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Der Aufbau der Hizbulkontra als Waffe gegen den Widerstand des kurdischen Volkes: Die Geschichte von Hizbulkontra und Hüda Par

  • April 8, 2025
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Cengiz Altun & Çetin Ababay Die vom türkischen Staat gegründete Hizbullah sitzt nun als Hüda Par auf dem Ticket der AKP im Parlament in Ankara. Ein Blick in

Der Aufbau der Hizbulkontra als Waffe gegen den Widerstand des kurdischen Volkes: Die Geschichte von Hizbulkontra und Hüda Par

Cengiz Altun & Çetin Ababay

Die vom türkischen Staat gegründete Hizbullah sitzt nun als Hüda Par auf dem Ticket der AKP im Parlament in Ankara. Ein Blick in ihre Geschichte zeigt auf, was das Erdoğan-Regime heute mit der Hüda Par bezweckt.

Eine Zusammenfassung der Veröffentlichung bei ANF vom 4. und 7. Oktober 2024

Der türkische Staat versucht seit seiner Gründung mit allen Mitteln die kurdische Identität und den kurdischen Widerstand zu vernichten. Als sich ab den 1970er Jahren die kurdische Freiheitsbewegung auf der Grundlage linker und sozialistischer Prinzipien entwickelte, wurden mithilfe von NATO-Strukturen Konterguerillaeinheiten wie Gladio organisiert. Andererseits wurde auch versucht, auf gesellschaftlicher Ebene gegen die Ausbreitung der Freiheitsbewegung zu intervenieren. Diese strategischen Angriffe waren jedoch nicht geeignet, um die Freiheitsbewegung aufzuhalten. Während einerseits der Geheimdienst der Militärpolizei (JITEM) systematisch folterte, mordete und unzählige Menschen verschwinden ließ, wurde eine neue Formation unter islamistischer Maske aufgebaut. Das Amt für Spezialkriegsführung schuf die Hizbullah der Türkei, auch bekannt als Hizbulkontra. Die klar islamistisch, antikommunistisch ausgerichtete Hizbullah schien das geeignete Werkzeug zu sein, um eine linke Freiheitsbewegung in traditionell konservativen Regionen zu liquidieren und die Gesellschaft mit islamistischem Terror und Morden zu überziehen und einzuschüchtern. Auf dem Ticket der AKP sitzt nun der unter dem Namen Hüda Par agierende politische Flügel der Mörderbande im Parlament.

Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 sagte der damalige türkische Innenminister Süleyman Soylu im Fernsehsender Habertürk dazu: »Sie werden sehen, dass der Schritt, den Tayyip Erdoğan mit der Hüda Par unternommen hat, in einer Zeit, in der die Türkei in Bezug auf die konservative Politik im Osten und Südosten in den letzten 20 bis 30 Jahren allein agiert hat, sehr intelligent war. Es ist ein sehr starker soziologischer Schritt und Ausdruck eines großartigen Staatsgeistes.«

Was bedeutet »soziologischer Schritt« in dieser Aussage? Was erhofft sich der »Staatsgeist« von diesem Schritt? Warum wurde diese mörderische Struktur, die zuvor auf Eis gelegt worden war, von der Abteilung für Spezialkriegsführung wieder ins Spiel gebracht? Der türkische Staat hat seit seiner Gründung bis heute viele Strategien, Pläne und Projekte entwickelt, um die gesellschaftliche Struktur und Organisierung in Kurdistan zu verändern, zu stören und neue Konfliktfelder zu eröffnen. Die Äußerungen von Soylu können als ein Teil dessen angesehen werden. Um das einordnen zu können, ist ein Blick in die Geschichte dieser islamistischen JITEM-Parallelstruktur notwendig. Denn, in den 1990er Jahren ausgebildet und auf die Straße gebracht, ist die Hizbulkontra für die Ermordung von Tausenden von Kurd:innen verantwortlich. Ihr Name ist untrennbar mit der sogenannten Schweinefessel, Hackbeilen und Erschießungen verbunden.

