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KR 235 | Oktober-Dezember 2024

Das Iraq Development Road Project

  • Oktober 10, 2024
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Hintergründe und Auswirkungen einer geplanten Wirtschaftsroute Das Iraq Development Road Project Emily Korczak, freie Journalistin   Die Regierungen der Türkei und des Iraks haben dieses Jahr Planung und

Hintergründe und Auswirkungen einer geplanten Wirtschaftsroute

Das Iraq Development Road Project

Emily Korczak, freie Journalistin

 

Die Regierungen der Türkei und des Iraks haben dieses Jahr Planung und Bau einer neuen Handelsroute in Süd-Nord-Richtung quer durch den Irak bekannt gegeben. Der Artikel beleuchtet die Interessen der jeweiligen Regierungen und die absehbaren enormen Auswirkungen, die der Bau der Iraq Development Road haben wird und zum Teil auch schon hat.

Am 22. April 2024 landet die Maschine des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf dem internationalen Flughafen in Bagdad. Es ist das erste Mal seit 13 Jahren, dass das türkische Staatsoberhaupt zu Gesprächen in die irakische Hauptstadt reist. Am Ende der Gespräche sind zahlreiche neue Abkommen unterzeichnet. Es scheint, als habe eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten begonnen. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen Fragen der Sicherheit, Wasser- und Landwirtschaft, Energie und – möglicherweise der wichtigste Punkt in den Gesprächen zwischen Erdoğan und seinem irakischen Amtskollegen Mohammed Shia’ al-Sudani – das Iraq Development Road Project, eine neue Handelsroute, die zur Stabilisation und zu Wohlstand nicht nur für den Irak, sondern für die ganze Region führen soll.

Seitdem es Handels- und Energierouten gibt, waren sie auch Mittel der geopolitischen Einflussnahme. Es liegt also nahe, dass das als »neue Seidenstraße« angepriesene Projekt, hauptsächlich vom türkischen Präsidenten Erdoğan initiiert, nicht nur der besseren Anbindung und Eröffnung der Strecke zwischen dem Fernen Osten und Europa dient, sondern darüber hinaus auch den geostrategischen Zielen der beteiligten Akteure dienen soll.

Besonders für die Türkei, die seit Jahren ihren Einfluss auf den Irak ausweitet und unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung immer weiter auf irakisches Staatsgebiet vordringt, scheint die Iraq Development Road (IDR) ein Mittel zu sein, um die eigene regionale Macht weiter auszubauen und den seit Jahrzehnten andauernden Krieg gegen kurdische Gebiete auf eine neue Ebene zu heben.

Schienen- und Straßennetze quer durch den Irak

Neben der Türkei und dem Irak haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar ihre Beteiligung an der Iraq Development Road, auch als Dry Canal bezeichnet, bekanntgegeben. Das 17 Milliarden Dollar Projekt umfasst die Errichtung eines Hafens im Süden des Landes sowie den Ausbau von Schienen- und Straßennetzen im Umfang von etwa 1200 km.

Der Al-Faw Grand Port, erstmals 2010 angekündigt als »wirtschaftliche Brücke, die den Irak mit der Welt verbindet«, soll einer der größten Häfen der Welt und der größte des Nahen Ostens werden. Von dort aus sollen die Ladungen umgeladen und mittels Eisenbahn weiter in Richtung Europa transportiert werden. Die geplante doppelte Eisenbahnlinie soll sowohl Personen- als auch Güterzüge führen, die Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h erreichen – das 6-fache von der Geschwindigkeit, mit der Züge im Irak bislang verkehren.

Die Strecke, die einmal quer durch den Irak führen und anschließend die türkische Grenze passieren soll, wird als direkteste und damit schnellste Verbindung des Persischen Golfes mit den europäischen Staaten angesehen. Der Irak wäre ­damit ein zentraler Knotenpunkt, welcher den Handel zwischen ­Asien und Europa erleichtert und dabei Ost und West miteinander verbindet. Zusätzlich zu den Eisenbahnschienen umfasst der geplante Transportkorridor den Ausbau einer 1190 km langen Straße für Lastkraftwagen sowie, jenseits der türkischen Grenze, die Anbindung an das türkische Eisenbahn- und Autobahnnetz.

