Repression gegen die tamilische Bewegung in der BRD
Immer wieder §129b
Henning von Stoltzenberg, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.
Wir veröffentlichen hier einen Artikel, der erstmals in der Rote Hilfe Zeitung 4/2023 veröffentlicht wurde. Auch wenn die Erstveröffentlichung bereits vor mehreren Monaten war, hat sich an der Aktualität der dargestellten Fakten und Probleme nichts geändert, und wir freuen uns, einen Blick auf die Situation einer anderen Befreiungsbewegung in der Diaspora werfen zu können.
Wie andere in der Diaspora BRD tätigen Befreiungsbewegungen ist auch die tamilische Bewegung seit vielen Jahren immer wieder von Repressionsschlägen durch die bundesdeutschen Behörden betroffen.
Dabei drängen sich mehrere Parallelen zum Beispiel zu den staatlichen Angriffen auf die kurdische Freiheitsbewegung auf.
So wurde auch tamilischen Aktivist:innen zum Beispiel in einem größeren Verfahren in den neunziger Jahren vorgeworfen, Schutzgeld erpresst zu haben, wenn sie vermeintlich Spenden für die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) gesammelt hatten.
Die LTTE ist eine klassische sozialistische Befreiungsbewegung der siebziger Jahre mit einem entsprechenden Programm, wie sie in vielen Ländern zu dieser Zeit entstanden sind und die für die die nationale Befreiung und die Selbstbestimmung ihrer Bevölkerung gekämpft haben oder noch kämpfen.
Tamil Eelam, Genozid und Vertreibung
Die tamilische Bevölkerung ist auf Sri Lanka in der Minderheit und bewohnt vor allem den Norden und Osten der Insel. Die LTTE gründete sich, um einen eigenen Staat Tamil Eelam zu gründen. Sie sah dies als den einzigen Weg an, die tamilische Bevölkerung vor rassistischer Diskriminierung und struktureller Benachteiligung durch die singhalesische Mehrheitsbevölkerung und den sri-lankischen Zentralstaat zu schützen. Ein starker Faktor bei der Gründung der LTTE war wie in vielen Ländern eine politisierte Studierendenbewegung, die sich durch permanente Repression und die Niederschlagung jeglicher Proteste radikalisierte und vom zivilen Ungehorsam zu militanten Aktionsformen griff.
In Tamil Eelam sollte das reaktionäre Kastenwesen überwunden werden, ein weiterer zentraler Punkt für die Bewegung war die Geschlechtergerechtigkeit als Schlüssel für gesellschaftlichen Aufbau. Nach und nach entstand ein De-facto-Staat mit eigener Verwaltung, Banken, Gerichten, Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem, während gleichzeitig der Bürgerkrieg tobte. Die Beendigung des Bürgerkrieges durch einen Genozid an der tamilischen Bevölkerung durch die sri-lankische Regierung im Jahr 2009 setzte dem Projekt Tamil Eelam mit den grausamsten Mitteln ein vorläufiges Ende.
Im Zuge der Pogrome singhalesisch-nationalistischer Mobs, die vom Regime unterstützt und ausgestattet wurden, gab es seit den achtziger Jahren mehrere Fluchtwellen. Ein trauriges Beispiel hierfür ist der als »Schwarzer Juli« im Jahr 1983 in die Geschichte eingegangene tagelange Angriff auf die tamilische Bevölkerung, bei dem rund 5000 Menschen ermordet wurden und 150.000 Menschen ihre Häuser und Wohnungen verloren. Der Angriff, bei dem die Schläger und Plünderer mit Wählerlisten durch die sri-lankischen Behörden ausgestattet wurden, um tamilische Familien und ihre Wohnorte identifizieren zu können, wurde im Nachhinein als Vergeltung für eine LTTE-Operation verkauft. Bei der Operation waren 13 Regierungssoldaten ums Leben gekommen.
