Die türkische revolutionäre Linke gerät zunehmend ins Visier der Bundesanwaltschaft
§129b-Verfahren werden ausgeweitet
Dr. Elmar Millich, AZADÎ e. V.
Während in Kurdistan ganze Stadtteile unter dem Beschuss der türkischen Armee in Schutt und Asche versinken, bleibt auch die Bundesanwaltschaft (BAW) nicht untätig, der BRD das Wohlwollen von Präsident Tayyip Erdoğan zu sichern, auf dass er Europa die Flüchtlinge vom Hals halte. Am 16. Februar wurde in Düsseldorf Muhlis K. unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b) festgenommen. Wie in den anderen Fällen werden auch ihm keine konkreten Straftaten vorgeworfen, sondern allgemeine politische Kadertätigkeiten für die PKK.
Damit befinden sich wieder sieben kurdische politische Aktivisten nach § 129b in Untersuchungs- oder Strafhaft. Kurz zuvor mussten die Justizbehörden den zu sechs Jahren Haft verurteilten Abdullah S. nach vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Der Grund dafür war die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig, das in einem Revisionsverfahren ein Urteil der Vorinstanz aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen hatte. Grundlage für die Aufhebung des Urteils war eine formale Besetzungsrüge der Verteidigung an der Zuständigkeit des 5. Strafsenats am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Die Verteidigung ist optimistisch, dass Abdullah S. aufgrund der langen bereits verbüßten Strafe ein neuer Haftantritt erspart bleibt.
Die kurdische Befreiungsbewegung wird auch weiterhin im Visier der BAW bleiben, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Kleine Anfrage der Linksfraktion bestätigt. Zwischen 2011 und September 2015 erteilte das Bundesjustizministerium 17 Ermächtigungen, gegen politisch aktive Kurdinnen und Kurden wegen des Verdachts auf Verstoß gegen § 129b zu ermitteln. Gegen 20 Personen mit politisch-kurdischem Hintergrund läuft seitens der BAW die Prüfung eines Anfangsverdachts im Zusammenhang mit § 129b.
Zunehmend interessieren sich die Sicherheitsbehörden aber auch für türkische linke revolutionäre Bewegungen in der Türkei. Beschränkte sich die Verfolgung seit 2003 bisher auf die Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKP-C), erfolgten 2015 auch Anklagen gegen zehn Personen, denen Tätigkeiten für die Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) vorgeworfen werden. Richteten sich die Ermittlungen laut Auskunft der Bundesregierung zunächst nur gegen die TIKKO (Türkische Arbeiter- und Bauernbefreiungsarmee) als angeblichen bewaffneten Arm der TKP/ML, wurde im Laufe der Ermittlung die gesamte TKP/ML von der BAW als terroristische Vereinigung eingestuft. In den nach den Verhaftungen herausgegebenen Presseerklärungen wies die BAW auch explizit auf gemeinsame Aktionen von AktivistInnen aus PKK und TIKKO hin. Um die Exilstrukturen der türkischen Linken in Deutschland angreifen zu können, greift die BAW zum bewährten Konstrukt der Vorfeld- und Tarnorganisationen. Alle Verhafteten sind aktiv bei der völlig legal arbeitenden Organisation Konföderation der Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK). Auch ist die TKP/ML weder in Deutschland verboten noch auf der entsprechenden EU-Liste als terroristische Organisation geführt. Vorprüfungen, ob es sich um terroristische Vereinigungen handelt, werden von der BAW auch gegen die türkischen Organisationen Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) und Maoistische Kommunistische Partei (MKP) geführt.
