Eine Analyse der politischen Strategien

Die Kehrtwendungen der Türkei

Resul Solgün, Kolumnist

Nach der »One-Minute-Krise« vom Davos-Gipfel am 29. Januar 2009 und der Blaue-Marmara-Krise vom 31. Mai 2010, als das Schiff Marmara, das die Gaza-Blockade durchbrechen sollte, angegriffen worden war, hatte die Türkei ihre Beziehungen zu Israel abgebrochen und für deren Normalisierung drei Bedingungen gestellt: Israel sollte sich für den Angriff entschuldigen, Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen der Opfer zahlen sowie die Gaza-Blockade beenden.

Am 17. Dezember 2010 hatte Mohamed Bouazizi mit seiner Selbstverbrennung den so genannten »arabischen Frühling« in Gang gesetzt und den Beginn einer neuen Phase eingeleitet. Mit den Aufständen in Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, die die gesamte arabische Region beeinflusste. Der blutigste Teil dieser Phase wurde in Syrien durchlebt.

In dem seit dem Skyes-Picot-Abkommen laufenden Prozess mussten repressive Staatsoberhäupter und Regierungen zurücktreten, in nationalistischen Staaten, die mit der Etablierung des Kapitalismus im Mittleren Osten entstanden waren, wurden sie von neuen Regierungen im Namen des »gemäßigten Islam« abgelöst. Tunesien, Ägypten und Libyen sind einige Beispiele. Die von bonapartistisch-nationalistisch-säkularen Regierungen unterdrückte und seit Jahren ignorierte Ideologie der Muslimbrüder stieg wie aus der Büchse der Pandora an die Oberfläche und wurde gar mit dem arabischen Frühling im gesamten Mittleren Osten zur Regierungsmacht, in Tunesien mit Al-Nahda, in Ägypten mit Ikhvan und in Libyen mit der nationalen Übergangsregierung, ebenso in Marokko.

Eine andere Version des arabischen Frühlings haben wir in der Phase der Ergenekon-Verfahren in der Türkei erlebt. Mit der Ergenekon-Operation und dem Sturz der mit dem Westen kompatiblen kemalistisch-säkular-nationalistischen Kräfte wurde die AKP unterstützt. Die Option der »Reaktion auf den Fundamentalismus« wurde dem Militär aus der Hand genommen und somit begann der Liquidationsprozess der nationalistisch-säkularen Regierung in der Türkei.

Die Bezeichnung »Covorsitzende des Groß-Nahost-Projektes (BOP)«, eine Anspielung auf die AKP und R. T. Erdoğan, verweist auf diese Entwicklung. Für diese Aufgabe waren die AKP und Tayyip Erdoğan wie maßgeschneidert. Erdoğan freute sich auf diese Mission. Die AKP war dafür zwar freiwillig bereit, aber unvorbereitet. Widersprüchliche Äußerungen über Libyen wiesen darauf hin. Anschließend wurden einige für diese Mission geeignete WissenschaftlerInnen, wie Ahmet Davutoğlu, in die Politik geholt.

Wie zu Beginn des arabischen Frühlings haben, nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, dessen größte Unterstützer, Katar und der Katar-nahe Sender Al Jazeera, alle Proteste live übertragen.

Als die in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien entfachten Aufstände Bahrain erreichten, hatten die Panzer Saudi-Arabiens bereits die Stadt überrollt, die Straßen waren mit Betonblöcken versperrt und Hunderte von Menschen tot und Tausende verhaftet. Da diese Ereignisse aber nicht so populär waren wie in Tunesien, Ägypten und Syrien, kamen sie nicht einmal in die Nachrichten.

Als das Feuer des arabischen Frühlings Syrien erreichte, reichte es nicht aus, die Gegebenheiten zu verändern. Assad und Syrien leisteten trotz des ganzen politischen Drucks Widerstand und resignierten nicht. Erdoğan, der Assad als seinen »Bruder« bezeichnet hatte, forderte in immer dringlicherem Tonfall dessen Rückzug, wurde ihm nach einer Weile zum Feind. Zu dieser Zeit sagte Fehim Taştekin bereits, die »Revolution in Syrien« sei den externen Faktoren ausgeliefert.

