Die iranische Opposition:

Regierungskritiker oder Systemkritiker?

Farhad Jahanbeygi, Journalist

 

09 Iran Opposition 16 09 2023 HABER MERKEZI Kurt kadinlar Avrupa da alanlarda Jin Jiyan Azadi d75ac3fullDer Kampf gegen die Tyrannei in der politischen Geographie des Iran hat eine tausendjährige Geschichte, da in diesem Land nie ein demokratisches System verwurzelt war und es immer Gemeinschaften und Gruppen gab, die sich gegen die herrschenden Systeme auflehnten. In den meisten Fällen wurden Aufstände, Revolutionen und Rebellionen jedoch von den Machthabern unterdrückt, und die Geschichte dieses Landes kehrte aufgrund der fehlenden Änderung des Systems und lediglich durch Machtverschiebungen oft wieder in den gleichen vorrevolutionären Zustand zurück. Wir möchten hier nicht die Geschichte der Regierungen und ihrer Aufstände untersuchen. Stattdessen versuchen wir, die Handlungen der iranischen Gemeinschaften gegenüber den ak­tuellen herrschenden Systemen zu beleuchten und die gegen­wärtigen Wünsche von Einzelpersonen und Gruppen im Iran, insbesondere nach der Revolution von 1979, zu verstehen.

Die politische Geographie des Iran vor der Pahlavi-Ära

Das politische System im Iran vor der Machtübernahme von Pahlavi I. (1925–1941) durch die Briten war dezentralisiert und bestand aus verschiedenen politischen Einheiten, die zwar autonom in ihren internen Angelegenheiten waren, aber Tribut an die Zentralregierung zahlten und oft in Kriegen, sowohl extern als auch manchmal intern, Verbündete dieser Zentralregierung waren.

Die Lebensdauer des Iran, so wie wir ihn heute kennen, beträgt mehr als zweihundert Jahre. Seine moderne Erscheinung und seinen Aufstieg erlebte er allerdings erst mit dem Einmarsch ausländischer Truppen – in diesem Fall den Briten – und der nachfolgenden Besetzung nach dem Ersten Weltkrieg sowie den neuen politischen Umgestaltungen im Nahen Osten. Ursprünglich war geplant, den Iran nach dem Krieg mit einem republikanischen System regieren zu lassen, doch verschiedene Faktoren führten letztendlich zu einer erneuten Diktatur.

Die vielfältigen Völker im Iran hatten zuvor in einem frühen konföderalen Modell mit lokaler Autonomie gelebt. Doch mit der Neustrukturierung des Iran wurden sie konfrontiert mit Unterdrückung und Verbrechen, die von der neu etablierten iranischen Regierung begangen wurden. Dagegen kam es zu zahlreichen Aufständen und Widerstandsaktionen.

Die Ära von Pahlavi I. und II.

Doch der Widerstand konnte die Unterdrückung durch Reza Mirpandsch, auch bekannt als Pahlavi I., nicht überwinden. Mit brutaler gewalt konnte er seine Herrschaft, die von seinen Anhänger:innen als »aufgeklärte Diktatur« bezeichnet wurde, innerhalb des Territoriums der iranischen Nation festigen. Dies geschah auf der Grundlage eines Einheitsdenkens, einer gemeinsamen Sprache, einer Flagge und einer Geschichte, die in Teilen manipuliert wurde, um seine Herrschaft zu rechtfertigen.

Im Jahr 1941 wurde der Iran von den Alliierten besetzt, und die Menschen dieser Region erhoben sich erneut, um für ihre Rechte einzutreten. Dies umfasste das Streben nach Selbstbestimmung und konkrete Forderungen nach politischer Autonomie. Allerdings wurden diese Bemühungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut unterdrückt, diesmal unter Pahlavi II. (1941–1979), der Unterstützung von der Sowjetunion erhielt und Abkommen mit westlichen Mächten schloss. Das führte zu militärischen Einsätzen in verschiedenen Regionen, Massakern, Hinrichtungen und der Auflösung der Republiken von Aserbaidschan und Kurdistan. Die Bestrebungen der iranischen Völker nach Freiheit und Selbstbestimmung wurden erstickt, und die Demokratie wie die Menschenrechte blieben weiterhin unter den Trümmern dieses Landes begraben.

Pahlavi II. nutzte die Zeit, um die Grundlagen der iranischen Staatsregierung zu festigen. Er setzte auf Assimilation, insbesondere gegenüber den Kurd:innen, kulturelle Homogenisierung und die Manipulation der Geschichte, die bereits unter seinem Vater begonnen hatte. Mithilfe dieser Maßnahmen, der Ausweitung von Militärstützpunkten in verschiedenen Regionen, insbesondere in den Grenzgebieten, der Förderung der persischen Sprache in Schulen und dem Verbot von Bildung in anderen Sprachen gelang es ihm, die Arbeit seines Vaters fortzusetzen. In den 1960er Jahren gründete er ein nationales Radio und Fernsehen, die ausschließlich in Persisch sendeten, und präsentierte den Iran als Regionalmacht im Nahen Osten.

