Konferenz weiblicher politischer Gefangener in Amed im Januar 2024

Ob wir wirklich Reue zeigen?

Ceylan, Teilnehmerin der Konferenz

Am 13. und 14. Januar fand in Amed die Konferenz »Chain of Silence« statt: Unter dem Titel »Breaking Down the Walls around Political Women Prisoners« kamen Frauen zusammen und erzählten ihre Geschichten.

Bis zum 13. Januar 2024 wussten die meisten von uns nicht, dass die Frauengefängnisse auf den Philippinen überfüllter sind als die der Männer. Ohne die Nachrichten, die über internationale Nachrichtenagenturen zugänglich werden, wüssten wir kaum mehr, als dass der ehemalige Präsident Rodrigo Duterte außergerichtliche Hinrichtungen von Menschen auf der Straße angeordnet hat oder dass die Marcos-Familie das philippinische Volk in einem nie zuvor geschehenem Ausmaß beraubt hat.

Die philippinische Menschenrechtsanwältin Kristina Conti erzählte die Geschichte der Aktivistin Reina Mae Nasino, deren ein Monat altes Baby in staatlicher Haft starb. Als die Palästinenserin Kifa Afifi weinend die im Gefängnis erlebte Folter schilderte, erhob sich eine mit einem weißen Kopftuch gekleidete Friedensmutter und umarmte sie mit vertrauter Herzlichkeit. Weder die Katalaninnen, noch die Baskinnen, Filipininnen, Irinnen, und Palästinenserinnen waren überrascht, als Sakines ehemalige Gefängnismitinsassin von ihren Erfahrungen aus dem Trakt 5 des Gefängnisses in Diyarbakir berichtete. In den vier Teilen Kurdistans ist es relativ gut gelungen, das Erlebte der politischen Gefangenen in den Gefängnissen öffentlich und sichtbar zu machen.

Am Abend vor der Konferenz hörte ich mir zu Hause beim Tee in der Küche die Gefängniserinnerungen von vier Frauen an – drei Kurdinnen und einer Türkin –, die 30, 15, 12 bzw. ein Jahr im Gefängnis verbracht hatten. Zwei Frauen, die im selben Gefängnis gesessen hatten, lachten über die Schläge, die sie von der Verwaltung erhalten hatten, weil doch tatsächlich Krähen die über den Hof flogen, Nägel in die Ventilatoren hatten fallen lassen.Auch lernte ich einige Details der internen Gepflogenheiten kennen, wie zum Beispiel die der »kurdischen Fluggesellschaften«, wie man zum Tee trinken mal eben in die nächste Zelle wandert, sowie die derben »Willkommen im Gefängnis«-Witze. Obwohl es für jemanden, der noch nie in einem Gefängnis war, seltsam erscheinen mag, darüber zu lachen, ist es doch offensichtlich, dass das, was diese Frauen wirklich zum Lachen brachte, ihr ungebrochener Wille war.

Als wir am nächsten Tag den Saal betraten, in dem die Konferenz stattfand, vervielfachten sich diese Geschichten und verwandelten sich in Epen, die die Mythologie selbst in Erstaunen versetzen würde, in denen die Fronten der Liebe, des Schmerzes, des Widerstandes und der Würde verteidigt wurden.

Zwischen den Sitzungen der Konferenz sprach ich mit Martina Anderson, einer Vertreterin der irischen Partei Sinn Fein, und sie drückte die Scham aus, die ich innerlich fühlte, aber nicht zugeben konnte. »Ich wusste nicht, dass MenschenrechtsverteidigerInnen auf den Philippinen auf solche Art eingesperrt werden. Vielleicht sollte ich besser verfolgen, was in anderen Teilen der Welt passiert.“

Das Gefühl, das die Konferenz sowohl denjenigen, die physisch im Saal anwesend waren, als auch denjenigen, die die Live-Übertragung verfolgten, vermittelte, war: »Wir sind nicht allein. Auch die Regierenden waren nicht allein. Sie hatten voneinander gelernt, wie man Mauern baut, und wie sie uns spalten müssten. Doch wir lernen, diese Mauern wieder einzureißen.

Netzwerkbildung

In der Atmosphäre und dem Raum, den unsere Konferenz bot, lernten Frauen verschiedener Identitäten und Kontinente sowohl in den Vorträgen des ersten Tages als auch in den kreativen Workshops des zweiten Tages voneinander und beschlossen, ein internationales Netzwerk zu gründen.

Die Konferenz machte auch deutlich, in welchem Ausmaß sexuelle Gewalt in Gefängnissen und in den informellen Gefängnissen davor im Verborgenen bleibt. Das Völkerrecht erkennt zwar sexuelle Gewalt als Kriegsinstrument an, doch in den Ländern der Teilnehmerinnen der Konferenz, leugnen die herrschenden Kräfte stets die Existenz von Krieg und beharren auf dem scheinbar einzigen Problem: sie hätten ein Problem mit »Terrorismus«. Natürlich leugnen sie auch, dass sie im Zuge ihrer psychologischen und physischen Kriege sexuelle Gewalt ausüben. Aus diesem Grund war es für die Frauen sehr bedeutend, sich auszusprechen und zu sagen, dass es notwendig ist, diesen Bereich zu berühren und zu erzählen, was passiert ist und passiert. Dieses »Schweigegelübde« zu brechen, war ein historischer Schritt, um die Erscheinung und Wahrnehmung des Tartaros (Strafort der Unterwelt) zu durchbrechen. Ich hoffe, dass dieses internationale Netzwerk nun an vielen weiteren Stellen das Schweigen brechen wird.

