Solidarität und Widerstand sollen zum Schweigen gebracht werden
Deutschland ist in Efrîn Kriegspartei an der Seite der Türkei
Elmar Millich
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre erreichten Krieg, Vertreibung und Massaker in Kurdistan einen Höhepunkt. Ermöglicht wurde das der türkischen Armee durch massive Waffenlieferungen aus Deutschland, darunter Leopard-II-Panzer und Waffenbestände der frisch aufgelösten Nationalen Volksarmee. Auch innenpolitisch lag die deutsche Regierung auf der Linie der Türkei. 1993 wurde die PKK (Arbeiterpartei Kurdistan) in Deutschland verboten. Es folgten ungezählte Strafverfahren; jeder Protest der in Deutschland lebenden KurdInnen gegen die Massaker in ihrer Heimat wurde kriminalisiert und unmöglich gemacht.
Heute rollen wieder deutsche Leos gegen die KurdInnen, diesmal in der syrisch-kurdischen Enklave Efrîn und demnächst wohl auch im Irak. Und wieder unterstützt die Bundesregierung diesen völkerrechtswidrigen Krieg nicht nur durch außenpolitisches Schweigen, sondern durch eine extreme Steigerung der Repression gegen politische Aktivitäten der hiesigen aktiven kurdischen Community und der seit Kobanê 2014 stark angewachsenen deutschen Solidaritätsbewegung.
Die deutsche Bundesregierung weigerte sich bis zur Einnahme Efrîns durch die türkische Armee und deren islamistische Vasallen Mitte März beharrlich, den Angriffskrieg des NATO-Partners zu verurteilen. Zu Beginn der Offensive sprach die Sprecherin des Auswärtigen Amts von einer »fluiden Lage«, die eine Einschätzung zu diesem Zeitpunkt nicht möglich mache. Auf eine spätere Anfrage der Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch stellte die Bundesregierung sich noch deutlicher an die Seite der Türkei und räumte dieser ein »völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht« als Begründung für den Angriff ein. Auch eine Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags, die starke Zweifel an einer völkerrechtlichen Legitimität für den Einmarsch türkischer Truppen in Syrien äußerte, konnte die Bundesregierung nicht beeindrucken.
Erst als die Stadt Efrîn nach dem Rückzug der Verteidigungskräfte besetzt worden war und sich Hunderttausende EinwohnerInnen auf der Flucht befanden, meldete sich Berlin zu Wort. »Bei allen berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei ist es inakzeptabel, was in Efrîn passiert, wo Tausende und Abertausende von Zivilisten verfolgt sind, zu Tode kommen oder flüchten müssen«, verlautete Bundeskanzlerin Angela Merkel am 22. März in einer Regierungserklärung. Dies werde von der Bundesregierung auf das Schärfste verurteilt. Dazu brauchte sie zwei Monate, als habe Erdoğan seinen Plan der ethnischen Säuberung als Kriegsziel nicht schon zu Beginn der Offensive vor einheimischem Millionenpublikum verkündet: Er werde Efrîn »seinen wahren Besitzern« zurückgeben. Allerdings telefonierte Bundespräsident Frank-Walther Steinmeier einen Tag vorher mit Präsident Erdoğan und betonte die »Bedeutung des gemeinsamen Kampfes gegen den Terrorismus«. Damit übernahm er die Lesart der Türkei, dass es sich bei ihrem Einmarsch in Efrîn um eine »Antiterroroperation« handele. Diesen Freibrief für eine militärische Aggression gegen Rojava hatte das Bundesinnenministerium (BMI) der Türkei schon mit einem Rundschreiben an die Länderbehörden vom 2. März 2017 erteilt, in dem es um eine Aktualisierung des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots ging. Unter den im Anhang gelisteten auf öffentlichen Versammlungen verbotenen Symbolen befanden sich erstmalig diejenigen von PYD/YPG/YPJ (der nordsyrisch-westkurdischen Partei der Demokratischen Einheit, Volks- und Frauenverteidigungseinheiten). Entgegen den Verlautbarungen des Ministeriums, es handele sich um einen innenpolitischen »Routinevorgang«, war es ein deutliches außenpolitisches Signal, dass Deutschland im Konflikt zwischen der Türkei und den USA um die Einschätzung und Zusammenarbeit mit den YPG an der Seite Ankaras steht.
