Riseup for solidarity – riseup against war!

Die Schreibtischtäter aus der Komfortzone holen!

Von Rheinmetall Entwaffnen

Der blockierte Eingangsbereich bei dem Besuch bei der BAFA. | Foto: RheinmetallEntwaffnenLetztes Jahr am 4. Februar wurde von verschiedenen Initiativen das Bundesamt für Ausfuhrgenehmigungen und Wirtschaft, kurz BAFA, besetzt. Eine wichtige Triebfeder war die sogenannte »Operation Friedensquelle« der türkischen Streitkräfte im Oktober 2019. Dabei handelte es sich um einen weiteren Angriff und die völkerrechtswidrige Annektion der Türkei von an der Grenze gelegenen und von den kurdischen Selbstverteidigungskräften kontrollierten selbstverwalteten Gebieten in Nord- und Ostsyrien. Die türkische Annexion erfolgte in Absprache sowohl mit dem NATO-Partner USA als auch mit Russland. Nach dem Abzug der Selbstverteidigungskräfte wurden Vereinbarungen zwischen der Türkei und Russland für gemeinsame Grenzkontrollen getroffen und man einigte sich darauf, dass syrische Truppen in ehemals selbstverwaltete Gebiete vorrücken konnten. Die Bilder der brutalen Annexion Efrîns im Jahr 2018, an der auch viele IS-Schergen beteiligt waren, die zuvor von den revolutionären kurdischen Kräften besiegt worden waren, waren noch sehr frisch. Im Gedächtnis der Internationalist:innen waren aber vor allem die Bilder der Leopard-Panzer made in Germany unter türkischer Flagge beim Einmarsch in Efrîn. Damals sprach die Bundesregierung angesichts der vom türkischen Militär und seinen dschihadistischen Söldnern begangenen Kriegsverbrechen von »legitimen Interessen der Türkei« und forderte allenfalls zur Mäßigung im Umgang mit der Zivilbevölkerung auf. Entgegen der Ankündigung des damaligen deutschen Außenministers Gabriel, keine Rüstungsgüter an die Türkei zu liefern, solange die türkische Militäroperation laufe, lieferte Deutschland in den ersten fünfeinhalb Wochen der Militäroffensive Rüstungsgüter im Wert von 4,4 Millionen Euro an den Bündnispartner Türkei.

Nachdem der weltweite und von Hunderttausenden Menschen getragene Protest gegen die türkische Annexion von Efrîn am Abklingen war, haben sich im Oktober 2019 angesichts der erneuten Angriffe auf Rojava vielerorts »rise up for rojava«-Initiativen gegründet, so auch hier in Frankfurt. Es ging darum, als Internationalist:innen nicht nur Präsenz bei den von den kurdischen Freund:innen organisierten Demos zu zeigen, sondern eigene solidarische Initiativen zu entwickeln. In Frankfurt wurden unter anderem eine Veranstaltung mit dem Kriegstreiber und Erdoğan-Freund Gabriel gestört, der Flugschalter der Turkish Airlines über Stunden lahmgelegt oder eine Mainbrücke und Hauptverkehrsader in Frankfurt im Anschluss an eine Kurdistan-Solidaritäts-Demonstration besetzt.

Bundesweit gab es Aktionen und Proteste, die die deutsche Verantwortung für den von der Türkei gegen die kurdische Freiheitsbewegung gerichteten Krieg in den Fokus nahmen. So wurden deutsche Rüstungskonzerne angegangen, Zufahrtsstraßen blockiert oder Aktionärsversammlungen gesprengt. Hier in Frankfurt sind zwar keine Rüstungskonzerne ansässig, aber in Eschborn, in direkter Nähe zu Frankfurt, sitzt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Ausfuhrgenehmigungen für Waffenexporte erteilt.

Mit der Besetzung des Bundesamtes ist es uns gelungen, die unmittelbare Verantwortung der deutschen Regierung für Rüstungsexporte, aber auch die bloße Existenz der Rüstungsproduktion in Deutschland in den Mittelpunkt zu rücken. Die Rüstungsindustrie in Deutschland ist im Vergleich etwa mit der Automobilindustrie weder von der Anzahl Beschäftigten noch vom Umsatz her von großer Bedeutung. Von Bedeutung aber ist die Fähigkeit der eigenen Waffenproduktion für Deutschland zur Absicherung ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung und zur Durchsetzung eigener geostrategischer Ziele, etwa die Sicherung der Handelsrouten. Die deutschen Waffenschmieden brauchen den Export zur Umsatzsteigerung, und nur kriegserprobte Waffensysteme erfreuen sich einer weltweiten Nachfrage. Hierin ist die große Bedeutung des BAFA begründet.

