v-25-11-13-kadin-siddet-yuruyus klNur die Frauen selbst können sich helfen

Die tragische Lage der Frauen in Südkurdistan

N. Deniz Bilgin, Journalistin

Südkurdistan ist eines der Gebiete, in denen Frauen von Männern beherrscht werden, in denen sie Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt sind. Während sie im Schatten der Männer nicht mit ihrer eigenen Identität in der Politik vertreten sein können, werden sie ermordet, verbrannt, missbraucht und vergewaltigt. In jedem Lebensbereich in Südkurdistan herrscht Gewalt gegen Frauen wie Genitalverstümmelung, Mord, Verbrennung, Missbrauch, Vergewaltigung, Selbsttötung, Verkauf ihrer Körper.

 

Das schlimmste Ausmaß nimmt die Gewalt an bei der Selbsttötung der Frauen durch Selbstverbrennung. Allerdings werden etliche Frauen von Verwandten verbrannt und dies wird dann als Suizid dargestellt. Jedes Jahr (manchmal auch mehrmals im Jahr) werden in Südkurdistan Nachrichten über Gewalt an Frauen oder Statistiken veröffentlicht. Doch es ist zweifelhaft, wie genau diese Statistiken die Realität widerspiegeln. Denn die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen in der feudalen Gesellschaft in Südkurdistan ist weitaus höher. Entweder werden die Frauenmörder nicht festgenommen oder sie kommen nach kurzer Zeit wieder frei. Auch wenn im vergangenen Jahr einige kleinere Gesetze mit Familienbezug erlassen worden sind, schafft die Regierung in Südkurdistan praktisch keine ernsthaften Lösungen. Die Frau ist nirgendwo in irgendeinem Lebensbereich mit ihrer eigenen Identität vertreten. Sie ist das zweitrangige Geschlecht, sie arbeitet in der Küche, gebärt Kinder, dient dem Mann.

Auch die Frauenorganisationen konnten bisher nicht aus dem Schatten der männlichen Herrschaft treten. Die einzige rein aus Frauen gebildete Organisation vor Ort ist die Organisation der Frauen für Freiheit in Kurdistan (Rêxistina Jinên Azadîxwaz ên Kurdistanê – RJAK). In allen anderen sitzen sogar in den Vorständen Männer.

Die Bilanz der Gewalt gegen Frauenorganisationen

Es gibt viele verschiedene Gründe für die Gewalt gegen Frauen. Der erste ist der, mitten in einem militärischen, ökonomischen und politischen Kriegsgebiet zu leben. In einer permanenten Kriegssituation erleiden Frauen mehrfach Schaden. Hinzu kommt die feudale und religiöse Mentalität in der Region. In einem solchen System entsprechen die Gesetze natürlich dieser Einstellung, vertreten somit die Seite des Mannes. Angesichts der Statistiken der letzten zwei Jahre erkennen wir die tragische Lage der Frauen.

Auf Gewalt gegen Frauen trifft man überall, vom politischen bis zum gesellschaftlichen Bereich. Physische als auch psychische Gewalt. Zentren, die die Gewalt gegen Frauen verfolgen, veröffentlichen darüber manchmal jährlich, manchmal halbjährlich Statistiken. Schauen wir uns diejenigen der ersten acht Monate des Jahres 2013 an. Sie betreffen die Regionen Silêmanî (Sulaimaniya), Hewlêr (Arbil), Duhok (Dahuk), Germiyan (Kirkuk), Ranya (Raniya)und die zugehörigen Gebiete. Auch wenn sich die Ausmaße unterscheiden, gibt es Gewalt in nahezu jeder Stadt.

Demnach wurden in den ersten acht Monaten in 2013 gezählt: 33 Morde durch Männer, 23 Suizide, 161 Verbrennungen, 90 Selbstverbrennungen, 3260 Anzeigen wegen Gewalt, 190 Anzeigen wegen sexueller Gewalt. Insgesamt 3757 Fälle von Gewalt gegen Frauen. Vergleichen wir sie mit der Statistik des vorangegangenen Jahres 2012, als 4645 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert worden waren, so erkennen wir einen Rückgang der Zahlen.

Fälle von Verbrennung und Selbstverbrennung werden getrennt in die Statistik aufgenommen, da die Umstände von Selbstverbrennungen mittlerweile fragwürdig geworden sind. Nicht bei jedem Fall von Verbrennung handelt es sich um Suizid, meist werden Frauen auf diese Weise ermordet, deshalb werden Selbstverbrennungen und Verbrennungen unterschiedlich kategorisiert.

