Der Kapitalismus will sich in Kurdistan ausbreiten
Kommunale selbstbestimmte Alternativen
Ali Barış Kurt, Ankara, ANF 21.11.2014
Auf der Suche nach alternativen, solidarischen Formen des Wirtschaftens veranstaltete die kurdische Freiheitsbewegung in den vergangenen Monaten unter der Losung »Kommunalisieren wir unseren Boden, unser Wasser und unsere Energie; bauen wir das demokratische, freie Leben auf!« eine Reihe von Veranstaltungen, Workshops, Podiumsdiskussionen und größeren Konferenzen in Nordkurdistan. In den Städten Amed (Diyarbakır), Wan (Van) und Mêrdin (Mardin) wurden vom Kongress für eine Demokratische Gesellschaft (DTK) und der jeweiligen Stadtverwaltung »Konferenzen der Demokratischen Ökonomie« organisiert und durchgeführt. Aufgrund der dringlichen Situation in Kobanê fand die letzte Konferenz in Wan nach einer Terminverschiebung nun am 8./9. November 2014 statt. Die Entwicklungsökonomin Azize Aslan war an der Arbeit der Konferenz in Wan beteiligt. Die Nachrichtenagentur Firatnews hat mit ihr über die Rolle des Kapitalismus in Kurdistan, die kommunale Selbstverwaltung, die Stellung der Frau in der Ökonomie und über ökonomische Selbstverwaltung gesprochen.
»Kurdistan ist für den Kapitalismus eine fruchtbare Region«
Was bedeutet die Verschärfung der Wirtschaftskrise in Bezug auf Kurdistan?
Die Krise im System verschärft sich zunehmend. In diesem sich verschärfenden Zustand spielt Kurdistan eine zunehmend wichtige geografische Rolle, denn der Kapitalismus sucht in Krisenzeiten nach neuen Regionen, in denen er Kapital von Neuem verwerten kann. Die globale kapitalistische Krise und die Krise des Kapitals in der Türkei schreiben Kurdistan eine wichtige geografische Rolle zu. Aus diesem Grund ist Kurdistan die Region, in der sich der Kapitalismus am besten ausbreiten kann.
Durch welche Eigenschaften ist Kurdistan ertragreich?
Es geht hier um das Regime in der Zeit nach 1980. Exporte, also die Öffnung der Volkswirtschaft nach außen, und die Behauptung auf globalen Märkten führten zur Industrialisierung. Wie behauptet sich die Türkei auf internationalen Märkten? Über ihre günstige Arbeitskraft, aber die Arbeitskraft des westlichen Teils des Landes ist nicht mehr so günstig wie ehemals und deshalb müssen neue günstige Arbeitskräfte im Land gefunden werden. Kurdistan ist die Region der Ausweglosen, bedingt zum einen durch die Arbeitslosigkeit, zum anderen durch den Krieg. Aus diesem Grund ist Arbeitskraft hier besonders günstig. Der Vergleich »die Sinisierung von Kurdistan« spricht genau dieses Thema an. Wenn wir die Politik des Staates und die Dynamik der Verbreitung des Kapitalismus betrachten, können wir genau dies voraussehen.
Der 2012 vorbereitete Förderplan teilt die Türkei in sechs Regionen ein. Die sechste Region, also die rückständigste, ist Nordkurdistan. Ziel dieses Fördersystems ist es, die fünfzehn kurdischen Provinzen zu entwickeln. Dafür wurden regionale und sektorale Strategien entwickelt. Letztere scheinen mir wichtiger; hier sehen Sie genau die Verschlüsselung der günstigen Arbeitskraft, denn die sektoralen Strategien beinhalten die Verschiebung der arbeitskraftintensiven Tätigkeiten vom Westen in die sechste Region. Die häufigste arbeitskraftintensive Tätigkeit ist die in der Textilindustrie. Sie ist nicht nur arbeitskraftintensiv, sondern auch günstig, informell, und eine Kontrolle über Beginn und Ende der Erwerbstätigkeit sowie Überstunden findet kaum statt. Zudem arbeiten zum größten Teil Frauen in dieser Industrie. Die Intensivierung der Landwirtschaft ist ebenfalls zu beobachten, dieser Sektor gehört ebenfalls zu den arbeitskraftintensiven. Die sechste Region wird auch unter den Begriff landwirtschaftliche Region gefasst.
