bildung 1Das neue Bildungssystem in Rojava


Die kurdische Sprache und die Kreativität wiederbeleben


Ercan Ayboğa, Rojava-Delegation der Kampagne TATORT Kurdistan

Mit der Revolution von Rojava (kurd.: Westen) befindet sich auch das Bildungssystem in einem Prozess schneller Veränderung hin zu mehr Vielfalt, Offenheit, Demokratie und Partizipation der SchülerInnen und LehrerInnen. Als der Aufstand in Syrien und die Revolution in Rojava begannen, lasen wir immer öfter von Kurdisch-Sprachunterricht, zunächst in Gemeinschaftsräumen und anschließend an Schulen. Das Interesse daran führte uns im Rahmen unserer Delegationsreise im Mai 2014 an einige Schulen und insbesondere an die »Akademie für die Kurdische Sprache, Geschichte und Literatur« (AZDW) in Qamişlo (Al-Qamishli). Hier kamen wir mit den zwei MitarbeiterInnen dieser so wichtigen Einrichtung Bêrîvan und Dildar ins Gespräch.

 

Die Akademie


Die Akademie liegt auf einem Hügel im Randbereich von Qamişlo auf einem Areal, das vor wenigen Jahren als ein Institut für Agrarwirtschaft errichtet wurde. Im Rahmen der Universität von Heseke (Al-Hasaka) sollten sich Studierende auch in der Landwirtschaft erproben dürfen. So stehen den MitarbeiterInnen und SchülerInnen rund um das Gebäude selbst große Flächen zur Verfügung, die vor allem agrarisch genutzt sind. Das hebt Bêrîvan hervor: »Das führt zu einer von der Stadt etwas abgeschiedenen Umgebung mit guten Bedingungen fürs Weiterbilden.«
Von dieser Akademie aus wird das gesamte Bildungssystem des Kantons Cizîre (Al-Dschasira) koordiniert, Material für den Unterricht an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen gesammelt, und für diesen Zweck werden LehrerInnen aus- und fortgebildet. Das war uns in dieser Dimension nicht ganz bewusst, als wir hierherkamen.


Der Beginn des Kurdisch-Unterrichts


Sogleich kommen wir zu dem Thema, wie alles seinen Anfang nahm in der Bildungspolitik in Rojava. Bêrîvan hebt hervor, dass sie 2011 nicht am Nullpunkt standen, sondern auf etwas Erfahrung zurückgreifen konnten. So war ab 1993 in vielen Orten Rojavas begonnen worden, in Privatwohnungen Kurdisch-Sprachunterricht zu geben. Dieser war nach einer Initiative Abdullah Öcalans aufgebaut worden, der damals in Syrien und im Libanon gelebt hatte. Die verschärfte Repression in Rojava durch den syrischen Staat hatte den Kurdisch-Unterricht teilweise zusammenbrechen lassen, doch war er durch viele Menschen fortgeführt worden – um sich zu schützen, jedes Mal in einer anderen Wohnung, oft unter Teilnahme von 10 bis 15 Personen.


Die Erfahrung war im Jahre 2011 sehr vorteilhaft. Hinzu kam die Erfahrung aus dem Flüchtlings-Camp Maxmur in Südkurdistan. Die nun 12 000 nordkurdischen Flüchtlinge hatten Mitte bis Ende der 90er Jahre ein Bildungssystem frei vom türkischen Staat und den großen südkurdischen Parteien PDK und YNK und auf Basis des Kurmancî-Dialekts aufgebaut. Die KurdInnen in Rojava sprechen alle ebenfalls Kurmancî. So kamen 2011 elf LehrerInnen aus dem Maxmur-Camp für ein Jahr nach Rojava, um mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen Unterstützung zu leisten, wo es nur möglich war.