Es stellt sich schon die Frage, warum die angeblich chronisch überlastete BAW plötzlich für den/die SteuerzahlerIn teure § 129b-Ermittlungen gegen linke revolutionäre Gruppen in der Türkei führt, die selbst auf der Seite der deutschen Linken nur wenigen ein Begriff sind. Die Gründe hierfür liegen in einem neuen Zusammenhalt zwischen der kurdischen Befreiungsbewegung und der türkischen Linken, die über lange Zeit durch ideologische Streitigkeiten mehr gegen- als miteinander arbeiteten. Diese Zusammenarbeit bahnte sich schon bei den Gezi-Protesten an und fand ihren Ausdruck in den Wahlerfolgen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) bei den Parlamentswahlen 2015 auch im Westen der Türkei. Als Katalysator dient aber vor allem die Verteidigung von Kobanê und Rojava gegen den Islamischen Staat (IS), an der sich hunderte türkische Linke beteiligten und beteiligen. Die von Erdoğan und der AKP vorangetriebene Entwicklung der Türkei im letzten halben Jahr wird sowohl von der kurdischen Befreiungsbewegung als auch von der türkischen Linken nicht mehr als taktische Phase angesehen, sondern als eine auf Dauer angelegte Faschisierung der Türkei – vergleichbar dem Militärputsch von 1980 –, die gleichermaßen legale wie revolutionäre Oppositionsarbeit unmöglich macht. Vor diesem Hintergrund wurde am 12. März im Kandil-Gebirge die Gründung des »Bundes der Revolutionären Bewegung der Völker« (TȘYG) bekannt gegeben, dem außer der PKK auch die Organisationen TKP/ML, THKP-C/MLSPB, MKP, TKEP-Leninist, TIKB, DKP, Devrimci Karargah und MLKP angehören. Ziel dieses Bündnisses ist der Kampf gegen die AKP, »die mit einer Politik der Restauration der Militärputsche vom 12. März 1971 und vom 12. September 1980 den Faschismus erneut institutionalisiert und eine neue faschistische Diktatur errichtet«. Der BAW sind diese Entwicklungen natürlich bekannt und sie nutzt die ihr durch den § 129b gegebenen Möglichkeiten eher im Sinn einer internationalen Aufstandsbekämpfungsinstitution denn als ein Organ der deutschen Rechtspflege. Die notwendigen Ermächtigungen dazu durch das Bundesjustizministerium zeigen, dass diese Art der Arbeit auch politisch gewollt ist. Die Bundesregierung räumt in der Antwort auf die Kleine Anfrage ebenfalls ein, dass die Verfolgung der Exilopposition auch auf Informationen beruht, die aus regelmäßigen Konsultationen deutscher und türkischer Sicherheitsbehörden herrühren.
Positive Entwicklungen gibt es in der Zusammenarbeit gegen die Repression deutscher Sicherheitsbehörden mit dem Hintergrund Türkei/Kurdistan. Am 20. Februar fand in Nürnberg ein internationales Symposium zur Kritik der politischen Justiz statt mit dem Schwerpunkt der aktuellen § 129-Verfahren gegen die kurdische und türkische Linke. Zu dieser Veranstaltung hatten die Internationale Vereinigung der RechtsanwältInnen des Volkes (IAPL) und der deutsch-kurdische Verein für Demokratie und Internationales Recht (MAF-DAD e. V.) aufgerufen. Getragen wurde die Veranstaltung vom Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland AZADÎ e. V., dem ROTE-HILFE-Bundesvorstand und der ImmigrantInnen-Organisation ATIK (Konföderation der Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Türkei in Europa). Nach der Eröffnungsrede des brasilianischen Menschenrechtsanwalts Prof. Dr. Júlio da Silveira Moreira schilderten die türkischen AnwältInnen Ercan Kanar und Eren Keskin die aktuelle Verfolgungssituation jeglicher Opposition in der Türkei. In der Nachmittags-Session berichteten deutsche AnwältInnen aus der Praxis der hier laufenden § 129b-Verfahren und anschließend VertreterInnen verschiedener europäischer Antirepressionsorganisationen über ihre Arbeit. Die Veranstaltung endete mit einer Abschlussresolution, in der u. a. die Abschaffung der Paragraphen 129, 129a und 129b, die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert wurde.
Die türkische Regierung macht weiterhin Druck für eine noch stärkere Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung in Europa. Präsident Tayyip Erdoğan beschwerte sich, dass es während der Verhandlungen in Brüssel am 13. März über den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal KurdInnen erlaubt war, gegenüber dem Tagungsgebäude ein Protestzelt zu betreiben, wo auch Symbole der PKK und Fahnen mit dem Bild von Öcalan zu sehen waren. Bei ihrem Hauptanliegen, auch die syrischen kurdischen Organisationen wie Partei der Demokratischen Einheit (PYD) und Volksverteidigungseinheiten (YPG) international als terroristisch einstufen zu lassen, beißt die Türkei allerdings wahrscheinlich hauptsächlich aufgrund US-amerikanischer Vorbehalte vorläufig auf Granit: Auf eine weitere parlamentarische Anfrage der Linkspartei räumte die Bundesregierung erstmals öffentlich ein, dass sie PYD und YPG nicht als terroristische Organisationen betrachte. Positiv ist auch, dass Mitte Februar über hundert EU-ParlamentarierInnen dazu aufgerufen haben, die PKK von der EU-Terrorliste zu streichen.