Ein harter Kampf um Selbstbestimmung
- Juni 28, 2022
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Geschichte und Situation des Freiheitskampfes auf den Philippinen Ein harter Kampf um Selbstbestimmung Phila Tagalog, Teil 1 von 3
Geschichte und Situation des Freiheitskampfes auf den Philippinen Ein harter Kampf um Selbstbestimmung Phila Tagalog, Teil 1 von 3
Der revolutionäre Kampf auf den Philippinen erstreckt sich nunmehr über mehr als fünf Jahrzehnte und ist somit einer der am längsten andauernden Konflikte der Welt. In den letzten Monaten haben sowohl das philippinische Militär als auch die Regierung behauptet, die »Neue Volksarmee« (NPA), der bewaffnete Flügel der »Kommunistischen Partei der Philippinen« (CPP), werde bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Rodrigo Duterte im Jahr 2022 vernichtet sein. Anlässlich ihres 53-jährigen Bestehens erklärte die NPA jedoch, dass die Militäroperationen der Regierung unter Duterte den bewaffneten Widerstand nicht aufhalten konnten, im Gegenteil sei man weiter gewachsen. Die NPA zeige keinerlei Anzeichen dafür, dass sie Rekrutierungsprobleme habe. Stattdessen melde man, dass sich die Reihen der Guerilla um tausende Kämpfer:innen erweitern würde. Das zeige sich an mehr als 110 Guerilla-Fronten, die sich in 73 der 81 philippinischen Provinzen, in denen 14 regionale Kommandos in mehr als 80 Prozent des Landes betrieben werden, ausdrücken.
In den 1960er Jahren führte das Aufkommen einer maoistisch inspirierten Jugendbewegung zur Wiedergründung der CPP im Jahr 1968 und im Folgejahr 1969 zur Gründung der NPA. Zu dieser Zeit hatte die NPA nur 60 bewaffnete Kämpfer:innen, die sich aus Jugendlichen und Überbleibseln der Hukbalaha (einer kommunistischen Guerillabewegung, die während des Zweiten Weltkriegs gegen die japanische Besetzung der Philippinen gekämpft hatte) zusammensetzten. Die NPA verfolgte von Beginn an die Strategie des Guerillakrieges in ländlichen Gebieten und organisierte hauptsächlich arme und landlose Bäuer:innen, die die Mehrheit der philippinischen Gesellschaft ausmachen.
Die Welle sozialer Unruhen, die 1970 über die Philippinen hereinbrach und als »First Quarter Storm« bekannt wurde, stärkte die revolutionäre Bewegung weiter. Die zunehmende Militanz der Jugend in Verbindung mit der Wirtschaftskrise, politischer Korruption und der Unterstützung der US-Intervention in Vietnam durch die philippinische Regierung, führte zu massiven Protesten. Von Januar bis März 1970 führten militante Jugendliche Demonstrationen, Proteste, Boykotte und Märsche gegen den damaligen Präsidenten, Ferdinand Marcos, an. Die Jugendaktivist:innen schlossen sich dazu mit gemäßigten Kräften zusammen, bildeten Bündnisse mit Gewerkschaften und nahmen gemeinsam mit Arbeiterorganisationen und Bauernverbänden an Demonstrationen teil. Wöchentliche Proteste, zu denen regelmäßig 50 000 bis 100 000 Menschen zusammenkamen, um Marcos anzuprangern, endeten oft mit der gewaltsamen Auflösung durch die Polizei. Diese Repression hinterließ bei einer großen Zahl von Student:innen einen bleibenden Eindruck und war für viele später der Anlass, sich revolutionären Bewegungen im Untergrund anzuschließen.