Die Güterzüge sollen bis zum Jahr 2050 eine Transportkapa­zität von bis zu 40 Millionen Tonnen Fracht erreichen. Doch die Planungen gehen über ein reines Gütertransportnetz hinaus. Die »Entwicklungsstraße« verspricht Fortschritt und Modernisierung in allen Bereichen. Als Projekt, das den Irak mit den internationalen Märkten verbinden und die wirtschaftliche Isolation, unter der das Land seit Jahrzehnten leidet, überwinden wird, werde die geplante Infrastruktur nicht nur den Handel erleichtern, sondern auch Millionen von Arbeitsplätzen schaffen und die Lebensqualität der Bürger:innen des Iraks erheblich verbessern, so die Erklärung des irakischen Transportministeriums.

Im Mai dieses Jahres wurden als Parallelprojekte entlang der Transportstraßen Öl- und Gaspipelines sowie Stromleitungen und Trassen für Glasfaserkabel diskutiert.

Entlang der Strecke, die von Basra im Süden des Iraks über Bagdad und anschließend über Mûsil (Mosul) und Kerkûk im Norden des Iraks zur türkischen Grenze und von dort aus weiter Richtung Europa führen soll, sieht das Projekt außerdem den Bau von bis zu 15 neuen Bahnhöfen vor. Der geplante Hochgeschwindigkeitszug soll nach der Inbetriebnahme 13,8 Millionen Passagiere pro Jahr befördern, welche sich entlang der Strecke an den geplanten Hotels, Einkaufszentren und Touristenattraktionen erfreuen können.

Die Erwartungen an die Iraq Development Road als »wirtschaftliche Lebensader«, die den Irak zu einem wichtigen Handels- und Logistikzentrum zwischen Asien und Europa machen soll, sind sehr hoch.

Trotz seines Reichtums an Bodenschätzen zählt der Irak zu einem der am höchsten verschuldeten Länder der Welt. Sein nur knapp 58 km schmaler Zugang zum Wasser schränkt die Fähigkeit des Iraks, sein wichtigstes Exportgut – das Öl – effizient und sicher auf den Weltmarkt zu bringen, extrem ein und macht ihn abhängig von den Häfen und Pipelines anderer Länder. Diese Abhängigkeit soll mit dem Bau des Al-Faw Grand Port überwunden werden. Neben einer besseren Anbindung sollen durch den Hafen bis zu 150.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In Anbetracht der im Irak weit verbreiteten Korruption, die solche Projekte in der Vergangenheit immer wieder behindert hat, stellt sich allerdings die Frage, ob die angekündigten Arbeitsplätze tatsächlich der lokalen Bevölkerung zugutekommen würden.

Motive der irakischen Regierung

Die politische und wirtschaftliche Situation im Irak, geprägt von einer geringen Anbindung an die Weltwirtschaft, einer hohen Arbeitslosigkeit, weit verbreiteter Korruption und den sich zuspitzenden ökologischen Herausforderungen, bedeutet für das Land eine Instabilität, die es wiederum anfällig macht für die Einflussnahme anderer Länder und Akteure. Hinzu kommen die angespannte Sicherheitslage und die zahlreichen Konflikte, die verschiedenste Akteure auf irakischem Staatsgebiet austragen.

Zu diesen Akteuren zählt neben dem mächtigen Nachbarn Iran insbesondere die Türkei, welche seit Jahrzehnten ihren militärischen und wirtschaftlichen Einfluss auf das Land ausweitet, sei es mit Wasserprojekten wie dem Bau von Staudämmen, mit Infrastrukturprojekten oder mit militärischen Operationen.

In dem Iraq Development Road Project sieht der Irak eine Chance, die eigene geopolitische Position zu verbessern und eine Grundlage für Verhandlungen vor allem mit der Türkei zu schaffen.

Dass die Türkei in diesen Verhandlungen, in denen es von Seiten des Iraks wohl primär um den Zugang zu Wasser aus den von der Türkei kontrollierten Flüssen Euphrat und Tigris geht, am längeren Hebel sitzt, ist ihr durchaus bewusst. Und so sieht sie in der intensivierten Beziehung zu Bagdad im Kontext der IDR vor allem eine Gelegenheit, ihre eigenen Ziele zu verwirklichen.