Als die Kräfte des Syrischen Nationalrats (engl. SNC) und der Freien Syrischen Armee (FSA) erst von Katar und dann Saudi-Arabien aus langsam von der Schattenregierung zu Oberbefehlshabern aufstiegen, wurden dschihadistische Gruppen wie Ahrar al-Scham, die Islamische Armee und die von Al-Qaida abstammende Al-Nusra-Front aufgeteilt und der Islamische Staat (IS) entwickelt. Als die syrische Revolution sich immer weiter vom revolutionären Geist entfernte und der Ruf nach der Scharia aufkam, war es bereits 2014.

Wurde der arabische Frühling in einen arabischen Winter verwandelt? Die »friedlichen Forderungen« wurden von schweren und sogar Chemiewaffen abgelöst. Ende 2010 hatten die Proteste in Libyen, Ägypten und Syrien den Punkt der militärischen Gewalt erreicht. An die Stelle der protestierenden Volksmassen strömten aus aller Welt tausende DschihadistInnen nach Libyen, Syrien und Irak. Als der IS Mûsil (Mossul) eroberte, hatte er bereits eine starke Armee wie andere Staaten dieser Welt und präsentierte sich als noch reichere Organisation. 2014 wurde die Zahl von IS-Militanten auf 100 000 geschätzt.

Türkei stößt mit ihren Truppen nach Rojava/Nordsyrien vor. | Foto: YÖPEs war die Rede vom Verlust von mehr als der Hälfte des syrischen Territoriums. Im Norden Syriens hatten die KurdInnen die autonome Region Rojava (Westkurdistan) ausgerufen. Nach der Zerschlagung des Aufstands von Qamişlo 2004 hatten sie entschieden, den arabischen Frühling in einen kurdischen Sommer zu verwandeln. Mit dem Widerstand von Kobanê gegen den IS wurde der Übergang zu einer neuen Phase eingeleitet. Die ganze Welt begrüßte den Widerstand der Kämpferinnen der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gegen den IS, sie hatte mit der Schlacht um Kobanê die Revolution in Rojava kennengelernt. Die KurdInnen erhielten mit der Rojava-Revolution auf internationaler Bühne die Gelegenheit zu legitimen Schritten.

Sie machten sowohl in Rojava als auch in Bakûr (Nordkurdistan) Fortschritte auf politischer Ebene. Während die AKP sich auf die KurdInnen in Syrien konzentrierte, wollte sie keine Auseinandersetzung mit den KurdInnen im eigenen Land, daher leitete sie den historischen Friedensprozess mit der PKK ein. Während dieser in Bakûr andauerte, hatte sie den Krieg anscheinend auf Rojava verlagert. Alle DschihadistInnen von IS, Al-Nusra, Ahrar al-Scham, die über die Türkei einfielen, attackierten die Volksverteidigungseinheiten (YPG) – die große Abrechnung, die eigentlich nach dem Sturz Assads erfolgen sollte.

Nachdem alle dschihadistischen Kräfte nicht den Fall Syriens erreicht hatten, war die Rede von Bombardierungen und Bodentruppen. Die USA, die ihren Fokus vor der Schlacht um Kobanê vom Sturz Assads auf den Kampf gegen den IS richteten, konnten nicht überzeugt werden. Die Äußerung Obamas in einem Gespräch mit Hakan Fidan [Chef des Inlandsgeheimdienstes MIT] und Erdoğan »Wir beide wissen, was Sie mit Ihren Dschihadisten tun« verdeutlichte, dass der Chemiewaffenangriff in der Stadt Ghuta [2013] nicht von der syrischen Armee, sondern vom IS gekommen war, der von Saudi-Arabien und der Türkei ausgerüstet und unterstützt wurde.

Als der Türkei alle Türen in den USA verschlossen waren, wurden neue gesucht. Die gemeinsamen Erklärungen mit Frankreich, Saudi-Arabien und Israel über Bodentruppeneinsätze und gemeinsame Manöver in Syrien und die Bildung einer »Islamischen Allianz gegen den Terror« folgten. All diese Zusammenschlüsse fungierten wie Probedurchläufe für den Plan gegen Syrien.

