Öcalans Bücher werden an 160 Orten der Welt gelesen

Im Rahmen der »Global Öcalan-Book Days« fanden in 160 Städten Lesungen aus den  Werken Öcalans statt. In 16 Sprachen übersetzt bieten sie seinen revolutionären Ideen eine internationale Plattform.

Demonstrationen und Protestmärsche

Auch Demonstrationen und Protestmärsche weltweit setzten klare Zeichen für seine Freilassung. Junge Aktivist:innen der Tevgera Ciwanên Şoreşger (TCŞ) und der Jinên Ciwan ên Têkoşer (TekoJIN) erklärten, dass ihre Geduld angesichts der Untätigkeit erschöpft sei, und riefen internationale Institutionen auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Im Rahmen der aktivistischen Offensive begann die »Freiheitstour« mit der Bezeichnung »Reise zur Freiheit« in Mannheim und vereinte sich am 15. Februar in Straßburg zu einem großen Demonstrationszug. Die Aktivist:innen erklärten den 15. Februar zum Tag des Völkermords am kurdischen Volk und traten aus Protest in einen symbolischen eintägigen Hungerstreik, um ein Zeichen gegen das internationale Komplott zu setzen.

Die erste Phase erreichte ihren vorläufigen Zenit mit einer Demonstration am 17. Februar 2024 in Köln, bei der über 100.000 Menschen aus ganz Europa zusammenkamen und damit an die Massenproteste von 1999 nach der Gefangennahme Öcalans erinnerten. Hunderttausend Menschen, darunter viele Frauen und Jugendliche, zogen mit Transparenten und Plakaten durch die Stadt. Die Demonstration in Köln markierte nicht nur den vorläufigen Höhepunkt der ersten Phase, sondern leitete zugleich den Beginn der zweite Aktionsphase ein.

 Zweite Phase: Verstärkung des internationalen Drucks und institutionelle Mobilisierung

Mit einer Pressekonferenz in Köln am 1. März begann die zweite Phase der Offensive. Ziel war, internationalen Institutionen die Dringlichkeit der Forderungen bewusst zu machen und die Debatte um Öcalans Freiheit fest auf internationaler Ebene zu verankern. Dazu fand eine Pressekonferenz statt, an der sich prominente Unterstützer:innen, darunter der Konflikt­forscher Dr. Thoreau Redcrow, beteiligten. 

Newroz-Feiern als Ausdruck des Widerstands

Die diesjährigen Newroz-Feierlichkeiten im März 2024, an denen Millionen Menschen in Kurdistan und darüber hinaus teilnahmen, setzten ein kraftvolles Zeichen für die Freiheit Öcalans. In Amed versammelten sich nahezu eine Million Menschen unter dem Motto »Erhebt euch, es ist die Zeit der Freiheit und des Erfolgs«. Auch im Frankfurter Rebstockpark kamen etwa 50.000 Menschen zur zentralen Newroz-Feier zusammen, um die Freilassung Öcalans zu verlangen.

Akademische Veranstaltungen und literarische Veröffentlichungen

Mit zahlreichen weiteren Veranstaltungen wurden die Ideen von Öcalan in breite Kreise getragen und das Bewusstsein für seine politischen Ideen gestärkt. Eine Konferenz zum Thema »Wissenschaft für die Gesellschaft – Das revolutionäre politische Denken Kurdistans« fand im April in Slowenien statt. Anlässlich des 75. Geburtstags von Abdullah Öcalan erschien eine illustrierte Biografie, die seine Rolle als Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung beleuchtet. Weitere Werke wie »Ökologie – Aufstand der Natur« und »Die Frage der Persönlichkeit in Kurdistan« wurden veröffentlicht und geben tiefere Einblicke in das philosophische und ökologische Denken.

Juristischer Widerstand und globale Appelle

Im April formierte sich ein internationales Netzwerk von Jurist:innen, das sich gegen Folter und Isolation einsetzt, die Isolation Öcalans verurteilte und eine Delegation nach İmralı zur Überprüfung seiner Haftbedingungen forderte. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Nord- und Ostsyrien sammelten 3,6 Millionen Unterschriften für eine Petition an den Europarat und das Europäische Parlament.  Auch politische Gefangene in der Türkei traten in Aktion, indem sie im April einen umfassenden Kommunikationsboykott ausriefen. In den  Gefängnissen entschieden sie sich zu einem radikalen Schritt mit dem Leitspruch:  »Ich entscheide mich dafür, unter den gleichen Bedingungen zu leben wie Rêber Apo«.  Mit dieser Protestform, die den Verzicht auf Gerichtsbesuche, Familienbesuche und Telefonate beinhaltete, setzten sie ein kraftvolles Zeichen gegen die menschenrechtswidrigen Isolationsbedingungen. 