Die Revolution von 1979 und der Iran-Irak-Krieg

Mit der Revolution des iranischen Volkes im Jahr 1979 und der Einführung der Regierung des iranischen Volkes, diesmal unter der Herrschaft des Wali Faqih (religiösen Führers) anstelle einer Monarchie, gab es erneute Bemühungen, die Demokratie in verschiedenen Teilen des iranischen Territoriums zu etablieren. Es gab Versuche, politische Reformen und demokratische Prozesse in Gang zu setzen.

Der Ausbruch des Iran-Irak-Krieges (1980–1988) verwandelte eine Bedrohung in eine Gelegenheit, die das politische System des Iran nutzte. Insbesondere in den Regionen Kurdistan und Chuzestan (Arabistan) schuf der Iran einen militärisch gesicherten Raum, um die Politik der Assimilation fortzusetzen und seine Herrschaft zu festigen. Diese Bemühungen gingen jedoch mit vielen Verbrechen einher, einschließlich der »Fatwa des Dschihad« von Chomeini gegen Kurdistan und mehrere Massaker im Jahr 1988.

Nach dem Ende des Krieges wurde die Assimilationspolitik des iranischen Nationalstaates fortgesetzt und verstärkt. Dafür wurden die bereits in der Pahlavi-Ära etablierten historischen Instrumente genutzt. Zusätzlich wurden kulturell-religiöse Institutionen gegründet und erweitert, und es wurden Sonderkriege geführt, um die Ausweitung und Festigung dieser Politik voranzutreiben. Diese Politik besteht bis heute fort. In den letzten Jahrzehnten sah sich das politische System jedoch ernsthaften Herausforderungen und der Identitätssuche nicht persischer Nationen im Iran ausgesetzt.

Politische Ideologien und Forderungen

Es ist klar, dass das politische System im Iran seit 1925 bis heute keine wesentlichen, sondern lediglich oberflächliche Veränderungen erfahren hat. 54 Jahre lang bestand eine absolute Monarchie und 44 Jahre die absolute Herrschaft des Wali Faqih in Form eines zentralisierten und totalitären Systems.

Vielleicht ist es daher nicht verwunderlich, dass die letztere Gruppe sich bemüht, politische Begriffe neu zu definieren, wie zum Beispiel »Föderalismus«, abgeleitet vom lateinischen Wort »foedus«, das »Bündnis« bedeutet. Diese Bemühungen werden von manchen so stark verteufelt, als tauche der Föderalismus zum ersten Mal in der Welt auf und als stellten die Feinde des Iran und der Iraner:innen ihn als eine Art tödliches Virus oder eine neue Pest dar, die dazu dient, ihre historische Heimat in Stücke zu reißen.

In Wirklichkeit kann der Föderalismus oder der Konföderalismus, wenn er mit einem demokratischen Ansatz verfolgt wird, eine erzwungene Einheit aufbrechen und in eine echte Einheit und Pluralismus verwandeln. Er kann die Grundlagen für eine demokratische Einheit und das Zusammenleben verschiedener Völker stärken und die Rechte aller ethnischen Gruppen und Minderheiten gewährleisten.

Angesichts der bisherigen Aufzeichnungen und der aktuellen Perspektiven der Gesellschaften sowie der politisch-bürgerlichen Strömungen der nicht persischen Nationen und ihrer aktuellen Forderungen wird ein signifikanter Unterschied zwischen zwei Gruppen deutlich: Derjenigen, die das gegenwärtige Regierungssystem im Iran ablehnt; sie setzt sich aus politischen bürgerlichen Strömungen zusammen, die Veränderungen im bestehenden politischen System anstreben. Sie haben bestimmte Forderungen und Vorstellungen davon, wie das politische System im Iran reformiert oder umgestaltet werden sollte. Und dann gibt es diejenigen, die als Feinde des Systems betrachtet werden. Ihr Hauptziel ist nicht nur die Absetzung der aktuellen Regierung, sondern die Beseitigung des bestehenden politischen Systems als Ganzem.

In der Tat kann das, was die nicht persischen Nationen als Opposition und Widerstand seit Pahlavi I. bis heute gegen die Akzeptanz der Idee des Nationalstaates unternommen haben, als die Bemühungen der Gegner zum Sturz des politischen Systems im Iran kategorisiert werden und nicht als Feindschaft gegen die Regierung.

