Waldbrände als Politik des Spezialkrieges in Kurdistan

Hand in Hand mit Profitstreben

Ökologie-Initiative Kurdistan

 

Macht- und Profitstreben kennen keine Grenzen. Wie der Türkische Staat die Vernichtung von Waldbeständen und anderen Lebensräumen forciert, um das staatliche Machtinteresse und die wirtschaftlichen Interessen seiner Komplizen zu fördern und dabei seine eigenen offiziellen regeln bricht, untersucht die Ökologie-Initiative Kurdistan in folgendem Artikel.

Wenn wir uns heute die Definition von Waldbränden in ihrer einfachsten Form ansehen, dann handelt es sich um Brände, die durch menschliche Aktivitäten oder natürliche Ereignisse (Blitzschlag, Vulkan, hohe Temperaturen usw.) verursacht werden. Aber haben wir schon einmal von einer Definition eines politischen Brandes gehört? Diese Art von Bränden, die in Kurdistan die Mehrheit der Waldbrände ausmachen, sind genau die Katastrophe, die wir in die Definition der politischen Waldbrände aufnehmen können.

Die Wälder, die der Erde bekanntlich als Sauerstoffquelle dienen, die die Luft reinigen, große Hitze reduzieren und ein lebenswichtiges Gut sind, sind eines der wichtigsten Ökosysteme für den Fortbestand des Lebens. Sie beherbergen die schönsten Farben der Erde und sind ein wichtiger Faktor für die Artenvielfalt. Sie sind lebende Systeme, die nicht nur aus Bäumen und Baumvielfalt bestehen, sondern auch aus anderen Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen, aus Boden-, Luft- und Wasserlebewesen und deren Beziehung zueinander und zu ihrer Umwelt.

Wälder, die mit Meeren, Flüssen und der Luft interagieren, sind das beste Beispiel für gegenseitige Unterstützung in der Natur und tragen zum Überleben vieler Lebewesen bei.

Wälder, die die Heimat von Vögeln und Eichhörnchen sind und um die herum sich das Leben einer Gesellschaft abspielt, bilden ein Ökosystem.

Bäume, die von der Gesellschaft als Extrakt des Lebens angesehen werden, sind auch Symbole, die den Menschen Spiritualität vermitteln; manchmal ist ihr Schatten das Symbol des gemeinsamen Lebens, manchmal sind ihre Wurzeln kraftgebende Symbole.

Bäume, die das Symbol ursprünglichen Lebens sind, werden in verschiedenen Glaubensrichtungen und unterschiedlichen Kulturen bis heute als heilig angesehen.

Waldbraende sewata cudi vemiriEin kleiner Kreis von Banditen

Diese Güter, die von der Gesellschaft als Teil der Natur angesehen werden, sind der Profitlogik unterworfen worden, indem sie in den Besitz und die Verfügungsgewalt der Staaten übergehen. Die Herrschaft über sie, die von der Gesellschaft selbst nicht ausgeübt wird, ist zu einer zivilisatorischen Staatstradition geworden, und das Massaker an den Wäldern ist Bestandteil der Politik geworden.

In der Republik Türkei, in der die Forstpolitik keinen hohen Stellenwert einnimmt, ist sie mit dem rasant gestiegenen Profit-System der AKP-Ära zu einer Einkommensquelle für einen sehr kleinen Kreis von Banditen geworden. Das Forstgesetz, das seit 2002, also seit Beginn der AKP-Herrschaft, 30 mal geändert wurde, ist zu einem Instrument geworden, Profit aus dem Waldbesitz zu schlagen statt dem Überleben des Waldes zu dienen.

Zwar gibt es in verschiedenen Ländern der Welt Beispiele für Massaker an Wäldern, doch die Türkei steht an der Spitze dieser Massaker und der Entwaldungspolitik. Unter Missachtung internationaler Abkommen und ihrer eigenen Verfassung nehmen die Angriffe der Republik Türkei auf den Waldbestand jedes Jahr massiv zu.

In der Türkei gibt es innerhalb der Landesgrenzen fast keine Gebiete mehr, in denen nicht Minen für den sogenannten Bedarf eröffnet wurden, der zu dem Zweck geschaffen wurde, einige wenige Unternehmen zu bereichern und sie zu Komplizen zu machen. Trotz aller Widerstände konnten die Unternehmen vor unseren Augen Zehntausende von Bäumen abschlachten, weil sie die Strafverfolgungsbehörden hinter sich gebracht haben. Die prominentesten Beispiele dafür waren die Wälder von Kazdağları, İkizköy, İkizdere und Akbelen, wo ein starkes Zeichen des Widerstands gesetzt wurde. Diese Massaker, die um des Profits willen verübt werden, sind eine Schande für die Türkei und Teil des Krieges in Kurdistan geworden. Obwohl einige Projekte in Kurdistan das Fällen von Bäumen beinhalten, sind es im Allgemeinen die Waldbrände, die die Dimension des Massakers darstellen. Der erste politische Waldbrand in Kurdistan fand zur Zeit des Aufstandes von Şêx Said statt. Dörfer und Wälder wurden niedergebrannt, Tiere wurden geschlachtet. Auch während des Genozids von Dersim wurden diese Methoden angewandt.