Politische Arbeit im Exil und der Pilot-Prozess 2010
In der BRD leben rund 50.000 Tamil:innen mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Bereits seit den achtziger Jahren wurden neben dem Aufbau tamilischer Schulen und Kulturarbeit auch zahlreiche politische Veranstaltungen der LTTE durchgeführt. Lange Zeit blieben sie mehr oder weniger unbehelligt von den Repressionsbehörden, zumindest wurden sie nicht verboten oder verhindert. Die Bewegung trat wenig nach außen und blieb weitgehend unter sich.
Der Genozid von 2009 und das offizielle Ende des bewaffneten Widerstandes der LTTE inklusive der Ermordung der politisch-militärischen Führung, änderte die Situation grundlegend. Obwohl die EU die LTTE am 29. Mai 2006 auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt hatte, konnten die Vertreter:innen der tamilischen Freiheitsbewegung während des Bürgerkrieges in der BRD offiziell als Konfliktpartei agieren und an Friedensverhandlungen teilnehmen.
Nur ein Jahr nach dem Völkermord wurden dann vier Tamilen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf angeklagt. Ihnen wurde der Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz und die Mitgliedschaft in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« nach Paragraf 129b vorgeworfen. Der Vorwurf des 129b wurde im Prozessverlauf fallen gelassen.
Die Urteile gegen die Angeklagten, die politische Erklärungen abgaben und die Vorwürfe der Spendensammlungen einräumten, darüber hinaus aber keine Aussagen machten, lagen zwischen vier Jahren und neun Monaten, vier Jahren sowie zwei Jahren und neun Monaten. Gegen mindestens einen der Angeklagten wurden nach Verbüßung der Haft Meldeauflagen verhängt. In einem anderen Fall wurden nach dem Urteil die Konten des Angeklagten, sowie die Konten der Ehefrau und beider Kinder gekündigt.
Weitere ausgewählte Verfahren nach 129b
Entgegen den damaligen Verlautbarungen der Bundesanwaltschaft, diesem Verfahren keine weiteren Prozesse gegen vermeintliche LTTE-Mitglieder folgen zu lassen, stellte er den Auftakt für die weitere Kriminalisierung der Exilbewegung dar.
Zu diesem Zweck wurde dann auch der Gesinnungsparagraf 129b angeführt.
So verurteilte 2020 zum Beispiel der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart einen Tamilen zu einer Strafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. Ihm war vorgeworfen worden, sich im Zeitraum August 2007 bis Mai 2009 als Kader der LTTE betätigt zu haben. Er soll sich als Verantwortlicher für das Gebiet Villingen-Schwenningen/Trossingen um die in seinem Zuständigkeitsbereich lebenden Tamil:innen gekümmert und Spendengelder in Höhe von insgesamt 63.135,60 € gesammelt haben, teilte das Gericht nach Urteilsverkündung mit. Nach dem Urteil wurde dem Aktivisten der Pass entzogen, den er bis heute nicht wiedererlangt hat.
Im Juni 2022 verurteilte wiederum das Düsseldorfer Oberlandesgericht vier Tamilen als LTTE-Mitglieder auf Grundlage des Paragrafen 129b. Auch sie sollten Spenden gesammelt haben. Gegen die 46 bis 69 Jahre alten Männer wurden Strafen zwischen einem Jahr sowie einem Jahr und neun Monaten verhängt.
Die Spendensammlung soll in den Jahren 2007 bis 2009 unter den in Deutschland lebenden Tamil:innen stattgefunden und insgesamt mehr als 900.000 € eingebracht haben. Die Spendengelder hätten sie der Vertretung der LTTE in Deutschland übergeben.
Der Senat habe bei der Strafzumessung zugunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass diese durch Gewalt und Unterdrückung seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit aus ihrer Heimat fliehen mussten und Verwandte und Freunde durch antitamilische Pogrome verloren hatten, teilte das Gericht nach Urteilsverkündung mit.
Auffällig bei den Urteilen der letztgenannten beiden Fälle nach dem Pilotprozess von 2010, ist sowohl die Verhängung von Bewährungsstrafen trotz Anklage wegen Mitgliedschaft in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« als auch der lange zurückliegende sogenannte »Tatzeitraum«.