Ein weiteres Problem in der Region ist die physische Ausbeutung des weiblichen Körpers. Das geht so weit, dass es allein in Silêmanî an die 300 Räumlichkeiten geben soll, in denen Frauenkörper verkauft werden. Dieses Beispiel zeigt die Brisanz dieser Lage.

Kein Vertrauen in die Statistiken

Das sind die Statistiken der letzten zwei Jahre. Aber viele Menschen und Institutionen stehen diesen Statistiken misstrauisch gegenüber. Denn die Zahlen werden aus den Fällen erschlossen, die in den Medien oder bei der Polizei auftauchen. Es sind also die bekannt gewordenen Fälle. Doch über diese hinaus gibt es weit mehr Frauen, die getötet werden, sich selbst verbrennen oder verbrannt werden.

Zudem genießt das Beobachtungszentrum zur Gewalt gegen Frauen, das die Statistiken veröffentlicht, kein großes Vertrauen. Es wurde 2007 vom Innenministerium gegründet und ist in nahezu jeder Provinz und jedem Kreis vertreten. Aber 90 % der Vorstandsmitglieder sind Männer. In den Kreisen Çemçemal (Dschamdschamal) und Şarezor gab es bis zu Beginn dieses Jahres nicht einmal eine Frau im Vorstand. Infolgedessen fragen sich Frauenorganisationen, inwieweit »ein Mann die Gewalt gegen eine Frau anprangern und eine Lösung aufzeigen kann«?

Hinzu kommen einige praktische Beispiele für das Misstrauen gegen dieses Zentrum. Vertreterinnen von Frauenorganisationen, mit denen wir gesprochen haben, erklären, dass Frauen, die dieses Zentrum aufgesucht haben, in ihre Familien zurückgeschickt werden. Eine dieser Frauen war Nigar aus Germiyan, die 2011 ermordet wurde. Nigar erlebte Gewalt durch ihren Mann und flüchtete sich in das Beobachtungszentrum zur Gewalt gegen Frauen. Aber die Verantwortlichen des Zentrums übergaben Nigar nach einigen Gesprächen ihrer Familie. Und Nigar wurde ermordet. Aufgrund einiger solcher Fälle ist das Misstrauen gegen dieses Zentrum gewachsen. Und die Vertretung durch Männer in etlichen Positionen des Zentrums verstärkt die Probleme.

Was macht die Regierung?

Wie aber nimmt die Regierung im Hinblick auf dieses schreckliche Bild diese Probleme auf, welche Lösung kann sie bieten? Denn die Regierung in Südkurdistan hat zwanzigjährige Erfahrung. Einige Frauenorganisationen werfen ihr vor, für dieses Bild verantwortlich zu sein. Die Regierung betrachtet diese Situation nicht ernsthaft bzw. bewertet sie nicht entsprechend. Nicht nur die Probleme der Frauen, sondern auch die gesellschaftlichen Probleme werden nicht gelöst. In der Gesellschaft ist die männliche Mentalität schon stark verankert und statt sie abzubauen, verfestigt die Politik der Regierung sie weiter. Unzureichende rechtliche und bürokratische Maßnahmen verhindern die Beseitigung oder Verringerung der Gewalt.

Ein weiterer Grund für den Anstieg der Gewalt gegen Frauen ist die mangelhafte Umsetzung von Gesetzen. Frauenmörder werden trotz Protesten von Frauen freigelassen. Trotz etlicher Verurteilungen sind bisher nur wenige Personen festgenommen oder bestraft worden. In vielen Fällen werden Tatverdächtige unter dem Vorwand, erheblich provoziert worden zu sein, oder wegen mangelnder Beweise usw. erneut freigelassen. Somit wird den Frauen die juristische Sicherheit genommen und sie werden dem Tod überlassen. Und den Männern gibt es den Mut, weiter Gewalt auszuüben. Kurz gesagt: Es gibt für die Frau keine Gerechtigkeit.

Schauen wir auf die Anzahl der Frauen in Regierungspositionen: Seit 1992 werden in Südkurdistan Wahlen durchgeführt. Aber nur ein bis zwei Frauen schaffen es ins Regierungskabinett. Auch die Anzahl der weiblichen Abgeordneten hat keinen großen Einfluss.

Ebenso wurde das Frauenministerium in Südkurdistan 2009 abgeschafft. Stattdessen wurde die Frauenkoordination gegründet, in der die Frauenformationen der politischen Parteien ihren Platz einnehmen. Aber diese Institution arbeitet nicht an der Lösung der Frauenprobleme bzw. hat nicht die entsprechende Einstellung. Meist begnügt sie sich damit, Presseerklärungen abzugeben. Somit dient sie nicht einem Projekt, sondern dem Interesse der politischen Parteien.