Wer oder was ist das BAFA?

Das BAFA ist eine dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie untergeordnete Behörde.

Über das BAFA laufen Genehmigungen für den Export von »Waffen, Munition und deren Produktionseinrichtungen«, sowie für sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl militärisch als auch zivil eingesetzt werden können. Allein in 2018, dem Jahr, in dem die Türkei völkerrechtswidrig das befreite Efrîn in Syrien überfiel, wurden Dual-Use-Güter im Wert von 216 Millionen Euro an die Türkei geliefert.

Jede Herstellung und Ausfuhr von zur Kriegsführung bestimmter Waffen braucht eine Ausnahmegenehmigung der Bundesrepublik.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das BAFA erteilen diese Ausfuhr Genehmigungen im großen Stil. Die Ablehnung eines Antrags stellt hier die Ausnahme dar. Von insgesamt 5.498 Rüstungsexportgenehmigungen im ersten Halbjahr 2020 wurden ganze 32 abgelehnt. Dies sind aufgerundet 0,6 %. Deutschland ist der viertgrößte Rüstungsexporteur weltweit.

Für Kleinwaffen wie Pistolen und Gewehre muss dem Ausfuhrantrag eine Endverbleibserklärung beigefügt werden. Diese Endverbleibserklärungen wurden aber nicht geprüft.

Erst 2015, nach den illegalen Exporten von 4.700 G36-Sturmgewehren durch Heckler und Koch in Regionen Mexikos, in denen sogar die Bundesregierung die Menschenrechtslage als bedenklich einstufte, wurde die Möglichkeit der Endverbleibskontrolle eingeführt. Ein großer Schritt für restriktivere Rüstungsexportkontrollen? Nein. Für die Kontrolle dieser Endverbleibserklärungen wurden beim BAFA ganze zwei Stellen geschaffen.

Insgesamt gab es in fünf Jahren neun Kontrollen solcher Endverbleibe, die alle als »ohne Beanstandung« deklariert wurden.

Die Endverbleibskontrollen wurden wegen der Corona-Pandemie gänzlich eingestellt – während die Produktion und der Export von todbringenden Rüstungsgütern in alle Kriege dieser Welt keinen Tag ruhte.

War starts here – let’s stop it here!

An der Besetzung und Blockade der BAFA am 4. Februar 2020 beteiligten sich über 100 Internationalist:innen. Diese Behörde, die bisher so still und leise ihre Arbeit machen konnte, war gänzlich überrascht worden. Besonders bitter war für das BAFA, dass unsere Besetzungsaktion medial begleitet wurde und einen großen Widerhall in der Presse erfuhr. Transparente mit der Aufschrift: »Rise up for solidarity – rise against war« und Baugitter versperrten den Haupteingang. Women Defend Rojava-, Antifa-, YPJ- und YPG-Fahnen wehten im Wind. Unmittelbar vor dem Haupteingang fand über Stunden eine Kundgebung statt. Inhaltliche Schwerpunkte waren: Femizide als integrale Kriegsstrategie, Offenlegen der militärischen Zusammenarbeit mit dem faschistischen AKP-Regime, die Rolle Deutschlands und der deutschen Waffenexporte beim Krieg in Jemen und Libyen. Bis heute gehören mit der Militärdiktatur Ägyptens, Katar, VAE oder eben der Türkei fast alle Akteure dieser Kriege zu Deutschlands wichtigsten Rüstungskunden.

Nach etwa vier Stunden haben wir die friedliche und erfolgreiche Besetzungsaktion beendet. Die anschließende Spontan-Demo, die uns zur nahegelegenen Bahnstation führte, wurde wiederholt von der Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray angegriffen. Vollkommen eskaliert ist die Polizeigewalt, als wir in die S-Bahn steigen wollten. Hier wurde von der Polizei unter anderem ein Freund aus der S-Bahn gezogen, auf den Bahnsteig geschleudert und weiter auf ihn eingetreten, als er bereits am Boden lag. Zwei Freund:innen wurden festgenommen. Wir haben deren Freilassung gefordert und durchgesetzt, die Bahn nur mit unseren festgenommenen Freund:innen zu besteigen.

Schreibtischtäter auf die Anklagebank – oder welchen Frieden haben wir gebrochen?

