Frauenstiftung in Rojava setzt in ihren Projekten auf Hilfe zur Selbsthilfe und Empowerment
Die freie Frau ist die Grundlage für eine freie Gesellschaft!
Roza Nûdem
Am 1. September 2014, dem Weltfriedenstag, wurde zum ersten Mal eine Frauenstiftung mit feministischen Zielen im Mittleren Osten gegründet. Die Aufbauarbeiten von Weqfa Jina Azad a Rojava (Stiftung der Freien Frau in Rojava) fanden in einer Region statt, in der ein Krieg herrscht, der mit seiner Brutalität die Welt erschüttert, und in der ein enormer gesellschaftlicher Umbruch und eine Revolution stattfinden, bei der insbesondere die Vorreiterrolle der Frauen die Welt begeistert. Die Stiftung arbeitet mit der Losung »Die freie Frau ist die Grundlage für eine freie Gesellschaft!«.
Die Ziele der Stiftung sind umfangreich und hoch angesetzt. Sie möchte mit ihrer Arbeit Frauen in Rojava, Syrien und Südkurdistan in ihrem Emanzipationsprozess unterstützen. Sie arbeitet an einer von Frauen autonom geleiteten flächendeckenden gesundheitlichen und psychologischen Versorgung für Frauen und Kinder. Sie schafft mit ihren Vorschulen eine Bildung für Kinder aller Ethnien in der jeweiligen Muttersprache mit dem Ziel der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Volksgruppen und Religionen für ein ethnisch-demokratisches Zusammenleben. Sie ermöglicht Frauen einen Zugang zu einer eigenen Ökonomie, indem sie Kooperativen gründet, Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeit für Frauen in verschiedenen Berufszweigen schafft und Räume öffnet, in denen Frauen ihre handwerklichen Erzeugnisse anbieten können. Und nicht zuletzt kreiert sie Lebensräume für Frauen, in denen diese die Möglichkeit haben, traumatische Gewalt- und Kriegserfahrungen aufzuarbeiten und sich entsprechend ihren Begabungen und Fähigkeiten zu entfalten.
Anlässlich des ersten Jahrestages seit der Gründung lohnt sich ein Rückblick auf das Geschaffene, eine Bilanz und ein Ausblick auf weitere Perspektiven.
Aufbau der Stiftung
Die Stiftung wurde von sieben Frauen gegründet, ihre Arbeit in fünf Arbeitsbereiche eingeteilt: Bildung, Gesundheit, Ökonomie, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Forschung und Projekte. Die verschiedenen Bereiche überschneiden sich und es findet unter ihnen eine Zusammenarbeit statt.
Eines der ersten Projektkonzepte wurde gemeinsam mit dem Rat der êzîdischen Frauen aus Şengal (Sindschar) im Camp Newroz zur Verbesserung der psychischen, gesundheitlichen und ökonomischen Situation von Frauen im Camp (und später auch in Şengal) begonnen. Hier hat die Stiftung eine Frauen-Näherei eingerichtet. Die Bevölkerung im Camp will ihre traditionelle êzîdische Kleidung tragen; die Frauen der Näherei erlernen das Schneidern dieser und vieler anderer Dinge. Gemeinsam mit einer Psychologin sind psychoedukative Seminare für größere und kleinere Frauengruppen im Camp Newroz abgehalten worden, in denen über die Auswirkungen von Krieg und seine psychischen und physischen Folgen aufgeklärt wurde. Auch hat die Stiftung gemeinsam mit ÄrztInnen des Rates der ÄrztInnen des Kantons Cizîrê Frauen und Kindern Gesundheitschecks und Medikamentenversorgung in Şengal angeboten.
Kurz nach der Gründung der Stiftung der Freien Frau in Rojava wurde in Zusammenarbeit mit der Dachorganisation Yeketiya Star für Frauenkommunen und -räte eine Befragung der Frauen in der Stadt Qamişlo (Al-Qamishli) durchgeführt, um über die Lebens- und Einkommenssituation der Frauen zu erfahren und nach ihren Lebensplänen und -wünschen zu fragen. Besonders der Wunsch nach Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für sich sowie Bildungs- und Betreuungsangeboten für ihre Kinder standen im Vordergrund.
Die Entwicklung der Projekte der Stiftung
Die Projekte, die die Stiftung aus den Umfrageergebnissen entwickelt hat, sind der Aufbau von Vorschulen, die Einrichtung von Frauengesundheitszentren, der Aufbau von Frauenkooperativen und die Etablierung von Frauenparks.
