Duran Kalkan zum PKK-Verbot in Deutschland
»Das Verbot hängt mit den deutsch-türkischen Beziehungen zusammen«
Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), hat in den von der PKK kontrollierten Meder-Verteidigungsgebieten mit der Nachrichtenagentur ANF über das Betätigungsverbot der PKK in Deutschland gesprochen. Kalkan betont, dass die kurdische Bevölkerung seit dem Inkrafttreten des Verbots mit Polizeiterror konfrontiert ist und dies mit den Beziehungen zwischen Ankara und Berlin zusammenhängt. »Die Kurden leisten nicht nur gegen die Hegemonialmächte im Mittleren Osten Widerstand«, erklärt er, »sondern auch gegen die NATO und das westlich-kapitalistische System.« Ohne eine Veränderung der Politik des Westens werde man diesen Widerstand weiterführen. Wir geben im Folgenden eine gekürzte Fassung des am 17.11.2013 bei ANF erschienenen Interviews wieder.
Wir können beobachten, dass sich Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten am stärksten mit der kurdischen Sache und der PKK beschäftigt. Warum Deutschland?
Deutschland wurde innerhalb des NATO-Systems diese Aufgabe und Rolle übertragen. Insbesondere mit dem Neuaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die BRD eine besondere Beziehung mit der Türkei aufbauen. Die NATO verfügt in ihrem System über Organisierungen, die sich spezifisch mit bestimmten Ländern auseinandersetzen. Sie heißen »Ländertische«. So gibt es beispielsweise in der NATO einen Türkei-Tisch oder einen Griechenland-Tisch. Lange Zeit war der Türkei-Tisch der NATO in Deutschland. Er wird selbstverständlich nicht allein von Deutschland geführt, sondern die gesamte NATO-Struktur befasst sich mit der Türkei. Aber er ist für Deutschland natürlich auch von besonderem Interesse, einfach weil er sich in Deutschland befindet.
Es ist eine Gegebenheit, die sich wohl aus der Vergangenheit herausgebildet hat: Sie basiert auf der Freundschaft zwischen Deutschland und der Türkei im Ersten Weltkrieg und den Beziehungen des deutschen Imperiums mit dem osmanischen Imperium. Auf staatlicher Ebene gibt es eine Nähe. Im Ersten Weltkrieg waren sie Verbündete und wurden beide besiegt. Später wurden diese beiden Staaten auf der Basis dieser Niederlage wiederaufgebaut. Die türkische Republik wurde gegründet und in Deutschland ein Staat aufgebaut, den Hitler übernommen hat. Auch wenn die türkische Republik nicht in den Zweiten Weltkrieg eingetreten ist, pflegte sie bis 1944 gute Beziehungen zu Deutschland. Sie sind nicht auf der Seite der Deutschen gegen die Alliierten in einen Krieg getreten. Sie haben ihre Beziehungen zu Großbritannien nicht abgebrochen, aber auch ihre Beziehungen zu Hitler-Deutschland wurden nicht auf Eis gelegt. Die türkische Republik war einer der letzten Staaten, der Hitler-Deutschland schließlich den Krieg erklärt hat.
Die Türkei ist nach dem Zweiten Weltkrieg 1952 der NATO beigetreten. In dieser Phase wurde auch gleichzeitig Deutschland neuaufgebaut. Es gab den Marshall-Plan, der sowohl Deutschland als auch die Südostflanke der NATO, Griechenland und die Türkei, miteinschloss.
Außerdem wurden Menschen aus der Türkei als Arbeiter nach Deutschland geschickt. Aus verschiedenen Teilen der Welt wurden Menschen für den Wiederaufbau Deutschlands beschäftigt, die meisten von ihnen aus der Türkei. Folglich wurden die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auf eine noch höhere Stufe gehoben und gewannen eine ökonomisch-finanzielle Dimension dazu. Diese zwei Staaten sind die Staaten innerhalb der NATO, die die engsten Beziehungen pflegen. Vermutlich ist das der Grund, weshalb der Türkei-Tisch der NATO in Deutschland organsiert wurde. Die NATO hat ihre Türkei-Angelegenheit über Deutschland betrieben.