Im Sommer 2011 wurde mit dem Aufbau des Volksrats Westkurdistans (MGRK) in vielen Dörfern der Kurdisch-Sprachunterricht von Freiwilligen gegeben. Der in den Städten privat durchgeführte Unterricht wurde ausgeweitet. Anfang 2012 wurden in einigen Orten, wo der MGRK besonders gut funktionierte, Sprachschulen in Gebäuden eingerichtet. Es nahmen nicht nur Kinder und Jugendliche teil, sondern Menschen jeden Alters. Wenn die Nachfrage groß war, konnten nach Alter unterschiedene Gruppen gebildet werden.


Die Aufgabe als LehrerInnen übernahmen diejenigen, die vor 2011 Kurdisch-Sprachunterricht bekommen und sich selbst weiterentwickelt hatten; also wer dazu in der Lage war und sich das zutraute.
Die nächste Etappe des im Aufbau befindlichen neuen Bildungssystems erklärt Bêrîvan folgendermaßen: »Mit der Befreiung von Städten und Gebieten ab Juli 2012 ergab sich auch für uns eine neue Situation mit bis dahin unvorstellbaren Möglichkeiten. Der Staat war durch die Revolution vertrieben und der MGRK hatte zusammen mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) die Kontrolle. Da bis zum Sommer 2012 viele hundert LehrerInnen ausgebildet waren, wurde vom MGRK und seiner gewählten Koordination beschlossen, ab September 2012 an möglichst vielen Schulen Kurdisch-Sprachunterricht einzuführen.« Dies konnte allerdings nicht in allen befreiten Gebieten realisiert werden, insbesondere in Cizîre nicht, was zwei Gründe hatte. Erstens gab es nicht ausreichend LehrerInnen, die dazu bereit waren. Zweitens war im Sommer 2012 vor allem in Cizîre der Staat noch in mehreren Städten präsent, er war nicht durchgehend vertrieben. Neben Afrîn und Kobanê (Ain al-Arab) wurde der Sprachunterricht auch in den kurdischen Stadtteilen von Heleb (Aleppo) fast flächendeckend eingeführt.


Die Bildungsbewegung von Rojava konnte im September 2013 die Einführung von Kurdisch an fast allen Schulen schaffen. Im Kanton Cizîre gab es Ausnahmen und zwar: in den vom Staat beherrschten Stadtteilen Hesekes, in den südlichen Gebieten Tirbespîs (Al-Qahtaniyas) und in zwei Dörfern in der Randregion von Dêrik (Al-Malikiya). Aber in den noch staatlich beherrschten Teilen Qamişlos ist Kurdisch-Sprachunterricht eingeführt worden und das trotz Widerstand des Staates.


Die genaue Funktionsweise


Auf die Frage, wie alles genau vonstattengegangen sei, antwortet Dildar, der das in ruhigem Ton und sehr ausführlich beschreibt. Demnach ist der in den letzten zwei Jahren realisierte Kurdisch-Sprachunterricht an Schulen ein zusätzliches Fach. Die anderen Schulfächer werden weiterhin auf Arabisch gelehrt. Daran ist nicht gerüttelt worden. Aber ein Fach wurde gestoppt und zwar das über die Baath-Ideologie und das herrschende politische System Syriens. Außerdem wurden die chauvinistischen Märsche, welche die SchülerInnen regelmäßig gemeinsam hatten singen müssen, abgeschafft. »Das war Gift für die SchülerInnen, weshalb das absolut inakzeptabel war«, fügt Dildar hinzu. Ebenso wurden die Statuen von Assad senior und junior entfernt. Überhaupt wurden alle politischen Symbole an Schulen untersagt: Fahnen, Bilder und Statuen.


Natürlich wehrten sich die meisten RektorInnen und Schulleitungen, doch der Staat herrschte nicht mehr und sie konnten die Staatsgewalt nicht zu Hilfe rufen. So akzeptierten sie zähneknirschend jeweils die Einführung und die Abschaffung eines Schulfachs. »Als einige RektorInnen ihren Widerstand nach Wochen nicht aufgaben, hat das MGRK seine Autorität genutzt und sie in den Urlaub geschickt.« Bei Selbstkritik könnten sie wieder in den Dienst zurückkehren.