Während der Vorbereitung und der Durchführung des Angriffskrieges gegen Efrîn betätigte sich Deutschland auch innenpolitisch als Kriegspartei. Ausgehend von dem BMI-Erlass vom März 2017 ließen die Repressionsbehörden keine Möglichkeit ungenutzt, um Proteste gegen die Türkei und Solidarität mit Efrîn zu verbieten und zu kriminalisieren. Alle Entspannungsbemühungen, die es in den letzten zwanzig Jahren zwischen den deutschen Behörden und kurdischen Institutionen durchaus gegeben hatte, wurden einseitig aufgekündigt. Auch lobende Worte bis in die höchsten Reihen der deutschen Politik über den Einsatz gerade der YPG/YPJ bei der Rettung der ÊzîdInnen in Şengal (Sindschar) 2014 vor den Mörderbanden des IS (Islamischen Staates) schienen vergessen. Ältere AktivistInnen fühlten sich vom Ausmaß der Verbote und Schikanen in die 1990er Jahre zurückversetzt.
Hetzjagd auf PYD-/YPG-/YPJ-Symbole
Auf der strafrechtlichen Ebene kam es zu einer regelrechten Hetzjagd auf KurdInnen und deutsche Linke, die Symbole der syrisch-kurdischen Organisationen auf Versammlungen oder im Internet zeigten: Fans des Internationalen FC Rostock 1899 (IFC) zeigten bei einem Hallenturnier ihres Vereins am 27. Januar eine YPG-Fahne und ein Transparent »HALTE STAND AFRÎN!«. Daraufhin gab es gegen ein Mitglied eine Vorladung der Rostocker Staatsschutzabteilung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Artikel 20 Vereinsgesetz. Am 20. Februar um 9.00 Uhr rückte eine Hundertschaft vermummter und mit Maschinenpistolen bewaffneter Polizisten beim Gasthof des Widerstands in Meuchefitz (Wendland) an, um ein an der Hausfassade angebrachtes Transparent mit der Aufschrift »Afrîn halte durch: Türkische Truppen & deutsche Waffen morden in Rojava! Es lebe die YPG/YPJ« zu beschlagnahmen. In Thüringen, wo die Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt, kam es in Erfurt außer in Privatwohnungen und Geschäftsräumen auch zu einer Durchsuchung des Jugendbüros der Linken. Die Vorwürfe der zuständigen Staatsanwaltschaft in Gera lauteten, die betroffenen Personen hätten im Internet für die PKK sowie deren Neuorganisationen geworben. Obskure Blüten trieb der Verfolgungseifer in Bayern. Ein Münchner Berufsmusiker erhielt im März eine Vorladung, weil er unkommentiert einen Beitrag des Bayrischen Rundfunks auf Facebook geteilt hatte, in dem auch Fahnen der YPG eingebunden waren. Auf Nachfrage des Senders begründete die Polizei die Maßnahme mit der Rechtslage, wonach es Medien gestattet sei, »verbotene Symbole« zu verwenden, einzelnen NutzerInnen jedoch nicht. Bei allem Verfolgungseifer müsste den Staatsanwaltschaften bekannt sein, dass sie sich rechtlich auf dünnem Eis bewegen. Laut BMI sind Symbole der PYD/YPG/YPJ nicht per se verboten, sondern nur, wenn sie ersatzweise für PKK-Symbole verwendet werden. Gerichtliche Verurteilungen sind in den oben geschilderten Fällen eher nicht zu erwarten. Der Zweck dieser Strafverfahren scheint eher die Einschüchterung von Solidaritätsbezeugungen in der aktuellen Situation zu sein.