Die historischen Ursprünge der Hizbulkontra

Bei der Hizbullah handelt es sich um einen Apparat, dessen Kader sich bis in die Jahre 1978/79 zurückverfolgen lassen. Ein weiterer Punkt ist, dass die räumliche Dimension, die topografische Perspektive, bisher in den Untersuchungen weitgehend außer Acht gelassen wurde. Wo ist diese Struktur entstanden, wo hat sie operiert, wo war sie aktiv und was sind die spezifischen Merkmale dieser Orte? Warum ist sie zum Beispiel in Farqîn (tr. Silvan) aktiv, aber nicht in Pasûr (Kulp) und Licê? Warum ist sie in Kercews (Gercüş) und nicht in Hezo (Kozluk) verortet? Auf welche Art und Weise und aus welchen Gründen hat sie ihre spezifische Gewaltpraxis entwickelt, mit der sie sich so tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat? Es ist sehr wichtig zu untersuchen, wie sie ein Klima der Mikrogewalt geschaffen hat, das das tägliche Leben fast lähmte. Diese Punkte müssen genau analysiert werden, anders wird es nicht möglich sein, die Organisation Hizbulkontra zu durchschauen und ihre aktuellen Ziele vollständig zu begreifen.

Im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg arbeiteten der türkische Staat und die NATO daran, Antikommunismus durch das Amt für Spezialkriegsführung, antikommunistische Vereine und die Nationale Union der türkischen Studenten (MTTB) zu verbreiten. Diese Tendenz bekam insbesondere in 1970er Jahren mit den wachsenden linken Kämpfen in der Türkei und Kurdistan Bedeutung. In Kurdistan wurde sie gegen die aufkommende antikolonialen Bewegung in Anschlag gebracht, um die Unruhe islamisch-konservativer Kreise in Kurdistan angesichts des Aufbruchs konterrevolutionär nutzen zu können.

Diese Situation verschärfte sich mit der türkisch-islamischen Synthese, die nach dem Staatsstreich vom 12. September 1980 dominant wurde. Diese Synthese bedeutete eine Aufgabe des vorgeblichen Laizismus und eine Verbindung zwischen politischem Islam und rassistischem türkischen Nationalismus/Turanismus. Auf internationaler Ebene, mit der Übersetzung der Bücher der Ideologen der Muslimbruderschaft (wie Hasan al-Banna, Sayyid Qutb, Said Hawwa), der Besetzung Afghanistans durch die UdSSR und die »Mudschaheddin«, die dorthin zogen, und schließlich der »islamischen Revolution« im Iran im Jahr 1979, sehen wir, dass eine auf dem politischen Islam basierende Vorstellungswelt entstanden ist, die sowohl in der Westtürkei als auch in Kurdistan in Bewegung geraten ist. Wir müssen diese Dynamik im Auge behalten, wenn wir das Entstehen der »Hizbullah« betrachten.

Gegen die kurdische Freiheitsbewegung gerichtet

Die Hizbullah wurde vom Amt für Spezialkriegsführung gegründet und von Hüseyin Durmaz Velioğlu angeführt. Velioğlu ist ein aus Êlih-Kercews (Batman-Gercüş) stammender Kurde. Er verbrachte seine Kindheit im Dorf und ließ sich nach Abschluss der Grundschule im Zentrum von Êlih nieder. In den frühen 1970er Jahren ging er nach Ankara, um an der Fakultät für Politikwissenschaften zu studieren. In seiner Kindheit und Jugend wurde er an einer Islamschule indoktriniert und trat dann der nationalistischen MTTB bei. Er hatte gleichzeitig Verbindungen zur Akıncılar-Bewegung, der Jugendorganisation der islamistisch-nationalistischen MSP von Necmettin Erbakan, dem späteren türkischen Ministerpräsidenten und politischen Ziehvater Erdoğans. Dieses islamistisch-nationalistisch geprägte Umfeld wurde prägend für ihn. Nachdem er die Prüfung für eine Verwaltungsbeamtenlaufbahn nicht bestanden hatte, kehrte er nach Êlih zurück und begann sich islamistisch weiter zu organisieren. Er wurde dabei genau vom Staat beobachtet und war selbst als V-Mann für den Staat tätig. Aufgrund seines Erfolges wurde er vom Amt für Spezialkriegsführung mit der Führung der aufzubauenden Hizbullah beauftragt. Die späten 1970er Jahre, in denen Hüseyin Velioğlu nach Êlih zurückkehrte, waren eine Zeit der wachsenden antikolonialen Politisierung der Kurd:innen. Die NATO organisierte und mobilisierte weltweit die Konterrevolution unter der Maske des Islamismus.

