Wie uns die Aktionskonferenz von Rheinmetall Entwaffnen auf einen heißen, antimilitaristischen Sommer einschwört
Militarisierung ist keine Solidarität!
Von Ulrich Weber
An einem sonnigen Frühlingstag folgten dem Aufruf der Kampagne Rheinmetall Entwaffnen zur Aktionskonferenz bis zu 150 Aktivist:innen aus verschiedensten Strukturen und Bewegungen. Kassel ist einer der vielen Standorte in Deutschland, wo Krieg und Krise bereits hinter der nächsten Betonmauer und NATO-Draht verborgen liegen. Wo hinter den Werkstoren von Rheinmetall und KraussMaffei Wegmann ihre materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, ja wo sie andererseits nicht toben und wüten, sondern lediglich Geld in die Unternehmenskassen spülen. Dass Kassel entwaffnen keine Kunst sei, wie es im Aufruf in Anspielung auf die parallel in Kassel stattfindende stadtweite Kunst-Ausstellung »documenta« heißt, zeigte die Kampagne mit ihren Aktionen in der vergangenen Zeit recht eindrücklich. In verschiedenen Camps und Blockadeaktionen gelang es dem Bündnis mehrfach, erfolgreich Rüstungsunternehmen stundenlang zu blockieren und mit kreativen Aktionen und Workshops in den Camps über die deutsche Rüstungspolitik aufzuklären. Dass Blockaden dabei nur eine Momentaufnahme sind, deren materieller Schaden überschaubar ist, dürfte klar sein. Andererseits sind solch große Störaktionen aber auch Ausdruck eines Diskurses, der hin zu Abrüstung und der Einstellung von Waffenlieferungen führen soll und durch den physischen Protest Zunder für die Schaffung einer breiten Öffentlichkeit liefert. Insbesondere im zehnten Jahr der Revolution in Nordostsyrien gilt es, die Profiteure, welche auch am Krieg in Kurdistan maßlos verdienen, mit Entschlossenheit ins Visier zu nehmen und das Saubermann-Image dieser Unternehmen in den Dreck der Tatsachen zu ziehen.
In diesem Sinne stellt die Aktionskonferenz Auftakt und Wegbereiterin eines großen Aktionssommers dar und eine bewegungsübergreifende Organisierung des Widerstands gegen die zunehmende Militarisierung. Für einen erfolgreichen Widerstand braucht es im Sinne des Bündnisses nämlich eine Betrachtung aus verschiedensten Blickwinkeln, um eine umfassende, aktionistische Kritik an der Rüstungsindustrie äußern zu können. Im Zuge dessen waren sich die Referent:innen auf dem Podium einig, dass wir uns zwar in einer Phase des Umbruchs befinden, die aber nicht erst durch den Krieg in der Ukraine eingeläutet wurde. Die bösen Geister, die jetzt offensichtlich ihr Unwesen treiben, waren insgeheim nie weg. Das bedeutet, dass Militarismus und die nunmehr offene Willenserklärung, zur Not mit Waffengewalt ökonomische Interessen durchzusetzen, die sonst hunderte und tausende Kilometer weit weg ausgefochten worden sind, immer ihre stillen Vertreter hatten, graue Herren, die jetzt in das Licht der Öffentlichkeit rücken.
Die Ampel-Regierung spricht aktuell von einer »neuen Realität«, in der wir uns angeblich befinden, so als sei die friedvolle Welt von Putin aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen worden und würde sich jetzt in der neuen Realität umringt von neugeborenen Autokraten und Diktatoren wiederfinden. Im Gegensatz dazu ist klar: »Den Wesenskern der Kampagne Rheinmetall Entwaffnen hat der Krieg in der Ukraine nicht verändert«, wie es von Sprecher:innen der Kampagne heißt, »denn vielmehr lässt dieser die Notwendigkeit einer antimilitaristischen Haltung wachsen.« Die Stimmen, die sich gegen den neu beschlossenen Haushalt der Bundeswehr, gegen die Waffenlieferungen und Waffenaufstockungen erheben, sind gerade noch leise, aber sie sind da. Der Einflussnahme von höchster Ebene darf im öffentlichen Diskurs nicht das Feld überlassen werden, denn ein authentischer Begriff von Freiheit hängt nicht etwa mit Sicherheitsinteressen zusammen, die durch Rüstung und nochmals Rüstung gewährt werden sollen. Ebenso wenig besteht im Kauf der Aktien von Rheinmetall, Hensoldt und Heckler & Koch nach Ausbruch des Krieges ein Akt moralischer Integrität, wie es uns jetzt einige Unternehmensvorstände weismachen wollen, sondern lediglich das Profitierenwollen von geopolitischen Verschiebungen. Geändert hat sich also nichts.