»Die UnternehmerInnen werden mit geringen Produktionskosten viel Gewinn erwirtschaften«
Wird eine Basis für ein Zufriedenstellen der Kapitalkreise vorbereitet? Was bedeutet diese Verschiebung der Sektoren nach Kurdistan für die UnternehmerInnen?
Sie sehen, wie in diesem Projekt Staat und Kapital gemeinsam agieren. Der Staat hofiert die KapitalistInnen zum Beispiel mit Vergünstigungen: »Wenn Ihr in dieser Region investiert, werden 40 % der Steuern für die nächsten zehn Jahre nicht erhoben.« Die ArbeitgeberInnen bekommen einen Nachlass für ihren Anteil an der Versicherung und unter dem Label Zins-Unterstützung werden ihnen Möglichkeiten für Kredite zu günstigeren Konditionen geschaffen. Ihnen entstehen dann Lohnkosten in Höhe von 634 Lira, damit produzieren sie zu Lohnkosten, die unter dem Mindestlohn liegen, und erwirtschaften damit einen höheren Gewinn. Es wird also nur noch ein faktischer Mindestlohn in der Region realisiert. In Kurdistan wird auf diesem Wege zum einen der Kapitalismus verbreitet und zum anderen das Interesse an der Profit-Logik verstärkt. Die demokratische Ökonomie bedeutet in diesem Kontext das Entstehen einer »Widerstandsökonomie«.
Zeitgleich wird den kurdischen Arbeiterinnen und Arbeitern gesagt: »Zieht wieder in eure Dörfer zurück, wir haben dort Arbeitsplätze geschaffen.« Was aber eigentlich bedeutet: »Wir werden euch in Zukunft in eurer Heimat ausbeuten.«
Andererseits wird die unberührte kurdische Region auf ihre Ressourcen reduziert und geplündert. So wie zum Beispiel die landwirtschaftlichen Flächen der Hevsel-Gärten [Anm. d. R.: traditionelles Obst- und Gemüseanbaugebiet in Amed, das durch Besetzungs- und andere Widerstandsaktionen vor der Kommerzialisierung bewahrt werden soll] nun der Landwirtschaft zum Anbau freigegeben wurden. Die Kapital-Staat-Kooperation beutet zum einen die Natur und zum anderen die Arbeitskraft in Kurdistan aus und das wird unter dem Namen Entwicklung und Beschäftigung betrieben.
Die Kapitalkreise betrachten diese Phase grundsätzlich nicht aus einer negativen Perspektive. Hat das damit zu tun?
Selbstverständlich. Aus Sicht des Kapitals verfügt die Region über von Ankara gesteuerte Kapitalressourcen. Wir sehen, dass sich dieser Phase gestellt wird, da das Kapital auf sichere Häfen, Grund und Stabilität angewiesen ist. Jedes umkämpfte Gebiet und der Bürgerkrieg stellen keinen sicheren Raum für das Kapital dar. Abgesehen von dieser Phase wurden auch weltweit Erfahrungen gemacht, wie der Kapitalismus die Widerstand leistenden Regionen angegriffen hat. Wir haben in der zweijährigen Waffenruhe Folgendes beobachtet: Die Kapitalbeziehungen haben begonnen, sich zu vergesellschaften. Der Aufruf »Kommt in die Region und investiert« stammt daher. Betrachten wir die Investitionen, sehen wir genau das bereits von mir Erwähnte: Investitionen werden komplett in die Ausbeutung der Arbeitskraft und des Grundes gesteckt ... davon haben die Menschen Kurdistans nichts.
Ist die ökonomische Selbstverwaltung aus diesem Grund von Bedeutung?
