Editorial
- Juli 2, 2023
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Editorial
Liebe Leser:innen,
da posieren sie wieder, freundlich, händeschüttelnd und mit einem angedeuteten Lächeln im Gesicht: die deutsche Außenministerin Baerbock mit ihrem neuen Amtskollegen Hakan Fidan am Rande der Ukraine Recovery Conference am 21. und 22. Juni in London. Die Bilder von den Außenministern beider Staaten aus den vergangenen Jahren sind uns in guter Erinnerung. Da wäre das Foto von Sigmar Gabriel, der in seiner Wohnung in Goslar Fidans Vorgänger Mevlüt Çavuşoğlu Tee serviert und anschließend als »Teejunge« verspottet wird. Oder beispielsweise das in Instagram-Manier geschossene Selfie von Heiko Maas und Çavuşoğlu umgeben von zahlreichen Schüler:innen vor dem Deutschen Gymnasium in Istanbul. Ganz so kumpelhaft wie ihre SPD-Vorgänger mit ihren türkischen Amtskollegen posiert Baerbock mit ihrem Anspruch einer feministischen Außenpolitik nicht mehr. Doch an den strategischen Eckpfeilern der Partnerschaft hat sich wenig geändert. Dementsprechend betitelt das Auswärtige Amt das gemeinsame Foto von Baerbock und Fidan auf Twitter mit »Mehr als ein Kennenlernen«.
Dass Fidan als ehemaliger Chef des türkischen Geheimdienstes maßgeblich für die Kriegsverbrechen des türkischen Staates, den Drohnenkrieg in Nord- und Ostsyrien, die Chemiewaffeneinsätze in Südkurdistan oder die Entführung und Einschüchterung von Oppositionellen auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen mitverantwortlich ist, dürfte für das Auswärtige Amt kein Geheimnis sein. Auch die gezielte Tötung der kurdischen Politikerinnen Yusra Derwêş und Lîman Şiwêş sowie ihres Fahrers Firat Tûma durch einen türkischen Drohnenangriff in Nordsyrien kurz vor dem Treffen zwischen Baerbock und Fidan dürfte der deutschen Außenministerin rechtzeitig bekannt geworden sein. Aber ihre selbstgesetzten Ansprüche an eine feministische Außenpolitik haben eben klare Grenzen und rangieren in der Hierarchie deutlich hinter der strategischen Partnerschaft mit dem türkischen Staat. Da spielt es auch keine Rolle, dass dieser Partner seit Jahren gezielt gegen eine Frauenbewegung im Mittleren Osten vorgeht, die sich nicht nur dem Terror des IS entgegenstellt, sondern sich bedingungslos und ohne Einschränkungen für die Gleichberechtigung der Frauen in der gesamten Region einsetzt.
Doch die bundesdeutsche Politik kneift nicht nur vor den türkischen Verbrechen gegen die kurdische Gesellschaft und die demokratischen Kräfte in der Türkei und der gesamten Region. Nein, sie leistet der türkischen Politik ganz konkrete Amtshilfe: Die intensivierte Kriminalisierung kurdischer Akteur:innen in Deutschland in den letzten Wochen und die beschleunigte Abschiebung kurdischer Aktivist:innen, denen in der Türkei jahrelange Haftstrafen drohen, sind Ausdruck dessen.
Der Krieg in Kurdistan und gegen die kurdische Freiheitsbewegung ist umfassend. Nach dem Wahlsieg Erdoğans wird er sich zweifellos noch verschärfen. Und der deutsche Staat mit einer »feministischen« Außenministerin unterstützt diesen Krieg ganz konkret.
Unser Auftrag dagegen kann nur lauten: Lasst uns die Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf ausbauen, die demokratischen Kräfte in der Region unterstützen und den Kriegstreiber:innen hier wie dort entschlossen entgegentreten.
Eure Redaktion
Kurdistan Report 228 | Juli / August 2023