plakat brautgeldEine Kampagne gegen eine menschenverachtende reaktionäre patriarchale Tradition

Brautgeld macht Frauen zum Objekt

M. Zahit Ekinci, Journalist, Özgür Politika

Die unter dem Motto »NEIN zu Brautgeld!« initiierte Kampagne wird von der Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e. V. durchgeführt. In diesem Rahmen finden europaweit an den verschiedensten Orten Veranstaltungen statt, um für das Thema zu sensibilisieren. Über die laufende Kampagne und allgemein zur heutigen Situation von Frauen informiert Sultan Öger, eine Aktivistin der Frauenbegegnungsstätte.

Mit dem Aufruf zur Kampagne »NEIN zu Brautgeld!« stellen wir uns dagegen, dass Frauen durch die Zahlung von Brautgeld wie ein Objekt des Handelns wahrgenommen werden. Wir rufen alle Frauen und Jugendlichen sowie alle gesellschaftlichen Gruppen dazu auf, sich gegen diese Schande zu erheben.

 

Frei und gleichwertig zu leben ermöglicht gesellschaftliche Freiheit

Eines der wichtigsten Standbeine einer organisierten Gesellschaft ist die Organisierung von Frauen. So, wie Frauen heute ihren Kampf gegen die männliche patriarchale Weltsicht führen, so können sie eine neue Lebensphilosophie für eine demokratische Gesellschaft erschaffen. Es ist notwendig, dass Frauen mit gemeinsamer Kraft gegen die ihnen und der Gesellschaft seit Jahrtausenden aufgezwungenen unterdrückenden Sichtweisen ankämpfen, sich organisieren und damit der aus dem Bewusstsein gelöschten Göttinnen-Kultur von neuem den Weg bereiten und ihre geschaffenen Werte zurückgewinnen. Die Befreiung der Gesellschaft wird erst dann möglich sein, wenn beide Geschlechter auf der Grundlage eines freien und gleichwertigen Lebens an diesem teilhaben.

Die Diskriminierung beginnt im Mutterleib

Gewalt gegen Frauen wird in vielen Kulturen unter Berufung auf Glauben, Traditionen und moralische Normen legitimiert und dauerhaft institutionalisiert. Die männliche Herrschaftskultur nimmt sich das Recht der Kontrolle über den Körper der Frau, ihre Weise sich zu bewegen, ihr Verhalten und ihre Lebensart. Bereits im Bauch der Mutter wird weiblichen Säuglingen die Gunst des Lebens verwehrt. Im Kindesalter beginnender sexueller Missbrauch und Gewalt in der Familie setzen sich in verschiedenster Form in der Pubertät fort. Die vom Mann und der Familie als Eigentum gesehene Frau wird, wenn das Heiratsalter erreicht ist, als Gegenleistung für das Brautgeld einem anderen Mann übergeben. Blutbäder und Morde im Namen der Ehre, Vergewaltigungen und Missbrauch machen das Leben zur Hölle.

Sklavenmarkt in seiner modernen Version!

Die Entstehung der Klassen war für die Frau der Beginn ihrer allumfassenden Existenz als Dienerin und wurde zu einem für die Erhaltung der Nachkommenschaft notwendigen Umstand. Brautgeld legte sich dabei seit dem Sklavenmarkt der Sklavenhaltergesellschaft bis heute als ein einer Schlinge gleicher Fluch um unseren Hals. Das von diesem Markt herrührende Verständnis von der Frau als Ware änderte sich auch nicht in der »heiligen Familie«. Eine Vielzahl dem Brautgeld ähnliche Handlungen, Namen und Methoden wurden eingeführt, die zur Zeit der Sklaverei für Frauen und Männer galten und später in der Familie frauenspezifisch umgesetzt wurden. Der Vater wurde der Einzige im Hause mit einer Stimme.

Keine Eigenart östlicher Gesellschaften

Dass der über die Kinder in jeder Form Verfügungsgewalt besitzende Vater für seine »abzugebende« Tochter einen konkreten Betrag erhält, hat sich mit der Zeit als Tradition gefestigt. Brautgeld hat im Laufe der Geschichte zuerst bei den Babyloniern, Hethitern, Chinesen und in vielen weiteren Kulturen Anwendung gefunden. Auch wenn es den Anschein erweckt, als wäre Brautgeld ein rein in östlichen Gesellschaften praktizierter Brauch, ist er tatsächlich mehr oder weniger auf dem europäischen, asiatischen und afrikanischen Kontinent verbreitet. In der Antike Roms und Athens ebenso wie bei den Arabern und in der jüdischen und christlichen Religion war Brautgeld als erforderlicher »Preis« oder »Vertrag zur Übertragung von Rechten« akzeptiert und fand als bestehende Praxis in Asien, Afrika und dem Fernen Osten auch im zwanzigsten Jahrhundert intensiv weiter Anwendung.