Bei der ökonomischen Selbstverwaltung ist es vor allem wichtig zu verstehen: Die Gesellschaft hat ein Mitspracherecht bei jeglicher wirtschaftlicher Betätigung in der Region, der Stadt und den Dörfern. Ob ich Tomaten anbaue, entscheidet die Bevölkerung vor Ort. Ob ich Mais anbaue oder Viehzucht betreibe, entscheidet die Bevölkerung vor Ort. Was im kapitalistischen System als Mehrwert einer Ware bezeichnet wird, zeigt, dass diese Ware für den Wert auf dem Markt produziert wurde. Dieser Markt beruht vollständig auf dem Mechanismus des Gewinnstrebens. Die Gesellschaft produziert damit nicht für sich selbst, sondern für den Markt. In einer solchen marktorientierten Volkswirtschaft hat die Gesellschaft bei der wirtschaftlichen Betätigung nichts zu melden, die eigene Erwerbstätigkeit eingeschlossen. Wir arbeiten zu äußerst geringen Löhnen, aber trotzdem arbeiten wir weiter. Wir arbeiten in informellen Branchen, sind nicht versichert und organisiert; aber wir arbeiten trotzdem weiter. Denn wir verwalten unsere eigenen Tätigkeiten nicht selbst.
Andererseits stellt sich die Frage, wie weit eine Region über ihre eigenen Ressourcen bestimmen kann. Es gibt kein Mitspracherecht über Ressourcen wie Erdöl, Kohle etc.
Selbstverwaltung ist für all dies und für die Demokratische Autonomie wichtig. Die ökonomische Selbstverwaltung ist die wichtigste Voraussetzung für die Demokratische Autonomie. Eine Region, die nicht über ihre Volkswirtschaft bestimmen kann, kann unmöglich autonom werden.
»Die Gewerkschaften sind unfähig, die kurdischen Arbeitskräfte zu organisieren«
In Kurdistan ist der Grad der Organisierung der ArbeiterInnenklasse scheinbar niedrig. Tragen die Gewerkschaften auch dazu bei?
Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter in Kurdistan ist im Vergleich zur gesamten Türkei niedrig. Eigentlich sollten die Gewerkschaften auch einen Raum in dieser Konferenz haben und auch Teil des Prozesses werden, denn ihre Vision ist auch die Demokratisierung. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter können untereinander eigene Kommunen errichten oder sich gemeinsam organisieren. In den Gewerkschaften sind wir mit einer festgefahrenen Definition von Arbeiterinnen und Arbeitern konfrontiert. In Kurdistan gibt es viele Möglichkeiten, um sich außerhalb des formellen Sektors wiederzufinden. Eine starke Gewerkschaft muss einen großen Teil der Arbeitenden organisieren können. Diese fehlende Organisierung innerhalb der Gewerkschaften ebnet den Weg für viele praktische Probleme. Wenn Sie an einem Arbeitsplatz einen Tarifvertrag durchsetzen wollen, müssen sie einen Großteil der Arbeitenden organisieren. In Kurdistan gibt es viele nicht angemeldete Arbeitskräfte, denn der informelle Sektor ist größer als der formelle. Nicht Angemeldete und damit nicht Versicherte haben auch grundsätzlich keine Möglichkeit, Gewerkschaftsmitglied zu sein, die Gewerkschaften engagieren sich auch nicht politisch für diese Menschen.
Zudem herrscht in Gewerkschaften noch immer ein repressiver Umgang. Es gibt Strukturen, die die kurdische Frage, den kurdischen Freiheitskampf nicht wahrhaben wollen. Damit ist es ihnen auch nicht möglich, die kurdischen Arbeiterinnen und Arbeiter zu organisieren. Ich kenne zum Beispiel die Art der gewerkschaftlichen Organisierung in der Erdölraffinerie in Êlih (Batman). Sie sind dort vertreten, bei der Vollversammlung jedoch greifen die Mitglieder aus Düzce die aus Êlih an. Sie können nicht in derselben Gewerkschaft arbeiten, da sie keine allgemeine politische Linie herstellen können.
