Die Demokratische Partei der Völker (HDP)
Eine Alternative zu Repression und Autoritarismus
Sebahat Tuncel, Kovorsitzende und Istanbuler Parlamentsabgeordnete der HDP
Die demokratischen Kräfte in der Türkei hatten sich 2011 zum Wahlblock »Arbeit, Demokratie und Freiheit« zusammengeschlossen und gemeinsam unabhängige KandidatInnen aufgestellt und unterstützt, um so trotz der existierenden antidemokratischen Zehn-Prozent-Wahlhürde basisdemokratische VertreterInnen ins Parlament schicken zu können. Diesem demokratischen Block, dem auch die kurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) angehörte, ist es so gelungen, 36 Abgeordnete zu stellen. Nach der Wahl wurde aufgrund des Erfolges die Debatte über ein strategisches Bündnis zwischen der kurdischen Bewegung und demokratischen Kräften in der Türkei befeuert, so dass erneut gefragt wurde, ob es nicht sinnvoll sei, sich gemeinsam zu organisieren und eine neue Partei zu gründen.
Zu Beginn äußerten sich einige AkteurInnen im Rahmen des angestoßenen Projekts aufgrund der Misserfolge in der Vergangenheit eher zurückhaltend. An der äußerst pluralistischen Diskussion beteiligten sich unterschiedliche VertreterInnen politischer Parteien, ethnischer und konfessioneller Gemeinschaften. Letztendlich wurde dann beschlossen, dass die Gründung einer politischen Partei verfrüht sei, so dass sich die Mehrheit dafür aussprach, einen Mechanismus zu schaffen, der die Zusammenarbeit und Koordination gewährleisten kann. Daraus entstand dann der »Demokratische Kongress der Völker« (HDK), der im Zuge seiner Arbeit beschlossen hat, dass zur Repräsentation der Volks- und Interessengruppen eine politische Partei gegründet werden solle.
Der HDK richtete nach der erfolgreich verlaufenen Parlamentswahl von 2011 einen Aufruf an alle Interessengruppen der Gesellschaft und rief diese dazu auf, die gemeinsamen Kräfte zu bündeln und die erlangte Einheit zu stärken und auszubauen. Auf diesen Aufruf hin reagierten diverse politische Parteien, VertreterInnen ethnischer und konfessioneller Gemeinschaften, UmweltschützerInnen, Frauen- und Jugendbewegungen, ArbeiterInnen- und Homosexuellenverbände positiv und bekannten sich zu den Zielen des HDK. Dieses für die Türkei erstmalige Projekt ermöglicht seinen Mitgliedern unter dem Dach des HDK zum einen die eigene Unabhängigkeit und zum anderen auf der jeweiligen Ebene eine enge Kooperation mit anderen vergleichbaren Mitgliedsstrukturen. Ziel des HDK ist es im Kern, die zivilgesellschaftliche Organisierung voranzutreiben. Der HDK wurde unter der Devise »Das Politische vergesellschaften und das Gesellschaftliche politisieren« ins Leben gerufen. Dabei konzentriert sich der HDK auf die Herausbildung basisdemokratischer Elemente und die Konzentration und Stärkung der Lokalpolitik, so dass von der lokalen Ebene aus die generelle Politik vorgegeben werden kann. Denn nur so ist es möglich, die Teilhabe der Bevölkerung am politischen Prozess überhaupt zu gewährleisten und dem Partizipationsrecht aller ausgegrenzten und unterdrückten gesellschaftlichen Gruppen, wie z. B. der Frauen, Geltung zu verschaffen. Der HDK kann trotz seiner erst kurzen Geschichte aufgrund seiner Mitgliedsstrukturen auf eine politische Erfahrung von dreißig bis vierzig Jahren zurückgreifen. Er ist außerdem Ausdruck des Willens zur Einheit zwischen der kurdischen Bewegung und demokratischen Kräften innerhalb der Türkei, so dass die bis dato geschlossenen Bündnisse auf politischer und gesellschaftlicher Ebene auf das höchstmögliche Niveau befördert werden sollen.
Der Wahlerfolg von 2011 hat das Bedürfnis nach einem systematischen und kontinuierlichen Bündnis zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen auf die Agenda der Mitgliedsstrukturen gesetzt. Es sollte eine gemeinsame Organisationsstruktur werden, eine Antwort auf die Probleme aller gesellschaftlichen Gruppen sein, die Opfer der neoliberalen Politik geworden sind. Wir empfinden es als unsere Pflicht, gegen die zentralistisch-repressive Politik des Staates Position zu beziehen und eine Alternative zu entwickeln. Daher ist es für uns unabdingbar, die lokalen Strukturen des politischen Prozesses auszubauen und so die Teilhabe der Gesellschaft an politischen Entscheidungen zu gewährleisten. Der am 31. März 2013 urplötzlich begonnene »Gezi-Aufstand« ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit und der Ablehnung des repressiven Charakters der Politik in der Türkei. Der Gezi-Aufstand hat uns eindrucksvoll gezeigt, wie richtig der HDK mit seinen Zielen zur Dezentralisierung der Politik und dem Projekt der Demokratischen Autonomie liegt. Daher hat der HDK auch die Pflicht, neben seinen Mitgliedsstrukturen auch alle Opfer der repressiven Politik unter einem Dach zu vereinen und bei der Lösung ihrer gesellschaftlichen Probleme eine Antwort zu sein.