Die Beziehungen der Türkei mit Deutschland sind enger als mit den USA
Weil die ökonomischen, sozialen und politischen Beziehungen aus den bereits erklärten Gründen so stark waren, haben die türkisch-deutschen Beziehungen eine sehr intensive Qualität gewonnen. (…) Man hat die Türkei auch als 51. Bundesstaat der USA bezeichnet, doch eigentlich war sie schon immer wie ein Bundesland Deutschlands. Das hat sich nicht grundlegend verändert. Auch wenn politische Gegensätze bestehen, bleiben die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sowie die sozialen Beziehungen auf dem gleichen Niveau. Gerade wegen dieser tiefgehenden Partnerschaft hat Deutschland die Aufgabe übernommen, beim Kampf gegen die PKK eine wichtige Rolle zu spielen.
(…)
Auf der anderen Seite leben sehr viele Menschen aus der Türkei heute in Deutschland. Unter diesen Menschen gibt es Kurden wie Türken. Je stärker sich der Freiheitskampf in Kurdistan organisiert hat, desto stärker war der Einfluss dieses Widerstandes auch in Deutschland zu spüren. Der deutsche Staat hatte große Angst davor, dass die Auswirkungen des kurdischen Freiheitskampfes auch auf seinem Staatsgebiet zu spüren sind. Deswegen wollte er so früh wie möglich seine Vorkehrungen treffen. Es lag also nicht nur im Interesse des türkischen Partners, sondern auch im eigenen, die PKK zu bekämpfen und ihren Aktionsradius einzugrenzen.
Nach dem ersten bewaffneten Vorstoß der PKK am 15. August 1984 hat die Türkei 1985 einen gemeinsamen Kampf gegen die kurdische Guerilla an die NATO herangetragen. Die NATO entschließt sich dazu, die Türkei zu unterstützen. Ende 1986, Anfang 1987 findet eine Versammlung der europäischen Geheimdienste statt, auf der es um die gemeinsame Bekämpfung der PKK geht. Dort wird der Beschluss gefasst, die PKK europaweit zu verfolgen. Nach dieser Entscheidung beginnen die Festnahmen, Verfolgungen und Verurteilungen gegen die PKK in Europa.
Ich weiß nicht, ob es weiterhin so gehandhabt wird, aber damals wurden alle Vorfälle, für die die PKK verantwortlich gemacht wurde, an Deutschland übermittelt. Wenn beispielsweise etwas in Frankreich geschah, übermittelten die französischen Behörden die Einzelheiten dieses Vorfalls an die deutschen Behörden. Der Grund hierfür war, dass die Gerichtsverfahren gegen und die Verurteilungen von PKKlern Aufgabe der BRD waren. In den letzten zehn Jahren hat nun Frankreich selbst angefangen, Verfahren gegen vermeintliche PKK-Mitglieder durchzuführen. Aber bis etwa zum Jahr 2000 hatte Deutschland eine solche Funktion innerhalb der NATO beim Kampf gegen die PKK inne. (…)
Das Düsseldorfer Verfahren [1988–94] hat sich in diesem Rahmen entwickelt. Es ist also das Ergebnis des NATO-Beschlusses zur gemeinsamen Bekämpfung der PKK. Die Geheimdienste haben sich für die gemeinsame Verfolgung der PKK entschieden und Deutschland hat die Rolle erhalten, kurdische Aktivisten in Europa hinter Gitter zu bringen.
Das Düsseldorfer Verfahren ist also die Folge eines NATO-Beschlusses. Es ist zugleich auch die Folge der deutsch-türkischen Beziehungen, die bis vor den Ersten Weltkrieg zurückreichen. Für die Umsetzung des Verfahrens wurden Millionen D-Mark ausgegeben. Das war sicherlich kein einfaches Verfahren für die BRD, das haben auch die deutschen Verantwortlichen zugegeben.
Kann man das Düsseldorfer Verfahren als eine Abrechnung zwischen Deutschland und der PKK bezeichnen?