Wird über dieses Modell auch das Problem der Arbeitslosigkeit entschärft?
Arbeitslosigkeit ist der Output des kapitalistischen Systems, das Ergebnis.
Zeitgleich ist sie ein gut genutztes Instrument, ein Instrument, Erwerbstätige unter Druck zu setzen. Der Slogan »Wir vermindern die Arbeitslosigkeit« ist nicht wahrheitsgemäß, denn wir müssen erkennen, dass diese mit dem System zu tun hat. Wenn wir das Leben antikapitalistisch gestalten, wird auch die Arbeitslosigkeit von selbst verschwinden.
Wenn Kommunen und Kooperativen gemeinsam produzieren und vor allem nach Bedürfnissen produzieren und jede und jeder das auch aus dieser Perspektive betrachtet, wird Arbeitslosigkeit wegfallen. Wenn Kommunen und Kooperativen gegründet werden, wird auch zum Vorschein kommen, dass Arbeitslosigkeit ein Produkt des kapitalistischen Systems ist.
»Eine Wirtschaft ohne die dominante männliche Sprache und Mentalität«
Hat die Frau in der derzeitigen Wirtschaft einen Platz?
Es gibt ein falsches Verständnis von Frauen und Ökonomie: Frauen würden nicht am wirtschaftlichen Leben teilnehmen und es gebe keine Frauen in der Ökonomie ... Doch eigentlich nimmt die Frau am gesamten Produktionsprozess teil und legt darin einen unglaublichen Elan an den Tag. Wir können sagen, dass die Arbeit, die sie im Haus, im Dorf oder auf den Feldern leistet, nicht gesehen wird. Auch die Arbeit, welche die Frau im Haushalt für Kochen und Putzen aufbringt, wird nicht gesehen. Auf der anderen Seite werden Frauen als Ergänzung zum System in die Arbeit eingestellt. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit in den Schmuckwerkstätten oder Webereien. Diese Arbeiten sichern nicht die Existenz, es wird als Nebentätigkeit bzw. Ergänzung angesehen. Mit dem niedrigen Lohn, den die Männer erhalten, sollen diese aber die gesamte Existenz einer Familie sichern. Wir möchten, dass, angefangen mit den Arbeiten im Haus, alle nicht gesehenen Arbeiten der Frauen vergesellschaftet werden. Warum sollen Frauen zum Beispiel zu Hause eine Waschmaschine haben und warum kann es keinen Waschsalon im Dorf oder im Viertel geben? Warum sollte es keine Kinderkrippen oder Gemeinschaftsküchen geben? Solche Fragen sollten im Raum stehen. So würde die über das Geschlecht erfolgende Aufteilung von »Frauenarbeit« und »Männerarbeit« durch die dominierende männliche Mentalität verschwinden. Ein Beispiel zum Verständnis der Rollen ist zum Beispiel die bestehende Auffassung, dass die Arbeit als Lehrkraft für Frauen besser sei, aber Tätigkeiten, die nachts auszuüben sind, nichts für Frauen seien. Durchgehend bestimmen Männer darüber, welche Tätigkeiten für Frauen »angemessen« sind.
Es wird gesagt: »Investitionen sollen kommen, Textilwirtschaft soll nach Kurdistan kommen, damit unsere Frauen arbeiten können.« Frauen werden nicht gefragt, ob sie in der Textilindustrie oder zu so niedrigen Löhnen arbeiten wollen. Denn Frauen werden aus dem Produktionsentscheidungsprozess ausgeschlossen. Männer entscheiden über die Beschäftigung in der Produktion und ihre Stellung im Produktionsprozess. Wenn wir die alternative Ökonomie über Kommunen begründen wollen, müssen Frauen einen einflussreichen Platz erhalten. Wir denken, dass Frauen sich organisieren und selbst produzieren sollen, und daraus können sogar Frauenkommunen entstehen. Wir sprechen von einem ökonomischen Leben, in dem nicht die männliche Sprache und Mentalität mit Begriffen wie »Performance« und »Qualität« vorherrschen.