An den Namen der Parteien, Bewegungen und Proteste von zentralisierten Iraner:innen im letzten Jahrhundert erkennen wir grundlegende Unterschiede zu den Bewegungen anderer Nationen, die sich gegen das politische System wehren.

Im Bereich der politischen Geographie des Iran haben wir jedoch immer wieder das Aufkommen und die Erscheinung von nationalen Bewegungen erlebt, die nach Autonomie und der Sicherung nationaler Rechte strebten und einen Wandel des zentralisierten zu einem dezentralisierten politischen System forderten. Hierzu gehörten zum Beispiel die autonome Republik Chorasan, die Bildung einer provisorischen Regierung in Aserbaidschan, die Wälderbewegung (die die Bildung einer Räterepublik anstrebte), der Aufstand von Täbris (der zur Bildung der Freien Republik führte), die Nationale Union von Tabaristan, die lokale Regierung in Arabistan (Chuzestan), der Aufstand von Naseriyyeh (in Arabistan), der Aufstand von Ismail Agha Simko (in Kurdistan), die Bildung der Republik Aserbaidschan, die Bildung der Republik Kurdistan und viele weitere.

Vergleichen wir die Bewegungen und Parteien im Zentrum und in der Peripherie, erkennen wir deutlich ihre ideologischen Unterschiede und Ziele. Die zentralen Parteien sind, wie aus ihren Namen und Symbolen hervorgeht, zentralistisch ausgerichtet und in vielen Fällen rassistisch und leugnen bestimmte Aspekte (zum Beispiel geschichtliche Ereignisse). Im Gegensatz dazu sind die Parteien und Bewegungen in der Peripherie deutlich identitätsorientiert, demokratisch und streben nach einem dezentralisierten politischen System, sei es innerhalb oder außerhalb der aktuellen politischen Geographie des Iran.

Daher kann geschlussfolgert werden, dass die zentralen Parteien, obwohl sie im Exil sind und selbst gegen die vorherrschende Ideologie opponieren, Unterstützer des aktuellen Regierungssystems sind und im Wesentlichen eine Veränderung in der Regierungsführung anstreben. Im Gegensatz dazu setzen sich die Parteien in der Peripherie für ein politisches System ein, das nicht zentralisiert ist, und verfolgen die Erfüllung ihrer nationalen Forderungen.

Die Jin-Jiyan-Azadî-Bewegung und die Schlüsselrolle der nicht persischen Opposition

Die Jîna-Bewegung, auch bekannt als »Jin Jiyan Azadî« (Frau Leben Freiheit), weist erhebliche Unterschiede zu den früheren Aufständen im Zentrum des Iran und seiner Umgebung auf. Sie begann mit dem tragischen Tod von »Jîna Amini«, einer kurdischen Frau aus der Provinz Kurdistan, und dem kurdischen Slogan »Jin Jiyan Azadî«, der auch zum Manifest der Revolution wurde. Die Bewegung erstreckte sich über den gesamten Iran und sogar die Straßen Europas und erhielt erstmals breite internationale Unterstützung.

Obwohl die zentralisierten politischen Strömungen im Iran über Macht und Lobbyist:innen verfügen, sind sie nicht in der Lage, die Stimmen und Forderungen anderer Völker im Land zum Schweigen zu bringen oder zu verleugnen, und in einigen Fällen sind sie gezwungen, die Bewegung anzuerkennen.

Die nicht persischen Parteien, die im Iran verboten sind und größtenteils von der iranischen Regierung und auch Opposition als koordinierte, terroristische, separatistische und feindliche Gruppen betrachtet werden, haben nach Jahren des Kampfes Büros in Europa, den USA und sogar den Nachbarländern eröffnet. Sie verfügen über Medien, Beziehungen und manche sogar über die Unterstützung ausländischer Regierungen. Einige von ihnen haben auch militärische Zweige zur Verteidigung gegen Angriffe der iranischen Regierung. Im Gegensatz zu vielen zentralisierten Strömungen haben sie eine Volksbasis und historische Wurzeln im Kampf.

Während der Jin-Jiyan-Azadî-Revolution haben diese Parteien eine entschiedene und klare Position eingenommen und die Stimmen und Wünsche ihrer eigenen Völker mit Nachdruck vertreten. Ein Jahr nach Beginn dieser Revolution, die den Druck auf die Regierung und das System erhöht und sie in die Krise gestürzt hat, sollten iranische Menschen und Gruppen, wenn sie wirklich die Einheit des Landes erhalten wollen, die legitimen Rechte der Völker und deren Wunsch nach einem dezentralisierten (demokratisch-konföderalem) System im Iran anerkennen. Andernfalls könnten zukünftige Entwicklungen dazu führen, dass die territoriale Integrität des Iran trotz seiner historischen Bedeutung nicht mehr zu retten ist.


Kurdistan Report 230 | November / Dezember 2023