Wie daraus für unsere Delegation ersichtlich wird, haben das MGRK und die Bildungsbewegung nicht die Schulleitungen abgeschafft oder das System komplett umgekrempelt. Sie setzen darauf, die Veränderungen etwas langsamer, aber sicher umzusetzen. Die Revolution im Bildungssystem soll gut fundiert vorankommen und langfristig wirken. Dabei kommt wahrscheinlich hinzu, dass die Bildungsbewegung kapazitiv gar nicht in der Lage war, alles zu übernehmen, ohne eventuell Verwirrung zu stiften.


Ein wichtiger Aspekt beim eingeführten Kurdisch-Sprachkurs ist, dass er freiwillig ist und keinem Zwang unterliegt. Er ist kein Pflichtfach. Dildar und Bêrîvan zufolge war es der Bildungsbewegung wichtig, dass er von den kurdischen SchülerInnen aus eigenem Antrieb angenommen wird. Die Erwartungen sind Realität geworden. Fast alle kurdischen SchülerInnen kommen zum Sprachunterricht. Das geschieht mit großer Euphorie, weshalb es gute Fortschritte gibt. Hier schränkt Dildar allerdings ein, dass es einige kurdische SchülerInnen gebe, die nicht kämen. Vor allem Kinder aus Familien, die dem Kurdischen Nationalrat in Syrien (ENKS) anhingen. Aus ideologischen Gründen erlaubten es Eltern ihren Kindern nicht, die sich teilweise trotzdem darüber hinwegsetzten.


Der Kurdisch-Sprachunterricht wird in den Schulen in der Regel zwischen vier und zehn Stunden wöchentlich gegeben. Er setzt sich aus zwei Stufen zusammen. Die erste besteht aus Grammatik und Rechtschreibung, die zweite beschäftigt sich mit der Sprachentwicklung und -geschichte. So ist nach Bêrîvan ein besseres Lernen möglich. Je nach Situation – vor allem LehrerInnenmangel – werden manchmal zwei Schulklassen zusammengelegt.


In Schulen mit keinen oder nur vereinzelt kurdischen SchülerInnen wird Kurdisch-Sprachunterricht nicht angeboten. Hier hat die Bildungsbewegung darauf verzichtet. Erst auf Anfrage wird er angeboten. Genau das ist nun seit letztem Winter an mehreren Schulen mit überwiegend arabischen SchülerInnen geschehen. Zum neuen Schuljahr soll er an weiteren Schulen angeboten werden. Über diese Entwicklung freut sich Dildar sehr. Denn dies zeige, dass das Konzept der Demokratischen Autonomie bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen langsam ankomme.


Eine weitere wichtige Entwicklung im selben Sinne, von der wir erfahren, ist die Einführung von Assyrisch-(Aramäisch-)Sprachunterricht an Schulen mit nennenswerten Zahlen assyrischer SchülerInnen. Die ersten wurden im September 2013 gestartet, zum Beispiel in der Stadt Dêrik. Hierzu bildet sich zurzeit auch ein Sprach- und Bildungsinstitut unter den AssyrerInnen heraus. Ein Unterschied, den AssyrerInnen und ArmenierInnen gegenüber den KurdInnen hatten, betraf die Möglichkeit, an Privatschulen in ihrer Muttersprache Unterricht organisieren zu können. Dildar und Bêrîvan freuen sich, wenn andere Ethnien wie die ArmenierInnen, TurkmenInnen und TschetschenInnen in Rojava alsbald einen ähnlichen Weg gehen könnten.


