Nûcan Mawa, Jinen Xwendekarên Kurdistan (JXK, Studierende Frauen Kurdistans)
Die Freiheitsbewegung Kurdistans hat eine lange Geschichte des Widerstands und des Kampfes. Aufgrund ihres widerständigen Charakters war die Bewegung immer Angriffen ausgesetzt und erlitt furchtbare Massaker. Die mit dem Faschismus konfrontierte kurdische Bevölkerung leistete vehement Widerstand. Angesichts dieser unbezwingbaren Haltung begann der Staat, mit unterschiedlichen Methoden gegen die kurdische Bevölkerung vorzugehen und einen speziellen, psychologischen Krieg zu führen. Ein wesentlicher Aspekt dieses Krieges besteht darin, dass vor allem die Jugend und die Frauen ins Visier genommen werden. Insbesondere diese beiden widerständigen Kräfte stellen mit ihrer dynamischen und sich ständig erneuernden Natur eine Gefahr für den Staat dar. In jüngster Zeit wurde, vor allen Dingen gegen die Jugend, zunehmend eine spezielle Kriegsführung angewandt. Um die Assimilationspolitik gegenüber der Jugend zu verstehen, ist es hilfreich, sie im Kontext des sich wandelnden kontinuierlichen Spezialkriegs zu analysieren.
Mit Spezialkrieg ist nicht einfach nur ein grober militärischer Konflikt gemeint. Vielmehr geht es um eine an die Bedingungen der Gegenwart angepasste, spezialisierte Kriegsführung, die tief in die Strukturen der Gesellschaft und des Individuums eindringt. Dieser Krieg zielt darauf ab, gesellschaftliche Dynamiken zu zerstören und alle moralischen sowie politischen Werte einer Gesellschaft aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Die Kraft, die sich dem am besten entgegenstellen kann, ist die Jugend, die avantgardistische Kraft der Gesellschaft. Daher richtet sich der Spezialkrieg – insgesamt wie auch in einzelnen Maßnahmen – vorrangig gegen die Jugend.
Krieg ist nicht einfach nur ein Gewaltakt oder eine Auseinandersetzung zwischen Menschen. Krieg ist ein umfassender bewaffneter Konflikt zwischen Staaten, Ländern oder großen Gruppen innerhalb eines Landes. Einfacher ausgedrückt: Krieg ist eine Tätigkeit, bei der Gegner versuchen, sich gegenseitig mit Waffengewalt ihren Willen aufzuzwingen. Es geht also darum, den Willen der Gegenseite zu brechen. Doch neben der bewaffneten Auseinandersetzung gehören oft auch nicht-militärische Mittel wie Einschüchterung oder physische und psychische Schädigung zum Krieg. Wenn man Krieg nur als bewaffnete Gewalt definiert, dann versteht man ihn lediglich als offene Feldschlacht, in der Gegner mit aller Kraft versuchen, sich gegenseitig zu vernichten oder zur Kapitulation zu zwingen. Doch das ist nur eine Dimension des Krieges. Tatsächlich ist Krieg nicht nur eine militärische, sondern eine umfassende Auseinandersetzung. Sie schließt neben den militärischen Elementen auch wirtschaftliche, politische, diplomatische, ideologische, kulturelle und psychologische Komponenten mit ein. In dieser erweiterten Form nennen wir den Krieg des 21. Jahrhunderts Spezialkrieg.
Angriffe auf die Gesellschaft
Das Phänomen, das wir als Spezialkrieg betrachten, ist eine Form des Krieges, die in der Klassengesellschaft entwickelt wurde. Eine andere Bezeichnung dafür ist »regelloser Krieg«. Es ist ein Krieg, der jegliche Unmoral als legitim betrachtet, alles tut, um sein Kapital zu vergrößern, den Menschen ewige Knechtschaft aufzwingt und keinerlei Regeln oder Prinzipien anerkennt. Wie Rêber Apo betont, müssen alle Angriffe auf die Gesellschaft im Rahmen des Spezialkriegs betrachtet werden. Spezialkrieg ist also ein erklärter und kontinuierlich geführter Krieg der Herrschenden und Ausbeuter, der in alle Bereiche der Gesellschaft dringt.
