Kriminalisierung und Politik

Politische Inhaftierung ist per se kontraproduktiv

Interview mit Martin Dolzer

Wie viele Kurd*innen sind momentan in der BRD aufgrund des §129b inhaftiert?

Aktuell befinden sich aufgrund des Paragraphen 129b StGB sieben Kurd*innen, die sich für die Menschenrechte engagieren und deren Engagement einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage gilt, als politische Gefangene in Haft. Bis vor kurzem befanden sich zwei von ihnen in Hamburg, Bedrettin Kavak und Mehmet Demir. Mehmet Demir wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Hamburg zu drei Jahren Haft verurteilt und gerade nach Bremen verlegt, Bedrettin Kavak befindet sich in Untersuchungshaft – sein Prozess wird voraussichtlich jetzt am 3. Mai beginnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft ihnen keine Straftaten vor, sondern Newrozfeste und Demonstrationen organisiert und Konflikte in der kurdischen Community geschlichtet zu haben – als Beweis für ihre Funktion als Kader der PKK. Die aufgrund § 129b inhaftierten Kurd*innen in Hamburg und weiteren Städten müssen sofort freigelassen werden. Politisch ist das ohnehin notwendig, weil die Kriminalisierung der PKK und die Inhaftierung politischer Gefangener nie zu einer Konfliktlösung beiträgt, sondern im Gegenteil im Fall der Türkei systematisches staatliches Unrecht unterstützt, bewusst zur Destabilisierung beiträgt, weitere Fluchtursachen verstärkt und deshalb völliger Unsinn ist. Auch aus juristischer Sicht wäre die Freilassung gegeben. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 28. Oktober 2010, dass zukünftig der Paragraph 129b des Strafgesetzbuches gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen angewandt werden soll. Der § 129b ist verfassungswidrig. Es wird der Exekutive – dem Justizministerium – überlassen zu entscheiden, ob eine ausländische Organisation terroristisch ist oder ob sie legitimen Widerstand gegen eine Diktatur leistet oder als legitime Befreiungsbewegung gelten darf. Dadurch wird die Gewaltenteilung aufgehoben. Damit werden Strafrecht und Gerichte im Rahmen eines Feindstrafrechts für politische Interessen missbraucht. Der § 129b gehört endlich abgeschafft.

Du besuchst Mehmet und Bedrettin regelmäßig. Was ist Deine Motivation, das zu tun?

FreiheitAls Mensch finde ich es wichtig, Menschen, die zu Unrecht inhaftiert sind, weil sie sich für Menschenrechte und ein würdiges Leben ohne Erniedrigung, Folter und staatliche Willkür einsetzen, meine Solidarität zu zeigen, und als justizpolitischer Sprecher der Linksfraktion ist es darüber hinaus meine Aufgabe, mich um die Situation von Menschen in Haft zu kümmern, insbesondere in Bezug auf die Haftbedingungen und die Gesundheit. Obwohl das OLG Hamburg bei der Urteilsbegründung gegen Mehmet Demir der Ansicht war, dass die Türkei mit dem Islamischen Staat (IS) zusammenarbeitet und Militär und Polizei systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, gesteht es den Kurd*innen auf Grundlage der politischen Entscheidung des Justizministeriums weiterhin kein Recht auf Selbstverteidigung zu. Das finde ich absurd. Es ist doch ein fatales Signal, dass das Justizministerium und die BAW Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der PKK zu einer Zeit anstrengen, da PKK-Einheiten im Mittleren Osten in der direkten Auseinandersetzung mit den Terrorbanden des IS stehen und dadurch Hunderttausende Êzîd*innen, Christ*innen und Angehörige weiterer Bevölkerungsgruppen vor Misshandlung und Ermordung schützen. Die PKK sollte endlich auch von der Bundesrepublik als Dialogpartnerin anerkannt und entkriminalisiert werden. Das würde viel mehr zu einer friedlichen Entwicklung und Demokratisierung der Türkei und im Mittleren Osten beitragen als die nahezu bedingungslose Waffenbrüderschaft mit der türkischen Regierung, die die kurdische Bevölkerung mit Panzern und Scharfschützen angreift, mit dem IS zusammenarbeitet, Frauen degradiert und Demokratie und Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Guerilla der PKK, die HPG (Volksverteidigungskräfte), ist eine in militärischen Formationen gegen überwiegend militärische Ziele auf türkischer Seite vorgehende Organisation. Damit ist sie eine Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts. Der bewaffnete Kampf der HPG ist gemäß dem ersten Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen nicht illegal, da er sich gegen lang anhaltende rassistische oder koloniale Unterdrückung richtet und für das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes im Rahmen des humanitären Völkerrechts geführt wird. Der BGH ist allerdings der Ansicht, dass das erste Zusatzprotokoll auf die PKK nicht anzuwenden wäre, weil Kurdistan keine Kolonie, sondern ein Ergebnis der Vereinbarungen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges sei. Auf diese Weise versucht der BGH absurderweise, die kolonialen Setzungen des Vertrags von Lausanne zu zementieren bzw. erneut zu setzen, anstatt sie zu hinterfragen. Die PKK wirkt darüber hinaus für multiethnisches und multireligiöses Zusammenleben sowie für Demokratie und Frieden in der Türkei und im Mittleren Osten. DIE LINKE fordert schon lange die Aufhebung des PKK-Verbots und die Streichung der Organisation von der EU-Terrorliste.