Die kommunale Ökonomie oder das, was wir als Kommunen bezeichnen, zu gründen, das ist nicht einfach, das sehen wir ein. Auf dem Land Kommunen zu gründen, ist nicht dasselbe wie in Städten. Aber in Städten ist es ebenso wichtig, Frauen in die Wirtschaft zu integrieren und sie in wirtschaftliche Betätigung mit einzubeziehen.
Was ist der Unterschied?
Die Beziehungen auf dem Land und die Produktionsprozesse sind besser geeignet für Kommunen. Sie können auf dem Feld anbauen und ernten und diese Ernte für den Konsum in der Kommune freigeben und den Überschuss über Kooperativen an den Markt abgeben. In Großstädten hingegen gibt es keine Felder. In den Großstädten gibt es für die Produktion lediglich Fabriken und diese sind für die Gründung von Kommunen im Vergleich zur ländlichen Region ungeeignet. In der Industrie ist die Bildung von Kommunen und Kooperativen nachteiliger und schwieriger, aber nicht unmöglich.
Warum positive Diskriminierung?
Wenn ich an das vorher genannte Beispiel anknüpfe: In den Großstädten gibt es auch Frauen und diese müssen auch in die Wirtschaft integriert werden. Bei der Gründung eines Betriebes oder einer Kooperative jedoch tauchen schon die ersten Probleme auf. Frauen haben kein Vermögen. Männer sind zum größten Teil Eigentümer und die Fonds-Mechanismen entwickeln sich über dieses Eigentum.
Zum anderen werden schwangere Frauen entweder bei Schwangerschaft entlassen oder nach der Geburt nicht wieder eingestellt. Kinderbetreuung ist auch ein Grund für Kündigung. Ob eine Volkswirtschaft positiv diskriminiert, kommunale Ökonomie lebt oder im Übergang vom kapitalistischen zum kommunalen System steckt, in jedem Fall muss frauenzentriert gedacht werden.
In Kurdistan ist die Alphabetisierungsrate der Frauen niedriger als die der Männer, das ist auch ein Grund, positiv zu diskriminieren. Es müssen Möglichkeiten für Frauen geschaffen werden, sich ausdrücken zu können, sich entwickeln und verwirklichen zu können.
»Gibt es eine ethnische Perspektive?«
Der Ökonom Mustafa Sönmez bewertete kurz die Konferenz der Demokratischen Ökonomie. Er denkt, die Abschlusserklärung wird aus einer »ethnischen Perspektive« heraus vorbereitet ...
Ich war durchgehend auf der Konferenz anwesend, aber nicht ein Mal wurde erwähnt, dass diese alternative Ökonomie nur für Kurdinnen und Kurden sei. Unser Anliegen ist Folgendes: Wir möchten für alle Ethnien, die in der Region leben und daran teilhaben wollen, eine alternative Form der Wirtschaft entwickeln und eine neue Lebensform schaffen. Wenn wir uns die Armut der Region ansehen, ist davon nicht nur die kurdische Volksgruppe betroffen. Die Araberinnen und Araber sind das ebenfalls, sie leben teilweise sogar an der Hungergrenze. Es gibt hier viele Menschen aus Syrien aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und diese Gruppen in das System zu integrieren, ist auch nicht möglich. Auch die dort verwurzelten Menschen haben keine Möglichkeiten, sich in das System zu integrieren. Die kommunale Ökonomie der demokratischen Selbstverwaltung schlagen wir der Türkei und der gesamten Welt als ein Modell, ein Paradigma vor.