Die Gesellschaft ist eine dynamische Kraft, die sich schützt und ihre Existenz verteidigt. Um ihre Kontinuität zu sichern, muss sie ihre Sprache und Kultur bewahren. Doch genau das steht der kapitalistischen Moderne im Weg. In einer Zeit, in der Sprache, Kultur und Traditionen vereinheitlicht werden sollen, ist es entscheidend, den Spezialkrieg zu verstehen. Denn die Jugend ist es, die das Fortbestehen der Gesellschaft sichert und Werte an die nächste Generation weiterträgt. Eine Orientierungslosigkeit, Entwurzelung und Entfremdung der Jugend von sich selbst und ihrer Gesellschaft kann dazu führen, dass die Gesellschaft ins historische Abseits gedrängt wird – ein Prozess, den wir als kulturellen Genozid, auch Soziozid bezeichnen. Das Hauptziel des Spezialkriegs ist es, die Jugend ihres Wesens zu entfremden und einer kulturellen Assimilation zu unterziehen. Eine assimilierte Jugend ist eine willenlose Jugend. Und eine Jugend ohne Willen kann keine Vorreiterrolle innerhalb der Gesellschaft übernehmen. Sie wird manipulierbar. Kurz gesagt: Die kapitalistische Moderne schafft eine Masse von Individuen, die nicht selbstständig denken kann, Befehle mechanisch ausführt, nicht hinterfragt und ein eintöniges Leben akzeptiert, das sie daran hindert, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Diese Gefahr besteht auch für die Jugend Kurdistans.
Der in Kurdistan und Europa geführte Spezialkrieg hat die Jugend ins Visier genommen. Die gegen die kurdische Jugend angewandten Methoden des Spezialkriegs sind sogar ausgefeilter und wirkungsvoller als in anderen Ländern. Auf der einen Seite steht die Beharrlichkeit der Kurden in ihrem Streben nach Freiheit und Demokratie, auf der anderen der staatliche Widerstand gegen diesen Freiheitswillen. Das hat dazu geführt, dass die in Kurdistan angewandten Spezialkriegsstrategien massiv intensiviert und erweitert wurden. Um sie von ihrer Gesellschaft zu entfremden, wurden kurdische Jugendliche Praktiken und Angriffen ausgesetzt, die selbst für Laborversuche an Versuchstieren als unethisch gälten. Ihr Geschichts- und Gesellschaftsverständnis wurde verdreht, ihre Energie in eine entfremdete Lebensweise gelenkt.
Drogenmissbrauch, geistige Abstumpfung, Entfremdung, Werteverlust, Manipulation des Bewusstseins, Denkblockaden, eine dekadente Lebensweise, ein Konsumdenken ohne Kreativität, Entwurzelung, Scham über die eigene Sprache und Kultur – all das wurde der kurdischen Jugend als Lebensrealität aufgezwungen. Diese perfide Strategie, die durch schmutzige Mittel ihre schmutzigen Ziele verfolgt, hat den Spezialkrieg weiter eskaliert und vertieft.
Die Kunst – ein Werkzeug der speziellen Kriegsführung
Die Art und Weise, wie die kapitalistische Moderne mittels spezieller Kriegsführung die Jugend lenkt, ist ein äußerst weitreichendes Thema. Hier wollen wir uns auf einige der wirkungsvollsten Steuerungsmechanismen des Systems konzentrieren – Kunst und Sexualität (der Sport wäre eigentlich auch noch zu nennen) – und analysieren, wie sie eingesetzt werden, um die Gegnerschaft der kapitalistischen Moderne gegenüber der Jugend und der Gesellschaft zu verstehen.
Kunst ist eines der am stärksten mit der Gesellschaft verbundenen kulturellen Elemente. Jede sich entwickelnde Gesellschaft bringt Kunst hervor. Da Kunst ihren Ursprung in den ersten praktischen Manifestationen des Glaubens hat, ist sie eng mit der Moral verbunden. Unter den kulturellen Bereichen spricht die Kunst mit ihrer eigenen Sprache und ihren Werken die gesamte Gesellschaft an. Dass eine so gesellschaftliche Sphäre innerhalb des kapitalistischen Systems ins Gegenteil verkehrt und missbraucht wird, ist eine Folge der kapitalistischen Gesellschaftsparadigmen.
