Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
noch vor einem Jahr sah die Situation in Kurdistan ganz anders aus. Im Dolmabahçe-Palast hielten eine Delegation der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und eine Abordnung der türkischen Regierung eine gemeinsame Pressekonferenz ab, auf der die Zehnpunktedeklaration Abdullah Öcalans verlesen wurde, die den Verhandlungen zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und dem türkischen Staat den Weg ebnen sollte. Heute führt derselbe Staat einen grausamen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in Nordkurdistan und, nun auch offiziell, selbst im nordsyrischen Rojava.
Nach dem grausamen Massaker in Cizîr (Cizre) mit über 150 Toten greift der AKP-Staat aktuell mit all seinen Mitteln den Stadtteil Sûr in Amed (Diyarbakır) an. Auch die Angriffe auf Hezex (Idil) und Gever (Yüksekova) haben ihren Anfang genommen. Überall dort, wo der Rückhalt für die kurdische Freiheitsbewegung am stärksten ist, will der türkische Staat Exempel statuieren. Neben Nordkurdistan ist nun auch Westkurdistan direktes Ziel des türkischen Staatsterrors. Versuchte die AKP bislang durch die Unterstützung des IS, der Al-Nusra-Front und anderer islamistischer Gruppierungen die Revolution von Rojava zu bekämpfen, so lässt sie nun zusätzlich selbst vom türkischen Territorium aus direkt die Gebiete der demokratischen Selbstverwaltung von Rojava bombardieren. Und am liebsten würde sie geradewegs ihre SoldatInnen in die Region schicken. Der Versuch, die Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Rojava für den schweren Anschlag auf den Militärkonvoi in Ankara vom 17. Februar verantwortlich zu erklären, scheint nicht viel mehr als ein verzweifelter Versuch der türkischen Regierung, sich die Legitimation für ein solches Vorhaben zu verschaffen.
Und es ist diese Türkei, die nun Deutschland und Europa in der sogenannten Flüchtlingskrise aus der Patsche helfen soll. Aus diesem Grund mahnt Innenminister de Maizière, sich derzeit mit Kritik an der Türkei zurückzuhalten. Doch die deutsche Bundesregierung will es wohl nicht nur beim Schweigen zu den Kriegsverbrechen ihrer Bündnispartnerin Türkei belassen. Denn sie setzt ihren Repressionskurs gegen kurdische AktivistInnen und solidarische Kreise fort. In Hannover wurde das Unabhängige Jugendzentrum Korn durchsucht, weil es angeblich die PKK unterstütze. In Hamburg wurde gegen Bedrettin Kavak Anklage nach § 129b StGB erhoben und erneut wurde ein kurdischer Aktivist festgenommen, dieses mal in Düsseldorf und wieder wegen § 129b. Dies alles geschah allein im Monat Februar in der BRD.
In Kurdistan ist der Frühling traditionell die Jahreszeit, in der der Widerstand von Neuem erblüht. Aufgrund der vielseitigen Angriffe hat in diesem Jahr der Frühling für die KurdInnen früh begonnen. Denn überall, wo es zu Angriffen auf ihren Freiheitswillen kommt, überall dort organisieren die Menschen derzeit auch ihren Widerstand, in Kurdistan wie in Europa. Wir können uns sicher sein, dass dieser gesellschaftliche Widerstand bis zum Newroz-Fest immer weiter wachsen wird. Lasst uns teilhaben an diesem Widerstand für ein Leben in Freiheit!
Eure Redaktion