Geopolitik aus türkischer Perspektive

Als Land zwischen zwei Kontinenten war es immer Ziel der Türkei, die wirtschaftliche Brücke zu schlagen zwischen den Ländern Europas und des Nahen Ostens, und damit Knotenpunkt zu sein für den Handel zwischen Ost und West. Durch ihre geografische Lage und Gegebenheiten hat die Türkei Zugang zu und Kontrolle über Schlüsselregionen und bedeutende Ressourcen. Dazu zählen insbesondere die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus, welche den einzigen Zugang des Schwarzen Meeres zur offenen See darstellen.

Die Bedeutung des Schwarzen Meeres, welches den Mittelmeerraum mit dem europäischen und asiatischen Binnenland verbindet, ist insbesondere im Kontext des Russland-Ukraine-Krieges erneut deutlich geworden. Mit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Sanktionen gehen für Russland Schwierigkeiten einher, seine Exporte über das Schwarze Meer im gleichen Umfang fortzusetzen wie zuvor.

Für die Türkei ergibt sich hier eine Möglichkeit, diese Lücke zu füllen, und ihre Position als zentraler Handels- und Logistikdrehpunkt zu stärken. Ohne die Türkei werde es keinen internationalen Handelskorridor geben – darauf hat der türkische Präsident in den letzten Monaten immer wieder hingewiesen.

Die Ankündigung des Iraq Development Road Project kann als Antwort verstanden werden auf diejenigen Projekte, die versuchen, die Türkei in ihrer Route zu umgehen. Zu nennen ist hier insbesondere der India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEEC, deutsch: Wirtschaftskorridor Indien-Nahost-Europa, auch IMEC abgekürzt), der im September 2023 als neue Handelsroute zwischen Indien, dem Mittleren Osten und Europa angekündigt wurde. Diese Route umgeht die Türkei vollständig und führt stattdessen über die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Jordanien und Israel als Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Das Interesse der Initiatoren der Route daran, die Türkei zu umgehen, liegt vor allem begründet in der Unsicherheit, die eine türkische Beteiligung für die anderen Länder darstellt. Das Verhalten der Türkei, die selbst NATO-Mitglied ist, war in der Vergangenheit vor allen Dingen von einer anti-westlichen Haltung bestimmt. Diese macht sie für den Westen zu einem unberechenbaren Partner, welcher statt im Interesse des NATO-Bündnisses zu handeln, viel eher die eigene Position als Hebel nutzt, um nationale Interessen durchzusetzen und regional sowie international Macht auszubauen. Aus diesem Grund hat die Türkei als einziger NATO-Staat keine Sanktionen gegen Russland verhängt und sich stattdessen als Vermittler präsentiert.

Die Türkei ist außerdem derjenige Staat des NATO-Bündnisses, der sich am längsten gegen den Beitritt Schwedens und Finnlands gewehrt hat. Ein Beitritt war letztlich erst nach Erfüllung der Forderungen der Türkei, wie der verstärkten gemeinsamen »Terrorbekämpfung«, konkret der Einstufung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrororganisation, möglich, was für die Türkei in ihrem Krieg gegen die kurdische Organisation ein wichtiges Zugeständnis war.

So wie die Iraq Development Road als Antwort der Türkei auf den IMEC verstanden werden kann, ist auch dieser selbst eine Reaktion auf andere geplante Transportrouten. Denn was die Umsetzung des IMEC vor allem antreibt, ist die Sorge vor einer zu großen Einflussnahme durch China auf den globalen Handel.

In Konkurrenz zur »Neuen Seidenstraße«

China hat selbst im Jahr 2013 die Belt and Road Initiative (BRI oder B&R), in China als »One Belt, One Road« oder auch als »Neue Seidenstraße« bezeichnet, ins Leben gerufen. Diese ist mit einer Beteiligung von mehr als 150 Ländern und internationalen Organisationen wohl eine der ambitioniertesten Handelsstraßen.

Neben umfassenden Landstraßen sieht sie eine maritime Route vor, die über den Suezkanal führen und so den Handel zwischen Asien und Europa sicherstellen soll. Die Route über den Suezkanal, die lange als der zentrale und bewährteste Handelsweg galt, zeigt gerade in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen um den Krieg in Palästina sowie der verstärkten Präsenz der Huthi-Rebellen in der Region einige Schwächen. Verzögerungen bei den Lieferungen, erhöhte Kosten sowie Sicherheitsbedenken aufgrund von potentiellen Angriffen durch die Huthi-Rebellen haben dazu geführt, dass Stimmen nach einer Alternative laut wurden, besonders nachdem die kurzzeitige Blockade des Kanals im März 2021 zu Schäden in Milliardenhöhe geführt hatte.