Kommunalwahlen im März 2014
Der HDK wird bei den Kommunalwahlen am 30. März 2014 mit zwei Parteien antreten, in Nordkurdistan mit der BDP und in der Türkei mit der HDP. Die Kommunalwahlen stellen für den HDK eine wichtige Prüfung und Gelegenheit für sein Projekt und seine Ziele dar. Der Zweiparteienbeschluss birgt viele Vorteile als auch einige Risiken in sich. Wir haben konsequenterweise auf der Grundlage unserer Perspektive der Demokratischen Autonomie beschlossen, dass die BDP in Kurdistan antreten soll. Die auf lokaler Ebene etablierte BDP würde bei weiteren Siegen auch einen Beitrag zum Erfolg der HDP leisten.
Die Demokratische Partei der Völker (türk.: Halkların Demokratik Partisi) ist als eine Alternative entstanden mit dem Anspruch, die gesellschaftlichen Probleme innerhalb der Türkei lösen zu können. Wir sind als Partei überzeugt von Dialog und Austausch als Mittel zur Lösung politischer Probleme, so dass wir auch der Ansicht sind, den seit dreißig Jahren währenden Krieg um die kurdische Frage mit diesen Mitteln beenden zu können. Da unser Glaube an eine gemeinsame friedliche Zukunft unerschütterlich ist, sind unser Denken und Handeln vom Geist der friedlichen Einheit geprägt. Das betrifft nicht nur die kurdische Frage, sondern auch eine friedliche Lösung der Probleme der ArbeiterInnen, Frauen, Volks- und Glaubensgruppen. All dies liegt im Verantwortungsbereich der HDP.
Die HDP ist entgegen der alten Status-quo-Partei CHP und der neuen AKP freiheitlich, egalitär, demokratisch und pluralistisch. Sie ist die Bühne für den Kampf um Gleichheit, Demokratie, Freiheit, Kultur, Identität, Glauben, Muttersprache etc. und somit Heimat aller, die nach Rechtsstaatlichkeit dürsten. Der Weg hin zu diesen Zielen ist ein langer, der einer ungeheuren Ausdauer bedarf und hin und wieder Prüfungen verlangt. Eine der ersten sind die Kommunalwahlen von 2014, so dass das Wahlergebnis darüber entscheidet, ob unser Weg beschwerlicher oder einfacher verlaufen wird.
Wenn wir uns die Verwerfungen im Nahen Osten und die Entwicklungen in Kurdistan und der Türkei vor Augen führen, werden wir schnell feststellen, dass die WählerInnen bei dieser Wahl auch eine Wahl darüber treffen werden, inwieweit sie mit der Politik der jeweiligen Parteien einverstanden sind. Daher haben diese Kommunalwahlen eher einen Referendumscharakter und werden in der folgenden Phase die Politik der Türkei entscheidend mitprägen. Wir wurden in der Türkei im Jahre 2013 ZeugInnen von zwei historischen Ereignissen. Da wäre zum einen die Verkündung von Abdullah Öcalans »Demokratischem Manifest zur Lösung der kurdischen Frage« während der Newroz-Feierlichkeiten in Amed (Diyarbakır) vor Millionen von Menschen und zum anderen die Ausbreitung des Gezi-Aufstands auf alle Gesellschaftsschichten und somit die gesamte Türkei. Diese beiden historischen Ereignisse haben in Teilen der Gesellschaft dazu geführt, dass Alternativen zur repressiven und autoritären Regierungsform der AKP Erdoğans zu entwickeln versucht werden. Wir als HDP hegen den Anspruch, die Alternative zu sein, und werden im Lichte dieser beiden historischen Ereignisse in die Kommunalwahlen gehen. Diese Wahlen sind für uns der Beginn, um eine friedliche, demokratische und egalitäre Türkei aufzubauen.
Die Demokratische Autonomie entwickeln
Wir werden auf der lokalen Ebene mit demokratischem Verständnis und dem Ziel, die Demokratische Autonomie zu entwickeln, alle gesellschaftlichen Gruppen unabhängig von Nationalität, Glauben etc. organisieren und gemeinsam die Zukunft gestalten.
Eine weitere zentrale Perspektive unseres Wahlkampfs ist der Kampf der Frauen um Gleichheit und Freiheit. Dieser Kampf der Frauen wird unsere gesamte Wahlstrategie prägen und nur ihr Erfolg ist auch unser Erfolg. Wir werden unsere Perspektive zur Lokalpolitik gemeinsam mit der Frau entwickeln und etablieren. Hierbei gilt es, der Sicht der Frau Geltung zu verschaffen und ihre gleichberechtigte Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess zu ermöglichen, indem wir sie ihre eigenen Vertreterinnen bestimmen lassen.
Die HDP wird mit einer ökologischen Perspektive in den Wahlkampf starten und eine Demokratisierung der Städte anstreben. Wir werden eine Alternative zu den Systemparteien bilden, da wir um die Verwaltung der Städte im Sinne ihrer Bevölkerung kandidieren und uns nicht an der Ausbeutung der Städte und ihrer Bevölkerung bereichern wollen. Die letzten beiden Jahre haben uns gezeigt, wie richtig der von uns eingeschlagene Weg ist. Die große Teilnahme an und Aufbruchsstimmung auf unserem Kongress vom 27. Oktober hat uns noch größere Verantwortung übertragen. Der mit dem HDK begonnene Weg hat uns nun dahin geführt, dass wir uns verpflichtet fühlen, uns in einer Struktur zu organisieren, die unsere Einheit unter Wahrung der jeweiligen Unabhängigkeit sichtbarer und dauerhafter macht. Als Ergebnis dieses Bedürfnisses ist die Demokratische Partei der Völker (HDP) entstanden. Nun obliegt es uns, den Völkern der Türkei aufzuzeigen, dass die HDP für sie eine Alternative zu den Systemparteien mit deren repressivem und autoritärem Verständnis ist.
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