Janet Biehl – Reise nach Rojava
Ideenwelt im Bild
Buchbesprechung von Reimar Heider
In der letzten Dekade gab es eine Reihe von schriftlichen Berichten und Dokumentarfilmen über die Rojava-Revolution, die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien und insbesondere den Krieg gegen den »Islamischen Staat« (IS). Nach Zerocalcares »Kobane Calling« (deutsch 2017) ist nun kurz nach dem zehnten Jahrestag der Revolution Janet Biehls Graphic Novel »Reise nach Rojava« als erster Bericht aus dem Inneren Rojavas in diesem künstlerischen Format erschienen.
Janet Biehl war bereits zuvor zweimal in Rojava gewesen und hat das Buch »Revolution in Rojava« von Anja Flach, Ercan Ayboğa und Michael Knapp ins Englische übersetzt – das Thema ist ihr also nicht fremd. Im Jahr 2019 reiste sie erneut dorthin, diesmal mit den Dokumentarfilmern Danny Mitchell und Ross Domoney. Gemeinsam mit ihnen und mehreren einheimischen Guides führte sie viele Interviews mit Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Die Graphic Novel deckt ein breites Spektrum an Themen ab, von der Geschichte bis zur Wirtschaft, von den Details des demokratischen Prozesses bis hin zum Terror des IS und der türkischen Besetzung von Efrîn. Das mag viel erscheinen, doch Biehl schafft es, jedem Thema den nötigen Raum zu geben, um einen guten Eindruck von dem zu vermitteln, was vor sich geht.
Nachdem sie all die Gräueltaten beschrieben hat, die mit dem Krieg gegen den IS und der türkischen Besatzung einhergingen, konzentriert sie sich auf ihr Hauptinteresse: die Feinheiten der direkten Demokratie und die Befreiung und Bildung der Frauen.
In den meisten Teilen ist der Text wie ein Bericht geschrieben, mit vielen direkten Zitaten der Interviewpartner. In persönlicheren Passagen erörtert Biehl die Beziehung zwischen den Ideen ihres verstorbenen Partners Murray Bookchin und Rojava. Der inhaftierte kurdische Vordenker Abdullah Öcalan hatte mehrere seiner Bücher gelesen und war von ihnen sehr beeindruckt. Zweifelsohne war Bookchins Kommunalismus ein wichtiger Einfluss auf Öcalans Ideen eines »demokratischen Konföderalismus«, die er im Gefängnis niederschrieb und die zur Blaupause der Rojava-Revolution wurden. Wir von der Internationalen Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan« haben damals versucht, einen schriftlichen Dialog zwischen Öcalan und Bookchin herzustellen, aber aufgrund von Öcalans Isolation und Bookchins nachlassender Gesundheit wurde er nicht so umfangreich, wie er hätte sein sollen. In gewisser Weise ist diese Graphic Novel eine Fortsetzung dieses Dialogs zwischen den Ideen des kurdischen Strategen und Organisators und des US-amerikanischen Gesellschaftstheoretikers.
»Reise nach Rojava« ist ein großartiges Beispiel für Comic-Journalismus in der Tradition von Joe Sacco. Es deckt ein breites Spektrum an Themen ab und ist eine hervorragende und sehr verständliche Einführung in das revolutionäre Rojava.
Janet Biehl: Reise nach Rojava. Übersetzt von Hêlîn Dirik, 256 Seiten. Erhältlich für 19,80 € als Paperback beim Unrast Verlag. Die englische Originalausgabe habe ich bereits im Juli, nachzulesen im Internet in der »Kleine Kurdistan-Kolumne – Kommentare für den Frieden« (https://kurdistan-kolumne.blogspot.com/2022/07/book-review-their-blood-got-mixed.html) rezensiert.
Kurdistan Report 227 | Mai/Juni 2023