Angela Davis: »Gefängnisse beseitigen keine Probleme, sie be­seitigen nur Menschen«.

Die Kolonialisten, die Martina Anderson, Kifa Afifi, Emine Yıldırım aus Mardin, sowie Reina Mae Nasino von den Philippinen inhaftierten, hatten eben diese Absicht: »Probleme zu beseitigen«, wie Davis schon voraussagte.

Mit der Absicht, Probleme zu beseitigen, war auch die Absicht verbunden, »Reue zu erzwingen«. Das Wort »penitentiary«, das statt dem Wort »prison« in den Vereinigten Staaten von Amerika benutzt wird, leitet sich vom englischen Wort »repent« ab, was bereuen bedeutet.

Die Botschaft, die die Konferenz prägte, war jedoch der Widerstand gegen eben dieses Erzwingen von Reue und Buße. Trotz dreißigjähriger Haft, trotz der grausamen »administrativen Beobachtungstafeln«, die mit dreißig Jahren verbunden sind, gab es einen Willen, der sich nicht beugen oder brechen ließ. Sicherlich war das der Grund, weshalb die Frauen, die 30-jährige Haftstrafen abgesessen hatten, auch das Wort ergriffen und mit Applaus bedacht wurden. Im weiteren Verlauf der Workshops war die Kritik einer Frau, die 30 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, bemerkenswert : »Ich glaube nicht, dass es richtig ist, über unsere Erfahrungen ›im Gefängnis‹ zu sprechen. Für uns ist es nämlich ein Ort des Widerstands«. Diese Aussage einer politischen Gefangenen war eine Niederlage für die Politik der »Isolation«, die eine der Säulen des Spezialkrieges darstellt. Die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, die durch die auf politischen, rechtlichen und sozialen Pfeilern beruhende Politik des Spezialkrieges inhaftiert wurden und weiterhin inhaftiert sind, rütteln mit ihrer De-Identifizierung als Gefangene hin zu Widerständigen an den Mauern der Isolation, die auch hier die Konferenz einreißen will.

Zwischen den Zeilen der teilnehmenden Frauen und der Rednerinnen war zu lesen, wie gefährlich eine »erwachte« weibliche Identität für die Staaten ist. Frauen, die ihre Jugend und ihre Jahre dem Kampf und dem Widerstand gewidmet haben, die keine Angst vor der »Gefängnisgarantie« haben, wenn sie in die Politik gehen, waren eine große Inspiration für die neuen Generationen.

Auch die Erfolgsgeschichten, die wir aus anderen Ländern hörten, ließen uns über unsere eigenen Kämpfe hinaus denken, und erweiterten unseren Horizont. So war die internationale Organisation der Konferenz ein Baustein für das Ziel, eine internationale Linie des Widerstands und der Solidarität zu schaffen.

Mauern einreißen

Für diejenigen von uns, die draußen sind, sind die Gefängnisse ein Funke in der Dunkelheit, der uns den Weg nach vorne sehen lässt und unsere Hoffnung erneuert. Wir leben wieder in solchen Zeiten. Eine Gesellschaft, die von physischer Gewalt, politischer Unterdrückung und tiefer Armut geplagt ist, befindet sich erneut in der Dunkelheit. In ihrem Buch ›Die Schockdoktrin‹ argumentiert Naomi Klein, dass kapitalistische Regierungen, wenn sie tiefgreifende Veränderungen oder Zerstörungen planen, die Gesellschaft zunächst in einen Schockzustand versetzen und dann, indem sie deren gelähmten Zustand ausnutzen, systematische Mechanismen der Unterdrückung und Aushöhlung in Gang setzen. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass wir uns in diesen Tagen, in denen wir den Ausbruch des Dritten Weltkrieges auf globaler Ebene erleben, in einem solchen Schockzustand befinden.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die Kriege verschärfen, die wirtschaftliche Ungleichheit wächst und die politische Repression zunimmt, befinden sich hunderte der politischen Gefangenen in vielen Gefängnissen im Hungerstreik für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage und für die physische Freiheit von Abdullah Öcalan, der seit 25 Jahren im Gefängnis auf der Insel İmralı in Isolationshaft sitzt. Die Streiks und der Widerstand sind eine Reaktion auf diesen Schock für die Gesellschaft, eine Form der Selbstverteidigung. Die Gefangenen im Tartaros verteidigen die Rechte derer, die auf der Erde leben. Mit den Händen, die sich von innen nach außen strecken, werden die Mauern erschüttert, die die Gesellschaft auch selbst umgeben.

Es gibt keinen anderen Weg, als diese Mauern zu durchbrechen. Dafür werden wir uns weiterhin austauschen, gegenseitig von den Erfahrungen der anderen lernen, die Stimmen der anderen erheben und uns vereinen!

Wie die Black Panther sagten: »Man kann einen Revolutionär einsperren, aber niemals eine Revolution. Man kann einen Freiheitskämpfer töten, aber niemals einen Freiheitskampf. Nichts ist wichtiger, als den Faschismus zu stoppen, denn der Faschismus kann uns alle stoppen«.


 Kurdistan Report 233 | Mai / Juni 2024