Frauen, die an der Spitze der militanten Jugendbewegung standen, gründeten 1970 eine autonome Frauenorganisation mit dem Namen Makibaka (das Wort ist ein Akronym für Malayang Kilusan ng Bagong Kababaihan – Freie Bewegung der neuen Frauen – und bedeutet in der Sprache Tagalog »Kampf«). Eine der Gründerinnnen der Organisation, Maria Lorena Barros, erklärte: »Frauen müssen sich ihre Freiheit nehmen, sie müssen dafür kämpfen, sie selbst müssen ihre Gefängnismauern niederreißen. Andernfalls werden sie wieder den Männern ausgeliefert sein, gefangen in einer neuen Reihe von Verpflichtungen.« Barros schloss sich später – nachdem das Kriegsrecht ausgerufen wurde – der NPA an, entkam so der Verhaftung und fiel im Alter von 28 Jahren bei einem Gefecht. Ihr Beitrag zur Frauenbefreiungsbewegung und zum revolutionären Kampf findet auch heute noch großen Widerhall bei der neuen Generation von Frauen und Jugendlichen, die sich dem bewaffneten Widerstand anschließen. Die Frauen stehen nach wie vor an der Spitze der revolutionären Bewegung und bekräftigen den Aufruf zum Handeln, den Barros bei der Gründung der Frauenbewegung verkündete: »Die neue Frau, die neue Filipina, ist in erster Linie eine Kämpferin. Sie ist eine Frau, die den erhabenen Bereich der Verantwortung entdeckt hat, eine Frau, die voll und ganz an der Gestaltung der Geschichte beteiligt ist.«
Obwohl die NPA noch neu gegründet war, führte Präsident Marcos die sozialen Unruhen des ersten Quartals auf einen linken Aufstand zurück, der das Land bedrohe, und rechtfertigte damit die Verhängung des Kriegsrechts im Jahr 1972. Das Kriegsrecht ermöglichte es Marcos, seine Amtszeit zu verlängern und seiner Familie und seinen engsten Verbündeten die Mittel an die Hand zu geben, die Staatskasse zu plündern und die Militärherrschaft durchzusetzen. Während der 14-jährigen Diktatur wurden alle oppositionellen politischen Parteien aufgelöst, die Pressefreiheit zensiert und politische Dissident:innen verhaftet. Was folgte, war eine Zeit der Menschenrechtsverletzungen, außergerichtlichen Tötungen, Folter und des »Verschwinden-Lassens« von Personen. Der aufkommende Faschismus unter Marcos trug andererseits zum raschen Wachstum der revolutionären Bewegung bei und überzeugte viele Student:innen und gemäßigte Aktivist:innen davon, dass die philippinische Gesellschaft radikal umgestaltet werden musste.
Unter Marcos stärkte die Radikalisierung der Massenbewegung den bewaffneten Widerstand weiter. Marcos und das philippinische Militär spielten den linken Aufstand hoch, um den Verteidigungshaushalt und die Militärhilfe der USA zu erhöhen, und verliehen der NPA eine revolutionäre Aura, die nur noch mehr Menschen anzog. Mitte der 1980er Jahre war die NPA zu einer Guerilla mit schätzungsweise 26 000 Mitgliedern angewachsen, die in der Lage war, landesweit Offensiven zu starten. Innerhalb der Zonen der Guerilla enteignete die NPA das Vermögen von Großunternehmen, Bergbau- und Landwirtschaftsbetrieben. In den Städten führten Partisan:innen der NPA gezielte Anschläge auf Regierungssoldat:innen, Polizist:innen, korrupte Politiker:innen und kriminelle Anführer:innen durch. Mit Bombenanschlägen und zielgerichteten Gewaltaktionen sowie Massendemonstrationen schürten die Partisan:innen in den Städten spontane Aufstände und Revolten.
Marcos kämpfte darum, die politische Kontrolle über das Land inmitten eines schweren wirtschaftlichen Zusammenbruchs für sich zu behalten. Die Ermordung des liberalen Oppositionsführers Senator Benigno Aquino im Jahr 1983 löste bis Mitte der 1980er Jahre eine schwere wirtschaftliche Rezession aus. Die sich verschärfende wirtschaftliche und politische Krise und der Aufstieg der gemäßigten »People Power«-Bewegung beschleunigten den Prozess, dass die USA ihre Unterstützung für Marcos langsam zurückziehen mussten. 1986 ließ der damalige US-Präsident Ronald Reagan Marcos, seine Familie und enge Mitarbeiter von den Philippinen in die USA ausfliegen. In der Übergangsphase nach der Diktatur unterstützten die USA die liberale Opposition unter Corazon Aquino, der Witwe des getöteten gemäßigten Führers Senator Aquino.