Bekanntermaßen durchdringt das kapitalistische System die Gesellschaft, indem es ihr soziales Gefüge zersetzt. Dabei greift es als erstes die Moral an. Zu diesem Zweck missbraucht das System die Kunst und entfremdet sie von ihrer eigentlichen Funktion. Während die Gesellschaft eine gemeinschaftliche und demokratische Struktur inne hat, wird durch die Kunst gezielt Individualismus und Gleichgültigkeit in der Jugend gefördert. Dass Künstler:innen heutzutage jene Gruppe sind, die am weitesten von der Gesellschaft entfernt ist, ist kein Zufall. Dabei sollte Kunst in erster Linie die Gesellschaft leiten und Widerspruch leisten, wo es nötig ist. Doch stattdessen dient sie heutzutage vor allem dazu, Individuen, insbesondere Jugendliche, von der Gesellschaft zu entfremden.
Die Jugend Kurdistans wurde durch eine verfälschte Kunst dazu verleitet, sich gedankenlos an fragwürdigen Figuren zu orientieren und so ihrer eigenen Moral entfremdet zu werden. Die Einführung der »Arabesk«-kulturellen Elemente, die in der kurdischen Kunst nicht verwurzelt sind, sind ein Angriff auf die Geschichte, Kultur, Sprache und das gesellschaftliche Leben der Kurd:innen. Es wurde eine Jugend geschaffen, die ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht kennt und daher nur oberflächlich mit Kunst umgeht. Unter dem Vorwand »so ist nun mal der Zeitgeist«, wurde ein charakterloses Jugendbild geformt. Die Jugend wurde in eine Position gedrängt, in der sie nicht mehr hinterfragt, sondern nur noch imitiert.
Diese subtil eingeführten Spezialkriegsmechanismen führen zu einer schleichenden Assimilation, in der Kultur kaum mehr ihren Namen verdient. Die Abwesenheit von Kunst bedeutet zugleich die Abwesenheit von Kultur. Entfremdung von der eigenen Kunst bedeutet daher auch die Entfremdung von der gesellschaftlichen Erinnerung und Lebensweise.
Wie alles hat das kapitalistische System auch die Kunst zur Ware gemacht. Dass die Jugend heute Kunst wie ein Produkt aus dem Supermarkt konsumiert, ist eine direkte Folge dieser Entwicklung. Deshalb ist es ein großer Fehler, das, was als Kunst präsentiert wird, unkritisch zu rezipieren. Es bedeutet letztlich, ein Zahnrad im Getriebe des kapitalistischen Systems zu werden. Dabei sollte man nicht vergessen, dass wahre Kunst darin besteht, die eigene Kultur und Moral zu leben und den Kampf für ihr Fortleben zu führen.
Die sexistische Zivilisation
Mit dem Beginn der Vorherrschaft des kapitalistischen Systems geriet auch die Sexualität außer Kontrolle und wurde in den Dienst des Systems gestellt, um die Jugend zu unterwerfen und leichter lenkbar zu machen. Die kapitalistische Zivilisation selbst ist sexistisch. Wie bekannt, ist sie ein Produkt der Geschlechterspaltungen, die zum Nachteil der Frauen vollzogen wurden. Dieser sexistische Ansatz wurde im Kapitalismus auf die Spitze getrieben.
Sexualität ist einer der grundlegenden Triebe, die eine Rolle für das Fortbestehen der Menschheit spielen. Sie wurde sogar bis zur Heiligkeit erhoben und trägt auch zur Gesellschaftlichkeit bei. In keiner anderen Epoche der Geschichte – weder in der Sklaverei noch im Feudalismus – wurde die Sexualität so industrialisiert und kommerzialisiert wie im Zeitalter des Kapitalismus. Die heutige Kommerzialisierung von Sexualität ist, ähnlich wie der Kunstbereich, ein Ergebnis des Kapitalismus. Die Instrumentalisierung von Sexualität in dieser Form ist unmittelbarer Ausdruck des Geschlechterverhältnisses und der Gesellschaftsverhältnisse der kapitalistischen Moderne insgesamt. Wenn es jedoch um Kurdistan geht, kommen noch feinere politische Strategien ins Spiel. Die Jugend, die wir als besondere Zielgruppe des Spezialkriegs erkennen, wurde auch in diesem Bereich ins Visier genommen. Die Sexualität wurde als Instrument zur Abstumpfung der Dynamik und der Beweglichkeit der Jugend eingesetzt. Gefühle wurden auf den bloßen Trieb reduziert.
