Der 8. März aus der Sicht des »Dritten Weges«

Kein Jiyan ohne Jin 
und keine Azadî ohne Jiyan

Cenî kurdisches Frauenbüro für Frieden

 

Während wir uns dem Internationalen Tag der arbeitenden Frau am 8. März 2024 nähern, sehen und erleben wir, dass der Freiheitskampf der Frauen nicht mehr auf einen Tag beschränkt ist, sondern in jedem Moment, zu jeder Zeit und an jedem Ort geführt wird. Der Freiheitskampf der Frauen ist universell geworden. Die befreienden Veränderungen im Leben der Frauen und die konkreten Ergebnisse des Kampfes in verschiedenen Formen und Nuancen in Kurdistan, im Mittleren Osten und in verschiedenen Teilen der Welt, insbesondere in Rojava, zeigen, dass die Revolution der Frau kein Traum ist.

Seit 2010 haben Frauen in Kurdistan, im Mittleren Osten und weltweit wichtige Aufstände angeführt, wie zum Beispiel den jüngsten Aufstand »Jin Jiyan Azadî«, der von der kurdischen Guerilla und der Revolution in Rojava inspiriert wurde. In einigen Fällen haben sich die Proteste der Frauen zu einem Aufstand ausgeweitet. An Tagen wie dem 25. November oder dem 8. März finden immer wieder Frauenproteste statt. Obwohl diese Kämpfe den Kampf der Frauen auf die Tagesordnung gesetzt und das männlich dominierte System zur Diskussion gestellt haben, ist es trotz der aktuellen Zunahme von Kriegen notwendig, aus der Perspektive der Frauen einen dritten Weg zu ebnen, die gegenwärtige Situation mit einem dritten Auge zu betrachten und eine eigene Perspektive zu entwickeln. Denn ohne eine freie Frau gibt es kein freies Volk und keine freie Gesellschaft, das ist ein Leitprinzip der kurdischen Frauenbewegung. Daher sollten wir uns bewusst sein, dass wir uns in einem Konflikt befinden, der von einer patriarchalischen und kapitalistischen Mentalität geprägt ist und vor allem darauf abzielt, die Errungenschaften der Frauen zu zerstören. Die kurdische Frauenbewegung hat seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass wir uns in einem solchen Konflikt befinden und dass nur eine transnationale Solidarität und Organisation dazu beitragen können, diesen zu verhindern.

Im Gegensatz zu den bisherigen Weltkriegen wird der sogenannte »Dritte Weltkrieg« kein globaler Verteilungskrieg sein, sondern die Resilienz des Systems zur Grundlage haben. Der extreme Krisenzustand wird so lange andauern, bis das System wieder aufgebaut ist und sich selbst regeneriert hat. Um dieses Ziel zu erreichen, werden kontrollierte Angriffe in einigen Bereichen durchgeführt. Allerdings werden Destabilisierung, Spannungen, Erpressung und Drohungen in allen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Bereichen vorherrschen. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas steht derzeit an der Spitze aller ethnischen und religiösen Konflikte in der Region. Dieser Konflikt hat zweifellos den Weg für weitere, noch gewalttätigere Genozide eröffnet. Die Hegemonialmächte konnten ihre genozidale Politik umsetzen, weil es im Grunde keine Mechanismen gibt, die sie daran hätten hindern können. Internationale Mechanismen wie die Vereinten Nationen, der Internationale Strafgerichtshof, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die in der Vergangenheit teilweise funktioniert haben, sind nicht mehr wirksam oder gültig. Sie können noch so viele Erklärungen, Anhörungen oder Verurteilungen abgeben, wie sie wollen, aber sie haben keine Bedeutung mehr. Laut Öcalan wird der gegenwärtige Krieg manchmal durch Diplomatie und manchmal durch Gewalt gekennzeichnet sein. Auf der Tagesordnung werden schwere und kontrollierte Wirtschaftskrisen stehen. Die regionale Priorität wird sich ändern, aber auf jeden Fall wird der Krieg in vielen Gebieten in seiner Gesamtheit geführt werden.

Von Kurdistan bis Palästina, von Afghanistan bis Armenien

Wir werden jede Politik des Krieges, der Aggression, des Genozids und des Feminizids bezwingen, von Kurdistan bis Palästina, von Afghanistan bis Armenien. Wir sind uns bewusst, dass Freiheit die Voraussetzung für Frieden ist. Als Frauen werden wir erneut die Führung im radikalen Kampf für Frieden übernehmen. Der Befreiungskampf der Frauen garantiert eine tiefe Demokratie, deren Grenzen nicht von Staaten, sondern von Völkern gezogen werden. Wir Frauen werden die Gestalterinnen der Demokratie sein, nach der sich die Völker, die Frauen und die Unterdrückten sehnen. Die kurdische Freiheitsbewegung betrachtet die Frauenbefreiung und den Kampf gegen das Patriarchat als das Zentrum ihres Freiheitskampfes. Damit ist sie mittlerweile zu einer Avantgarde für soziale und revolutionäre Bewegungen weltweit und zur Vorreiterin des Frauenkampfes geworden. Die fünf Grundsätze der Frauenbefreiungsideologie sind die Liebe zum eigenen Land, die Entscheidung zum Kampf, Organisierung, freier Wille und freies Denken sowie Ethik und Ästhetik im Sinne einer Neudefinition von Schönheit: »Wer kämpft, befreit sich, wer frei ist, ist schön, wer schön ist, wird geliebt.«

Wie können wir das Leben verteidigen?

Anstatt den Widerstand und den Kampf von Frauen auf bestimmte Tage, Grenzen und Zeiten zu beschränken werden wir jeden Moment zu einer Zeit für die Freiheit von Frauen machen.

Stoppen wir durch gemeinsame Aktionen und Aktivitäten auf lokaler, regionaler und globaler Ebene die auf religiösem Fanatismus, Rassismus und Sexismus basierende Politik und die Kriege!

Wir müssen das patriarchalische System ganzheitlich bekämpfen, um Genozide, Feminizide und Vergewaltigung an Frauen zu verhindern. Wir sollten uns nicht mit den Reformen zufriedengeben, die uns als Schweigegeld angeboten werden, sondern eine Frauenrevolution anstreben.

Kein Leben ohne Frauen und Freiheit

Anlässlich des 8. März gedenken wir mit Respekt und Dankbarkeit aller Frauen, die im Frauenbefreiungskampf gefallen sind, und aller Frauen, die durch männlich-staatliche Gewalt ermordet wurden. Wir Frauen sind die Vorkämpferinnen des demokratischen Widerstandes gegen das patriarchale System und die staatliche Klassenzivilisation des Staates. Wir haben eine magische Formel gefunden, um die Welt zu verändern: Wir akzeptieren kein Jiyan ohne Jin und keine Azadî ohne Jiyan.


  Kurdistan Report 232 | März / April 2024