Das Verbot der PKK in Deutschland hat es nicht geschafft, die Kurd*innen einzuschüchtern
27 Jahre PKK-Verbot und Widerstand
Mahmut Şakar, Rechtsanwalt und stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD e. V.
Die Kriminalisierungspolitik gegen die Kurd*innen, die in Deutschland Mitte der 80er Jahre begonnen hatte und mit dem Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen Höhepunkt erreichte, wird bis in die heutige Zeit kontinuierlich fortgesetzt. Sie folgt jedoch keiner geraden Linie. Denn die kurdische Gesellschaft lässt diese Verbotspolitik nicht unbeantwortet und leistet Widerstand. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, die seit 27 Jahren andauernde Kriminalisierungspolitik aus der Perspektive des Widerstandes gegen sie zu betrachten. Die Beibehaltung des Verbotes, für dessen Durchsetzung immer wieder neue Maßnahmen eingeführt werden, liegt im demokratischen Widerstand der kurdischen Bevölkerung begründet, der nicht an der Wurzel gekappt werden konnte.
In diesem Zusammenhang können wir zwei Dinge festhalten: Die Kriminalisierungspolitik des deutschen Staates wurde von Seiten der kurdischen Bevölkerung nie als rechtmäßig und legitim anerkannt. Die vielen Einschränkungen für die kurdische Bevölkerung haben sich jedoch lediglich auf physischer Ebene ausgewirkt; es wurde nur das Leben derjenigen, die zur Zielscheibe der Verfolgungsbehörden wurden, beeinträchtigt. Eine Wandlung in Bewusstsein und Meinung dieser Menschen wurde nicht erreicht. Das Wissen um die Unrechtmäßigkeit und Illegitimität der Verbotspolitik wurde von Generation zu Genration weitergetragen; auch die junge Generation hat ein Bewusstsein und eine Haltung gegen diese Politik entwickelt und engagiert sich in Gesellschaft und Politik.
Die Antwort der Kurd*innen auf das Verbot
Die kurdische Gesellschaft hat während der 27-jährigen Verbotsgeschichte ihren Widerstand und ihre Haltung stets durch verschiedenste Initiativen und Aktionen demonstriert. Dafür hat sie einen hohen Preis gezahlt. Tausende Menschen wurden inhaftiert, zu Geldstrafen verurteilt oder auch mit Einschränkungen im sozialen Leben konfrontiert. Deutschland war nie ein Land, in dem die Kurd*innen sorgenfrei leben konnten. Folgende herausragenden Aktionen, die im Rahmen des Widerstandes gegen das Verbot stattfanden, möchte ich hervorheben: eine Bustour unter dem Motto »Dialog statt Verbot«, die 1997 in Berlin startete, in 24 deutschen Städten Halt machte und in Hamburg endete; die Kampagne mit dem Motto »Auch ich bin PKK«, bei der 140.000 Unterschriften gesammelt wurden; 2003 ein Antrag von 50.000 Unterzeichnenden an den Bundestag, in diesem Gremium über die PKK zu diskutieren; die 2013 bis 2018 mit demokratischen Kräften durchgeführten großen Demonstrationen und Kundgebungen. Auch eines der internationalen kurdischen Kulturfestivals wurde unter dem Motto »Dialog statt Verbot« veranstaltet. Die kurdische Gesellschaft in Deutschland hat die Forderung der Verbotsaufhebung zum Mittelpunkt ihrer Politik entwickelt und bei allen Veranstaltungen und Demonstrationen thematisiert. Sie hat also immer eine Antwort auf diese Politik gegeben.
Erinnerungsarbeit als Widerstand: AZADÎ e.V.
Eine weitere Form der Arbeit gegen das Verbot ist die Schaffung eines anhaltenden Bewusstseins über sein Bestehen, verbunden mit der Benennung der Legitimität des Widerstands. In diesem Zusammenhang sind die Publikationen des Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland Azadî e.V. zum 10., 15., 20. und 25. Jahrestag des Verbots zu nennen, die alle politischen Ereignisse dieser Zeiträume festgehalten und an die Öffentlichkeit getragen haben. Im Zusammenhang mit dem Verbot wird ein anhaltender Rechtskampf gegen die Verfolgung und die Kriminalisierung gegenüber Personen und Institutionen geführt. Vor allem wurde von den Düsseldorfer Prozessen bis heute im Rahmen der nach den §§129 a, b StGB geführten Prozesse durch die jeweilige Verteidigung auch eine alternative politische und historische Sichtweise aufgezeigt. In einigen Fällen wurde nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges ein Antrag an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestellt; zum Teil konnten dabei Erfolge erzielt werden. In den Jahren 2009, 2010 und 2015 wurden mehrtägige Konferenzen organisiert, an denen vor allem Leute teilnahmen, die den rechtlichen Widerstand gegen das Verbot führten und führen, unter ihnen zahlreiche Jurist*innen aus Europa. Bei diesen Konferenzen wurden Meinungen ausgetauscht und Verteidigungsstrategien gegen die juristische Verfolgung entwickelt. Es ist notwendig, die ernsthafte Beteiligung und den Beitrag der linken, demokratischen Kräfte in Deutschland an diesem gesamten Prozess des Widerstands hervorzuheben. Die wahren Freund*innen der kurdischen Gesellschaft haben dieser in den schwierigsten Zeiten mit ihrer internationalen Solidarität beigestanden.