Sie stammte aus einer politisch prominenten Familie und war in den USA ausgebildet worden. So vermittelte Aquino nach der zwei Jahrzehnte währenden Herrschaft von Marcos ein Bild des Wandels. Präsidentin Aquino ließ Dutzende von politischen Gefangenen frei und nahm die Friedensgespräche mit der revolutionären Bewegung wieder auf. Die Friedensgespräche wurden jedoch ein Jahr nach Aquinos Amtsantritt abrupt beendet, als die Sicherheitskräfte auf eine Demonstration von Bäuer:innen, die eine Landreform forderten, überraschend schossen. Dabei wurden 18 Menschen getötet und 51 verletzt.
Nach diesem Massaker hielt Aquino an ihrer Unterstützung für das Militär und die Sicherheitskräfte fest. In einer Rede vor Absolvent:innen der philippinischen Militärakademie ging Aquino auf den anhaltenden bewaffneten Widerstand der NPA und die zahlreichen Putschversuche des Militärs gegen ihre Präsidentschaft ein und erklärte: »Die Antwort auf den Terrorismus der Linken und der Rechten sind nicht soziale und wirtschaftliche Reformen, sondern Polizei- und Militäroperationen.« Dieser Umgang mit dem Konflikt stärkte auch die paramilitärischen Gruppen, die eine wichtige Rolle bei der Aufstandsbekämpfung spielten. Die unter Marcos verbreiteten Menschenrechtsverletzungen setzten sich auch während der Amtszeit von Aquino weiter fort und führten zu Zwangsevakuierungen, Massakern, summarischen Hinrichtungen, illegalen Verhaftungen und Inhaftierungen. Die USA waren hauptverantwortlich für diesen »totalen Krieg« der Präsidentin Aquino, da sie für die Finanzierung, Ausrüstung, Ausbildung, den Geheimdienst und den militärischen Bedarf zuständig waren.
Das verschärfte Programm zur Aufstandsbekämpfung fiel mit einem wachsenden Konflikt innerhalb der revolutionären Bewegung über Strategie und Taktik zusammen. Während des Übergangs nach der Marcos-Herrschaft plädierten einige wenige Vorreiter:innen der Bewegung für den Wahlkampf gegen die neue liberale Demokratie anstelle des bewaffneten Widerstands. Diese Minderheit in der Bewegung betrachtete den politischen Kampf als eine Möglichkeit, Massenaufstände zu popularisieren und die Macht von der neuen liberalen Regierung zu übernehmen.
Ein anderer Teil der Bewegung drängte auf den städtischen Aufstand, um den Sieg durch spontane Aufstände und gewaltsame bewaffnete Aktionen von städtischen Partisan:innen zu beschleunigen. Die aufständische Strömung rekrutierte Mitglieder und Massenaktivist:innen in städtischen Partisan:innengruppen, anstatt eine Basis in der Gesellschaft zu organisieren. Unqualifizierte und fragwürdige Rekrut:innen traten den Partisan:inneneinheiten bei, und das oft ohne ideologische und politische Bildung, was im Allgemeinen zu schlechter Disziplin und erfolgsschwächeren Aktionen führte, die die Unterstützung der Bevölkerung untergruben. Die städtischen Partisan:innen militarisierten die Situation bis zu dem Punkt, an dem sie die Unterstützungsbasis der Bewegung in den Städten entfremdeten. Auf dem Land mobilisierte die NPA schlecht organisierte Bäuer:innen zu ungerechtfertigten bewaffneten Auseinandersetzungen mit oder in der direkten Schusslinie von gut organisierten und gut bewaffneten Gegnern. Die Regierung setzte paramilitärische Gruppen und Todesschwadronen ein, um die Unterstützerbasis der Bewegung hemmungslos anzugreifen und Zivilist:innen zu töten, die als Sympathisant:innen und angebliche Mitglieder bezeichnet wurden. Die verstärkten Aktionen heizten die Städte auf und dechiffrierten Mitglieder des bewaffneten Widerstands, was zu einer Hysterie wegen Agent:innen innerhalb der revolutionären Bewegung führte. Die Panik wegen Informant:innen verwandelte sich in eine interne Hexenjagd, bei der Tausende von Mitgliedern, die die Bewegung verließen, verschwanden oder getötet wurden.