Anerkennung im Zeugnis und im offiziellen System


Der Bildungsbewegung ging es bei der Einführung von Kurdisch-Sprachunterricht auch darum, dass er von den SchulrektorInnen anerkannt wird. Dieser Druck wurde von Anfang an aufgebaut. Zunächst lehnten die RektorInnen es ab, auch den Kurdisch-Sprachunterricht in die Zeugnisse aufzunehmen und ihn somit offiziell anzuerkennen. Dildar und Bêrîvan haben es selbst schwarz auf weiß gesehen, dass das syrische Innenministerium die Schulleitungen davon abzuhalten versucht. Es verschickt in diesem Sinne immer wieder Schreiben an die RektorInnen. Wie auch immer, schließlich wurde im Sommer 2013 auf den Zeugnissen vieler Schulen der befreiten Regionen Rojavas Kurdisch als Fach aufgeführt. Das war ein historischer Moment, denn der syrische Staat war gezwungen, so etwas zu akzeptieren. Das sollte nicht unterbewertet werden, meint Dildar. Denn es gehe langfristig auch darum, dass der Sprachunterricht auf Kurdisch und in anderen Sprachen in ganz Syrien im Bildungssektor offiziell anerkannt wird.


Die Ausbildung der LehrerInnen


Die Akademie, in der wir uns aufhalten, wurde erst im Herbst 2013 gegründet. Somit ist sie relativ neu. Die kurdische Bildungsbewegung hingegen ist – wie weiter oben beschrieben – älter. Sowohl Dildar als auch Bêrîvan betonen, dass Anfang 2011 mehrere Dutzend Personen tatsächlich in der Lage waren, Kurdisch-Sprachunterricht auf einem guten Niveau zu geben. Das reichte für drei Millionen Menschen natürlich keinesfalls aus. Aber es musste auch schnell gehandelt werden. So haben diese LehrerInnen angefangen, so vielen Menschen wie möglich Kurdisch-Unterricht zu geben. Das beschränkte sich auf mehrere hundert bis vielleicht ein-, zweitausend. Dann wurde aus praktischen Gründen folgendermaßen verfahren: SchülerInnen, die sich schnell das Lesen und Schreiben, die Grammatik und die Methodik des Lehrens aneigneten, begannen mit einem neuen Sprachkurs. Das konnte nach wenigen Monaten der Fall sein. Das pflanzte sich so fort bis zum September 2012, als der Sprachunterricht an den Schulen begann. Mit der Befreiung vieler Städte und Gebiete wuchs der Bedarf an LehrerInnen mit einem Schlag enorm. Um den Mangel im Kanton Cizîre auszugleichen, wurde in verschiedenen Orten mit der systematischeren Ausbildung von LehrerInnen begonnen. Das war insofern erfolgreich, als im September 2013 in den meisten Schulen mit Kurdisch-Sprachunterricht gestartet werden konnte.


Mit dieser Akademie ist diese Ausbildung qualitativ deutlich besser geworden. Damit im September 2013 fast alle Schulen in Cizîre mit Kurdisch-LehrerInnen abgedeckt werden konnten, war dies notwendig. Genauso wurden in den anderen beiden Kantonen Afrîn (Akademie Viyan für kurdische Sprache und Bildung) und Kobanê (Akademie Ferzad Kemanger für kurdische Sprache und Bildung) ähnliche Institute aufgebaut. Denn der Sprachunterricht hatte noch viele Schwächen, die mit dem neuen Lehrjahr ab September 2014 zu einem großen Teil überwunden werden sollen. Kurz nach unserem Gespräch, am 26. Mai 2014, sollte die zweite Periode der Ausbildung von LehrerInnen abgeschlossen werden. Wir sahen 40 junge LehrerInnen als SchülerInnen, die mit großem Enthusiasmus bei der Sache waren. Sonst würden sie über drei Monate täglich elf Stunden Unterricht nicht so leicht aushalten.