Die Kampagne erhielt weitere Unterstützung durch prominente Persönlichkeiten und Nobelpreisträger:innen wie Jody Williams und Elfriede Jelinek. Zusammen mit der britischen Initiative »Peace in Kurdistan« richteten Anfang Mai 2024 69 Nobelpreisträger:innen und internationale Menschenrechtler:innen aus Großbritannien, Irland, Italien und den USA einen offenen Brief an Alan Mitchell, den Präsidenten des Europarat-Komitees zur Verhütung von Folter (CPT), um einen Besuch bei Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und die Überprüfung seines Gesundheitszustands zu fordern. Diesem Appell schlossen sich italienische und spanische Organisationen an. Ein Urteil des Römischen Gerichtshofs bekräftigte zudem das Recht Öcalans auf politisches Asyl. Auch in Deutschland und Österreich wurde Anfang Juni in einem weiteren offenen Brief gefordert, das CPT solle die Isolationshaft aufheben. 

In Juli beantwortete das Komitee zum ersten Mal Fragen der Nachrichtenagentur ANF zur Situation des Gefangenen. Es bezeichnete die Haftumstände zwar als »inakzeptabel«, wies aber jede Verantwortung von sich.

Im September stellten 1524 Anwält:innen aus mindestens 35 Ländern einen Besuchsantrag an das Justizministerium der Türkei, um deutlich zu machen, dass die Lage in Imrali vor allem aus juristischer Perspektive besorgniserregend und dem Recht nachzukommen ist, ein Treffen des Inhaftierten mit Anwält:innen zu ermöglichen. Im Namen der Unterzeichner:innen organisierten Rechtsinstitutionen in der belgischen Hauptstadt Brüssel erneut eine Pressekonferenz. 

Aktionstage im Oktober und Ausblick

Mit einem Höhepunkt der Aktionstage vom 1. bis 10. Oktober 2024, an denen Zehntausende Menschen in über 250 Veranstaltungen in über 50 Ländern für die Freiheit Öcalans und eine politische Lösung der kurdischen Frage eintraten, erreichte die zweite Phase der Kampagne erfolgreich  ihren Höhepunkt. In vielen europäischen Hauptstädten gab es Seminare, Informationsstände, Gewerkschaftsaktionen, Frauenmärsche, Menschenketten und Demonstrationen. Zahlreiche Proteste fanden vor dem EU-Parlament in Brüssel und der »Geburtsstätte der Demokratie«, in Athen, statt. In der deutschen Hauptstadt Berlin hingen 30 Plakatwände mit Öcalans Bild und in Italien wurden in Mailand und weiteren Städten Fotoausstellungen gezeigt. In Kurdistan selbst gingen Tausende in Qamislo und Amed auf die Straßen, und hunderte Anwälte marschierten in Ankara mit dem Aufruf zur Beendigung der Isolation Öcalans vor das Verfassungsgericht. Parallel dazu verbreitete sich ein globaler Twitter-Sturm mit #FreeAbdullahÖcalan. Eine Dokumentation über sein Leben erreichte Tausende online.

Diese Aktionen brachten breite internationale Unterstützung für die Freilassung Öcalans und den Einsatz für eine politische Lösung der kurdischen Frage erneut auf die Agenda.

Die Kampagne »Freiheit für Abdullah Öcalan – eine politische Lösung für die kurdische Frage« zeigt: Der organisierte Kampf kurdischer Freiheitsbestrebungen und die internationale Solidarität haben sich mit dieser Offensive zu einer entschlossenen Widerstandsfront entwickelt und erste Wirkungen erzielt. Trotz noch ausstehender Ergebnisse gibt es erste Erfolge, darunter die jüngste Begegnung Abdullah Öcalans mit seinem Neffen, dem DEM-Abgeordneten Ömer Öcalan.  Am Tag nach seinem Besuch gab er in einer öffentlichen Erklärung bekannt, dass Abdullah Öcalan bei guter Gesundheit sei und allen Grüße ausrichten lasse. Er habe die allgemeinen politischen Entwicklungen bewertet und darum gebeten, folgende Nachricht an die Öffentlichkeit weiterzuleiten:»Die Isolation geht weiter. Wenn die Bedingungen entstehen, habe ich die theoretische und praktische Kraft, diese Phase von der Grundlage des Konflikts und der Gewalt auf eine rechtliche und politische Grundlage zu lenken.« 

Diese Begegnung, die inmitten der langjährigen Isolation auf der Insel Imrali stattfand, zeigt, dass das breite Engagement Früchte trägt. Der Einsatz für eine politische Lösung und das Ende der Isolation Abdullah Öcalans ist damit aktueller denn je, denn noch wurde das Hauptziel nicht erreicht. Die Isolation Abdullah Öcalans dauert weiter an. Somit ist nun wichtig, diese Offensive voranzutreiben, um an bisherigen Erfolgen anzuknüpfen. Die aktuelle politische Phase bietet diverse Möglichkeiten, dem Aktionsziel näher zu kommen. Diese müssen allumfassend genutzt und mit einer Entschlossenheit geführt werden, die ihrem Namen gerecht wird.

Wie Öcalan selbst einmal sagte: »Unser Kampf gilt nicht nur der Befreiung des kurdischen Volkes, sondern der Befreiung der Menschheit der Welt. Die Erhabenheit des kurdischen Volkes wird letztlich auch die Erhabenheit der Menschheit der Welt bedeuten.« Mit dieser hoffnungsvollen Botschaft werden wir unsere Kampagne zur Beendigung seiner Isolation und für seine Freilassung fortsetzen.