Editorial
36 Jahre sind seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe des Kurdistan Report im November 1982 vergangen und wir möchten uns zuallererst bei den treuen Leserinnen und Lesern sowie den Autorinnen und Autoren des Reports bedanken, die einen langen Atem bei der Auseinandersetzung und Solidarität mit der kurdischen Bewegung bewiesen haben.
»Ein freies Kurdistan in einem demokratischen Mittleren Osten«, wie es in unserem Zeitschriftentitel heißt, konnte noch nicht durchgesetzt werden. Trotz der vielen Versuche und Bemühungen von Seiten der kurdischen Freiheitsbewegung, die kurdische Frage durch friedliche Mittel zu lösen, setzt der türkische Staat auf noch mehr Gewalt und Repression. Und auch ein Ende der staatlichen Repression gegen die kurdische Zivilbevölkerung in den verschiedenen Teilen Kurdistans konnte noch nicht durchgesetzt werden, im Gegenteil eskalierte die türkische Regierung Anfang dieses Jahres den Konflikt mit der völkerrechtswidrigen Besetzung des nordsyrischen Efrîn. Seit dem Ende des sogenannten Friedensprozesses im Sommer 2015 erinnert die Situation in Nordkurdistan und der Türkei mehr und mehr an die 1990er Jahre: Kriminalisierung von Basisorganisationen, Schließung ihrer Einrichtungen, Massenverhaftung von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Frauenaktivistinnen, Politikern, Gewerkschaftern, Rechtsanwälten, überfüllte Gefängnisse, Folter, die Erschießung von Demonstranten.
Und trotzdem hat sich vieles verändert, für die Türkei, für Kurdistan, für die Gesellschaften, für das Individuum, für die kurdische Freiheitsbewegung … Der Wille, alles für ein freies Kurdistan und eine befreite Gesellschaft zu tun, ist ungebrochen. Das manifestiert sich in der Selbstorganisation der kurdischen Bevölkerung in Rätestrukturen und den Projekten der demokratischen Autonomie. Während es zu den Anfangszeiten des kurdischen Widerstands darum ging, die Verleugnung der kurdischen Identität und Existenz zu brechen, wird heute selbstverständlich und selbstbewusst über ökologische Themen, die Bildung der Jugend und vor allem die Befreiung der Frau gesprochen und diskutiert. Die Befreiung der Frau ist überall zentrales Thema, ihre autonome Organisierung in Kurdistan und auch Europa ist institutionell verankert. Es ist ein Ringen um die eigene Entwicklung. Wie unsere Autorin Andrea Benario treffend formulierte, ist es dabei wichtig zu verstehen, dass Revolution nicht ist, wenn es knallt – sondern wenn sich etwas in der Tiefe verändert und etwas Neues entsteht. Das passiert gegenwärtig in den befreiten Gebieten im Norden und Osten Syriens.
In diesem Sinne freuen wir uns, mit euch die 200. Ausgabe des Kurdistan Report zu teilen. Wir werden auch weiterhin über diese Revolution berichten, die mehr und mehr internationale Beachtung und Anerkennung erfährt.
Die Redaktion
Kurdistan Report 200 | November/Dezember 2018