Ebenfalls verschärft hat sich der Umgang mit Öcalan-Fahnen und dessen Konterfei auf Transparenten aufgrund des BMI-Erlasses vom März 2017. Wurde es in den letzten Jahren zwar in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, gab es in der Regel aber keine größeren Beanstandungen, wenn sie etwa auf kurdischen Massenveranstaltungen sowohl im Publikum als auch auf der Bühne gezeigt wurden. Die Polizei reagierte meist mit Personalienfeststellungen am Rande der Versammlungen. Mittlerweile wird überall auch gegen einzelne Symbole und Fahnen auf Versammlungen und Demonstrationen rigoros vorgegangen, auch wenn sie keinen primär kurdischen Hintergrund haben wie etwa bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Gedenkdemonstration in Berlin. Juristisch verfestigt wurde dieses Vorgehen durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im letzten Jahr. Demnach sind Fahnen oder Transparente mit Abdullah Öcalans Bild nur auf kleinen Informationsveranstaltungen zulässig, bei denen es allein um sein persönliches Wohl oder seine Gesundheit geht. Auch bei einer Demonstration im Januar in Berlin mit der alleinigen Forderung »Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan« wurden im Auflagenbescheid Öcalan-Bildnisse untersagt. Die Begründung lautete, dass die Forderung »Frieden in Kurdistan« auf Öcalan in seiner Funktion als Führer der PKK hinweise. Lässt man die letzten Monate Revue passieren, scheint Frieden in Kurdistan auch das Letzte, was die deutsche Bundesregierung aktuell anstrebt. Bei Verfahren gegen Personen, die auf Demonstrationen Öcalan-Fahnen mit sich geführt hatten, bleibt es nicht bei reinen Schreibtischermittlungen. Angeblich zur Beweissicherung kam es am 12. Januar in Hamburg zu Durchsuchungen des kurdischen Vereins und von Privatwohnungen. Im Nachlauf der Newroz-Feiern erfolgte Anfang April auch eine Durchsuchung der Räumlichkeiten von NAV-DEM (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland) in Hannover.
Mit seinem Erlass aus dem letzten Jahr beabsichtigte das BMI, Symbole von PYD/YPG/YPJ gleichberechtigt mit den bislang verbotenen Symbolen der PKK aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Dieser Versuch muss als gescheitert angesehen werden aufgrund des halbherzigen Vorgehens der Behörde. Aus außenpolitischer Rücksichtnahme auf den Verbündeten USA, der in Syrien mit den kurdischen Verbänden militärisch eng kooperiert, scheute man sich, diese Gruppierungen als Teilorganisationen der PKK nach dem Vereinsrecht zu verbieten. Bei dem Bestreben der lokalen Versammlungsbehörden, das Zeigen dieser Symbole auf Versammlungen einfach per Auflagenbescheid zu untersagen, sind die Verwaltungsgerichte bei entsprechenden Klagen der VeranstalterInnen nicht mitgegangen. Den Anfang machte das Verwaltungsgericht Frankfurt im September letzten Jahres. Ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin bezüglich der Auflagen zu einer Demonstration im Juli letzten Jahres wurde am 6.12.2017 per Vergleich eingestellt. Die Versammlungsbehörde sagt zu, dass aufgrund von neuen Vorgaben des BMI Auflagen in dieser Form (bezüglich PYD-/YPG-/YPJ-Symbolen) in Zukunft nicht mehr erteilt werden würden. Hintergrund war eine neue vom BMI verschickte Anlage, in denen unterschieden wurde zwischen generell verbotenen PKK-Symbolen und solchen, die nur zu verbieten sind, wenn sie auf Veranstaltungen ersatzweise für PKK-Symbole verwendet werden oder die Veranstaltung einen eindeutigen PKK-Bezug hat. Somit ist zumindest bei Demonstrationen mit reinem Rojava-Bezug ein Verbot nicht mehr begründbar. Dem folgte auch das Verwaltungsgericht Magdeburg in einer Entscheidung vom 8. März.