Schätzungen zufolge wird die Iraq Development Road, die auf direktem Weg durch den Irak führt und nicht auf den Umweg über den Suezkanal angewiesen ist, die Transportzeit erheblich verkürzen können. Während sowohl für den IMEC als auch für die BRI Transportzeiten zwischen 10-20 Tagen angegeben werden, sollen mit der IDR Lieferungen innerhalb von 5-10 Tagen möglich sein. Diese Zeiteinsparungen, der direkte Zugang zu Ölressourcen sowie die Umgehung von China könnten die IDR zu einer interessanten Alternative für umliegende Staaten und Partner im Westen machen.

Ob Chinas geopolitische Position durch den IMEC oder die IDR wirklich herausgefordert werden wird, bleibt abzuwarten; außer Frage steht jedoch, dass die Umsetzung der IDR für die Türkei mit einer Stärkung ihrer Position und Stellung als Regionalmacht einhergeht.

»Sicherheitspolitik« der Türkei im Irak

In den Verhandlungen, die Erdoğan und weitere türkische Staatsvertreter bei ihren Besuchen im Irak geführt haben, sind die Bestrebungen der Türkei dahingehend mehr als deutlich geworden. Ein wichtiger Aspekt der Gespräche waren Fragen der Sicherheit und Terrorismusbekämpfung. Wenn Erdoğan von sicherheitsrelevanten Fragen spricht, ist damit ganz konkret die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gemeint, gegen die die Türkei seit Jahrzehnten einen mal mehr, mal weniger intensiven Krieg führt. Nachdem die Guerilla sich in den späten 1990er Jahren aus den Bergen in Nordkurdistan (türkisches Staatsgebiet) weitgehend zurückgezogen hat und seitdem vor allem in Südkurdistan (auf irakischem Staatsgebiet) operiert, richten sich die Angriffe des türkischen Staates heute vor allem gegen diese Gebiete. Die Regionen rund um das Qendîl-Gebirge, nahe der irakisch-iranischen Grenze, wo das Hauptquartier der PKK vermutet wird, sind insbesondere Ziel der Operationen der Türkei.

Entgegen der Behauptungen der Türkei, hier gezielt gegen »Terroristen« vorzugehen, richten sich die Angriffe keineswegs ausschließlich gegen die Guerilla, sondern treffen genauso Zivilist:innen, zerstören Dörfer und Felder und damit die Lebensgrundlage tausender Menschen.

Seit Beginn der jüngsten Offensive im Juni dieses Jahres sind über 6800 Hektar Feld verbrannt worden, Dörfer wurden entvölkert, Familien vertrieben. Gleichzeitig werden neue militärische Stützpunkte errichtet, Straßensperren aufgestellt. Die Intensivierung der Angriffe und Errichtung von militärischer Infrastruktur stellen eine neue Eskalation des Krieges dar, die im Kontext des Iraq Development Road Project betrachtet werden sollte: Die Route, die durch den Irak verlaufen soll, dient der Türkei als Vorwand, sich entlang ihrer Schienen und in ihrem Umfeld militärisch weiter auszubreiten.

Obwohl die Gebiete, in denen sich die Guerilla aufhält, 30 km von den Routenknotenpunkten entfernt verlaufen und sie nicht tangieren, dient die reine Anwesenheit der PKK in diesem Gebiet als Legitimationsgrundlage sie anzugreifen – »zum Wohle der Sicherheit der Route«. Denn der Schutz von Handelsrouten vor potentiellen Störungen von außen ist eine der höchsten Prioritäten der Beteiligten. Das gilt insbesondere, da der Irak für das Projekt auf Sponsoren angewiesen ist, die wenig Kulanz gegenüber Problemen und Verzögerungen im Verlauf der Route zeigen würden.

Obwohl es sich um irakisches Staatsgebiet handelt, führt die Türkei seit jeher Angriffe auf diese Gebiete durch. Während der Irak diese Angriffe, die eine Verletzung seiner staatlichen Souveränität darstellen, bislang zumindest formal kritisierte und die Türkei aufforderte, sie zu unterlassen, sind diese Forderungen seit dem Beschluss des IDRP verdächtig leise geworden.