In Qamişlo wurden vier Vorschulen mit 30–45 Kindern eröffnet. Die Lehrerinnen der Vorschulen sind Mitglieder der Stiftung. In wöchentlichen Treffen können sie über Schwierigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder, eigene Probleme und Herausforderungen sowie Perspektiven für die qualitative Verbesserung der Arbeit diskutieren und Vorschläge machen. Von der Stiftung wird ergänzend zu dem täglichen Vorschulprogramm Bildung für Lehrerinnen, Eltern und Kinder organisiert.
Für Eltern und Kinder ist dies die erste Möglichkeit, über die Gesellschaft und ihre Rolle als Eltern und Kinder zu reflektieren. Diese Möglichkeiten werden begeistert angenommen.
Das erste Frauengesundheitszentrum wurde von der Stiftung der Freien Frau in Rojava in Serê Kaniyê (Ras al-Ayn) eröffnet. Dort ist der Ausbau eines breiten Gesundheitsangebots geplant. Derzeit findet eine wöchentliche Sprechstunde für Frauen und auch speziell für Kinder statt. Als erste Grundlage für das naturmedizinische Angebot sind von Mitarbeiterinnen (auch wiederum Mitglieder der Stiftung) Kräuter gesammelt und getrocknet worden, und Gesundheitsgymnastik wird angeboten. Für Gesundheitsprävention und -aufklärung wurden die ersten Seminare angeboten, auch in Kooperation mit Yeketiya Star und dem Rat der ÄrztInnen in Qamişlo. Sowohl in Serê Kaniyê als auch in Qamişlo führt die Stiftung Schritt für Schritt eine Grundausbildung für Frauen für die Arbeit im Gesundheitswesen durch.
Die Arbeiten für den Aufbau von drei Frauenkooperativen (Schneidereiwerkstatt, landwirtschaftliche Kooperative und Frauencafé) hat die Stiftung Ende letzten Jahres gemeinsam mit dem Frauenrat in Til Temir begonnen. Frauen wollten sich auf diese Weise gemeinsam in Kooperativen eine ökonomische Grundlage schaffen. Diese Arbeiten mussten aufgrund der Kriegssituation eingestellt werden. Nach der Säuberung Til Temirs vom Islamischen Staat (IS) und der Rückkehr der Bevölkerung hat der Aufbau eines Cafés als Frauenkooperative begonnen. Der Rat von Til Temir hat der Stiftung das Café beim Friedhof der Gefallenen zugesprochen.
Mit der Zusage der Stadtverwaltung für die Nutzung eines Parkgeländes hat die Stiftung mit der Gestaltung eines Frauenparks in Qamişlo begonnen. Der Park wird Frauen als eigener öffentlicher natürlicher Raum zur Verfügung stehen, um sich von Sorgen und den Belastungen des Krieges zu befreien; und um neue Gedanken zu entwickeln, ist eine natürliche Umgebung hilfreich. Nach Fertigstellung werden auch Therapie- und Beratungsangebote und ein Frauencafé etabliert.
Das neue Projekt der Stiftung ist die Gründung eines Frauendorfes. Ein Frauendorf wird Frauen ermöglichen, sich gemeinsam ein eigenständiges Leben unabhängig von Gewaltverhältnissen aufzubauen. In der kollektiven Dorfgemeinschaft können sie sich Perspektiven für ein gemeinsames Leben in der Gemeinschaft und für das persönliche Leben schaffen, ihre Fähigkeiten und Begabungen entwickeln und lernen, unabhängig von Macht- und Unterdrückungsverhältnissen ein selbstständiges Leben aufzubauen. Der Bau des Dorfes hat bereits begonnen.
Es sind bereits enorme Schritte in dem einen Jahr der Existenz der Stiftung geleistet worden. In ihrer Arbeitsweise wird deutlich, dass die Stiftung der Freien Frau in Rojava als Erstes die Bedürfnisse von Frauen erfragt, um sie anschließend mit ihnen gemeinsam in entsprechenden Projekten umzusetzen. Im Gegensatz zu den meisten klassischen Stiftungen ist so ein enges Verhältnis zwischen den Frauen der Basis und der Stiftung entstanden. Die Frauenstiftung arbeitet zeitnah und schafft damit eine Dynamik, die ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Deswegen sehen Frauen die Stiftung als eine Partnerin, mit der sie sich in Projekten organisieren können, um selbstständig Lösungen für ihre Schwierigkeiten im Leben entwickeln zu können.