Wie sind die Haftbedingungen der Gefangenen?

Die Haftbedingungen im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis sind im Allgemeinen schlecht. In den letzten Jahren gab es dort immer wieder Selbstmorde und Selbstmordversuche. Einige Räume und Zellen schimmeln, die meisten Wärter*innen sind offenbar umgänglich und handeln human, Einzelne agieren jedoch auch willkürlich, erniedrigend oder sadistisch. So weit zur allgemeinen Situation. Als Mehmet Demir noch in Hamburg war, haben sich die beiden in unterschiedlichen Sonderabteilungen befunden und waren teilweise isoliert. Beide hatten erst nach vielfachen eigenen Beschwerden und der zusätzlichen Intervention von Anwält*innen sowie auf parlamentarischer Ebene den nötigen Zugang zu Gesundheitsversorgung und sportlicher Betätigung. Bei Mehmet Demir hat es teilweise mehr als ein Jahr gedauert, bis ihm Selbstverständlichkeiten zuteilwurden. Nun hat er ein Recht auf Arbeit erwirkt – er dürfte Schrauben in seiner Zelle drehen. Das aber war nicht sein Anliegen. Es geht ihm vielmehr um die Möglichkeit, sich zu bewegen und regelmäßig zu kommunizieren. Isolationshaftbedingungen sind ja dazu gedacht, Menschen zu deprivieren und dadurch ihren Willen zu brechen. Ein Widerspruch zum selbstgesetzten Ziel des Strafvollzugs als Mittel der Resozialisierung.

Bedrettin Kavak war in der Türkei schon mehr als zwanzig Jahre inhaftiert und wurde dort schwer gefoltert. Für ihn ist gesundheitliche Versorgung besonders wichtig. Besuche der beiden können, außer bei Anwält*innen und Parlamentarier*innen, nur im Beisein von Beamt*innen des Landeskriminalamtes (LKA) stattfinden. Bei Mehmet hatten LKA-Beamt*innen, mit denen die Besuche koordiniert werden müssen, fast ein Jahr lang durch oftmalige Nichtanwesenheit der oder des Zuständigen oder durch andere Beamt*innen in Form von Fragen wie »Gehören Sie auch der PKK an?« Besucher*innen abgeschreckt. Das hat sich erst nach Beschwerden auf parlamentarischer Ebene geändert. Bedrettin und Mehmet lassen sich allerdings nicht durch Maßnahmen der Isolation oder die Bedingungen in Haft brechen, obwohl sie die Haft an sich zu Recht als großes Unrecht empfinden.

Haben die Gefangenen Forderungen in Bezug auf ihre Haftsituation, und wenn ja, welche? Wäre es nicht aufgrund ihrer Situation angebracht, dass ihnen untereinander eine regelmäßige Kommunikation zugesprochen wird?

Mehmet Demir fordert normale Haftbedingungen. Er fordert zudem, dass Besuche bei ihm nicht mehr verhindert werden sollen. Es dauerte zudem ein Jahr und viele Beschwerden, bis er Bücher bekam. Dass die Besuche lediglich in Anwesenheit von Beamt*innen des LKA und ohne Recht, die Besucher*innen zu berühren, stattfinden, ist ebenfalls störend. Die Zellen werden offenbar wöchentlich durchsucht, obwohl dazu kein Grund besteht. Bedingungen der Isolation verstoßen ohnehin gegen die Menschenrechte. Ziel von Isolation, auch wenn sie nicht vollkommen ist, ist immer Deprivation. Das bedeutet den gezielten Versuch, die Integrität und Würde und dadurch den politischen Willen von Gefangenen durch Entziehung äußerer Reize zu brechen. Deshalb ist es notwendig, jegliche Sondermaßnahmen der Isolation zu beenden – und dazu gehört natürlich auch, den Gefangenen die Kommunikation untereinander zu ermöglichen.

Gibt es eine Solidaritätsbewegung zur Freilassung der Inhaftierten?

Ja, die gibt es. Es finden regelmäßig Kundgebungen für die inhaftierten Freunde statt. Die Gruppe ist allerdings bisher viel zu klein. Ich finde es sehr wichtig, von Unrecht Betroffene nicht alleinzulassen. Abgesehen davon sind Gefängnisstrafen, insbesondere in politischen Auseinandersetzungen, niemals eine Lösung, sondern Teil des Problems. Insgesamt wird die Würde des Menschen in Haft auf vielfache Weise angegriffen. Es gilt daher: Freiheit für alle politischen Gefangenen!


Martin Dolzer, Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft, Sprecher der Linksfraktion für Europa- und Friedenspolitik, Rechtspolitik, Wissenschaft und Queer