Ein Beispiel für den Kampf um eine ökologische Welt
Der Kampf ums Klima!
Dîrok Hêvî, Internationalist in Rojava
Ob vor Jahren im Gezi Park oder heute am Dannenröder Wald (liebevoll Danni genannt), immer wieder entzünden sich heftige Proteste an der Frage nach dem Umgang mit unserer Natur. Gleichzeit können wir beobachten, dass es viele Menschen gibt, die das Thema Umwelt losgelöst von vielen anderen Themen und Widersprüchen betrachten. Ohne Zweifel ist die ökologische Frage und unser Umgang mit der Natur eine der Hauptwidersprüche des 21. Jahrhunderts. Gemeinsam mit der Befreiung der Frau können wir beobachten, welche Stärke diese Kämpfe entwickeln und wie schnell sie zu einem tosenden Sturm anwachsen vermögen. Gleichzeitig müssen wir aber auch konsultieren, dass sie auch zu den Themen gehören, über die das System mit seiner liberalen Politik eine sehr starke Anbindung und Eingliederung erreicht. So können wir zum Beispiel sehen, dass viele Menschen, die früher in Umweltprotesten aktiv waren, durch »grünen« Strom, ein Elektroauto, Essen aus dem Bioladen und Solarpaneels auf dem Dach »ihren Teil zur Rettung des Klimas beitragen«. Dies rettet aber nicht das Klima, sondern allenfalls den Kapitalismus. Wir wollen daher versuchen zu zeigen, wie sich die kurdische Freiheitsbewegung dieser Thematik annähert und was wir gegebenenfalls von ihr lernen können.
Wenn wir, wie es in der kurdischen Freiheitsbewegung üblich ist, in die Geschichte zurückblicken, um den Ursprung sich entwickelnder Widersprüche zu verstehen, sehen wir, dass der Mensch über ganz lange Zeit in Harmonie mit der Natur lebte. Er sah sich selbst als ein Teil der Natur und nahm nur so viel von ihr (Jagd, Sammeln, etc.), wie für sein Überleben nötig war. Dies spiegelt sich auch in dem über lange Zeit unter den Menschen verbreiteten Animismus wieder. Animismus war der Glaube daran, dass alles in der Natur beseelt und lebendig war. Daher betrachtete der Mensch jeden Baum, jeden Fluss und jedes Tier als etwas lebendiges. Später, als sich Totemismus unter den Menschen entwickelte, wurde es üblich, dass jeder Klan sich ein Tier als sein Totem auswählte, welches ihm Kraft verlieh und an das er glaubte. Während dieser Zeit ist selbstverständlich die Weltbevölkerung nur ein Bruchteil dessen gewesen, was sie heute umfasst. Dann können wir beobachten, wie sich im Mittleren Osten, genauer gesagt in der Region des Fruchtbaren Halbmonds, die neolithische Revolution ereignet. Dadurch, dass der Mensch nicht mehr nur auf die Jagd geht und sammelt, sondern den Anbau von Getreide und die Tierzucht entdeckt, vollzieht sich für den Menschen und seine weitere Entwicklung eine grundlegende Veränderung. Erstmals ist es möglich, dass der Mensch sich dauerhaft an einem Ort niederlässt und außerdem nimmt erstmals die Größe einer Gemeinschaft, die bis dahin mit einem Klan meist um die 30 bis 50 Personen umfasste, signifikant zu. Wir können auch beobachten, dass während das Leben bis dato um die Mutter/Frau herum organisiert war, der Mann langsam versucht, der Frau diese Rolle zu entreißen. Immer mehr versucht der Mann, seine Herrschaft auszubauen, was sich dann später auch in dem Ziggurat verbildlicht zeigt. In diesen Zeitraum fällt dann auch der Aufbau erster Stadtstaaten, die Schaffung von Armeen und in kürzester Zeit ereignen sich die ersten imperialistischen Beutezüge. Dies ist nun auch der Punkt, wo sich ganz langsam die Annäherung gegenüber der Natur zu ändern beginnt. Mehr als eigentlich notwendig wird der Natur entnommen. Erstmals finden auch z. B. Massenabholzungen von Wäldern statt. Versinnbildlicht finden wir diesen Prozess im Gilgamesch-Epos. Was dann folgt, ist ein Prozess der immer stärkeren Entfremdung von der Natur. Später kommt dann auch die Idee der ersten und zweiten Natur auf. Mit Letzterem ist der Mensch gemeint, der als Subjekt über der Natur (Objekt) steht. Mit ihrer Entzweiung von Subjekt und Objekt schaffen die Brüder Bacon in Bezug auf die Natur den perfekten Nährboden für kapitalistische Ausbeutung durch den Menschen. Weil der Mensch nicht Teil, sondern außerhalb über der Natur steht, kann er sich nach belieben an ihr bedienen. Die männliche Mentalität vom »der Herr im Haus« wird mit der Zeit auf alles und jeden übertragen, um sich die Welt Untertan zu machen.