Das PKK-Verbot nach dem Widerstand von Kobanê
Nicht nur aus der Perspektive Deutschlands, sondern auch aus der Perspektive des gesamten westlichen Systems muss die Zeit, die mit dem Widerstand von Kobanê begann, hervorgehoben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde die kurdische Frage vom Westen lediglich als ein Problem betrachtet, das sich auf einen Teil der Türkei beschränkt, und man unterstützte das NATO-Mitglied Türkei in seiner Verleugnungs- und Gewaltpolitik gegenüber der kurdischen Bevölkerung, indem man dem »Terrordiskurs« des türkischen Staates folgte. Die neue Situation nach Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien hat vor allem im Hinblick auf den heldenhaften Widerstand gegen den »Islamischen Staat«, als auch im Hinblick auf die Idee des demokratischen Konföderalismus und die Frauenbefreiung, einen neuen Weg aus der Sackgasse der Politik gegenüber dem Mittleren Osten eröffnet.
In Deutschland war zu beobachten, dass sich im Kontext dieses Prozesses die Wahrnehmung der Kurd*innen durch die deutsche Gesellschaft, die von fast 30 Jahren Kriminalisierungspolitik geprägt war, änderte. Diese Phase war sogar so erfolgreich, dass die innenpolitischen Sprecher*innen der CDU, SPD und Grünen zu diesem Thema Erklärungen abgaben und betonten, dass über das Verbot diskutiert werden müsse. Allerdings hat der Staat diesen Diskurs beendet und sich bemüht, die vorherige Situation wieder herzustellen. Das 2017 auf die Symbole der Bewegung von Rojava/Nord- und Ostsyrien erweiterte Verbot sowie die ständige Repression, die gegen Veranstaltungen und Demonstrationen stattfindet, ist als ein Ergebnis dieser Intervention des Staates zu verstehen.
»Die PKK ist keine Terrororganisation«
Die Entwicklung, die der deutsche Staat ausbremsen möchte, hat ihren Weg auf anderen Ebenen gefunden. Das in Belgien seit 2010 geführte Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, in dem 41 Personen und Institutionen beschuldigt wurden, »Mitglieder und Leiter einer terroristischen Organisation« zu sein, endete mit einer Entscheidung des belgischen Obersten Gerichtshofs am 28. Januar 2020. Nach dieser Entscheidung ist die PKK keine terroristische Organisation, sondern Partei in einem innerstaatlichen Konflikt. Entgegen der »Terrorismus«-Rhetorik, an der in Deutschland immer noch festgehalten wird, hat diese Entscheidung die kurdische Frage und die PKK zu einem Diskussionsthema im Völkerrecht gemacht, basierend auf der Genfer Konvention und insbesondere den Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs zum Jugoslawienkonflikt.
Darüber hinaus hat am 15. November 2018 die erste Kammer am Europäischen Gerichtshof über einen 2014 eingereichten Antrag entschieden; Ergebnis war, dass die PKK in diesem Zeitraum 2014–2018 zu Unrecht auf den Terrorlisten der EU geführt wurde. Dieses Verfahren befindet sich jedoch noch in der Berufung.
Erkennbar ist, dass diese juristischen Entwicklungen in Belgien und am EuGH ein Spiegelbild zu den Entwicklungen ab 2014 sind. Darüber hinaus waren beide Gerichtsverfahren Plattformen, auf denen die kurdische Frage als historisch entstandenes Problem erörtert wurde. Viele negative Entscheidungen europäischer Länder (einschließlich Deutschland) in Bezug auf die Kurd*innen wurden im Zuge dieser beiden Verfahren ebenfalls zur Sprache gebracht.
Die deutsche Justiz, die die politischen Prozesse in Kurdistan in ihre gerichtliche Zuständigkeit zieht und bei jeder Gelegenheit auf die Entscheidungen anderer Ländern verweist, hat die belgischen und luxemburgischen Entscheidungen bisher nicht berücksichtigt.
Das Verbot als zentrales Problem
Der soziale, politische und juristische Kampf der kurdischen Gesellschaft und ihrer Freund*innen, der von den ersten Tagen des Verbots in Deutschland bis heute fortgeführt wird, und die Phase, die nach dem Kobanê-Widerstand weltweit Wirkung zeigte, haben zum einen das Verbot ernsthaft in Frage gestellt und zum anderen die Weiterentwicklung des Widerstands gegen das Verbot ermöglicht. Die Tatsache, dass Deutschlands Bündnispartner Türkei sich zunehmend zu einem faschistischen Staat entwickelt hat, muss natürlich in der Betrachtung ebenfalls berücksichtigt werden.
Es ist notwendig, die Erfahrungen aus dem jahrelangen Widerstand gegen das Verbot dafür zu nutzen, den juristischen und politischen Kampf über Deutschland hinaus fortzusetzen. Der deutsche Staat tut alles dafür, juristisch wie politisch, das Verbot in seinem Einflussbereich aufrecht zu erhalten. Deshalb besteht die Notwendigkeit, das Verbot auf europäischer Ebene zum Gegenstand der Kritik zu machen und den Widerstand gegen die deutsche Kriminalisierungspolitik über die deutschen Grenzen hinauszutragen. Erst wenn die Verbotspolitik Deutschlands als eines der Hauptprobleme aller in Europa lebenden Kurd*innen und ihrer Freund*innen begriffen wird, wird der Widerstand eine neue, erfolgreichere Etappe bewältigen.
Kurdistan Report 213 | Januar/Februar 2021