Trotz dieses juristischen Teilerfolges bleibt eine gewollte Rechtsunsicherheit, weil es nach wie vor den Versammlungsbehörden im Vorfeld und der Polizei während der Versammlung obliegt, willkürlich zu entscheiden, ob nicht doch ein PKK-Bezug vorliegt. Beispiele dafür gibt es genug. Bei einer Demonstration gegen den türkischen Einmarsch in Efrîn im März in Hannover erließ die Polizei während der Veranstaltung die Auflage, die Fahnen mit den Bildnissen von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez (den drei am 09.01.2013 in Paris durch den türkischen Geheimdienst MIT ermordeten kurdischen Revolutionärinnen) einzusammeln. Begründet wurde die Forderung damit, dass die Fahnen, obwohl an sich nicht verboten, einen unmittelbaren Bezug der Demonstration zur PKK schaffen und somit den angemeldeten Versammlungscharakter der Solidarität mit Efrîn unzulässig verändern würden. Eine ähnliche einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. Februar liegt vor, die eine gleichzeitige Verwendung von PYD-/YPG-/YPJ-Fahnen und der Forderung »Aufhebung des PKK-Verbots« untersagt, obwohl Fahnen und Forderung einzeln für sich nicht zu beanstanden seien. Ein klar rechtswidriges Verhalten zeigte die Polizei anlässlich einer Demonstration unter dem Motto »Efrîn wird leben« am 20. März in Gelsenkirchen. Obwohl Symbole der YPG durch Intervention des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen erlaubt waren, wurde eben eine solche der MLPD-Moderatorin Monika Gärtner-Engel gewaltsam entrissen und ihr mit einer Strafanzeige gedroht.
BMI legt nach
Im Zuge der hauptsächlich vom ehemaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel betriebenen neuen Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei legte das BMI noch einmal nach. Als »Orientierungshilfe« für alle Landesministerien und Strafverfolgungsbehörden verschickte es am 29. Januar ein erneutes Rundschreiben, wie das seit 1993 bestehende PKK-Verbot im Konkreten umzusetzen sei. In der neuerlichen Anordnung sind alle Anlässe »mit PKK-Bezug« aufgeführt wie »Versammlungen/Veranstaltungen, die der im Januar 2013 in Paris getöteten Anhängerinnen der PKK gedenken, Aktivitäten zum Newroz-Fest, das Zîlan-Festival, das Mazlum-Doğan-Festival, das Kurdistan-Kulturfestival, der Jahrestag der Ausweisung Öcalans aus Syrien und im November die Versammlungen/Veranstaltungen zum Verbot der PKK bzw. auch zur Gründung der PKK«. Bei all diesen Aktivitäten sei »in der Regel stets ein PKK-Bezug« anzunehmen. Die Umsetzung ließ nicht lange auf sich warten. Eine für den 10. Februar vom kurdischen Dachverband NAV-DEM geplante Demonstration in Köln wurde kurzerhand verboten mit der Begründung, bei NAV-DEM handele es sich um eine Teilorganisation der PKK, die aufgrund des Vereinsgesetzes generell das Recht verwirkt habe, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und durchzuführen. Da nun jede größere Demonstration oder Versammlung zur Vorbereitung organisierte Strukturen und auch finanzielle Mittel braucht, zielte der Ausschluss von NAV-DEM als Anmelder darauf, jede größere Protestmanifestation gegen die angelaufene türkische Aggression in Efrîn zu unterbinden. Auch auf die kulturelle Befindlichkeit der ca. eine Million in Deutschland lebenden KurdInnen meinten die