Krieg ist das Gegenteil von Klimagerechtigkeit
In den letzten Jahren haben wir eine immer größer werdende Relevanz der Klimagerechtigkeitsbewegung erleben dürfen, die es mit regelmäßigen Aktionen des zivilen Ungehorsams geschafft hat, Druck auf Politik und Unternehmen auszuüben. Eine einheitliche Position zur innenpolitischen »Zeitenwende« hat sie derzeit noch nicht, doch gab es in dieser Frage laut einer Aktivistin von Fridays for Future und Ende Gelände in den letzten Wochen viel Bewegung. Zwischen Krieg auf der einen Seite und fossiler Energie auf der anderen besteht auch eine starke Verbindung. Heute wird der zeitnahe Ausstieg aus fossilen Energien mehr denn je zur Zukunftsmusik, die grüne Außenpolitik lechzt nach fossiler Energie des Menschenfreundes Quatar, und Forderungen nach einer Verlängerung der Benutzung von Kohlekraft oder gar von Atomkraft werden laut. Binnen kürzester Zeit würde das die Errungenschaften der Klimagerechtigkeitsbewegung und die Aussicht auf einen Ausweg aus der ökologischen Krise zunichtemachen, weshalb jetzt von einem »Roll Back« die Rede ist. »Krieg ist aber nicht nur schlecht, weil er viel CO2 ausstößt, wie beispielsweise der Leopard-Panzer, welcher nahezu so viel Treibstoff wie 1000 Autos verbraucht«, so die Aktivist:innen, »sondern auch aus Perspektive der sozialen Frage eine Katastrophe, weshalb wir uns nicht für grüne Panzer einsetzen, sondern für gar keine Panzer.« Krieg ist ergo das Gegenteil von Klimagerechtigkeit. Ohne Klimagerechtigkeit, welche die Betroffenen dieser Krise in den Vordergrund stellt und zukünftige Kriege um Ressourcen antizipiert, kann es grundsätzlich keinen Frieden geben. Vom Podium heißt es, dass es auch aus diesem Blickwinkel sinnvoll erscheint, die Rüstungsindustrie ins Visier zu nehmen. In erster Linie sei diese für die Zerstörung natürlicher Ressourcen gut. Die Frage, die sich aus dem Blickwinkel der Klimabewegung stellen muss, ist dem folgend nicht nur »Woher kommt der Strom?«, sondern ebenso »Wofür wird er genutzt?«, und da kommen wir dann schnell zu Unternehmen wie Rheinmetall. Eins scheint gewiss, dieser durch den Krieg begründete Roll Back wird die Klimagerechtigkeitsbewegung noch lange beschäftigen und grundsätzliche strategische Fragen aufwerfen.
Der feministische Blickwinkel schlägt eine ideologische Brücke
Wie eine Aktivistin von Women Defend Rojava und einer Frauen- und Lesbengruppe aus Frankfurt bei der Podiumsdiskussion argumentiert, »sollte es nämlich um Grundsätzliches bei der Kritik an Krieg und Militarismus gehen, da nämlich bereits beim Alltag der Menschen angesetzt werden muss, der in unterschiedlichsten Formen militarisiert und vom patriarchalen Normalzustand geprägt ist«. Der feministische Blickwinkel schlägt in diesem Sinne eine ideologische Brücke zwischen Männlichkeit, Verrohung und Krieg. Wenn laut der Aktivistin Vergewaltigungen im Alltag nicht akzeptiert wären, dann würden sie als Kriegsmittel nicht denkbar sein.
Um den Status quo anzugreifen, muss also diese Mentalität in ihrer Herkunft verstanden werden, als ideelle Grundvoraussetzung, die in der Gesellschaft besteht. Der jetzt aufkeimende Nationalismus und Militarismus waren demnach nie weg aus der deutschen Gesellschaft.
Im zweiten Moment der Betrachtung müsse aus feministischer Sicht festgehalten werden, dass durch Krieg vor allem soziale Strukturen zersprengt werden und damit der Bewegungsspielraum für Frauen und andere unterdrückte Geschlechter massiv eingeengt wird. Das stelle eine weitere rasante Verschlechterung des Normalzustandes dar.