Hüseyin Velioğlu, der in der MTTB und den antikommunistischen Vereinigungen geschult und zu einem Agenten gemacht worden war, bekam daher nicht von ungefähr diese Mission in Kurdistan. So wurde die Hizbulkontra aufgebaut, um die kurdische Freiheitsbewegung, die sich nach den 1970er Jahren rasch entwickelte und wuchs, aufzuhalten und ihre gesellschaftliche Basis zu schwächen und zu beseitigen.

Hüseyin Velioğlu war in der nationalistischen MTTB sehr aktiv. So kandidierte er 1980 als Kandidat der MTTB bei Wahlen für die Gewerkschaft Petrol-İş in Êlih und unterlag dem Kandidaten der kurdischen Freiheitsbewegung, obwohl er von rechten Organisationen, staatlichen Institutionen und kollaborierenden lokalen Kräften unterstützt wurde. Bei den Kommunalwahlen desselben Jahres gewann Edip Solmaz, der Kandidat der kurdischen Freiheitsbewegung, das Bürgermeisteramt. Der schnell wachsende Einfluss der führenden Kader der kurdischen Freiheitsbewegung in Êlih und die Tatsache, dass sie zwei sehr wichtige Wahlen gewannen, erhöhte die Bedeutung der konterrevolutionären Aufgabe, die Velioğlu vom Amt für Spezialkriegsführung zugewiesen worden war. Der Staat betrachtete die Hizbulkontra als unverzichtbares Mittel, um die wachsende Basis der kurdischen Freiheitsbewegung in Êlih und der umliegenden Ebene zu zerstören.

In der durch den Regimewechsel im Iran 1979 geschaffenen Atmosphäre nahm Hüseyin Velioğlu Beziehungen zu den Islamschulen auf und gründete eine Organisation, deren oberstes Ziel die Errichtung eines islamischen Staates war. Laut der Urteilsbegründung im »Hizbullah-Hauptverfahren Batman«, bei dem es um 32-fachen Mord ging, reisten Hüseyin Velioğlu, Abdulaziz Tunç, Edip Gümüş, Ahmet Seyitoğlu, Ihsan Yeşilırmak, Osman Uslu, İsa Ay, Hamit Yazgan und Nusrettin Güzel, die zu den Gründern der Hizbullah gehörten, illegal in den Iran, wo sie eine Zeit lang eine politische und militärische Ausbildung erhielten, und kamen dann in die Türkei, wo sie begannen, die Grundstruktur der Hizbullah aufzubauen. Der auffälligste Name in diesem Prozess war Enver Kılıçarslan aus Farqîn. Kılıçarslan, der Mitglied des Schura-Rates, also der Führung der Hizbullah war, arbeitete lange Zeit als Iran-Verantwortlicher. Kılıçarslan, der die Verbindungen zum Iran und die Ausbildung der Hizbulkontra-Killer organisierte, lebte vier Jahre lang mit seiner Frau Cahide Kılıçarslan in der iranischen Stadt Qom (Ghom). In ihrer Aussage vor der istanbuler Anti-Terror-Abteilung gestand Cahide Kılıçarslan, dass sie regelmäßig reisten und in Qom ausgebildet wurden. Cahide Kılıçarslan sagte weiterhin, dass auch Hüseyin Velioğlu regelmäßig in den Iran reiste und dass Enver Kılıçarslan seine Besuche organisierte.

Die Hizbullah entstand 1978/79 unter dem kurdischen Namen Cemaata Ulemayên İslâmi. Der Name »Hizbullah« wurde anfangs nicht verwendet. Erst Anfang der 1990er Jahre wurde dieser Name von der Kontrastruktur, über die wir heute sprechen, übernommen. Der Name »Hizbullah« wurde zum ersten Mal nach dem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft im Istanbuler Stadtteil Şişli im Oktober 1984 als Fremdbezeichnung der Gruppe verwendet. Ihre Mitglieder wurden bei der Fahndung, die nach dem Überfall stattfand, festgenommen. Unter ihnen befand sich auch İrfan Çağrıcı, der später wegen des Mordes an Çetin Emeç, dem Chefredakteur der Zeitung Hürriyet, und anderen Intellektuellen vor Gericht gestellt wurde.