Die SchülerInnen behandeln mit den MitarbeiterInnen der Akademie unter anderem folgende Themen in intensiver Form: kurdische Geschichte, kurdische Literatur, kurdische Sprache, Geschichte der Sprachen, Grammatik, Geschichte der Assimilation, Pädagogik, demokratische Nation, Frauenwissenschaft (Jineolojî). Die SchülerInnen haben sogar Arbeitsgruppen gegründet, die teilweise über diese Fortbildungsphase hinaus Bestand haben sollen. Eine Gruppe befasst sich mit regionaler Geschichte und Archäologie und organisiert für alle LehrerInnen Reisen zu archäologischen Stätten. Eine sehr wichtige Gruppe hat angefangen, ein Kurdisch-Wörterbuch zu erstellen. Diese langwierige Arbeit soll alle von der Bevölkerung verwendeten Wörter zusammenbringen. Hier werden auch SchülerInnen und über sie ihre Familien einbezogen. Dazu arbeitet auch eine Gruppe älterer Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, die die kurdische Sprache in ihrer ursprünglichen Art besser beherrschen und von der Assimilationspolitik weniger betroffen sind. Die Fehler und Unzulänglichkeiten in bisherigen Kurdisch-Wörterbüchern in anderen Teilen Kurdistans sollen nicht wiederholt werden. Es geht auch darum, dass für diejenigen Begriffe, für die kurdische Bezeichnungen existieren, die aber keine Verbreitung mehr finden, arabische Wörter nicht mehr verwendet werden sollen.


Wichtig ist bei der Fortbildung, dass sie alle gemeinschaftlich agieren. Es herrscht kaum ein LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis, vielmehr wird auf das Teilen und das kollektive Handeln Wert gelegt. So wird gemeinsam gekocht, Sport getrieben und geputzt. Eine sehr wichtige Tätigkeit findet auf den agrarisch genutzten Flächen um das Akademiegebäude statt, um den Kontakt zur Erde und Natur nicht zu verlieren. So wurden auf mehreren Feldern – etwa zwei Hektar groß – Obstbäume und Gemüse gepflanzt und dabei wurde ein kluges Bewässerungssystem entwickelt. Erst wollten sie das Gemüse auf die Überflutungsweise bewässern. Da es nur einen Brunnen gibt und dieser nur begrenzt Wasser fördert, wurde nach Diskussionen entschieden, ein Tropfsystem zu installieren. Das ist sehr erfolgreich gelungen. Unsere Meinung dazu ist, dass sich im Falle dieser Innovation in Rojava eher die LandwirtInnen Nordkurdistans eine Scheibe abschneiden können statt umgekehrt. Denn dort wird immer noch weit verbreitet auf verschwenderischste Weise bewässert.


Die LehrerInnen, die diese Fortbildung in Anspruch nehmen, sind noch ein kleiner Teil der Kurdisch-LehrerInnen und können sich glücklich schätzen. Die Zahl der Kurdisch-LehrerInnen beträgt in Cizîre zurzeit etwa 1300, in den beiden anderen Kantonen Afrîn und Kobanê jeweils weitere 900. Insgesamt sollen es um die 3 000 sein. Sehr hervorzuheben ist der Anteil der Frauen, der 80 bis 90 % ausmacht. Diese Zahl hat uns sehr imponiert. Wir haben uns sogleich gefragt, woran das wohl liegt.


Aktuelle Probleme


Dildar und Bêrîvan vergessen nicht, über ihre Probleme und Herausforderungen zu sprechen. Es gibt viel zu wenig Bücher, Broschüren, Hefte und andere Materialien, die im Unterricht benutzt werden. Wenige gedruckte Bücher und Lernmaterialien können verwendet werden. Zum einen kann in Rojava selbst nichts gedruckt werden, weil eine Druckerei fehlt, und zum anderen kommt wegen des Embargos durch die Türkei, die südkurdische Regionalregierung Kurdistan (KRG) und die islamistischen Banden viel zu wenig von außerhalb Rojavas rein.


Die LehrerInnen, die Kurdisch-Sprachunterricht geben, sind zumeist Menschen, die zuvor nicht an Schulen gearbeitet haben. Weil es ihre Haupttätigkeit ist, erhalten sie ein Honorar vom MGRK, damit sie das Nötigste im Leben bestreiten können. Wir haben umgerechnet, es dürften etwas mehr als 100 Euro sein, was in Rojava viel mehr wert ist als in einem Euro-Staat.