Die historische Gelegenheit, die durch das Osmanische Reich und das Sykes-Picot-Abkommen zurechtgeschnittenen Grenzen zugunsten der Türkei und Saudi-Arabiens zu verändern, durfte nicht verpasst werden. Das Projekt der »strategischen Tiefe« war der Versuch, die Territorien Rojava, Başûr (Südkurdistan) und einige sunnitische Gebiete miteinander zu verbinden. Die Städte Mûsil, Heleb (Aleppo) und Kerkûk (Kirkuk) sollten der Türkei zugeschlagen und in ihnen die türkische Währung eingeführt werden. Selbst der syrische Arm der Al-Qaida, die Al-Nusra-Front, hatte sich zugunsten der von der Türkei unterstützten turkmenischen Kräfte von der Achse Azaz-Minbic (Manbidsch) zurückgezogen. Anschließend folgte die Forderung nach Annexion durch diese Truppen.

Warum das syrische Regime trotz allem nicht fiel, hing von diversen Faktoren ab. Entscheidend war ohne Zweifel die Verlagerung des Ziels, Assad zu stürzen, auf die Bekämpfung des Islamischen Staats. Der Kampf der USA gegen den IS führte dazu, dass sie den kompatibelsten Partner der letzten fünfzig Jahre kennenlernten: die YPG. In der Schlacht um Kobanê hatte sich der IS trotz der enormen Unterstützung durch die Türkei nicht behaupten können. Die anschließende Zusammenarbeit zwischen USA und YPG hatte die Spielchen der Türkei durchkreuzt. Obwohl Letztere mehrfach versuchte, die YPG mit der PKK in Verbindung zu bringen, entschieden sich die USA nicht für die AKP.

Vor der Kooperation mit den YPG erkannten die USA die Gefahr des islamistischen Terrors und brachen die Unterstützung ab. Die mit dem Geld und den Waffenlieferungen Hillary Clintons und John McCains überschütteten DschihadistInnen hatten den US-Konsul von Libyen ermordet und sich mit dem Einsatz von Chemiewaffen in Ghuta positioniert. Die USA suchten nach Strategien gegen den islamistischen Terror, der sich über Pakistan, Afghanistan, Irak bis nach Tunesien ausbreitete und immer stärker wurde. Eine solche Strategie hatte bis zur Schlacht um Kobanê nicht entwickelt werden können. Die USA sind ein Staat, der die Zusammenarbeit mit nahestehenden regionalen Kräften schätzte. Der Golfkrieg, die Irakinvasion, die Angriffe in Afghanistan ... In Syrien sind sie in diesem Sinne die Zusammenarbeit mit den YPG eingegangen. Die Praxis der Ausbildung und Ausrüstung war zuvor schon ausprobiert worden. Auch in Syrien wurde es versucht; als das Programm erfolglos blieb, wurde es beendet. Oder zutreffender, es wurde entschieden, das Programm mit den YPG zu realisieren.

Zwischen den Islamisten bestehen abgestufte Beziehungen: Türkei, Tunesien, Libyen, Ägypten, Afghanistan ... Die als moderat Geltenden können nach einer Weile zu den Waffen greifen und sich statt der »demokratischen Politik« der Scharia zuwenden. Die oberste Sprosse auf dieser Leiter nimmt zweifellos der IS ein. Als Jordanien diese Gefahr erkannte, entzog es den dschihadistischen Kräften die Unterstützung und schloss sich der Anti-IS-Koalition an. Die Türkei und Saudi-Arabien hatten aber zu viel in die DschihadistInnen in Syrien investiert und konnten sich nicht mehr einfach zurückziehen, sie waren inzwischen viel zu eng mit ihnen verflochten. Sie konnten sich nicht so einfach wie Jordanien oder Katar aus diesem Schlamassel ziehen. Die Kräfteverhältnisse hatten sich im Vergleich zum Beginn des Krieges verändert und die Bündnisse auch. Außerdem war inzwischen auch Russland in Syrien vertreten. Die USA wollten aber nicht wegen Assad den dritten Weltkrieg vom Zaun brechen.