Zwei Punkte waren für die Gruppe um Velioğlu besonders entscheidend. Einerseits war es die Auseinandersetzung mit dem Menzil-Flügel. Fidan Güngör, Führer des Menzil-Flügels, war zu diesem Zeitpunkt eine viel charismatischere und mächtigere Figur als Velioğlu. Er hatte auch die besseren Beziehungen zum iranischen Regime. Velioğlu entschied sich, diese islamistischen Gruppierungen, die er als seine Rivalen ansah, zu unterwerfen oder sie mit Gewalt zu liquidieren.

Die zweite Bedrohung für das Projekt der Hizbullah war die wachsende Kraft der PKK. Einerseits nahm der bewaffnete Guerillakrieg fast monatlich an Intensität zu, andererseits begannen die erfolgreichen Aktionen der Guerilla die Menschen in den Städten zum Aufstand zu inspirieren. Tausende von Dörfern und Dutzende von Stadtteilen und Stadtzentren befanden sich nun weitgehend unter der Kontrolle der kurdischen Freiheitsbewegung. Die effektive Aktionskraft und soziale Organisierung der kurdischen Freiheitsbewegung war der konkreteste Ausdruck dafür, dass eine neue Ära für das kurdische Volk begonnen hatte. Zum ersten Mal in seiner Geschichte brachte das kurdische Volk seine Freiheitsziele mit einer nationalen Perspektive zum Ausdruck, und Tausende von kurdischen Jugendlichen zogen in die Berge und schlossen sich dem Freiheitskampf an.

Der türkische Staat versuchte, den rapide wachsenden Einfluss der kurdischen Freiheitsbewegung in den 1990er Jahren von Nordkurdistan bis weit in die Türkei hinein durch Terror und Massenmord zu brechen. Die Aufstände in Kurdistan gaben den Menschen Mut und der erfolgreiche Kampf der Guerilla brachte neue gesellschaftliche Dynamiken auf. Der türkische Staat sah sich in seiner Macht erschüttert und setzte neben den Todesschwadronen des JITEM auch die Hizbullah oder Hizbulkontra zunächst in Kurdistan, dann auch in der Türkei als Mittel des Terrors insbesondere gegen die kurdische Freiheitsbewegung ein. Dabei richteten sich die Morde, Hinrichtungen, Folterungen und Verstümmelungen vor allem gegen die wachsende soziale Basis der Freiheitsbewegung. Die Hizbulkontra versuchte mit besonders grausamen Exempeln die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.

Der türkische Staat setzte das Dorfschützersystem im Krieg gegen die PKK erstmals 1985 ein. Der türkische Staat benutzte dafür den kurdischen Jîrkî-Stamm in Elkê (tr. Beytüşşebap). Später folgte der Aufbau von sogenannten Dorfschützerstrukturen auch in Êlih (Batman). Der Habizbinî-Stamm, dem auch der Hizbullah-Führer Hüseyin Durmaz Velioğlu angehörte, war einer der ersten Stämme in Êlih, die sich als Dorfschützer rekrutieren ließen.

Regionale Schwerpunkte der Hizbulkontra

Wenn man sich regionale Verteilung der Verbrechen der Hizbullah ansieht und die Gerichtsurteile in den Hizbulkontra-Verfahren liest, kann man feststellen, dass die Hizbullah von Ende 1991 bis 1995 hauptsächlich in der Ebene im Dreieck Mêrdîn-Amed-Êlih präsent war. Eingegrenzt wird diese Region von Farqîn (Silvan) an einem Ende und am anderen Ende von Amed (Diyarbakır) und Êlih, Nisêbîn (Nusaybin) und Cizîr (Cizre), sowie Hezex (İdil).