Die anderen LehrerInnen beziehen ihren Lohn weiterhin vom syrischen Staat.


Wir wollen wissen, wie denn das mit dem Kurdisch-Sprachunterricht gelernte lateinische Alphabet von den SchülerInnen und der Bevölkerung aufgenommen wird. Beide AktivistInnen antworten sogleich, dass es absolut keine Probleme oder Widerstände gebe.


Vorbereitungen für Unterricht auf Kurdisch in weiteren Fächern


Die Akademie und die Bildungsbewegung generell finden sich natürlich nicht mit einem Kurdisch-Sprachunterricht an den Schulen ab. Das große Ziel ist es, alle Fächer auf Kurdisch in guter Qualität unterrichten zu können und den SchülerInnen die Ziele einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft auf den Lebensweg mitgeben zu können. Als Zeitrahmen haben sie sich zehn Jahre gesetzt. In diesem Sinne gibt es länger laufende Vorbereitungen in der Akademie.


Zurzeit werden drei Fächer auf Kurdisch und mit neuem Inhalt vorbereitet. Das erste Fach, »Demokratische Nation«, soll die kulturelle Vielfalt dieser Region fern von Nationalismus und Geschlechterdiskriminierung wiedergeben. Hier sollen die ideologischen Ansätze des MGRK einfließen und so die Vorurteile und Barrieren zwischen den Bevölkerungsteilen eingerissen werden. Das zweite ist »Geographie und Geschichte« und das dritte »Kultur und Ethik«. Ersteres beinhaltet auch mindestens ein Seminar über ökologische Lebensweise. Letzteres soll unter anderem alle Religionen Rojavas, Syriens und des Mittleren Ostens behandeln. Der eigene Wille soll den Menschen wiedergegeben werden, denn der syrische Staat hatte ihn gebrochen. Die Schulen waren bisher wie Militärstationen organisiert, es gab auch keine oder kaum Grünflächen. Im bisherigen Bildungssystem lernten die Menschen vieles auswendig, was ihre Kreativität blockiert hat. Profitiert werden soll dabei auch von den Erfahrungen in anderen Ländern, auch wenn die Inhalte nicht eins zu eins übernommen werden können.


Ob in diesem September die drei Fächer gestartet werden, ist noch in der Diskussion. Das Fach »Demokratische Nation« hat unter den dreien den Vorrang. Gut möglich, dass es in einigen Schulen als Pilotprojekt eingeführt werden kann. Seit September 2013 läuft in mehreren Schulen von Afrîn der Versuch, in der Grundschule alle Fächer auf Kurdisch zu unterrichten. Diese Erfahrung soll in den kommenden Wochen genauer untersucht werden.


Weiterhin soll die Bevölkerung diskutieren, ob es Symbole an den Schulen geben soll, und wenn, welche. Kommt es zu einem Konsens, werden sie angebracht, aber nicht vorher.
Anlässlich des Tages der kurdischen Sprache am 15. Mai sollen an den Schulen traditionell immer Bäume gepflanzt werden. Das hatte 2013 zum ersten Mal stattgefunden und wurde 2014 erfolgreich wiederholt. So soll auch die Entfremdung von der Natur überwunden werden. Der 15. Mai hat eine eigene Bedeutung, denn am 15. Mai 1932 hatte Celadet Ali Bedirxan die erste Ausgabe der kurdischsprachigen Zeitschrift Hawar herausgegeben. Er war auch später derjenige, der das heutige kurdische lateinische Alphabet entwickelte.


Nach einem langen Tag an der »Akademie für die Kurdische Sprache, Geschichte und Literatur« mit vielen Informationen und Eindrücken verabschieden wir uns und sind großer Hoffnung, dass in den kommenden Jahren vieles erfolgreich geleistet und weiter aufgebaut wird.