Im September 2015 hatte Russland tatsächlich Operationen in Syrien begonnen. Es hatte seinem engsten Partner im Mittleren Osten von Beginn des Krieges an zur Seite gestanden und schließlich das Kriegsbeil ausgegraben. Einer der Faktoren für den ausbleibenden Fall Syriens ist die Präsenz Russlands auf diesem Feld. Assad musste zunächst von Iran, dann von der Hisbollah und schließlich von Russland Unterstützung fordern.

Als der Versuch, in Syrien einzumarschieren und das große Osmanische Reich neuzugründen, keinerlei Unterstützung von außen fand, musste die Türkei die in Davos begonnene und mit der Marmara-Krise fortgesetzte »antiisraelische« Politik beenden. Die arrogante Haltung der Türkei und deren geheime Aktivitäten zogen die Aufmerksamkeit der USA auf sich. Sie war gezwungen, die zerstörerische Kriegs- und Bauökonomie durch die Weiterleitung der Erdgasvorkommen aus dem Mittelmeer nach Europa gemeinsam mit Russland, Nordzypern und Israel schnellstmöglich in eine reale Ökonomie umzusetzen. Dies war zugleich der diplomatische Erfolg Russlands. Die arrogante Haltung der Türkei und deren geheime Aktivitäten zogen die Aufmerksamkeit der USA auf sich. Die Festnahme von Reza Zerrab1 in den USA, der IWF-Bericht über Staaten, die mit dem IS Erdölhandel betreiben, der US-Kontakt mit den YPG, die Ablehnung des Flüchtlingsabkommens durch die Vereinten Nationen, die Annahme des vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) abgelehnten, aber von den UN angenommenen Falles der Zerstörungen in Cizîr und Sûr sowie die Teilnahme Bidens am Gerichtsverfahren Can Dündars aus Solidarität ... Das waren alles Resultate des politischen Drucks der USA auf die Türkei.

Russland thematisierte diesbezüglich im UN-Sicherheitsrat die Präsenz der Türkischen Streitkräfte (TSK) in Başika in der Autonomen Region Kurdistan in Irak und die Bombardierung Rojavas durch die TSK und unterstützte dies mit den Berichten über Cizîr (Cizre) und Amed-(Diyarbakır-)Sûr sowie dem Ölhandelsbericht bei den Vereinten Nationen. USA wie Russland kritisierten die Türkei, es reiche. Als zu diesem politischen Druck auch noch ein Wirtschaftsembargo kam, folgten Hilferufe aus der türkischen Wirtschaft. Ein Aspekt betraf das Schwarzgeld, das seit dem arabischen Frühling über Iran und Saudi-Arabien in die Türkei geflossen und auf Milliardenhöhe gestiegen war.

Wenn die AKP nicht zu ihrer Ursprungsfunktion zurückkehrte, könnte sie wegen Korruption und Kriegsverbrechen verklagt werden, und genau an diesem Punkt wurden die scharfen Kehrtwendungen der Türkei sichtbar. Mit dem Putsch gegen die Regierung der Muslimbrüder in Ägypten und dem Sturz von Nahda in Tunesien waren die größten Unterstützer der AKP weggefallen. Die AKP-Regierung war die erste und zugleich letzte Repräsentantin der Muslimbruderschaft, aber ihre Außenpolitik wurde von Niederlagen dominiert. Die Erpressung der EU mit der »Flüchtlingskarte«, der Abschuss der russischen SU24, damit die NATO gegen Russland interveniere, die Vertreibungen und Massaker in Cizîr und Sûr ... alle erdenklichen illegalen Spielchen hat die AKP versucht.