Zu Beginn der 1990er Jahre hatten die Fehler der revolutionären Bewegung ihre Mitglieder- und Unterstützerbasis erheblich geschwächt. Die Bewegung fasste die Ergebnisse der verstärkten Aktionen der Guerilla in den Städten, der unhaltbaren großen Formationen der NPA und der internen Hexenjagd auf Informant:innen zusammen und zog Bilanz. Die Analyse des Niedergangs der Bewegung ergab, dass es nicht gelungen war, eine Unterstützungsbasis für die Organisation des Volkes zu schaffen, indem militärische Aktionen überbetont und Großangriffe in den Städten initiiert wurden. Diese Aktionen vermittelten einen falschen Eindruck von der tatsächlichen Stärke der Bewegung, was zu schädlichen Auswirkungen und einem Beinahe-Zusammenbruch führte. Die revolutionäre Bewegung erkannte diese Fehler und startete eine Kampagne, die sich auf die Organisierung an der Basis und die ideologische Bildung konzentrierte. In ländlichen und städtischen Gebieten nahm die Bewegung den Aufbau von Volksorganisationen als Grundlage für den Guerillakrieg, in denen verschiedene gesellschaftliche Gruppen (Arbeiter:innen, Bäuer:innen, Jugendliche, Frauen, indigene Völker) als Fundament der politischen Macht und der Aktionen der Guerilla fungieren, wieder auf. Und so erholte sich die NPA ein Jahrzehnt später und organisierte sich auf dem Land, wo bis heute fünfundsiebzig Prozent der Bevölkerung leben und arbeiten.
In der Agrarwirtschaft der Philippinen ist Land die wichtigste Einkommens- und Beschäftigungsquelle. Hohe Pachtpreise, niedrige Löhne und räuberische Kreditvergabe durch reiche Landbesitzer:innen machen landlose Bäuer:innen zu den ärmsten Schichten der Gesellschaft. Die NPA kehrte deswegen zur Bildung von Organisationskomitees in den Dörfern zurück, um die weit verbreitete ländliche Armut zu bekämpfen. Diese dörflichen Organisationskomitees bilden Bäuer:innen-Vereinigungen, die sich mit den Grundbesitzer:innen auseinandersetzen, die Löhne der Bäuer:innen anheben, die Landpacht senken und die Schulden abbauen. Dazu gehören auch der Aufbau kleiner Genossenschaften und die Organisation von Nebenerwerbstätigkeiten zur Ergänzung der Landwirtschaft. Wo die Bäuer:innen-Vereinigungen gut organisiert sind und die NPA stark genug ist, wird das Maximalprogramm der Landkonfiszierung und der kostenlosen Verteilung von Land an die Bäuer:innen umgesetzt. Diese Landreformprogramme werden durch revolutionäre Bildungs-, Alphabetisierungs-, Gesundheits- und Kulturprogramme unterstützt. Sobald sie etabliert sind, halten die revolutionären Komitees das Gebiet als Basis für Operationen der Guerilla aufrecht. Die Landbevölkerung stellt für die Guerillastrategie der NPA auf den Philippinen eine immense Quelle revolutionären Potenzials dar.
Während dieser Zeit der Erholung nahm die revolutionäre Bewegung immer wieder Friedensverhandlungen mit der philippinischen Regierung auf. Zwischenzeitliche Friedensgespräche führten sogar zur Unterzeichnung von Abkommen, die 1. den Verhandlungsführer:innen freie und sichere Bewegung ohne Angst vor Durchsuchung, Überwachung oder Verhaftung zusicherten und 2. die Zivilbevölkerung vor Gewalt zwischen der NPA und der philippinischen Regierung schützten. Die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen unter den aufeinanderfolgenden Präsident:innen zwangen die NPA jedoch dazu, die Friedensverhandlungen abzubrechen. Die Regierung war schlicht nicht bereit dazu, die unterzeichneten Vereinbarungen umzusetzen. Zwischen Januar 2001 und Oktober 2012 dokumentierten Menschenrechtsgruppen über 1200 Fälle von Tötungen im Schnellverfahren bei Aufstandsbekämpfungsaktionen.