Stattdessen stuft der irakische Premierminister M. Shia’ al-Sudani kurz nach dem Besuch von Erdoğan in Bagdad die PKK als Terrororganisation ein – ein Schritt, der von Ankara lange Zeit gefordert wurde und nun begrüßt wird. Es ist ein Schritt in Erdoğans Plan, die PKK zu einem Problem zu erklären, welches nicht nur die Türkei betrifft, sondern für alle umliegenden Staaten relevant sei. Durch das Verbot der Partei wird eine Legitimationsgrundlage für die türkischen Operationen geschaffen – die Angriffe finden dadurch auf der Grundlage der Selbstverteidigung und im gemeinsamen Interesse der Sicherung der Route statt. Auf diese Legitimation von Seiten des Iraks ist die Türkei angewiesen, gerade in Anbetracht ihrer Ankündigung, die PKK im Sommer dieses Jahres endgültig zu besiegen.

Die Perspektive der PDK

Um die Unterstützung von Seiten der Autonomen Region Kurdistan (Herêma Kurdistan, ARK) muss der türkische Staat sich wohl kaum Sorgen machen, erfolgen die Angriffe doch mit Unterstützung und unter Mitwirkung der in der Region regierenden Demokratischen Partei Kurdistans1, die enge wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei pflegt.

Das weitere Vordringen der Türkei in die Autonome Region Kurdistans sowie auf irakisches Staatsgebiet geschieht mit Billigung der PDK. Die Errichtung von über 70 militärischen Stützpunkten und eigenen Kontrollpunkten sowie die Invasion und Verlegung von logistischer Infrastruktur einige Kilometer in den Irak hinein, legen nahe, dass es sich nicht um eine kurzfristige Militäroperation handelt. Stattdessen sind diese Entwicklungen, wie auch die Ankündigung der Errichtung eines »Sicherheitskorridors« entlang der Grenze, eindeutig als Teil der neo-osmanischen Bestrebungen der Türkei zu verstehen.

Während die ARK ein großes Interesse daran hat, an der IDR beteiligt zu sein und in den Anfängen der Planung der Verlauf der Route über Hewlêr (Erbil) zur Diskussion stand, ist das von Barzanî regierte Gebiet in den derzeitigen Planungen der Route nicht inbegriffen. Die Türkei, die zwar von der Unterstützung der PDK im Krieg gegen die PKK profitiert, hat sich in den letzten Jahren mehr von Hewlêr ab- und Bagdad zugewandt. Die Beziehung zwischen der irakischen Zentralregierung und der ARK ist spätestens seit dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 äußerst angespannt.

In dem Bestreben, sich nicht von der ARK abhängig zu machen, umgeht die geplante Route des IDRP die Region und verläuft stattdessen komplett durch irakisches Gebiet.

Kontext Wasserpolitik

Beginnend am Hafen von Basra, dem Al Maqal Port, soll der Bau der Route mit einer Modernisierung und Aufwertung aller Städte und Ortschaften, die sie passiert, einhergehen und Fortschritt und Entwicklung für die irakische Bevölkerung bringen.

Eine nähere Betrachtung der Orte, durch die die Strecke verlaufen soll, zeigt, dass neben dem Wohlergehen der Bürger wohl auch andere Interessen eine wesentliche Rolle spielen. Basra im Süden des Iraks, die drittgrößte Stadt des Landes und Standort des größten Hafens, ist geprägt von den Machtansprüchen sowohl des Iran als auch des Iraks, die sich die Grenze der Stadt teilen. Durch die Wasserpolitik des Iran und der Türkei, die durch den Bau von Dämmen bestimmt wird und zu schwerwiegenden Umweltproblemen führt, befindet sich die Stadt seit Jahren in einer Krise.

Mit der IDR geht für den Irak die Hoffnung einher, dass die Türkei, die den größten Teil des Wassers kontrolliert, den Wasserzufluss steigern und so zur Lösung der Wasserkrise beitragen wird.

Basra ist ein Beispiel dafür, wie die Türkei die Natur nutzt, um Druck auf ihre Verhandlungspartner auszuüben.