ährend die Anerkennung der KurdInnen in Rojava kurz vor ihrer Legitimation durch einen politischen Status stand, machte die AKP ihren Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, der dem Präsidialsystem ablehnend gegenüberstand, für ihre Niederlagen verantwortlich und setzte ihn ab, gleichzeitig legte er die Bezeichnung »feindliche Staaten« beiseite. Auf Druck Saudi-Arabiens folgte die Billigung des durch einen Putsch an die Macht gekommenen ägyptischen Präsidenten Sisi. Auf israelischen Druck hin wurden die Hamas, Gaza und die NGO IHH »verkauft«. Mit der Entschuldigung an Putin, den Präsidenten Russlands, wurden die Verluste im Tourismus, in der Landwirtschaft und bei Bauprojekten wieder einzuholen versucht.

Nach dem Entschuldigungsbrief äußerte Erdoğan auf dem NATO-Gipfel vom 8. bis 9. Juli 2016, das Schwarze Meer sei in eine russische See verwandelt worden, und er führte Gespräche mit Poroschenko, um auf die »zunehmende Bedrohung« durch Russland aufmerksam zu machen.

Einer der Gründe, welche die Türkei in diese Lage brachten, war ihre große Furcht vor einem politischen Status für und der Gründung der Föderation in Rojava – sie nennt es »westlich des Fırat« (des Euphrat) – und dann der anschließenden Forderung der KurdInnen in Nordkurdistan nach Selbstverwaltung, die sich mit Panzern und Hubschraubern nicht mehr unterdrücken ließe. Während sie Teile Syriens zu besetzen suchte, drohte ihr der Verlust eigenen Bodens. Aufgrund der drohenden Gefahr wurde der »Friedensprozess« nach den Parlamentswahlen vom 7. Juni und 1. November 2015 auf Eis gelegt und die kurdischen Provinzen wurden aus Panzern beschossen. Die AKP verlor nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch.

Sie brauchte dringend Unterstützung von außen. Die Türkei hatte die Handelsbeziehungen mit Israel von 2010 bis 2016 Schritt für Schritt verstärkt. Angesichts der ökonomischen Daten ist dies offensichtlich. Die stärksten Handelsbeziehungen in der Geschichte der Türkei haben wir in dieser Phase erlebt. Mit dem arabischen Frühling begann das Spiel gemäß dem Motto »Eroberung des Mittleren Ostens« und folglich wurden die Beziehungen bewusst strapaziert. Der Sturz Syriens und die Machtübernahme durch die Muslimbruderschaft wurden besonders von Saudi-Arabien, der Türkei und Israel gefordert. Da Israel sich noch immer im Kriegszustand mit Syrien befindet, war es der größte Profiteur dieser Spielchen. Die medizinische Behandlung von Al-Qaida-Milizionären in israelischen Krankenhäusern und die Frage israelischer Waffen warfen ein Licht auf die Unterstützung Israels für AI-Qaida, wenn auch nicht in dem Umfang wie diejenige der Türkei.

Die Phase des Beginns der Beziehungen mit Israel war wegen Hamas und Gaza von Bedeutung. Als Beschützerin Palästinas hatte die Türkei die Unterstützung der gesamten islamischen Welt erfahren und somit die Rolle des »Kalifen des gemäßigten Islam« gespielt. Türkische Filme liefen von Marokko bis Kasachstan und waren ein weiterer Pluspunkt für Erdoğan. Dieses Theater wurde mit dem Projekt des Transports von Erdgas aus dem Mittelmeer vor Gaza über Nordzypern nach Europa beendet. Die nie aufgekündigte Partnerschaft mit Israel wurde erneuert und gefestigt.

War dieses Spiel mit Israel auch mit Russland möglich? Welche Erwartungen an die Türkei hatte Russland? Die seit fünf Jahren anhaltende Aufrüstung und Ausbildung von DschihadistInnen zu beenden und auf Plattformen wie in Genf III Waffenstillstandsforderungen nicht abzulehnen. Die anderen Forderungen wie die nach Entschuldigung und Entschädigung usw. waren nicht so wichtig wie die beiden, keine Rechte mehr auf den Verbündeten Syrien geltend zu machen und die verdeckte Unterstützung dschihadistischer Kräfte einzustellen. Dasselbe ließe sich auch über Irak sagen. Zum Beispiel die Beendigung der Präsenz der TSK, die sich auf Einladung der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) in Südkurdistan aufhalten.