Erst im Jahr 2016 nahm die revolutionäre Bewegung die Friedensgespräche mit der Regierung unter der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte wieder auf. Doch auch diese hielten nur ein Jahr an, dann zog sich die NPA aus dem Waffenstillstand und den Vorgesprächen zurück, nachdem die Regierung nicht alle politischen Gefangenen freigelassen hatte. Duterte erklärte als Reaktion darauf den totalen Krieg und stufte die revolutionäre Bewegung als terroristische Organisation ein. Diese erneute Militäroffensive unter Duterte fiel mit dem dramatischen Anstieg politischer Morde, Angriffen auf die Pressefreiheit und weit verbreiteten außergerichtlichen Tötungen im sogenannten Krieg gegen die Drogen zusammen.
Während Dutertes Präsidentschaft 2022 zu Ende geht, zeichnet sich die Wahrscheinlichkeit ab, dass die Marcos-Familie die Philippinen auch in Zukunft regieren wird. Umfragen zufolge wird Ferdinand Marcos Jr., der Sohn des verstorbenen Diktators der Philippinen, die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Mai voraussichtlich gewinnen [Der Artikel wurde Ende April verfasst; die Wahlen sind mittlerweile vorüber und – Ferdinand Marcos Jr. wurde tatsächlich gewählt. Die Aussichten auf Demokratie und echten, dauerhaften Frieden sind auf den Philippinen nach wie vor nicht gegeben. Die führenden Präsidentschaftskandidat:innen verschweigen, dass die wachsende Armut und Ungleichheit, die vor mehr als fünfzig Jahren den bewaffneten Widerstand ausgelöst haben, immer noch vorherrschen. Trotz des Reichtums an natürlichen Ressourcen (einschließlich Holz, fruchtbaren Landes, reicher Mineralien und Edelmetalle) ist das Land wirtschaftlich unterentwickelt. Der fehlende Zugang zu Land lässt die Landbevölkerung verarmen und hält das feudale Verhältnis zwischen reichen Grundbesitzer:innen und armen Bäuer:innen aufrecht. In den Hochlandregionen vertreiben Bergbau und Holzindustrie die indigene Bevölkerung von ihrem angestammten Land und zerstören die biologische Vielfalt und das ökologische System. Duterte hat kürzlich das Verbot des Tagebaus und damit Beschränkungen zum Schutz der Umwelt aufgehoben. Die ausländische Kontrolle der Wirtschaft durch globale Mächte (USA und China) und regionale Mächte (Japan und Südkorea) beschränkt die Philippinen auf die Produktion von Rohstoffen und exportorientierten Gütern.
Diese wirtschaftlichen Bedingungen sind untrennbar mit der langen Tradition der politischen Dynastien verbunden, die das Land regieren. Prominente Familien nutzen ihren Reichtum, um die politische Macht zu sichern und zu erhalten, und gestalten ihrerseits die Politik, um ihren Reichtum zu bewahren und zu vergrößern. Ausländische Mächte stärken diese politischen Dynastien durch eine Politik, die den reichsten Familien zugute kommt und die Philippinen in einem ständigen Zustand der Verschuldung und Unterentwicklung hält. Durch die Abhängigkeit vom Handel wahren globale und regionale Mächte ihre geopolitischen Interessen auf den Philippinen, indem sie sich ein wichtiges Tor zum Handel im asiatisch-pazifischen Raum und einen strategischen militärischen Vorposten sichern. Der anhaltende bewaffnete Konflikt auf den Philippinen hat Auswirkungen auf die Geopolitik in der Region und auf die Politik der globalen und regionalen Mächte.