Durch ihre Lage flussaufwärts an Tigris und Euphrat haben sowohl die Türkei als auch der Iran die Möglichkeit, den Wasserzufluss zum Irak zu beeinflussen, was beide Länder in der Vergangenheit in Konfliktsituationen immer wieder getan haben, so beispielsweise mit der Errichtung des Atatürk-Staudammes am Euphrat. Dies war ein Staudammprojekt der Türkei in den 1990er Jahren, das für den Irak Wassermangel, Dürre sowie ernste sozioökonomische Schwierigkeiten zur Folge hatte, von denen er sich bis heute nicht erholt hat. Die Angst vor solchen Schwierigkeiten ist es wohl, die zu einer Offenheit des Iraks gegenüber den Forderungen der Türkei beiträgt.

Eingebettet ins neo-osmanische Projekt der türkischen Regierung

Ein strategischer Punkt, den die »Entwicklungsstraße« passieren soll, ist die kurdische Stadt Mûsil (Mosul), auf die sowohl die Türkei, als auch der Irak und die ARK Anspruch erheben. Als eine der größten Städte mit Nähe zu bedeutenden Ressourcen ist sie auch historisch immer von strategischer Bedeutung gewesen. So war Mûsil bereits eine Station der Bagdadbahn, die als ein Projekt des 20. Jahrhunderts im ehemaligen osmanischen Reich von Konya (heute in der Türkei) nach Bagdad (heute im Irak) führte und dabei auf die engere Verbindung von Europa und dem Osmanischen Reich, zu dem Mûsil damals gehörte, abzielte.

Gerade wegen seiner zentralen Rolle im Osmanischen Reich ist der Türkei die Frage der Kontrolle über Mûsil sehr wichtig. Nachdem sie die Stadt im Zuge des Zerfalls des Osmanischen Reiches an den Irak verloren hatte, hat die Türkei ihren Anspruch nie ganz aufgegeben und versucht bis heute, ihren Einfluss dort geltend zu machen.

Der hohe Anteil an Turkmen:innen in der Bevölkerung, die die Türkei dem angestrebten neo-osmanischen Reich als selbstverständlich zugehörig ansieht, gilt ihr im Irak wie auch in Syrien als Vorwand sich in diesen Gebieten auszubreiten. Sie stellt sich als Schutzmacht der turkmenischen Bevölkerung dar und nimmt durch ihren Einfluss auf diesen nicht zu unterschätzenden Anteil der Gesamtbevölkerung auch Einfluss auf die lokale Politik der Länder. Ganz im Sinne von Mustafa Kemal Atatürk, der bereits vor 100 Jahren Mûsil und Kerkûk als die Nationalgrenze der Türkei benannt hatte, breitet sich die von der türkischen AKP/MHP-Regierung vertretene Ideologie so immer weiter aus.

Die Vernichtung Kurdistans als Ziel der türkischen Politik

Die kurdische Freiheitsbewegung und konkret die PKK ist der Türkei dabei ein Dorn im Auge, hat sie doch insbesondere mit der Revolution in Rojava ein anschauliches Beispiel dafür geschaffen, wie Menschen verschiedener Kulturen und Religionen in Frieden miteinander leben können. Und so führt die Türkei seit Jahrzehnten einen erbitterten Krieg gegen alles, was in ihren Augen mit der PKK in Verbindung steht. Einen Krieg gegen alles, was sich weigert, sich ihrer Logik zu beugen, sich einzugliedern in die Ideologie von »ein Staat, eine Religion, eine Sprache«.

Obwohl explizit als Kampf gegen die PKK ausgegeben, richtet sich der Krieg, den die Türkei führt, keineswegs ausschließlich gegen die kurdische Guerilla. Auch wenn im Falle der IDR die relative geografische Nähe unter dem Vorwand des Schutzes der geplanten Route als Legitimation für die Angriffe auf die PKK gilt, zeigen die sonstige Politik der Türkei und Projekte aus der Vergangenheit deutlich, dass es sich um einen Krieg handelt, der die Vernichtung Kurdistans zum Ziel hat.

Ein Krieg, der auch vor den Grenzen der Natur keinen Halt macht. Jahrzehntelange Machtkämpfe, die vor allen Dingen auf dem Rücken der Natur ausgetragen wurden, haben ihren Fußabdruck hinterlassen. Die Flusspegel des Tigris und des Euphrat sind in den letzten Jahrzehnten stark gesunken. Diese Flüsse, die historisch die Wiege der Zivilisation in Mesopotamien bewässerten, haben durch die umfangreiche Staudamm-Politik der Türkei und des Iran erheblich an Wassermenge eingebüßt.