Dem BAFA und dem Staat stinkt unsere Besetzung gewaltig. Mittlerweile laufen gegen über 30 von uns Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch, Nötigung, Widerstand, Körperverletzung, Gefangenenbefreiung und Rädelsführerinnenschaft. Die ersten Anklageschriften und Strafbefehle erreichen uns. Konkret wird einem Freund am 28. April 2021 hier in Frankfurt vor dem Amtsgericht der Prozess gemacht. Bei ihm lautet der Vorwurf »schwere Körperverletzung« und »Widerstand«. Es geht also um einiges. Sehr erfreulich ist, dass unsere solidarischen Strukturen der Repression trotzen. Niemand steht mit der Repression allein. Es gibt einen regen Solikreis, an den sich Betroffene wenden; es wurde ein gemeinsames Umgehen mit den Strafbefehlen gefunden. Die Strafbefehle bewegen sich allein für den Vorwurf des Hausfriedensbruchs mit z. B. 40 Tagessätzen im gehobenen Bereich. Wir werden Widerspruch einlegen.

Wir werden die Prozesse offensiv führen, denn nicht wir – die Kriegsgegner:innen – gehören auf die Anklagebank, sondern die Kriegstreiber und ganz konkret die Schreibtischtäter des BAFA.

Den Ostermarsch 2021 in Frankfurt haben wir zum Auftakt unserer Mobilisierung zu den anstehenden Prozessen genutzt. Erstmalig startete ein Zug des Ostermarsches in Eschborn direkt vor dem BAFA. Nach einem Redebeitrag zur Rolle des BAFA, bei dem auch die erfolgreiche Besetzung in Erinnerung gerufen wurde, haben wir mit 70 Teilnehmer:innen eine Fahrraddemo zu einem weiteren Auftaktpunkt des Ostermarsches gemacht und uns diesem angeschlossen. Zwischenkundgebungen haben wir genutzt, um über die anstehenden Verfahren zu informieren. Vor einem Krankenhaus haben wir zudem unter dem Titel Healthcare not Warfare einen Redebeitrag gehalten. Die Aufwendungen für den Wehretat wurden denen im Gesundheitswesen gegenübergestellt. Tatsächlich wird von der Bundesregierung mitten in der tödlichen Pandemie doppelt so viel Geld für Aufrüstung bereitgestellt wie für das Gesundheitswesen. Statt angesichts der Pandemie das kaputtgesparte und profitorientierte Gesundheitswesen massiv zu unterstützen und die Privatisierung rückgängig zu machen, hält die Bundesregierung an ihren Aufrüstungszielen fest. Ein Staat, der solche Prioritäten setzt, trägt Verantwortung für den Kollaps des Gesundheitswesens, in dessen Folge immer mehr Menschen einen vermeidbaren Tod sterben. Auf der zentralen Abschlusskundgebung am Frankfurter Römer konnten wir erneut auf die Machenschaften des BAFA hinweisen. Unter lautem Beifall erzählten wir von der erfolgreichen Besetzungsaktion und forderten zur Solidarität mit den von Repression betroffenen Freund:innen auf.

Enden wollen wir nun mit einem kurzen Ausschnitt der von Rheinmetall-Entwaffnen-Rheinmain gehaltenen Rede:

»Die Besetzung im Februar letzten Jahres war auch im zeitlichen Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Annektion von Efrîn in Nordostsyrien durch den NATO-Partner Türkei erfolgt, die seitdem unendliches Leid über die Bevölkerung gebracht hat!

Und wir haben die Bilder von den Leopard 2-Panzern made in Germany nicht vergessen, die mit dem türkischen Militär und den IS-Schergen durch die Straßen von Efrîn und anderen Städten gewütet sind!

Die Aktion war auch in tiefer internationalistischer Solidarität mit den Menschen dort, die in den vergangenen Jahren den Islamischen Staat erfolgreich bekämpft haben, und die ihr fortschrittliches Projekt Rojava aktuell gegen die türkische Regierung mit ihren reaktionären großosmanischen Zielen verteidigen müssen! Rojava steht für die Hoffnung auf eine gleichberechtigte solidarische Gesellschaft, in der vor allem Frauen ihre Freiheit erkämpfen. Das schafft eine intensive Verbindung zu unseren Kämpfen hier!

Auch deswegen hieß die Initiative beim BAFA ›rise up against war – rise up for solidarity‹.

Und nur so geht es: Es geht bei unseren Kämpfen immer um eine solidarische Welt, in der alle Friedliebenden in Frieden leben können! Es geht bei unseren Kämpfen immer um ein antagonistischen Verhältnis gegenüber Krieg, Vernichtung und Ausbeutung!

Dieser Kampf ist die Sehnsucht der Menschen – auf allen Kontinenten! Und dieser Kampf wird von uns hier verantwortlich mitgeführt!

Riseup against war – rise up for solidarity!«


Kurdistan Report 215 | Mai/Juni 2021