Sicherheitsbehörden keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Die für den 17. März in Hannover von NAV-DEM angemeldete zentrale Newroz-Feier – für die KurdInnen ein Symbol des Frühlings und des Widerstandes – wurde kurzerhand mit derselben Begründung wie in Köln ebenso verboten. NAV-DEM ginge es hauptsächlich darum, mit der Demo eine Propagandaplattform zu bieten, sich Finanzmittel durch Spenden und Verkaufserlöse zu beschaffen und AnhängerInnen zu rekrutieren, so die Sichtweise der Polizeidirektion Hannover. Nachdem NAV-DEM seine Anmeldung zurückgezogen hatte, meldete ein Bündnis aus Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion, dem Liedermacher Konstantin Wecker, dem Kabarettisten Dieter Hallervorden sowie linken und migrantischen Organisationen daraufhin eine eigene Newroz-Versammlung unter dem Motto »Newroz heißt Widerstand – der Widerstand heißt Efrîn. Bijî Newroz – Bijî Efrîn« in Hannover an. Auch diese Veranstaltung wurde von der Polizeidirektion als »Ersatzveranstaltung« verboten. Dagegen wurde Klage eingereicht. Nachdem über Tage Unsicherheit herrschte, ob in Deutschland ein zentrales kurdisches Newroz-Fest möglich ist, entschied das Verwaltungsgericht Hannover zugunsten der Anmelder. Ohne auf die juristischen Details eingehen zu wollen, verwarf das Gericht die Verbotsverfügung der Polizeibehörde in allen Punkten. Die Demonstrationszüge und die Abschlussfeier konnten dann auch weitgehend ungestört stattfinden, obwohl die Polizei immer wieder drohte, die Versammlung aufzulösen, wenn Bilder von Abdullah Öcalan nicht entfernt werden würden. Das Kölner Verwaltungsgericht folgte der Linie aus Hannover bezüglich eines von der Polizeibehörde verfügten Verbots für eine am 16. März in Bonn geplante Demonstration gegen den Krieg in Efrîn.
Auch bezüglich Presse- und Verlagsfreiheit schließt Deutschland gegenüber der Türkei auf. Der vorläufig letzte Repressionsakt – kaum war der türkische Außenminister Mevlüt Çavușoğlu von der internationalen Tourismusmesse ITB aus Berlin abgereist – fand am 9. März in Neuss im kurdischen Mezopotamien-Verlag und der »MIR Multimedia GmbH« statt. Auf Antrag des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA) hatte die 18. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf am 5. März die Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräume, Garagen und Fahrzeuge der beiden Unternehmen angeordnet. Eine vorherige Anhörung der Betroffenen hat es nicht gegeben. Dabei wurden insgesamt 7,5 t Material beschlagnahmt. Neben Werken in türkischer und kurdischer Sprache auch die ins Deutsche übersetzten Schriften von Abdullah Öcalan und die Biographie von Sakine Cansız. Begründet wurde dieses polizeiliche Vorgehen mit der Behauptung, die beiden Vereine würden durch ihre Tätigkeiten »den organisatorischen Zusammenhalt« der »verbotenen PKK unterstützen« und hierdurch eine »vorteilhafte Wirkung« für diese hervorrufen. Festgemacht wird dies unter anderem daran, dass »einschlägige Bücher und Zeitschriften« verlegt und vertrieben werden würden. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die SchriftstellerInnenvereinigung PEN-Zentrum Deutschland nannten das Vorgehen undurchsichtig und forderten von den Behörden eine nachvollziehbare Aufklärung des Vorgehens.