Die Unberechenbarkeit der Türkei lässt darauf schließen, dass sie auch bei zukünftigen Projekten den Wasserzufluss zum Irak beschränken wird, sollte ihr das Verhalten des Nachbarn nicht passen.

Wie bei allen Infrastrukturprojekten, die in erster Linie das Ziel der Profitmaximierung und der geopolitischen Einflussnahme haben, bleibt wenig Raum für Rücksicht auf den Schutz der Umwelt.

Der Bau des Al-Faw Grand Port, die Baumaßnahmen quer durch das Land sowie der anschließende Transport von Gütern in höchstem Umfang werden für die Natur des Landes kaum eine positive Entwicklung bedeuten, sondern viel eher mit der Zerstörung natürlicher Reservate, dem Trockenlegen von Sümpfen und Feuchtgebieten und damit verbundenem Artensterben einhergehen.

Gerade mit dem Fortschreiten der Klimakrise, welche Wasserknappheit und Dürre noch befeuert, sowie mit den sozioökonomischen Folgen, die mit dem Wassermangel einhergehen, wäre jetzt der Zeitpunkt für einen Richtungswechsel hin zu einer Politik, die auf eine ganzheitliche Betrachtung setzt, statt im Austausch für Gewinnmaximierung und eine Verbesserung der eigenen geopolitischen Position einen Ökozid in Kauf zu nehmen.

Die ursprüngliche Bezeichnung der Irak Development Road – Dry Canal – trifft als Beschreibung auf das, was das Projekt für die Umwelt bedeuten wird, wohl am besten zu, tragen das Projekt und die geopolitischen Folgen, die es mit sich ziehen wird, doch dazu bei, dass das Land, das einst für den fruchtbarsten Boden bekannt war, immer weiter austrocknen wird.

Wessen Interessen und Entwicklung?

Die Hoffnungen waren groß, als Erdoğan am 22. April dieses Jahres das erste Mal seit 13 Jahren einen Fuß auf irakischen Boden setzte. Es schien eine Chance zu sein für den Irak, eine Chance, um seine marginalisierte Position zu verbessern, dem Namen der Entwicklungsstraße Rechnung zu tragen und unabhängiger zu werden von den Kräften, die ein so großes Interesse an seinen Ressourcen haben. Dafür, so scheint es, ist der Irak gerne bereit, den Forderungen der Türkei entgegenzukommen, die an der Entwicklungsstraße das vielleicht größte Interesse hat.

Für sie ist die IDR ein Werkzeug, um sich in einer politischen Phase, in der die Rollen neu verteilt werden, in die Position des unumgänglichen Mittelsmannes zu begeben und zu zeigen, dass an ihr kein Weg vorbeiführt.

Es gelingt der Türkei, ihre Interessen auch zu den Interessen der umliegenden Staaten, allen voran des Iraks, zu machen. Mit dem Bau einer Handelsroute, von der nicht nur der Irak und die Türkei, sondern natürlich auch andere Länder weltweit profitieren können, häuft sie mehr und mehr Macht an. Diese Macht sowie zahlreiche Druckmittel gegen ihre Nachbarn sind für die Türkei notwendig, hat sie doch große Pläne für den Nahen Osten.

Die Iraq Development Road und die damit einhergehenden verbesserten Beziehungen zum Irak, der Krieg gegen die PKK und die Bestrebungen des neo-osmanischen Reichs können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Sie alle sind Zeichen des stetigen Bestrebens der Türkei, ihre regionale Macht auszubauen und zu sichern. Sie alle sind Belege dafür, wie der Irak sich um den Preis des wirtschaftlichen Fortschrittes und mehr Einflussnahme von der Türkei instrumentalisieren lässt und in Kauf nimmt, dass seine staatliche Souveränität jeden Tag aufs Neue in Frage gestellt, seine Umwelt zerstört und den Menschen die Grundlage zum Leben genommen wird.

Es lohnt sich die Frage zu stellen, an wen sich das Versprechen von Entwicklung im Namen der IDR richtet. Und gerade heute lohnt es sich zu fragen, welchen Preis wir bereit sind für diese Entwicklung zu zahlen.

 Fußnote

1 PDK – Partiya Demokrata Kurdistanê, Demokratische Partei Kurdistans, auf Deutsch häufig KDP abgekürzt; seit 1979 unter der Führung von Mesûd Barzanî.


 Kurdistan Report 235 | Oktober-Dezember 2024