Die Merkmale dieser Region sind sehr wichtig, um zu verdeutlichen, warum die Hizbulkontra gerade hier so massiv Gewalt entfalten konnte. Da es sich um eine Ebene handelt, gab es kaum Guerillaaktivitäten, der Aktionsradius der Guerilla war dort sehr gering. Hinzu kommen die städtischen Zentren, in denen sich die Bewohner der fast 5.000 niedergebrannten Dörfer und die Nomaden, die ihre Weiden nicht mehr betreten durften, niedergelassen hatten. In diesem Gebiet befand sich die entschlossenste Basis der kurdischen Freiheitsbewegung, die sich immer wieder in großen Serhildans (Volksaufständen), wie am 28. März 1990 in Nisêbîn, deutlich bemerkbar machte. Die Serhildans fanden hauptsächlich im Dreieck von Cizîr, Nisêbîn, Farqîn und Amed statt. Gleichzeitig schlugen hier die Todesschwadronen am brutalsten zu. Am 5. Juli 1991 wurde der kurdische Politiker Vedat Aydın in Amed festgenommen. Zwei Tage später tauchte seine verstümmelte Leiche in Maden neben einer Landstraße auf. Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand, obwohl die Täter bekannt sind.

In dieser Region lebte auch der Großteil der verbliebenen Suryoye, der ezidischen sowie armenischen Bevölkerung, also derjenigen, die den Genozid von 1915 überlebt hatten und trotz aller Schrecken versucht hatten, ihr Leben in ihrer Heimat fortzusetzen. In ihren Schulungen predigte die Hizbullah den Hass auf diese Bevölkerungsgruppen und Glaubensrichtungen. Als Rechtfertigung dienten dabei angebliche Sympathien dieser Bevölkerungsgruppen für die PKK. Gleichzeitig wurden sie als Nichtmuslime ins Visier genommen. Die erste Person, die von der Hizbullah ermordet wurde, war beispielsweise der Suryoyo Mihail Bayro in Hezex. Die zweite Person war Hüseyin Pamukçu, der Vorsteher eines ezidischen Dorfes in Êlih. Die dritte Person war Yakup Yontan, ein armenischer Zahnarzt in Qoser (Kızıltepe). In den 1990er Jahren wurden fast 60 Suryoye von Hizbulkontra oder dem JITEM ermordet, wobei die Morde bis heute offiziell »unaufgeklärt« sind.

Entführungen, Folter und Mord

Seit Anfang der 1990er Jahre bestand die Hauptstrategie des Staates darin, die zivile Organisierung der kurdischen Freiheitsbewegung in den Städten im wahrsten Sinne des Wortes zu liquidieren. In den 1990er Jahren hatte jede Organisation, die mit dem Staat zusammenarbeitete, ihre eigene Marke der Grausamkeit. So hatte der Geheimdienst der Militärpolizei (JITEM) seine Säurebrunnen und ließ die Menschen darin verschwinden. Die Methode der Hizbullah war eine andere: Wenn es sich bei der Person, die sie töten wollte, um einen Zivilisten, ein Mitglied der Miliz oder einen Politiker handelte, von dem sie annahm, dass er der PKK nahe stand, schoß man ihm mit einer Tokarew-Pistole eine einzelne Kugel in den Nacken. Wenn sie einen einfachen Zivilisten töten wollte, dessen religiöse Ansichten sie nicht teilte oder der sich gegen sie aussprach, benutzte sie Hackbeile. Wenn sie eine Frau töten wollten, deren Kleidung nicht der Scharia entsprach, warfen sie ihr Säure ins Gesicht oder prügelten sie mit Nägeln gespickten Keulen zu Tode.

Anstatt Attentate auf die Zielpersonen zu organisieren, entführten die Hizbullah diese in der Regel zuerst. In Dörfern und im Stadtzentrum von Êlih und in anderen Provinzen wurden Erdbunker unter Häusern angelegt. Die entführten Personen wurden dann in diese Bunker gebracht. Dort gab es speziell vorbereitete Halterungen, an die die entführten Personen mit Ketten gefesselt wurden. Sie kamen monatelang nicht mehr heraus. Lediglich einmal am Tag bekamen sie Brot. Während des Verhörs wurden ihre Aussagen aufgezeichnet. Diese Tonbänder sollten entsprechend der Hierarchie der Organisation bis ganz nach oben gelangen. Danach wurde entschieden, was mit der Person geschehen sollte.