Durch diese Herangehensweise wird eine ethische Arbeitsweise entsprechend den Zielsetzungen zivilgesellschaftlicher Organisationen neu definiert. Wenn Stiftungen, Vereine oder auch Hilfsorganisationen gegründet werden, muss geklärt werden, inwiefern ihre Herangehensweise und ihre Organisierung für die eigene Zielgruppe auch tatsächlich den Stiftungszielen entspricht. Oder inwiefern einige wenige an dem Leid von Tausenden Menschen, Frauen, Kindern und Männern verdienen, obwohl laut ihren Satzungen eigentlich alle Spenden und Spendengelder den Bedürftigen zugutekommen sollen. Inwieweit spielen Hilfsorganisationen und Stiftungen bei der Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtigen, Bedürftigen oder Notleidenden eine Rolle? Oder inwiefern verschärfen sie mit ihrer Herangehensweise noch das Leid und unterstützen damit die Herrschafts- und Ausbeutungspolitik derjenigen, die von dieser Situation profitieren?
Die Stiftung der Freien Frau in Rojava hat sich in diesem ersten Jahr ihres Bestehens mit ihrer Arbeitsweise und ihren Fortschritten bereits deutlich an die Seite von bedürftigen Frauen und Kindern gestellt. Sie macht in ihrer Herangehensweise deutlich, dass sie auf Hilfe zur Selbsthilfe und auf Empowerment setzt. Damit entspricht sie ganz dem Motto »Die freie Frau ist die Grundlage für eine freie Gesellschaft!«.
Möglichkeiten zur Unterstützung und Mitwirkung an der Arbeit der Stiftung
Die Arbeit der Stiftung der Freien Frau in Rojava kann in dreierlei Hinsicht unterstützt werden. Für sie ist besonders die Solidarität unter den Völkern die wichtigste Unterstützung. Die Frauenstiftung strebt eine aktive Zusammenarbeit zwischen Organisationen, Gruppen und Individuen an. Diese kann in drei Bereichen stattfinden:
- Aktivitäten zur Bekanntmachung der Frauenstiftung sind wichtig, um materielle und ideelle Unterstützung für die Stiftung zu organisieren. Dies kann durch gemeinsame Veranstaltungen, Interviews, Sammelaktionen etc. und Projekte erfolgen.
- Die Frauenstiftung bildet Frauen in verschiedenen Arbeitsbereichen aus: im Gesundheitswesen, in therapeutischer Arbeit, im Bereich Erziehung und Pädagogik, in der Patisserie- und Caféorganisierung, in der Landwirtschaft und in der Nähwerkstatt. Solidarische Frauen aller Länder, die Interesse und entsprechende Fachkenntnisse haben, können ihr Wissen in Form von Seminaren und Bildungsarbeit mit Frauen in Rojava teilen.
- Es besteht natürlich ein Bedarf an der Finanzierung dieser oben beschriebenen Projekte. An unsere Partnerorganisationen kann gespendet werden. Aber auch Materialspenden sind notwendig für die Ausstattung der Frauengesundheitszentren (insbesondere Gynäkologie, Physiotherapie, Labor) und Vorschulen, Arbeitsmaterial für die Nähwerkstatt, Medikamente etc.
Für eine Zusammenarbeit mit der Stiftung der Freien Frau in Rojava könnt Ihr Euch gern unter folgendenden Kontakten melden:
Weqfa Jina Azad a Rojava (Stiftung der Freien Frau in Rojava)
Facebook: Weqfa Jina Azad
Website: www.weqfajinaazad.org
Kontakt in Europa:
c/o International Free Women‘s Foundation,
Beukelsdijk 149C , 3022-DC Rotterdam/Nederland
Tel.: 0049 151 120 70 278
Mail:
Spenden über unsere Partnerorganisationen in Europa mit den angegebenen Stichworten werden an uns weitergeleitet:
International Free Women‘s Foundation
Stichwort: WJAR
Internationale Vrije Vrouwen STG
IBAN: NL35 INGB 0006 2185 45
BIC: INGBNL2A
Kurdistan Hilfe e.V.
Stichwort: Frauenstiftung in Rojava/WJAR
Bank: Hamburger Sparkasse
BAN: DE40 2005 0550 1049 2227 04
BIC: HASPADEHHXXX
Die Kurdistan-Hilfe e. V. ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Dafür bitte Adresse mit angeben.