Das Jahr 2018 ist bislang geprägt durch den Versuch der Repressionsbehörden, Proteste der kurdischen Community und der solidarischen deutschen Linken in einer seit den 1990er Jahren nicht mehr da gewesenen Weise zu unterdrücken. Das Ziel ist dabei, oppositionelle Stimmen gegen die Politik der Türkei und Solidaritätsbezeugungen mit der kurdischen Befreiungsbewegung möglichst komplett aus der Öffentlichkeit, den Medien und den sozialen Netzwerken zu verbannen. Als Grundlage dient das seit 1993 bestehende PKK-Verbot. Dass es bislang nicht gelungen ist, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen funktioniert an diesem Punkt die Gewaltenteilung zwischen Justiz und Exekutive. Dem einfachen Weg, die Symbole von PYD/YPG/YPJ per Auflagenbescheid auf Versammlungen zu untersagen, ohne die Organisationen selbst hier in Deutschland nach dem Vereinsgesetz zu verbieten, sind die Verwaltungsgerichte bislang nicht gefolgt. Auch der Versuch, kurdische Versammlungen und Demonstrationen komplett zu verbieten, scheiterte bislang daran, dass sich die Gerichte an die langjährige vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rechtslage hielten. Darauf reagieren die Behörden, indem sie versuchen, den vom BMI vorgegebenen Graubereich auszuweiten, dass die PYD-/YPG-/YPJ-Symbole untersagt werden können, wenn sie ersatzweise für PKK-Symbole verwendet werden. In der Praxis wird das als gegeben angesehen, wenn sich Demonstrationen in ihrer Thematik oder auf Transparenten vorgetragenen Forderungen nicht auf den syrischen Teil Kurdistans beschränken. Um es exemplarisch zu machen: Auf einer Demonstration gegen das PKK-Verbot darf die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert, aber keine Fahne der PYD/YPG/YPJ gezeigt werden. Auf Demonstrationen zur Solidarität mit Efrîn sind dagegen die Fahnen erlaubt, aber nicht die Forderung zur Aufhebung des PKK-Verbots. Hier sind weitere juristische Schritte notwendig, um sicherzustellen, dass es den TeilnehmerInnen und VeranstalterInnen der Demonstration obliegt, welche Themenfelder und Forderungen sie auf die Straße tragen und wie sie diese miteinander verknüpfen.
Solidarität mit Rojava größer denn je
Ein weiterer Grund für das Teilmisslingen der behördlichen Verbotspolitik ist die breite Solidarität, die sich vor allem seit 2014 mit der kurdischen Befreiungsbewegung innerhalb der deutschen Linken entwickelt hat. Bei allen in diesem und letztem Jahr stattgefundenen größeren Demonstrationen, sei es der G20-Gipfel in Hamburg oder die Rosa-Luxemburg-Demonstration in Berlin, trugen große Teile der TeilnehmerInnen die Fahnen von PYD/YPG/YPJ sowohl als Zeichen der Solidarität als auch als Protest gegen die Repression. Die VeranstalterInnen der diesjährigen Erster-Mai-Demonstration in Berlin kündigten an, dass massiv Fahnen und Symbole der kurdischen Befreiungsbewegung mitgeführt werden würden unabhängig von der juristischen Zulässigkeit. Auch bei der allgemeinen Bevölkerung wirkt die positive Berichterstattung in den Mainstream-Medien aus den Jahren 2014 im Zusammenhang mit der Verteidigung von Kobanê und der Rettung der ÊzîdInnen aus dem Şengal-Gebirge durch die YPG nach. Es ist der Öffentlichkeit und den Medien schwer zu vermitteln, warum deren Symbole jetzt in Deutschland verboten sein sollten. Für staatlich organisierte Desinformationskampagnen wie in den 1990er Jahren, in denen die PKK weniger als Guerilla denn als mafiöse Drogenhandel- und Schutzgelderpresserbande dargestellt wurde, fehlt jeder materielle Ansatzpunkt, auch wenn Exaußenminister Sigmar Gabriel in einem Exklusivbeitrag für den Berliner Tagesspiegel vom 21. März wieder in diese Mottenkiste greift.