Wir definieren hier die »demokratisch selbstverwalteten Regionen«: Was wir als Nordkurdistan bezeichnen, ist nicht eine Region, sondern besteht aus demokratischen Regionen, die nach drei unterschiedlichen Kriterien aufgeteilt werden. Unserer Meinung nach können wir so die Selbstverwaltung herstellen. Wenn es um die in den Westen migrierten Menschen geht, sollte ihnen nicht gesagt werden: »Kommt hierher, wir haben hier eine gute Wirtschaft, wir beschäftigen euch«, sondern wir gehen anders an die Sache ran, indem wir sagen, dass die Gesellschaft an dem Ort beschäftigt und organisiert werden sollte, an dem sie lebt.
Mustafa Sönmez haben wir auch zur Konferenz eingeladen, aber da er im Ausland ist, konnte er nicht teilnehmen. Es ist nicht vorteilhaft, immer mit der Logik von Ankara an die Sache heranzugehen. Da ich an der Entwicklung der Region arbeite, ist Mustafa Sönmez einer der wenigen Namen, die in dieser Arbeit bekannt sind. Aber er versucht, die Region durch die Brille von Ankara zu verstehen; es ist nicht möglich zu planen, ohne die regionalen Bedingungen in Betracht zu ziehen.
Die Rolle der Gemeinden
Sind die Gemeinden DIE Akteure der kommunalen Ökonomie?
Bei den Begriffen demokratische Selbstverwaltung, demokratische Ökonomie und kommunale Ökonomie herrscht ein falsches Verständnis. Es wird angenommen, dass diese Prozesse von den Gemeinden bestimmt und durchgeführt werden. Aber dem ist nicht so. Wir sprechen hier von dem System, in dem die Gesellschaften bestimmen. Die Stadtverwaltungen sind ein großer Teil der demokratischen Ökonomie, aber sie sind nicht der einzige Akteur.
Warum?
Gemeinden wirtschaften und arbeiten nach den vom System vorgegebenen Regeln, dies bedeutet, dass sie Ankara unterworfen sind. Die Verwaltung in Ankara stellt die Gesetze und Satzungen, die einer gewissen Politik folgen, und danach richten sich auch ihre administrativen und finanziellen Vorgaben. Es gibt immer noch eine Bevormundung der kommunalen Verwaltungen durch Ankara.
Wie werden dann die Gemeinden in die neue Ökonomie integriert?
Es wird nicht angestrebt, das eigene Kapital zu erhöhen oder Maßnahmen zu stärken, es zu erhöhen, sondern das Kapital für das Wohlergehen der Gesellschaft zu verwenden. Es muss folgende ideologische Präferenz gesetzt werden: nicht für die Bourgeoisie, sondern für die Gesellschaft. Unsere Gemeinden streben dies an, aber das System der sozialen Gemeinde wird noch nicht umgesetzt. Die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden, die bei der nächsten Wahl wiedergewählt werden wollen, müssen für ihre Bewohnerinnen und Bewohner auch Wertschöpfung schaffen. Sie beauftragen zum Beispiel Subunternehmen, die Dienstleistungen wie Reinigung, Essen und Sicherheitsleistungen anbieten. Diese beschäftigen größtenteils zu Mindestlöhnen für kleine und große UnternehmensinhaberInnen. Wenn Dienstleistungen von anderen Unternehmen in Anspruch genommen werden sollen, empfehlen wir, sie von Kooperativen zu nehmen. Die Gemeinden verfügen über Parkanlagen, auf denen es selbstständige Betriebe gibt.
Diese sollten aufgehoben werden. Wir empfehlen Betriebe, die dieselben Standards erfüllen, von denen aber jede und jeder profitiert; das wären zum Beispiel Betriebe, in denen Sesamringe gegessen werden können und Tee getrunken werden kann, anstelle von Restaurants. Es soll keine öffentlichen Parkanlagen geben, in denen Wucherpreise verlangt werden. Die Anlagen werden aus den Ressourcen der Bürgerinnen und Bürger finanziert, sie können sie jedoch nicht nutzen.