Erdoğan und die AKP waren sich im Falle einer Übereinkunft mit Russland über diese Entwicklung im Klaren. Die Frage lautete nun, was nach der Einstellung der Unterstützung mit den ganzen DschihadistInnen in Syrien und Irak und den 2,7 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei passieren sollte? Ferner noch, in was für eine ökonomische Lage würde die Türkei geraten, wenn Saudi-Arabien seine gesamten milliardenschweren Investitionen in den Sturz Assads zurückziehen würde?

Sieht man den gesamten Prozess im Zusammenhang, ist es viel einfacher, den gescheiterten Putsch zu verstehen. Einerseits die nicht abnehmenden Spannungen zwischen Syrien und der Türkei und andererseits die Frage der Flüchtlinge, die Europa »bedrohen«. Die Türkei zwischen endlosem Hin und Her und dann noch ein gescheiterter Putsch, der die Aussichtslosigkeit illustriert.

Die Frage, wer hinter dem Putsch steckt, kann meiner Meinung nach nicht mit Verschwörungstheorien oder »Spielchen« beantwortet werden. Erdoğans Regime, das für die USA und Europa bedrohlich war, hat sowohl von innen als auch von außen viel Kritik auf sich gezogen. Die islamischen Praktiken im Bildungsbereich; ein Justizsystem, das nichts mit dem Parteinamen von Gerechtigkeit und Fortschritt zu tun hat, dafür aber wird ein Einparteienregime entwickelt; eine Türkei, die sich von »Atatürks Prinzipien und Revolution« entfernt; und dann noch die Türkei, die mit der Gefahr einer Spaltung konfrontiert keinerlei Erfolge gegen die PKK verzeichnet und die Lösung in der Bombardierung und Zerstörung von Städten sucht ... Das sind die Bedingungen, unter denen es zum Putschversuch kam. Damit die Kette der Staaten, die nach dem Sykes-Picot-Abkommen gegründet wurden und nun zerfallen, nicht um die Türkei ergänzt wird.

Nachdem sich die Argumentationen und Repressionen, die für den Staat die Funktion von Klebstoff hatten, mit dem Projekt des »gemäßigten Islam« abschwächten, haben die jahrelang in der Türkei unterdrückten Völker ihre demokratischen Forderungen zu artikulieren begonnen. Den Putsch nur mit innenpolitischen oder nur mit außenpolitischen Entwicklungen zu begründen, ist falsch. So wie wir in den Bedingungen des Putsches bei der Ergenekon-Phase das Gegenteil erlebt haben, so ist die äußere Unterstützung eine Bedingung gewesen. Die Äußerungen Erdoğans und seiner AnhängerInnen im Hinblick auf Fethullah Gülen und die USA zeigen das; alle reden von der zweiten Welle und weil die Umstände sich nicht geändert haben, ist eine zweite Welle eine Wahrscheinlichkeit.

Wenn wir die internationalen Reaktionen auf den Putschversuch analysieren, sehen wir zwei unterschiedliche Gruppen. Eine Seite sagt: »Auch beim Putsch ist Folter verboten und die Haltung zur Verfassung zählt«, und die andere: »Wir unterstützen die Bemühungen der Türkei, ihre nationale Sicherheit zu wahren«, hierbei zeigte China die klarste Haltung. Die USA drohten mit NATO-Ausschluss und brachten eine Erklärung nach der anderen heraus, ganz im Gegensatz zur Haltung Russlands.

Wenn die AKP in dieser Situation die Haltung einnimmt, dass sie auf Distanz geht zu den Staaten, die den Putschversuch unterstützt haben, dann bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Schlüssel für das Land dem Russland- und Iran-Block zu übergeben. Denn kurzfristige Rettungstaktiken scheinen gegen Russland nicht aufzugehen. Wenn aber die Türkei ihren Platz an der Seite der USA einnehmen sollte, scheinen die zweite Welle des Putsches oder der Rücktritt Erdoğans unumgänglich. Die Umstände verlangen nicht mehr nach einer »gemäßigt islamischen« Regierung, sondern drängen eine bonapartistisch-nationalistisch-säkulare Diktatur auf.