Von der Dorfzerstörung zur Waldvernichtung

In Kurdistan brachten die 1990er Jahre die Evakuierung und das Niederbrennen von Dörfern und Walddörfern sowie Enteignung, Abholzung und Ödnis als Kriegsstrategie mit sich, um die Rückkehr der Bevölkerung zu verhindern. Berg- und Tieflanddörfer, in denen intensiv Landwirtschaft und Viehzucht betrieben wurde, wurden zerstört. Die kollektive Lebenskultur des kurdischen Volkes wurde durch die erzwungene Migration in ein in Beton gefangenes Leben verwandelt. Die soziologischen, psychologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Probleme, die mit der erzwungenen Migration in die Großstädte einhergingen, bestehen bis heute.

Die Dorfbrände der 1990er Jahre wurden durch systematisches Anstecken von Wäldern ersetzt. Seit dem Ende des Friedensprozesses 2015 bis heute werden unvermindert Brände nach Konflikten oder zu »Sicherheitszwecken« gelegt. In den Sommermonaten brechen manchmal mehr als zehn Brände in einem Gebiet aus, von denen einige mehrere Tage andauern. Vor allem in Çewlîg (tr. Bingöl), Licê, Cûdî, Omeryan und Dersim werden jedes Jahr mehrtägige Waldbrände gelegt. Die Nähe der Brandherde zu Militärbasen und Polizeistationen verrät die Identität der Brandstifter. Waldbrände als eine Säule der Umweltzerstörung, als spezielle Kriegspolitik erinnern uns daran, dass »Krieg die größte Umweltzerstörung« ist.

Waldbrände, die in der Regel in zu »Sicherheitszonen« erklärten Gebieten oder unmittelbar nach einer aus »Sicherheitsgründen« verhängten Ausgangssperre entstehen, werden offensichtlich aus militärischen Gründen gelegt. Die Tatsache, dass die Brände nicht gelöscht werden oder die Zivilbevölkerung am Löschen gehindert wird, verursacht große ökologische Zerstörungen. Schon bei der Verbrennung nur eines Baumes sprechen wir über die Vernichtung eines großen Ökosystems. Viele Arten, die in den Wäldern leben, verschwinden entweder ganz oder sind durch die Zerstörung ihrer Lebensräume bedroht. Da die für den Schutz und die Erhaltung der Wälder zuständigen Institutionen nicht reagieren, kann die Zerstörung mit dem Argument der Sicherheit legitimiert werden. Ebenfalls reagiert auch die türkische Öffentlichkeit nicht auf die Massaker an den Wäldern, denn die faschistische und rassistische Politik des Staates und der Regierung durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft. Die von der Regierung monopolisierten Medien berichten nicht über die Brände, manchmal werden sie nicht einmal gemeldet. Diese Monopolisierung führt auch dazu, dass dieser Vernichtungsprozess in der Gesellschaft nicht bekannt ist und das Ausmaß der Zerstörung nach den Bränden nicht erfasst werden kann. Es wird nicht als notwendig erachtet, zu untersuchen und zu erfassen, wie groß die verbrannten Flächen sind, welche Arten vernichtet wurden und welche davon endemisch sind. Die Tatsache, dass Freiwillige aus Sicherheitsgründen keine Machbarkeitsstudie in den Gebieten durchführen dürfen, trägt zur Amnesie bei.

Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft setzt der Vernichtung Grenzen

Ende Juli 2023 wurde durch die erhöhte Aufmerksamkeit der Gesellschaft, welche durch die massenhafte Vernichtung von Bäumen in Akbelen entstanden war, das in Cûdî ausgebrochene Feuer unter Kontrolle gebracht, nachdem das Thema durch die sozialen Medien öffentlich gemacht worden war. Es ist nicht genau bekannt, ob das Feuer von sich aus erloschen ist oder ob es aufgrund der Reaktionen gelöscht wurde. Im Allgemeinen handelt es sich bei den Informationen, die die Behörden geben, um Erklärungen, die darauf abzielen, eine bestimmte Wahrnehmung zu schaffen und die Dinge zu vereinfachen. Es wird erklärt, dass der Bereich, in dem das Feuer ausgebrochen war, nur aus Büschen besteht oder dass ein Brand auf die Hitze zurückzuführen sei. In dieser Situation kommt der Forderung der Aktivist:innen nach einer Untersuchung vor Ort eine entscheidende Bedeutung zu. In den vergangenen Jahren haben Aktivist:innen die Gebiete, in denen Wälder gebrannt haben, besucht beziehungsweise versucht, sie zu besuchen, konnten aber leider keine fundierten Informationen gewinnen, weil sie daran gehindert oder eingeschränkt wurden.