Verhörte Personen starben oft an den Folgen schwerer Folter. Zu den typischen Methoden der Hizbullah gehörte die Schweinefessel. Diese grausame Methode besteht darin, den Körper unter Spannung, mit nach hinten gekrümmtem Rücken, am Hals, den Händen und den Füßen zusammenzubinden; dies führt zu furchtbaren Schmerzen bis hin zum langsamen Erstickungstod.

Anschließend wurden im Garten oder in einem anderen Teil des Hauses Gräber ausgehoben, und die Leichen wurden dort vergraben. Über die Schweinefessel wird viel geredet. Diese kam allerdings erst ab 1996 auf.

Morde »unbekannter Täter«

Die Hizbulkontra begann ihre Praxis der Morde und Entführungen in Êlih mit Menschen, die sie als »PKK-Unterstützer« bezeichnete. Ab 1992 wurden täglich, vor allem abends, Menschen in der Stadt entführt. Zwischen 1992 und 1995 waren ein wichtiger Teil der in Êlih entführten und verschwundenen Personen Religionsgelehrte. Nach einiger Zeit begann die PKK, auf diese Aktionen zu reagieren: Sie führte Aktionen in Dörfern durch, in denen die »Hizbullah« organisiert war und wo ihre Mitglieder dicht beieinander wohnten.

In vielen Moscheen der Region wurden diejenigen, die Propaganda für die Hizbullah machten, von den Gemeinden und Imamen vertrieben. Daher begann die Hizbullah die Imame anzugreifen. Die ersten Angriffe fanden 1991 in Êlih und Farqîn statt. Resul Ibak, Imam der Nur-Moschee in Êlih, Abdurrahman Akyüz, Imam der Amediye-Moschee, und Talat Turhan, Imam der Rahmet-Moschee, wurden mit Hackbeilen und Schlagstöcken angegriffen und schwer verwundet. Trotz der Angriffe verhinderten die Imame in Amed und Êlih weiterhin die Infiltration der Moscheen durch die Hizbullah. Die Hizbullah beschloss daraufhin, diese Imame zu ermorden. In Êlih, Farqîn und Amed wurden zwischen 1992 und 1995 mehr als 20 Imame und Geistliche von der Hizbulkontra innerhalb oder außerhalb von Moscheen ermordet.

Nachdem di e Hizbullah an Stärke gewonnen hatte, richtete sie sich direkt gegen die Führung der kurdischen HEP und Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Nach den bis heute ans Licht gekommen Dokumenten und den Aussagen der Täter stand auch die Ermordung des DEP-Abgeordneten Mehmet Sincar am 4. September 1993 in Êlih im Zusammenhang mit der »Hizbullah«. Auch viele Journalist:innen wurden ermordet. Der Journalist Halit Güngen wurde am 18. Februar 1992 mit einem Kopfschuss getötet. Die Organisation hatte es vor allem auf die Zeitung Özgür Gündem und ihre Nachfolgezeitungen und -magazine abgesehen. Im Jahr 1992 wurden der Yeni-Ülke-Reporter Cengiz Altun sowie die Özgür-Gündem-Reporter Hafız Akdemir, Yahya Orhan und Çetin Ababay von der Hizbulkontra ermordet.

Neben freiheitsorientierten Kurd:innen wurden auch diejenigen, die sich der von Hizbulkontra verordneten religiösen Scharia widersetzten, ins Visier genommen. Dabei wurde nicht nur durch die grausame Art der Ermordungen Angst verbreitet. Es wurden Drohanrufe getätigt, Häuser markiert und Gerüchte über angebliche Todeslisten mit den Namen der betreffenden Personen verbreitet. Gleichzeitig wurden die Menschen auf auffällige Art und Weise beobachtet und so die Drohkulisse noch weiter verstärkt.

Die Hizbullah-Morde nach 1995

Der Hauptschauplatz der Gewalt der Hizbulkontra war bis 1995 das beschriebene geografische Dreieck in Kurdistan. Die Hizbullah befand sich, angeheizt durch das Klima der Angst und der Unterdrückung, das sie im kurdischen Volk durch die Gräuel geschaffen hatte, die sie mit Unterstützung des Staates verübte, im Siegesrausch. Zwischen 1996 und 1999 wurden aber bei Operationen in Amed, Êlih und Mêrdîn fast tausend Menschen im Zusammenhang mit der Hizbullah verhaftet. Unter diesem Druck verlagerte sie ihre Aktivitäten zunächst nach Mersin, Dîlok (Antep) und Konya und dann nach Istanbul, Bursa, Düzce und Kocaeli.