Bei Analysen, welche Motivation die Bundesregierung zu ihrer türkeigefälligen Politik treibt, wurden immer wieder der Flüchtlingsdeal oder geheime Abmachungen im Zusammenhang mit der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel genannt. Dies greift aber zu kurz. Klar ist, dass die Verschärfung nicht innenpolitisch motiviert ist. Liest man die Abschnitte über die kurdische Befreiungsbewegung in den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre, gleichen sich deren Inhalte bis auf den Austausch von Einzelereignissen und Zahlen. Klar ist zudem, dass die verschärfte Umsetzung des PKK-Verbots zentral vom Bundesinnenministerium mit den Erlassen vom 2. März 2017 und 19. Januar dieses Jahres angeordnet wurde und bei den mit der Ausführung beauftragten Landesbehörden zumindest anfänglich auf Unverständnis stieß. Deutschland war bei dem Angriffskrieg gegen Efrîn tatsächlich Kriegspartei. Es ist davon auszugehen, dass es spätestens beim Treffen der Außenminister Gabriel und Mevlüt Çavuşoğlu Ende Januar detaillierte Absprachen über das Vorgehen in Efrîn gab und dies von der Bundesregierung auch abgesegnet wurde. Und sei es nur aus der Einsicht heraus, wenn es schon nicht verhindert werden kann – wozu Deutschland im Gegensatz zu den USA und Russland tatsächlich die militärischen Mittel fehlen –, dann soll zumindest davon profitiert werden. Die Kooperation zielte zum einen auf das Militärische. Mit Sigmar Gabriels Angebot, die türkischen Leopard-Panzer gegen Minen und Sprengfallen nachzurüsten, sollten diese im Kampf gegen die YPG gestärkt werden und nicht wie behauptet gegen den IS, zu dem die Türkei nach wie vor ein entspanntes Verhältnis pflegt. Dass es dazu nicht kam, lag lediglich am schlechten Timing zwischen der neu gestarteten deutsch-türkischen Annäherung und dem Angriff auf Efrîn. Entgegen den Äußerungen von Gabriel wurden noch während der Angriffe auf Efrîn deutsche Waffen und Militärausrüstung im Wert von 4,4 Millionen Euro geliefert.
Ein weiteres Feld der Kooperation sind die Unterdrückung von zivilem Widerstand und die Prägung der öffentlichen Meinung. In der Türkei bestanden die Befürchtungen, dass es ähnlich wie 2014 beim Kampf um Kobanê zu Aufständen in den kurdischen Teilen der Türkei kommen könnte. Schon zu Beginn des Krieges verlautete Erdoğan an die Adresse der HDP (Demokratische Partei der Völker), dass sie alle »zermalmen« würden, die jetzt auf öffentlichen Plätzen gegen den Krieg zu protestieren versuchen. Mittlerweile sind in der Türkei über 600 Personen inhaftiert, die sich auch nur in den sozialen Medien von dem Krieg distanzierten. Deutsche StaatsanwältInnen leisten mit ihrer Jagd auf YPG-Symbole im Internet den gleichen Job wie ihre türkischen Kollegen, auch wenn hier niemand direkt inhaftiert wird. Die Türkei nimmt seit Jahren den Widerstand der kurdischen Diaspora in Europa genauso ernst wie in den vier Teilen Kurdistans. Nur braucht sie hier andere Mittel und die europäischen Regierungen als Bündnispartner. Diese Rolle fällt vor allem Deutschland zu, da hier mit Abstand die meisten KurdInnen in der Diaspora leben. Und diese Rolle hat Deutschland über die Weisungen des BMI zur verschärften Umsetzung des PKK-Verbots, während deutsche Panzer in Efrîn rollen, sehr zur Zufriedenheit der Türkei erfüllt. So stand bei den geplanten Verboten kurdischer Demonstrationen in den letzten Wochen natürlich nicht wie behauptet die öffentliche Sicherheit im Vordergrund, sondern die öffentliche Wahrnehmung der türkischen Aggression in Syrien. Während vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien täglich über die unmenschlichen Angriffe der syrischen Armee und Russlands auf die Region Ost-Ghouta in der Nähe von Damaskus berichteten, bedurfte es nach pflichtgemäßer Berichterstattung über den Einmarsch in Efrîn in den ersten Tagen jedes Mal größerer kurdischer Demonstrationen, um das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Dies sollte vermieden werden, indem bedingt durch die Verschärfung des Verbots Auseindersetzungen mit der Polizei um Fahnen im Vordergrund der Berichterstattung stehen oder die Proteste besser noch gar nicht erst stattfinden.