In einer Zeit, in der die Massaker an den Wäldern zunehmen und die Brände in Kurdistan das Gewissen aller berühren, forderten in den kurdischen Gebieten aktive Umweltorganisationen dazu auf, nach Cûdî zu fahren und die Zerstörungen vor Ort zu untersuchen. Obwohl das betroffene Gebiet militärisch gesperrt, durch Hindernisse blockiert und der Zutritt genehmigungspflichtig war, (es handele sich um ein »unsicheres Gebiet»), wurde eine oberflächliche Untersuchung von einem anderen Dorf in Sichtweite aus vorgenommen. Es war auch bezeichnend, dass es sich dabei um ein in den 90er Jahren evakuiertes Dorf handelte. Der Brand in Cûdî wurde von den Zeugen vor Ort, die die Untersuchung begleiteten, gemeldet. Die Tatsache, dass das Feuer durch einen Einsatz rund um eine Militärstation ausgelöst wurde, und die Tatsache, dass kein einziger Baum rund um diese militärischen Festungen und die Polizeistationen gefunden wurde, zeigt uns, dass die Region durch die Kriegstaktik von Tag zu Tag trockener wird. Da die Region Cûdî eine Region mit reicher biologischer Vielfalt und intensiver landwirtschaftlicher Tätigkeit ist, wird diese Kriegspolitik nicht wieder gut zu machende Zerstörungen zur Folge haben.

Abholzung führt zur Verödung

Zusätzlich zu den Waldbränden wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Provinzen Kurdistans, insbesondere in Şirnex (tr. Şırnak), Bäume abgeholzt. Unter der Aufsicht von Ordnungskräften werden sie ohne Genehmigung gefällt, in andere Provinzen transportiert und dort verkauft. Als Grund für die Baumfällungen werden erneut »Sicherheitsgründe« vorgetragen. Sie sind jedoch das Resultat einer Politik, die darauf abzielt, den Waldbestand in Şirnex vollständig zu vernichten. Trotz des Widerstandes der Gesellschaft und des juristischen Kampfes geht das Abholzen der Bäume weiter. Von der »Sicherheitspolitik« abgesehen, zeigt uns die Tatsache, dass die Region über reiche Bodenschätze verfügt, dass die Kriegspolitik Hand in Hand mit einer Politik des Profits geht. Experten sagen, dass der Wald die Fähigkeit hat, sich nach einem Brand selbst zu heilen; aber es zeigt sich, dass die ständigen Brände in der Region und vor allem die Baumfällungen dem Waldbestand großen Schaden zugefügt haben. Wenn wir uns die Satellitenbilder der letzten 10 Jahre ansehen, sehen wir Berge, die fast kahl sind, während früher dichte Bewaldung zu sehen war. Die Provinzen Kurdistans gehören zu den Regionen, die von der Klimakrise stark betroffen sein werden. Der Rückgang der Waldfläche wird beängstigende Ausmaße haben, und die Zerstörung wird sich auf alles Leben auswirken. In der Region, wie sie jetzt ist, werden Faktoren wie der Rückgang der Wasservorräte und die saisonalen Veränderungen zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und damit zu einer Nahrungsmittelkrise, einer Wirtschaftskrise und anderen Auswirkungen führen, die das Leben erschweren werden.

Zusammengefasst: Die Provinzen Kurdistans, die bereits von einer rassistischen Politik angegriffen werden, sind von Abholzung, Entvölkerung und Ödnis bedroht, wobei ökologische Güter als Waffen eingesetzt werden. Während Großprojekte wie Staudämme, Minen und Wärmekraftwerke bereits ein beträchtliches Ausmaß an Zerstörung in der Region angerichtet haben, verursachen Waldbrände zusätzlich eine ähnlich große ökologische Zerstörung. Man kann sagen, dass eine neue Umsiedlungspolitik in Gang gesetzt wurde, bei der die Umweltzerstörung eine besondere Kriegsmethode darstellt.

Die Zerstörung der Natur ist nicht nur eine physische und biologische, sondern auch eine kulturelle, gesellschaftliche und soziale Zerstörung. Es ist unsere Pflicht, diese Politik des Spezialkrieges, die auf die Vernichtung des gesellschaftlichen Lebens abzielt, richtig zu verstehen, zu begreifen und entsprechend soziale Verantwortung zu übernehmen.


 Kurdistan Report 230 | November / Dezember 2023