Konca Kuriş, eine der führenden Persönlichkeiten des muslimischen, feministischen Frauenaktivismus, wurde von der Hizbullah zu Tode gefoltert. Kuriş war gegen die Vielehe eingetreten und hatte erklärt, es gebe kein Kopftuchzwang für Muslimas. Sie war am 16. Juli 1998 von Hizbulkontra-Mitgliedern in Mersin entführt worden. 555 Tage nach ihrer Entführung wurde sie tot im Keller eines Hauses der Hizbulkontra in Konya aufgefunden. An ihrer Leiche wurde festgestellt, dass sie über einen Monat gefoltert worden war und mit der Schweinefessel getötet wurde. Bei der Operation gegen Velioğlu in der Villa in Beykoz wurden ihre Verhörprotokolle und ihr Reisepass beschlagnahmt. Eines der wichtigsten sichergestellten Dokumente ist die Information, dass Konca Kuriş in einer Zusammenarbeit der Hizbullah und dem JITEM-Killer Yeşil entführt wurde. Bei forensischen Grabungen in einem Mordhaus der Hizbullah wurden vier weitere Leichen gefunden. Um eine Ausbreitung des Leichengeruchs zu verhindern, hatten die Hizbullah Mitglieder immer wieder Diesel im Keller ausgegossen. In Beykoz, wo sich die gesamte Hizbulkontra-Führung befunden hatte, wurden auch Videoaufnahmen von den Folterungen an Konca Kuriş sichergestellt.

Der Polizeichef von Diyarbakir, Gaffar Okkan, geriet ins Visier der Hizbullah, nachdem er die Operationen gegen die Organisation in der Region intensiviert hatte. Am 24. Januar 2001 wurde zunächst eine Granate auf Okkans Dienstwagen geworfen, dann nahmen ihn 18 oder 19 Personen ins Kreuzfeuer. Zusammen mit Okkan wurden fünf Polizisten getötet. Nach dem Attentat wurde ein Haftbefehl gegen 26 Personen erlassen, die als Mitglieder der Hizbullah bezeichnet wurden. Einige von ihnen wurden verhaftet, aber ihre Prozesse zogen sich über Jahre hin. Alle Verurteilten kamen mittlerweile frei.

Der prominenteste Name im Zusammenhang mit der Ermordung von Gaffar Okkan war Mehmet Beşir Varol, ein Mitglied des Schura-Rates der Hizbullah. Er stammte aus Êlih-Qûbîn (Batman-Beşiri). Varol wurde verhaftet, weil er den Anschlag organisiert und angeordnet hatte. Die Anwälte von Varol und aller inhaftierten Schützen waren der Mustazaf-Der-Vorsitzende und Hüda-Par-Gründer Hüseyin Yılmaz und der derzeitige Vorsitzende von Hüda Par, Zekeriya Yapıcıoğlu. Bei den anschließenden Operationen gegen die Hizbulkontra wurden fünf Kalaschnikows und eine Makarov-Waffe beschlagnahmt, die nachweislich bei der Ermordung von Gaffar Okkan verwendet worden waren. Bei der gleichen Operation wurden die Hizbulkontra-Killer Mehmet Fidancı, Bedran Selamboğa, Veysi Şanlı, Servet Yoldaş, Suat Çetin und Şener Dönük lebend gefangen genommen und Hasan Sarıaağaç getötet. Die gefangenen Schützen gaben in ihren Verhören an, dass die Anweisung und Organisation des Anschlags vom Hizbulkontra-Führer Mehmet Beşir Varol gegeben wurde, der immer noch im Stadtteil Batman Kültür lebt. Varol, der Mitglied in der im ganzen Land vertretenen islamistischen Schulungsinstitution Ittihadul Ulema ist, der derzeit die führenden Kader von Hizbulkontra angehören, war lange Zeit auch Mitglied des allgemeinen Beirats der Hüda Par. Zuletzt wurde er gesehen, wie er während eines Gebetsmarsches in Êlih zu Kindern in der Moschee sprach.