Dass wir daher heute Weltmeere haben, in denen sich riesige Inseln aus Plastikmüll bilden, der Meeresspiegel ununterbrochen steigt und jede Sekunde riesige Flächen an Wäldern abgeholzt werden, ist daher nur eine konsequente Folge der zuvor genannten Entwicklungen. Was auch ziemlich evident ist, dass es nicht mehr lange so weitergehen kann bzw. eigentlich an vielen Punkten schon fast zu spät ist. Zu spät, weil es unrealistisch ist, mit ein paar Wahlen und Gesetzen die radikal notwendigen Veränderungen einzuleiten, die unter den gegebenen Umständen von wichtiger Bedeutung wären. Es stellt sich daher die Frage, wie wir uns diesem Komplex anders annähern können.
Grundsätzlich können wir von verschiedenen Aspekten sprechen, die für uns von entscheidender Bedeutung sind. Einen zentralen Punkt nimmt die Veränderung der Mentalität ein. Wir müssen begreifen, dass der Lebensstil, der aktuell überall propagiert wird, auf diese Art und Weise und in diesem Tempo bei mehr und mehr schwindenden Ressourcen nicht durchgehalten werden kann und darf. Wir müssen endlich wieder dahin zurückkommen, uns als Teil der Natur zu betrachten und von daher auch nur als Teil von ihr überleben können. Denn ob wir wollen oder nicht, ohne die Natur um uns herum können wir nicht überleben. Indem wir also für die Natur und ihre Erhaltung kämpfen, tun wir das im gleichen Maße auch für uns selbst als Menschen. Damit einher geht im Grunde genommen der demokratische Aspekt in Bezug auf die Natur. Weil es so direkt auf unser Leben bezogen ist, müssen wir dahingehend die Möglichkeit haben mitzuentscheiden. Es spielt daher eine wichtige Rolle, dass die Nutzung von Ressourcen für z. B. Produktion demokratisch durch Räte und Kommunen kontrolliert und bestätigt wird. In diesem Zusammenhang ist daher auch zu sagen, dass dies nicht bedeutet, sich völlig von beispielsweise der Industrie zu verabschieden. Nein, es geht nicht darum einfach alles, was heute besteht, abzulehnen oder zu vernichten, aber unsere Annäherung dahingehend zu verändern. Während Industrialismus ohne Frage eine zentrale Säule der kapitalistischen Moderne darstellt1, bedeutet dies keinesfalls eine Verweigerung der Industrie gegenüber. Es geht hierbei um die Ablehnung der damit verbundenen Mentalität der Ausbeutung und ihrer daraus folgenden Art und Weise der Organisierung. Öcalan stellt daher als Alternative die Öko-Industrie vor. Er spricht außerdem davon wie wichtig es ist, die Rolle von Dorf/Land neu zu bestimmen und dessen Wichtigkeit zu verstehen; das Dorf nicht als Produktionsstätte von Lebensmitteln zu betrachten, sondern vielmehr als Kern einer kommunalen Lebensweise.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Rahmen ist der der Frauenbefreiung. Wie schon oben beschrieben ist die Ausbeutung der Natur im weiteren Sinne eine Folge der Entstehung des Patriarchats. Daher führt die Rettung der Natur und eine veränderte Annäherung ihr gegenüber notwendigerweise über die Tötung der patriarchalen Männlichkeit und der Befreiung der Frau, da damit eine neue und wahre Annäherung an das Leben einhergeht. Frauenbefreiung bedeutet daher auch Befreiung der Natur.
Enden möchte ich mit diesen wundervollen Worten von Şehîd Sara (Sakine Cansız): »In meiner Utopie ist Kurdistan ein Ort, der auf Freiheit und Gleichheit für alle aufgebaut ist, durch den großen Kampf für Freiheit ... Ich träume immer, dass alle Berge Kurdistans voller Blumen blühen. Es gibt immer noch wunderschöne Blumen und Tulpen dort. Es gibt wunderschöne Wälder, die jedoch mit hohem Tempo vom Feind zerstört werden. Es gibt fast keinen Ort mehr, an dem keine Bomben fallen. Mein Traum ist Kurdistan, ein Land mit Blüten verziert.« Auf dass wir gemeinsam daran arbeiten, diesen Traum von Şehîd Sara Wirklichkeit werden zu lassen.
1 - Öcalan bezeichnet als die drei tragenden Säulen der kapitalistischen Moderne Kapitalismus, Nationalstaat und Industrialismus.
Kurdistan Report 213 | Januar/Februar 2021