Dutertes Krieg zur Niederschlagung der NPA hat ganze Landstriche unter Militärherrschaft gestellt, die den ländlichen und indigenen Gemeinschaften viel Leid zufügt. Im ganzen Land hat das Militär jede Unterscheidung zwischen Kämpfer:innen der NPA und Zivilist:innen bewusst aufgehoben, indem es Dorfbewohner:innen willkürlich schikaniert und beschuldigt, den bewaffneten Widerstand zu unterstützen, sogenannte »Massenkapitulationen« für die Presse inszeniert, Menschen unter falschen Anschuldigungen entführt und verhaftet und Bäuer:innen-Anführer:innen und Aktivist:innen ungestraft ermordet. Dutertes Politik des totalen Krieges gegen die NPA und die legale Massenbewegung hat eine neue Generation dazu gebracht, sich der Guerilla anzuschließen. Die Flut von Menschenrechtsverletzungen und politischen Morden unter Duterte hat dazu geführt, dass nicht einmal die legalen Mittel zur Verfügung stehen, um Missstände durch grundlegende Reformen zu beheben. Anlässlich des 53. Jahrestages der Gründung der NPA wurde unter Berufung auf den öffentlichen Aufschrei die Wiederbelebung von Guerilla-Einheiten gefordert, die in den Städten gegen die Sicherheitskräfte der Regierung vorgehen können, die für die steigende Zahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Als revolutionäre Alternative zur Militarisierung des Landes und der katastrophalen wirtschaftlichen Lage ist die NPA landesweit die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Landbevölkerung zu verteidigen. Die anhaltende Unterstützung der Landbevölkerung hat gezeigt, dass die NPA immer noch relevante Lösungen für die Probleme der Landlosigkeit, der Korruption und der ausländischen Ausbeutung im Land bietet. Unter diesen Umständen bleibt die revolutionäre Bewegung eine zwingende politische Kraft, die den bewaffneten Widerstand auf den gesamten Philippinen organisiert.
Der Kurdistan Report hat mit der philippinischen Internationalistin, die den oben stehenden Text verfasst hat, ein Interview geführt. Sie ist bereits seit längerer Zeit in Nord- und Ostsyrien (Rojava) und hatte die Zeit und Gelegenheit, verschiedenste Bereiche der Revolution kennenzulernen:
Können Sie sich selbst und die Kämpfe, aus denen Sie kommen, kurz vorstellen?
Die Erfahrungen, die meine Familie während der Marcos-Diktatur machen musste, haben mein Leben und den Menschen, der ich heute bin, stark geprägt. Sowohl meine Eltern als auch viele meiner Verwandten engagierten sich in der revolutionären Bewegung auf den Philippinen. Dies führte dazu, dass meine Mutter und viele meiner Verwandten inhaftiert wurden, während mein Vater und andere Verwandte in den Untergrund gingen. Dies sind nur kurz zusammengefasst einige Beispiele, die meine Erziehung natürlich beeinflussten, gleichzeitig somit auch meine Ethik und die Werte, die ich als Mensch vertrete. Dies führte später zu meinem Engagement in einer Jugendorganisation, in antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfen und in Arbeiterkämpfen als Gewerkschafterin.
Wie haben Sie das erste Mal vom Freiheitskampf in Kurdistan gehört und wie haben Sie die kurdische Frauenbewegung kennengelernt?
Vom Freiheitskampf in Kurdistan erfuhr ich zum ersten Mal durch die philippinische Befreiungsbewegung. Sie zeigt sich solidarisch mit Kämpfen in der ganzen Welt und pflegt intensive Freundschaften. Ein tieferes Verständnis für die kurdische Freiheitsbewegung und insbesondere auch die kurdische Frauenbewegung erlangte ich durch Freund:innen, die in der kurdischen Diaspora arbeiten. Durch die kurdische Diaspora entdeckte ich die führende Rolle der Frauen im kurdischen Freiheitskampf. Frauen wie Şehîd Sara (Sakine Cansız) und die unzähligen Kämpferinnen, die Nord- und Ostsyrien gegen den IS und die andauernden Angriffe des türkischen Staates verteidigt haben, haben mich ermutigt, mehr von ihrem Beispiel zu lernen.
Wie kamen Sie zu der Entscheidung, nach Rojava zu gehen, und welche Bedeutung hat die Revolution in Rojava für Sie?
Die Beziehungen zu Frauen in meiner Familie und zu befreundeten Frauen haben mich zu dem Schluss gebracht, dass ein freies und demokratisches Leben von der Befreiung der Frauen abhängt. Vom Moment der Geburt eines Kindes an sorgt die Mutter für die soziale und emotionale Entwicklung des Kindes. Frauen übernehmen einen unverhältnismäßig großen Teil der Reproduktionsarbeit, der Arbeit des täglichen Lebens und der emotionalen Arbeit, die zur Erhaltung des Lebens selbst erforderlich ist. Frauen arbeiten im Allgemeinen mehr zusammen als Männer. Überall auf der Welt sind Frauen, zusammen mit queeren Menschen (insbesondere farbige Frauen und queere Menschen), den schlimmsten Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Meine enge Beziehung zu einer Freundin, die queere Eltern hat, Erzieherin und Gewerkschaftsorganisatorin ist, warf für mich viele existenzielle Fragen auf. Dazu gehörte auch die Sorge, dass ihre junge Tochter eine Welt erben würde, die mit der harten Realität von Ungleichheit, Gewalt und ökologischem Kollaps konfrontiert ist. Rojava war eine Chance, diese existenziellen Fragen in der Praxis zu erforschen und aus erster Hand ein alternatives Modell jenseits der Philippinen zu sehen und zu verstehen. Die Reise nach Rojava war eine Gelegenheit, mich selbst zu verstehen und weiterzuentwickeln und die Erfahrungen und Lehren aus Rojava mit meinem Volk und der Bewegung auf den Philippinen zu teilen.