Die Bundesregierung setzt weiterhin mittelfristig auf die geopolitische Kooperation mit der Türkei ungeachtet deren demokratischer Verfasstheit. Ein wesentliches Element dafür ist die von Exaußenminister Gabriel in dem oben erwähnten Artikel geschilderte Angst vor einer dauerhaften Abwendung der Türkei von der NATO hin zu Russland. Die Türkei müsse um jeden Preis weiter im Westen eingebunden bleiben, wozu auch Waffenlieferungen notwendig seien. Präsident Erdoğan weiß um dieses Drohpotential und spielt es hervorragend aus. Es deuten sich aber auch neue Konfliktlinien an. Unter den Akteuren bildet sich zunehmend eine Achse USA–Saudi-Arabien–Israel ab, deren Hauptziel in Syrien und im Irak darin besteht, den iranischen Einfluss zurückzudrehen. Dazu dient ihnen die Allianz mit den kurdisch geprägten QSD (Demokratischen Kräften Syriens) östlich des Euphrats, die für die Türkei ein Schreckgespenst darstellen. Deutschland sieht den Einfluss der USA im Mittleren Osten eher schwinden und möchte in dieses Vakuum eindringen. Der Allianz der USA mit den QSD gibt die Bundesregierung keine lang anhaltende Perspektive und sie setzt auf die lokalen Mächte Türkei und Iran, um ihren Einfluss in der Region auszubauen. Es ist kein Zufall, dass sie ausgerechnet in den nördlichen Provinzen Syriens Aufbauhilfe leistet, die von mit der Türkei verbündeten dschihadistischen Milizen kontrolliert werden, wie die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei einräumen musste.
Zur Ausweitung des deutschen Einflusses dient auch der unter dem Motto »mehr Verantwortung übernehmen« angekündigte Ausbau des Bundeswehreinsatzes im Irak. Neben den kurdischen Peschmerga soll jetzt auch die irakische Zentralregierung militärisch unterstützt werden. In dieses Bild passen – wenn auch dementierte – Berichte, die USA würden Streitkräfte vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik abziehen, sowie die kürzliche Ankündigung des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, das Existenzrecht Israels unter bestimmten Voraussetzungen prinzipiell anzuerkennen. Ebenso lassen die Formulierungen im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aufhorchen, die Koalition wollen keine weiteren Waffen an Länder liefern, die am Konflikt im Jemen beteiligt sind. Unabhängig davon, ob dies im Detail auch erfolgt, ist es ein Affront gegen Saudi-Arabien und ein Signal an den Iran.
Gegen diese geostrategischen Ränkespiele, die im Mittleren Osten Millionen Menschen Leid und Tod bringen, steht das Konzept des demokratischen Konföderalismus vom friedlichen und selbstbestimmten Leben der Volksgruppen der Region, auch wenn es durch die militärische Überlegenheit der Nationalstaaten zurzeit sehr unter Druck steht. Tragen wir unseren Teil in Europa bei, durch Öffentlichkeit und Solidarität für Entlastung zu sorgen.
Detailliertere Informationen zur aktuellen Repression unter:
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi/AZADIinfodienst/nr180/info180.pdf
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi/AZADIinfodienst/nr179/info179.pdf
Kurdistan Report 197 | Mai/Juni 2018