Ich denke, man kann es nicht bloß als eine Abrechnung des deutschen Staates mit der PKK bezeichnen. Es geht darüber hinaus. So, wie ich das sehe, war es viel eher eine Abrechnung des Westens, des NATO-Systems mit der PKK. Denn dem vom Westen erschaffenen System im Mittleren Osten, das auf der Verleugnung der Kurden basiert und die Vierteilung Kurdistans zur Folge hatte, wurde von der PKK der Kampf angesagt. Und genau aus diesem Grund sollte mit der PKK abgerechnet werden.
In diesem Sinne war Deutschland in diesem Verfahren Repräsentant des globalen kapitalistischen Systems, das den Mittleren Osten in Nationalstaaten zerlegt und Kurdistan viergeteilt hat. Diese Rolle hat Deutschland im Rahmen einer internen Arbeitsteilung des Westens erhalten. Somit hatte das Düsseldorfer Verfahren tiefgreifende historische Wurzeln, die auf die Entstehung der kurdischen Frage zurückgehen.
Man kann die Verantwortlichen des Verleugnungs- und Vernichtungskonzepts in Kurdistan in zwei Gruppen aufteilen. Da gibt es einmal die regionalen Staaten wie Türkei, Iran, Irak und Syrien, die unmittelbar hierfür Verantwortung tragen. Aber es gibt da auch die Vertreter des globalen kapitalistischen Systems, die den Mittleren Osten und Kurdistan nach ihren Interessen in Nationalstaaten zerlegt haben. Sie werden repräsentiert durch die NATO, aber auch die EU steckt da drin. Die Widersprüche zwischen der PKK und den Vertretern dieses Systems sind offensichtlich, weshalb es zwangsweise zu gewissen Auseinandersetzungen gekommen ist. Das Düsseldorfer Verfahren war ein Teil dieser Auseinandersetzungen. Doch wenn wir uns das Tableau heute anschauen, denke ich, dass die PKK aus diesen Auseinandersetzungen gestärkt hervorgegangen ist.
Deutschland macht das PKK-Verbot unter anderem an den radikalen Widerstandsaktionen der Kurden fest. Reicht das als Argument für das Betätigungsverbot?
In den Jahren 1992 und 93 entwickelte die kurdische Bevölkerung in ganz Europa, allen voran in Deutschland, einen starken Widerstand gegen das Kriegskonzept in Kurdistan, aber auch gegen all die Unterstützer dieses Konzepts. In ganz Europa kam es zu bedeutenden, aber auch radikalen Aktionen im Rahmen dieses Widerstands. Diese Aktionen waren in erster Linie gegen den Krieg in Kurdistan gerichtet. Aus dieser Sicht heraus wurde auch der Düsseldorfer Prozess als Teil des Kriegskonzeptes in Kurdistan von den in Europa lebenden Kurden aufgefasst. Für sie war der Prozess eine große Ungerechtigkeit. Nicht nur, dass Deutschland die türkische Armee, die in Kurdistan Massaker verübte, mit Waffen ausstattete, nun wurden auch in Deutschland selbst kurdische Aktivisten festgenommen und inhaftiert. Das hat die Wut der Kurden noch weiter gesteigert. Der deutsche Staat hatte mit einem solchen Widerstand nicht gerechnet. Sie befürchteten, dass er sich noch weiter radikalisieren könnte, dass er gar zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Deutschland führen könnte. So weit sollte es nie gehen, aber dennoch wurde der Widerstand radikal geführt. Denn in Kurdistan war ein Vernichtungskonzept gegen die Kurden und ihre Guerillakräfte im Gange. Es war die Zeit von Demirel, Çiller, Ağar und Doğan Güreş. Diese bildeten in der Türkei nicht nur die Staatsspitze, sie waren auch die Köpfe einer Konterguerilla. Bis heute ist nicht klar, was in ihrer Zeit alles gelaufen ist. Sie haben jemanden wie Özal, der eine politische Lösung der kurdischen Frage im Visier hatte, eliminiert. Nicht nur ihn, auch der Geheimdienstchef und wichtige Generäle wurden aus dem Weg geräumt. An ihre Stelle kamen die Kriegstreiber, JITEM und andere Akteure des schmutzigen Krieges.