Die Situation der Frauenorganisationen

Auch die seit 1990 steigende Zahl von Frauenorganisationen zeigt eine gespaltene Haltung. Es lässt sich nicht leicht behaupten, dass in Südkurdistan wirklich unabhängige, selbstbestimmte Frauenorganisationen arbeiten, die gegen die männliche Herrschaft Widerstand leisten. Denn die politischen Parteien haben sehr großen Einfluss auf die Frauenorganisationen. Und die Arbeit der Parteien bezweckt nicht den gesellschaftlichen Wandel, sondern ist beschränkt auf tagesaktuelle, eng gefasste, pragmatische Themen. Wenn sich eine Frau einer politischen Partei widmet, dann ist ihr keine von der Politik dieser Partei unabhängige Stellung möglich. Und da die politischen Parteien männlich beherrscht sind, arbeiten sie nicht ernsthaft an der Lösung von Frauenproblemen, ganz im Gegenteil wird die männliche Herrschaft noch verfestigt. Eine Frauenaktivistin stellte diese Situation bestechend klar: »So wie in einer feudalen Familie ein Vater die Familie unter seinem Einfluss hält, alles besser weiß, genau so entscheiden die politischen Parteien über die Frauen.« Diese Situation hat eine dem männlichen Bild entsprechende Frau geformt. So sehr, dass Frauen, die der Gewalt ihres Mannes ausgesetzt waren oder von diesen getötet wurden, von ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen damit bedacht werden, dass sie »bestimmt nicht auf ihren Mann gehört haben«, »einen Fehler gemacht haben« oder Ähnlichem.

Diese gespaltene Haltung der Frauenorganisationen führt zu einer noch tragischeren Lage der Frauen. Sogar die Durchführung einer gemeinsamen Aktion am 25. November, dem »Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen«, wurde durch diese Haltung erschwert.

Männer arbeiten in Frauenorganisationen

In nahezu allen Frauensektionen der politischen Parteien und in den unabhängigen Frauenorganisationen und -institutionen arbeiten Männer. Das allein ist schon ein großes Problem. Sicherlich ist es unrecht, allen Frauenorganisationen vorzuwerfen, sie seien passiv und täten nichts für die Frauen. Aber die mehrheitliche Anwesenheit bzw. Mitbeteiligung von Männern in einem Umfeld, in dem Frauen atmen und Probleme diskutiert und Lösungen gesucht werden, verstärkt diese Probleme.

Wie schon zu Beginn dargestellt, ist die Organisation der Frauen für Freiheit in Kurdistan (RJAK) die einzige Organisation, deren Mitglieder und Mitarbeiterinnen alle Frauen sind. Sie arbeiten in Bereichen wie Politik, Organisation, Akademie, Presse, Kultur. Die RJAK, die bis zu diesem Jahr in Südkurdistan offiziell nicht anerkannt worden war, hat in Kerkûk (Kirkuk) eine Frauenakademie. Trotz der bisherigen Nichtanerkennung führt sie in der Gesellschaft seit Jahren Informationskampagnen zur Gewalt gegen Frauen durch. Sie hat einige Gesetzentwürfe zur Verbesserung der Situation von Frauen entwickelt. Auch wenn ihr Name nicht erwähnt wird, so sind doch einige Entwürfe, die sie der Regierung vorlegte, als Gesetz erlassen worden.

Seitdem die RJAK in Südkurdistan offiziell anerkannt ist, hat sie mit neuen Projekten begonnen. In diesem Herbst eröffnete sie Schulungskurse für 2500 junge Oberstufenschülerinnen. Die Organisation hält an Schulen Seminare ab, in denen junge Frauen zu Themenbereichen wie ihren Rechten, der männlichen Gesinnung und dem Kampf dagegen und ihrer Rolle in Familie und Gesellschaft aufgeklärt werden. Neben der Arbeit mit Frauen führt die Organisation mit der gesamten Gesellschaft, auch mit Kindern und Männern, Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen durch.

Selbstverständlich sind diese von uns aufgeführten Probleme nicht nur Probleme Südkurdistans, sondern der gesamten Welt. Aber sollte in dieser spezifischen Region nicht ein ernsthafter Schritt gegen Gewalt an Frauen getan werden, werden sie sich weiter verschärfen. Und das ist nicht nur ein Frauenproblem, sondern auch ein gesellschaftliches und vor allem eines der Regierung. Um diese tragische Situation der Frauen zu ändern, müssen allen voran die Regierung und alle Schichten der Gesellschaft sensibel sein und darauf hinarbeiten. Am wichtigsten ist die Unabhängigkeit der hiesigen Frauenorganisationen, um die Kraft zu gewinnen, mit eigenem Willen eigene Entscheidungen zu treffen.