Unzweifelhaft spielen die durch den Kapitalismus verursachten Zerstörungen des menschlichen Verstandes und der Gefühle eine Rolle in der Umformung der Sexualität zur Ware in der Sexindustrie. Im kapitalistischen System wird der Verstand eigennützig und egoistisch, und der Mensch denkt nur an sich selbst. Für erhabene Gefühle gibt es in diesem Denken keinen Platz. An die Stelle von Gefühlen treten Triebe. Deshalb gibt es in diesem System keine epischen Liebesgeschichten mehr wie in vergangenen Zeiten. Da die Sexualität nicht mehr durch mögliche Liebe und Zuneigung zwischen den Geschlechtern reguliert wird, gerät das gesellschaftliche Gleichgewicht außer Kontrolle. Die Sexualität wurde zum Animalischen degradiert und unkontrollierten Trieben überlassen. Ein Ergebnis ist die Sexindustrie. Besonders gefährlich ist der Umstand, dass ein eigentlich gesellschaftlich verbindender Trieb der Kontrolle durch Gefühle und Verstand entzogen wurde. Eine Jugend, die in einen solchen Zustand versetzt wurde, kann sich nicht mehr mit ihren eigenen Problemen auseinandersetzen oder eigenständig Lösungen entwickeln. Eine solche Jugend wird zu einer manipulierten Generation, die als bloßes Objekt des herrschenden Systems fungiert.
Dass es in Kurdistan an jeder Straßenecke ein Bordell gibt, ist kein Zufall. Einerseits wurde die Jugend ihrer Freiheitsbewegung entfremdet, andererseits wurde ihr die Möglichkeit genommen, sich mit den bestehenden gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen. Die Dynamik der Jugend wurde durch den Staat gezähmt. Eine Jugend, die für Organisation und Aktion steht, wurde so in einen Zustand der Organisations- und Handlungslosigkeit versetzt. Sie wurde der Fähigkeit beraubt, klar zu denken. Ihre Träume wurden in einen Käfig gesperrt, und dieser Käfig wurde mit Symbolen gefüllt, die ihre Perspektive und ihr Denken beschränken.
Der Druck auf die Jugend ist umfassend. Es gibt kaum noch einen Aspekt im Leben, der nicht Gegenstand einer speziellen Kriegsführung ist. Dessen muss die Jugend sich vor allem bewusst werden. Bewusstsein bedeutet Verstehen, und Verstehen bedeutet Handeln. Sie wird nur so viel begreifen, wie sie handelt, und sie wird nur so viel wahrnehmen, wie sie versteht. Daher muss sie sich mit einer nicht systemkonformen Denkweise selbst bilden und eine Alternative schaffen. Sie muss den richtigen Weg finden und entsprechend ihren Kurs bestimmen. Anschließend muss sie sich die Frage stellen: »Soll ich das vorgegebene Leben akzeptieren und mich anpassen, oder soll ich es ablehnen, mich absetzen und dadurch befreien?«
Wenn sie sich gegen das Bestehende entscheidet und den Weg der Befreiung wählt, muss sie ihr Bewusstsein vertiefen. Dort, wo das System die Jugend in den Abgrund gestoßen hat, muss sie sich besonders mit diesen Themen auseinandersetzen, ihre Selbstreflexion stärken und mit noch tieferen Analysen dem kapitalistischen System entgegentreten. Sie darf der Prostitution, den Drogen und dem dekadenten Leben keinen Raum geben. Sie muss die Gesellschaft stärken. Sie muss ihre Kultur, Moral, Sprache und alle ihre gesellschaftlichen Werte bewahren. Sie muss ihre Einzigartigkeit und Existenz verteidigen.
In allen Bereichen muss sie sich organisieren und aktiv werden. Sie muss Wut auf das System empfinden, es verachten – ja, es sogar ausspucken. Auszuspucken bedeutet, den Schmutz nach draußen zu befördern. Der Schmutz ist der Kapitalismus. Wenn wir ein freies und demokratisches Leben wollen, müssen wir den Kapitalismus ausspucken. Je mehr die Jugend den Kapitalismus ausspuckt, desto mehr wird sie zur Alternative. Je mehr sie zur Alternative wird, desto mehr wird sie sich verjüngen. Und je mehr sie sich verjüngt, desto mehr wird sie ihre historische Mission erfüllen.