Dies alles waren letztlich Einflussfaktoren für das Verbot. Aber man kann sie nicht als alleinige Ursache bezeichnen. Die bestimmende Ursache war eigentlich etwas anderes: Das Düsseldorfer Verfahren hatte im Sommer 1993 seine ganze Legitimität in der Öffentlichkeit verloren. Der einseitige Waffenstillstand der PKK im selben Jahr hatte maßgeblich dazu beigetragen. Das ganze Szenario des Düsseldorfer Verfahrens begann selbst in der deutschen Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Der deutsche Staat wusste nicht mehr so recht, wie er es weiterführen sollte.
Unser Verfahren verfügte über Akten, die mehr als 40 000 Seiten umfassten. Ein solches Verfahren hätte sich noch über Jahre hingezogen. Uns war das ziemlich egal. »Sie sollen tun, was sie nicht lassen können«, war unsere Meinung. So schritt das Verfahren voran. Doch je weiter es voranschritt, desto klarer wurde, dass nicht wir gegen das Recht verstoßen hatten, sondern diejenigen, die uns verfolgt und festgenommen hatten. Nun machte sich der Staat ernsthaft Sorgen. Über unsere Anwälte ließen sie uns wissen, dass sie mit uns sprechen wollten. Wir willigten ein und es kam zu einem Treffen der Richter, Staatsanwälte, unserer Anwälte und uns. Uns war zunächst nicht ganz klar, was sie mit diesem Treffen beabsichtigten. Nach einigem Hin und Her rückten sie dann mit dem raus, was sie eigentlich wollten: »Dieses Verfahren hat schon viel zu lange gedauert. Wir wollen es endlich beenden. Aber nach unseren Gesetzen erscheint es nicht möglich, euch zu verurteilen. Nun seid ihr seit sechs Jahren in Haft. Wenn wir euch ohne eine Verurteilung rauslassen, verliert unser Staat an Ansehen. Es gibt unzählige Straftaten, die in der Prozessakte vorgetragen worden sind. Sucht euch jeweils eine Strafe aus, wir verurteilen euch deswegen und daraufhin kommt ihr frei!« Das war ihr Vorschlag. Wir lehnten selbstverständlich ab. Warum sollten wir auch eine Schuld auf uns nehmen? Wir dachten, dass wir ohnehin genügend Zeit abgesessen hatten. Sie glaubten wirklich, dass sie uns mit einem solch lächerlichen Vorschlag auf ihre Linie kriegen könnten.
Als sie verstanden, dass wir ihr Angebot nicht akzeptieren würden, erließ der deutsche Innenminister das PKK-Verbot. Dadurch wurde die PKK zu einer kriminellen Vereinigung erklärt und die Mitgliedschaft in der PKK war von nun an ein Straftatbestand. Wir wurden schließlich auch in diesem Rahmen als Verantwortliche der PKK zu Haftstrafen verurteilt. Da wir die Haftzeiten ohnehin abgesessen hatten, kamen wir frei. Nur durch diesen Beschluss konnten sie uns im Düsseldorfer Verfahren verurteilen. Das ist auch eine der wichtigen Ursachen für das 1993 erlassene Betätigungsverbot gewesen. So konnten sie sich aus diesem Verfahren noch herauswinden. Außerdem haben sie durch das Verbot die Möglichkeit, jederzeit kurdische Aktivisten legal zu verfolgen. Das war natürlich in ihrem Sinne.
Welche Auswirkungen dieses Verbot auf die in Deutschland lebenden Kurden bis heute hat, ist hinreichend bekannt. Mit diesem Verbot kann so gut wie jeder Kurde in Deutschland kriminalisiert werden. Dafür reicht die bloße Sympathie zur PKK aus. Je nach Wunsch und Bedarf können Staatsanwälte und Polizeichefs sich Gerichtsbeschlüsse besorgen, mit denen sie die kurdischen Vereine und Privatwohnungen von in Deutschland lebenden Kurden durchsuchen können. Mit dem Verbot wurden Belästigungen und Drangsalierungen kurdischer Bürger in Deutschland für legitim erklärt. In unzähligen Fällen wurden Kurden mit Geld- und Haftstrafen belegt. Auf Grundlage des Verbots wurde ein ganzes Unterdrückungssystem gegen die in Deutschland lebenden Kurden errichtet. […]