Was haben Sie aus dem Freiheitskampf in Kurdistan bis heute gelernt, insbesondere während Ihrer Zeit in Rojava?
Meine Zeit in Rojava hat mir gezeigt, dass der Wandel der Gesellschaft und der eigenen Person im täglichen Leben praktiziert wird. Ethik und Werte sind die Grundlage der Politik, um die Gesellschaft und sich selbst zu verändern. Das tägliche Leben ist die materielle Grundlage, um Ethik und Werte zu nähren und zu praktizieren. Dazu gehört die reproduktive Arbeit des täglichen Lebens, die Teilhabe an den Sorgen und Nöten der Freund:innen, die Bewältigung von Kummer und Schmerz in der Welt, das Nachdenken über persönliche Unzulänglichkeiten, um sich zu ändern, und die Bejahung des Lebens durch die Art, wie man sich bewegt und spricht. Ohne diese ethischen Grundsätze und Werte gibt es keine Politik. Ohne Politik und Kampf gibt es kein Leben, sondern nur Barbarei. Dagegen zu kämpfen ist die Grundlage für ein freies Leben und die Befreiung des Menschen von der Barbarei.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Rojava-Revolution weltweit und was sind Ihre Gedanken zum »neuen Internationalismus«?
Rojava bietet den Freiheitsbewegungen weltweit eine Quelle der Inspiration und ein frauenzentriertes Modell für die Revolution im 21. Jahrhundert. Die Bildung von Volksräten, Gemeinden, Kooperativen, Bildungsakademien und zivilen Einrichtungen ist das Herzstück des demokratischen Prozesses in Rojava. Frauen haben bei diesen sozialen Errungenschaften eine führende Rolle gespielt. Rojava ist es auch gelungen, die konfessionellen Konflikte in der Region zu überwinden und eine friedliche Koexistenz verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen zu erreichen. Diese Fähigkeit, die Vielfalt in der Region anzunehmen, spiegelt sich auch in der internationalistischen Perspektive der Revolution von Rojava wider. Von der Verteidigung der Gesellschaft gegen den IS und Angriffe des türkischen Staates bis hin zum Aufbau demokratischer Institutionen hat die Rojava-Revolution Internationalist:innen aus der ganzen Welt willkommen geheißen, um die Lehren und Herausforderungen des vergangenen Jahrzehnts zu teilen. Dieser neue Internationalismus spiegelt sich in den verschiedenen revolutionären Strömungen, die in Rojava zusammenarbeiten und die unter anderen Umständen nicht nebeneinander arbeiten könnten, wider. Der Internationalismus in Rojava ist eine universelle Sprache für die gesamte Menschheit, die die Grenzen überschreitet, die den Menschen und Freiheitsbewegungen weltweit auferlegt wurden. Dieser neue Internationalismus erhellt den Weg in die kommenden freien Tage.
Welchen Appell wollen Sie an die Freiheitsbewegungen und demokratischen Kräfte weltweit richten?
Die Worte von George Jackson, einer führenden Persönlichkeit der Black Panther Party, klingen für mich heute noch nach: »Legt euren Streit bei, kommt zusammen, begreift die Realität unserer Situation, begreift, dass der Faschismus bereits hier ist, dass bereits Menschen sterben, die gerettet werden könnten, dass weitere Generationen ein armseliges, abgeschlachtetes Halbleben führen werden, wenn ihr nicht handelt. Tut, was getan werden muss, entdeckt eure Menschlichkeit und eure Liebe in der Revolution.«
Kurdistan Report 222 | Juli/August 2022