Zudem beobachten wir die Auswirkungen des neuen Städte-Gesetzes auf drei Großstädte und noch weitere Städte, sie haben einen negativen Einfluss auf die Infrastruktur. Es werden bevorzugt Investitionen in den Städten getätigt und das Umland wird vernachlässigt, das Dienstleistungsnetz muss jedoch von der Stadt bis zum Land ausgebaut werden. Die Güter, die im Umland produziert werden, können zum Beispiel über ein Netz von Kooperativen in die Stadt gelangen. Die Ressourcen können zwischen Stadt und Land gleichmäßig aufgeteilt werden. Betrachten wir das Budget der Gemeinden, wird ein großer Teil für die Asphaltierung der Straßen ausgegeben. Stattdessen könnte es für den Ausbau eines Schienennetzes verwendet werden. Die Städte könnten aber auch zum Beispiel Fahrräder fördern und zu deren Herstellung eine Fabrik bereitstellen, aber auch die Bevölkerung zur Nutzung von Fahrrädern motivieren. Dies natürlich auch in Form von Kooperativen. Die Kommunen sind auch wichtige Mechanismen für Frauen. Wir bevorzugen städtische und ländliche Zentren, die auf die Bedürfnisse der Frauen ausgerichtet sind. Das Budget der Gemeinde sollte sich nach den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen richten. Es sollte kein eigenes Budget für Frauen geben, sondern bei der Aufteilung des Budgets sollten auch die Auswirkungen auf die Frau mit eingerechnet werden. Diese und noch viele weitere Beispiele für einen alternativen Mechanismus können den Gemeinden eine wichtige Stütze geben.
»Einkaufszentren verrohen die Menschen, schädigen Beziehungen und können das Denken in Systembahnen nach sich ziehen«
Was bietet Ihr als Alternative zu Einkaufszentren?
Ich kann es mit einem Zitat von David Harvey definieren: »Ein Einkaufszentrum ist ein Ort, an dem Raum und Zeit eingeschränkt sind.« In einem kleinen Raum führen Sie in kurzer Zeit sehr viele Erledigungen aus und das nimmt sehr viel Kraft in Anspruch. Einkaufszentren sind zudem auch nicht günstig. Sowohl Einkaufszentren als auch Supermärkte – das ist eine klassische Definition – sind die Hochburgen des Kapitalismus. Wenn wir also den Kapitalismus stürzen wollen, müssen wir erst die Einkaufszentren und Supermärkte stürzen. Es müssen kleine Werkstätten und die Tante-Emma-Läden ums Eck verteidigt werden.
Wir haben Karawansereien und Passagen. Passagen, in denen es reihenweise Schmuck- und Teppichläden gibt. Nehmen wir eine Passage in Riha (Urfa), dort gibt es seit vierzig Jahren den Laden von Herrn Mehmet. Meine Mutter und Großmutter haben dort schon eingekauft. Der Laden hat ein gewisses Ansehen. Dasjenige der Altstadt stammt genau daher. Im Einkaufszentrum ist es aber nicht so. Die Beleuchtung und Aufmachung mögen sehr schön sein und der Einkauf mag leicht sein, bei jedem Besuch jedoch ändert sich sowohl der Ort des Produktes als auch die Verkäuferin oder der Verkäufer. Denn wer heute dort arbeitet, wird nächsten Monat schon gefeuert, weil die Arbeitsbedingungen kaum jemand aushält. Einkaufszentren verrohen die Menschen, schädigen Beziehungen und können das Denken in Systembahnen nach sich ziehen. Wenn ein Mensch eines betritt, fühlt er sich arm, denn die Aufmachung der Produkte ist so gut, dass dieser Mensch die eigene Kleidung als Lumpen wahrnimmt.
Der kleine Laden muss den Einkaufszentren Widerstand leisten. Es gibt auch Wege dafür. Ein Laden, der die regionalen Produkte verkauft, kann von den Bürgerinnen und Bürgern bevorzugt werden. Der Konsum kann über Kooperativen geregelt werden. Dreißig Kooperativen können gegründet werden, die Produkte können dort gesammelt und in der sogenannten Konsumgenossenschaft verkauft werden. So kann erfolgreich Widerstand geleistet werden.