In der kurdischen Geschichte existiert kein Brautgeld

Brautgeld ist kein der kurdischen Gesellschaft und Kultur eigenes Element. Bei den ursprünglich der zoroastrischen Philosophie verbundenen Kurden ist eine Ehe ohne Einverständnis gesellschaftlich nicht erwünscht und verboten. In dieser vom neolithischen Zeitalter beeinflussten Kultur wurde die Vereinbarung der Ehe durch gegenseitige Geschenke gefeiert. Frau war als ihre Umgebung prägende und in allen Bereichen ihres Lebens Rechte kennende Form des natürlichen Lebens heilig. Als Produzierende, Gebärende und ihr Umfeld formende Frau hatte sie in der Gesellschaft eine besondere Stellung inne.

»Heqê şîrê dayîkê« – das Recht der Muttermilch

Mit der Einflussnahme des Patriarchats und der Entwicklung der Sklaverei hält ebenso Brautgeld als Brauch Einzug in die kurdische Gesellschaft. Durchgesetzt hat sich dabei gemeinsam mit der Islamisierung der Begriff »mahir«. Erlebte Kriege, Ausbeutungspolitik, gesellschaftliche Höhen und Tiefen, Zerstörung und Gewalt stärkten diese Traditionen und Frau stürzte als Austausch-Objekt vom Heiligenstatus zur Verfluchten. So wird auch in der heutigen Zeit der Brauch des Brautgeldes in der kurdischen Gesellschaft weiterhin als selbstverständlich aufrechterhalten. Auch wenn verschiedene Begriffe wie »heqê şîrê dayîkê« (Recht der Muttermilch), »heqê xal« (Recht des Onkels), »serê sibêhi « (Morgengabe, Recht der Entjungferung), »qelen« (Brautgeld) verwendet werden, entsprechen sie in ihrer Bedeutung dem Brautgeld. Manchmal kann auch, wenn nicht ausreichend Geld oder zu leistender Gegenwert zur Verfügung steht, »berdel« – der Austausch der Töchter zwischen zwei Familien – zum Zuge kommen.

Auch bei den Yeziden

Auch in der yezidischen Kultur dauert die Praxis des Brautgeldes an. Auch dort wird der Wert durch die Schönheit und den sozialen Status der Frau bestimmt. Zugleich besteht unter den Yeziden die Verpflichtung zur innerkulturellen Heirat. Sie können ausschließlich untereinander heiraten. Im Glauben daran, als Gruppe von Gott besonders auserwählt zu sein, verstehen sie die Vermischung der Stammlinie mit fremdem Blut als Verrat und größte Sünde. Diese Regel wird überaus streng und kompromisslos angewendet.

Wir rufen alle zur Unterstützung!

Die in keinem Lebensbereich nach ihrer Meinung gefragten Frauen fühlen sich in jedweder Richtung zerrissen. Diese Ausbeutungskultur richtet sich nicht nur direkt gegen Frauen, ebenso werden Männer und die gesamte Gesellschaft ausgebeutet und dem Verfall preisgegeben. Als Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e. V. haben wir bis jetzt bei unseren Nachforschungen, in den veranstalteten Seminaren, persönlich aus den Geschichten der Frauen erfahren, dass in Kurdistan und in Europa, durch die Zahlung von und das Feilschen um Brautgeld, Frauen als Handelsobjekt wahrgenommen werden. Mit der Kampagne »NEIN zu Brautgeld!« stellen wir uns gegen dieses Verständnis. Mit der Zielsetzung der Befreiung der Frau und der Demokratisierung von Gesellschaft und Familie wollen wir die Öffentlichkeit sensibilisieren und eine gemeinschaftliche Widerstandskultur erreichen gegen die kapitalistische Moderne und ein Verhaftet- und Eingezwängtbleiben in rückständigen Traditionen. Dazu laden wir zuallererst Frauen sowie Jugendliche und alle interessierten Gruppen ein, die Kampagne »NEIN zu Brautgeld!« zu unterstützen, und wünschen uns, dass sich alle aktiv daran beteiligen und ihre Gedanken und Vorschläge mit uns teilen.