Aufrüstung ist keine internationale Solidarität
Eben diese Punkte und grundsätzlichen gesellschaftlichen Widersprüche helfen zu verstehen, dass einerseits Hunderttausende auf die Straßen gehen und im Paradox zwischen der Forderung nach Frieden und zeitgleich dem Wunsch nach Aufrüstung und Waffenlieferungen hängen bleiben. Es zeigt aber auch, dass die Äußerungen der deutschen Außenministerin Baerbock (Grüne) und von Bundeskanzler Scholz (SPD), der zuletzt von einer eingetretenen »Zeitenwende« sprach, bewusst eine Stimmung der Angst kreieren und desinformieren. Diese Kriege sind nämlich nicht neu. Neu ist nur, wie nah er diesmal an der BRD ist und wie Russland im globalen Machtringen auftritt. »Es kann sich also nicht um eine Wende handeln, weil damit ein Richtungswechsel einhergehen müsste«, so ein Aktivist von Rheinmetall Entwaffnen, »das, was sich verändert hat, sind lediglich die Geschwindigkeit der Veränderungen und die verwendete Sprache.«
Die aktuelle Struktur des Krieges in der Ukraine ist nichts Erschütterndes. Was erschütternd ist, sind die Bilder der betroffenen Menschen. Laut einem Podiumsteilnehmer von Rheinmetall Entwaffnen sollten wir diese Klarheit über die Struktur von Krieg und Krise behalten, um unsere Politik zu definieren und uns nicht auf die eine oder die andere Seite imperialistischer Staaten zu schlagen, sondern festzuhalten »Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten«.
Aktuell gibt es gegen den durch Sicherheitspolitik begründeten Roll Back bis hin zu dem Ausbau atomarer Teilhabe, der Beschaffung bewaffneter Drohnen und der Aufrüstung der Bundesrepublik mit neuen Kampfjets, die in der Lage sind, atomare Sprengköpfe zu tragen, noch wenig organisierten Protest, wird auf der Aktionskonferenz resümiert. Die Empörung darüber, dass in der Verfassung ein Rüstungsbudget in Höhe von 100 Milliarden Euro festgeschrieben werden soll, wächst aber stetig. Für Rheinmetall & Co. bedeutet das volle Auftragsbücher und die Chance eines aufpolierten Ansehens und nicht etwa die Neudefinition internationaler Solidarität, was den Leuten vermittelt werden soll.
Widerstand organisieren!
Deshalb muss Widerstand organisiert werden und nach der Einschätzung der Podiumsteilnehmerin aus Frankfurt außerdem die Frage gestellt werden »Wie wollen wir eigentlich leben und welche Alternative wollen wir bieten?«. Weltweit gibt es viele Orte des Widerstands, Orte, an denen wir dann auch die Frage der legitimen Selbstverteidigung stellen müssen, die von Militarismus abzugrenzen ist. »In diesem Sinne«, so die Aktivistin, »verweisen wir auf den erfolgreichen Widerstand der Zapatistas und den Aufbau eines Alternativvorschlags in Rojava, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert.«
»Was es für den heißen Sommer gilt, ist, den neuen scheinbaren Konsens an den Stellen, wo es uns möglich ist, mit Aktionen zu brechen und das nicht nur an den von der Kampagne organisierten Aktionstagen«, so ein Aktivist von Rheinmetall Entwaffnen. Weiterhin sind es nämlich Rüstungsunternehmen, die im Brennpunkt der Blickwinkel verschiedenster Bewegungen stehen sollten, und das muss verdeutlicht und erklärt werden. Die Aktionen im Sommer nehmen sich vor, mit dem deutschen Normalzustand zu brechen und damit mit der jetzt von Baerbock geforderten Militarisierung der Bildung, der Kultur und des Sports und dem nunmehr von Rheinmetall ins Feld der politischen Zustimmung geführten Slogan »Rüstung ist die Mutter aller Nachhaltigkeit«. War es dabei nicht Rheinmetall, welches nach der Krim-Annektion den deutschen Staat auf Schadensersatz verklagte, da der Bau eines Heeres-Ausbildungszentrums mit modernster Simulationstechnik für einen potenziellen Anti-Guerilla-Kampf untersagt wurde?
Unsere Rolle in den kommenden Wochen und Monaten muss es aus diesen Gründen sein, die Trickbetrügerei von Baerbock, Scholz & Co. zu enttarnen und die bewegenden Zeiten zu bewegten zu machen und das möglichst auf Kosten der Profiteure von Krieg und Krise. Die Aktionskonferenz und die angestrebte Planung sind dabei ein wichtiger Schritt, sich aus der vorherrschenden Schockstarre zu befreien und den vermeintlichen Konsens zu Krieg und Krise zu brechen und uns dazu zu befähigen, als antimilitaristische Bewegung unsere nächsten Schritte anhand kommender Entwicklungen zu antizipieren und auf der Höhe der Zeit zu intervenieren.
Kurdistan Report 221 | Mai/Jubi 2022