Wie bereits von den Prozessen gegen kurdische Genoss:innen bekannt, wurde die systematische Unterdrückung zwar »gewürdigt«, was den Staatsschutzsenat aber natürlich nicht von einer Verurteilung abhielt.
Anklage in der Schweiz scheitert
Dabei gibt es auch andere Beispiele für Urteile, zu denen ein westliches Gericht kommen kann. In der Schweiz erlitt die Bundesanwaltschaft im April 2019 die größte Niederlage in einem »Anti-Terror-Prozess«, in den sie 2,6 Millionen Franken investiert hatte, um den Schweizer Verein der Tamil Tigers als kriminelle Organisation einstufen zu lassen. Das Resultat war ein Freispruch im Hauptanklagepunkt. Schuldsprüche gab es lediglich wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Mehreren Angeklagten wurde vorgeworfen, mit gefälschten Angaben Kleinkredite bei der Credit-Suisse-Tochter Bank-Now erschlichen zu haben. Das Urteil umfasst 315 Seiten. Das Bundesstrafgericht legte darin dar, weshalb die LTTE nicht als Terrorist:innen eingestuft werden könnten. In Sri Lanka hätten sie zwar eine militärische Organisation gebildet, die ihre Ziele mit Gewalt durchgesetzt hätten. Doch terroristische Ziele könnten nicht nachgewiesen werden. Der Schweizer Unterstützungsverein wurde als separate und souveräne Organisation bezeichnet, die den Bürgerkrieg von Sri Lanka mitfinanziert habe. Mehrere Voraussetzungen einer kriminellen Organisation seien aber nicht erfüllt. So seien die Strukturen des Schweizer Vereins nicht geheim und die Türen des Büros in Zürich für alle offen gewesen.
Fahnenverbote gegen die tamilische Flagge in der BRD
Trotz Listung auf der umstrittenen EU-Terrorliste konnten die tamilischen Organisationen ihre Flagge auf allen Veranstaltungen zeigen und verwenden. Dies ändert sich jetzt. Auch das erinnert an die Vorgehensweise der Behörden bei der Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung. Vor allem in NRW und Berlin wird es dem Volksrat der Eelamtamilen in Deutschland (VETD) untersagt, die Flagge mit dem Tiger und den gekreuzten Gewehren mitzuführen oder zu Beginn der Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Völkermordes oder zum Tag der gefallenen Freiheitskämpfer:innen mit musikalischer Begleitung zu hissen.
Dies gilt auch explizit für die Flagge ohne den Schriftzug LTTE, die einfach nur die Nationalfahne der tamilischen Bevölkerung darstellt. Dieses Verbot begreifen die Aktivist:innen als zusätzliche Kriminalisierung ihrer politischen Arbeit, wie der gesamten tamilischen Bevölkerung in der deutschen Diaspora. In Berlin läuft derzeit entsprechendes Verfahren gegen den Veranstalter eines tamilischen Sportfestes. Unter Androhung von Gewalt war er gezwungen worden, dass T-Shirt mit dem Emblem auszuziehen.
Solidarität
In diesem wie kommenden Prozessen bedarf es der Solidarität mit den Betroffenen, die bisher mit geringer Öffentlichkeit verurteilt wurden. Ebenso sollte der Blick auf die vielen Repressalien wie Meldeauflagen und anderen Schikanen gerichtet werden. Es steht zu befürchten, dass es im Zuge der Verschärfung der Repression auch zu erneuten Abschiebungen nach Sri Lanka und politisch motivierten Ausweisungen kommen könnte.
Zuletzt hatte sich die Rote Hilfe 2022 anlässlich eines bundesweiten Aktionstages der tamilischen Community gegen Repression und Menschenrechtsverletzungen solidarisiert, indem sie ein Ende der Verfolgung, die Freilassung der Gefangenen in Sri Lanka, die Aufarbeitung des Genozids und die sofortige Aussetzung von Abschiebungen gefordert hatte.
Kurdistan Report 235 | Oktober-Dezember 2024