Die Haltung Russlands entspricht dem keineswegs. Während die Türkei versuchen wird, ihre künftige Politik an diese Beziehung anzupassen, und sogar bereit ist, auf die EU-Mitgliedschaft zu verzichten, spricht es lediglich von der Aufhebung des Wirtschaftsembargos. Die Drohungen der AKP haben sich mit dem Erdoğan-Putin-Treffen noch weiter verschärft. Sie ging sogar so weit, mit dem NATO-Austritt zu drohen.

Im Vorfeld war eigentlich schon klar, dass dieses Treffen mit einer Enttäuschung enden würde. Die Türkei, die seit 1923 [ihrer Gründung] erst unter britischem, später unter US-Mandat gestanden hatte, war auch nach dem 27. Mai 1960 [dem ersten Militärputsch der modernen Türkei] nicht zu sofortigen Veränderungen in der Lage. Die Türkei, die organisch mit der NATO verbunden und von ihr abhängig ist, befindet sich nicht in der Position, auf Russland Einfluss zu nehmen, damit dieses ein neues Militärbündnis eingeht.

Während die AKP ihre Beziehung zu Russland im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) als Alternative zur NATO preist, erwartet Russland von der Türkei das Ende ihrer Syrienpolitik. Lawrow brachte das ganz klar zum Ausdruck, als er sagte, die Aufnahme der Beziehungen zur Türkei hingen davon ab.

Trotz dieser Erwartungen scheinen die AKP und ihre Gefolgschaft große Hoffnungen in die Beziehungen zu Russland gesteckt zu haben. Denn sie beschuldigen die USA, Fethullah Gülen zu protegieren und damit indirekt den Putsch unterstützt zu haben. Auch die neue KurdInnenpolitik der USA stellt für die Türkei ein großes Problem dar. Als die Kräfte der YPG und SDF (Demokratischen Kräfte Syriens) nach einer Militäroffensive Minbic befreien konnten, erklärte die AKP einige Stunden vor der Befreiung, die Kräfte der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) müssten sich aus Minbic zurückziehen.

Die Türkei sieht es als eine Bedrohung an, dass die USA ihr Greater Middle East Project durch die Zusammenarbeit mit der PYD entlang einer kurdischen Achse neu formieren. Sie registriert diesen Wandel und stellt sich gegen USA und EU und versucht sie dazu zu bewegen, zur Ursprungsform des GMEP zurückzukehren, indem sie mit ihrem Rückzug droht. Weil sie den Putschversuch als einen Reflex auf diese Nötigung der AKP betrachtet, beschuldigt sie die USA, durch die Unterstützung Fethullah Gülens am Putsch beteiligt gewesen zu sein, und sieht keine andere Möglichkeit, als sich in die Arme Russlands zu werfen.

Dieses wird die Türkei unter diesen Bedingungen des AKP-Regimes nicht in sein Netzwerk einbeziehen. Auch die USA werden mit dieser Türkei nicht weiter zusammengehen. Die Türkei ist an einen Punkt gelangt, an dem sie dieses aktuelle Paradox nur mithilfe legaler Politik lösen kann und sich für illegale Methoden entschieden hat. Sowohl die Unterstützung von Al-Qaida, die Zerstörung kurdischer Städte wie Cizîr und Sûr als auch der letzte Putschversuch sind deutlichster Ausdruck ihrer Ausweglosigkeit.

Die AKP ist isoliert und hat keine Handlungsmöglichkeiten mehr. Sie versucht sich – während der Entstehungsgrund der Türkei, Sykes-Picot, zusammenbricht – aus dieser Lage zu befreien, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat und in der sie sogar auf die Republikanische Volkspartei (CHP) und die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) angewiesen ist. CHP und MHP sind sich dessen bewusst.

Fußnoten:
1  Iranischer Unternehmer, der in den USA festsitzt, weil er das US-Embargo gegen Iran unterwandert und Millionengeschäfte gemacht hat. Dabei soll er sehr eng mit der Familie Erdoğan gearbeitet haben.