Lebende Schutzschilde protestieren in BotanSucht man nach friedenspolitischen Ansätzen, muss man sich auf die Ursachen für die Außeneinmischungen in diesen Konflikt konzentrieren

Mittlerer Osten aus friedenspolitischer Sicht und Perspektiven der Friedensbewegung

Prof. Dr. Andreas Buro, 09.04.2014

Die kurdische Frage rückt immer mehr in einen internationalen Zusammenhang des Kampfes um Machtverteilung in einer sich globalisierenden Welt. Das Zentrum dieses Kampfes scheint gegenwärtig in Syrien zu liegen, reicht aber weit darüber hinaus.

Syrien ist heute das Schlachtfeld für Konflikte, die gegenüber den Wünschen der syrischen Bevölkerung nach Frieden, Freiheit, Demokratie und Anerkennung von Minderheiten völlig rücksichtslos sind. Saudi-Arabien und Katar fördern trotz unterschiedlicher Adressaten sunnitische Milizen, die Al-Qaida nahestehen. Sie wollen aus Syrien einen sunnitisch-islamistischen Staat machen. So würde der Rivale Iran als potentielle Regionalmacht geschwächt. Der Iran hält mit der Entsendung von schiitischen Kämpfern und Waffenlieferungen dagegen. Russland setzt seit langer Zeit seine Waffenlieferungen an das Assad-Regime fort. Die libanesische Hisbollah schickt eigene Kämpfer nach Syrien, um das befreundete Regime in Damaskus zu stützen, das für ihr eigenes Überleben wichtig ist. Dabei riskieren sie die Ausweitung des Krieges in den Libanon.

 

Frankreich liefert Waffen an die FSA und gibt politische, finanzielle und mediale Unterstützung. Die Türkei wiederum finanziert und bewaffnet islamistische Milizen und Teile der Freien Syrischen Armee (FSA), damit sie gegen die Autonomiebestrebungen der syrischen Kurden kämpfen. Die USA haben über lange Zeit in Kooperation mit der Türkei Waffen aus Libyen an Rebellengruppen gesandt und sind geostrategisch involviert. Der Sturz des Assad-Regimes würde dazu beitragen, den Iran zu isolieren, zu schwächen und letztlich einen Regimewechsel zu erreichen. Damit würden sie den ganzen Bereich von Mittel- und Nahost unter ihre Kontrolle bringen. Ihr Zögern, dies in Syrien mit militärischen Mitteln zu erreichen, dürfte einerseits an der Kriegsmüdigkeit der US-Gesellschaft nach den langen Kriegen im Irak und in Afghanistan liegen. Andererseits aber auch daran, dass schwer absehbar ist, wer nach einem Sturz von Assad die Macht übernehmen würde. Selbst US-Generäle warnen vor einer direkten Kriegsbeteiligung.

Wer kontrolliert die Region?

Eine amerikanische Kontrolle der Region kann der russischen Regierung, der chinesischen und auch anderen Staaten der Region nicht gefallen. Den Russen geht es nicht nur um den Marinestützpunkt in Tartus in Syrien, sondern vor allem um die Abwehr der US-Dominanz in dieser großen, bis Zentralasien reichenden Region. Sie wollen aber auch keine Stärkung der islamistischen Kräfte aus Befürchtungen, diese könnten sich verstärkt in südrussischen Bereichen einmischen. Ein grundlegendes Problem aller Außenakteure des Stellvertreterkrieges liegt darin, dass ihre Ziele untereinander widersprüchlich sind.

Sucht man nach friedenspolitischen Ansätzen, muss man sich auf die Ursachen für die Außeneinmischungen in diesen Konflikt konzentrieren. Der Stellvertreterkrieg in Syrien soll die Achse Iran, Syrien, Hisbollah im Libanon und Hamas in Gaza zerbrechen, um so eine Schwächung des Iran und letztlich einen Regimewechsel zu erreichen. Dieses eint die Absichten der USA und der EU mit denen aus Saudi-Arabien und Katar, wenn auch die angestrebten Ziele der Umgestaltung sich unterscheiden. Saudi-Arabien und Co. steuern eine sunnitisch-islamistische Herrschaft in Syrien an, während die USA und Co. eine Erstarkung der islamistischen Kräfte verhindern wollen und eher einen laizistisch orientierten Staat mit verschiedenen Religionsgemeinschaften anvisieren.

Verständigung mit Iran – eine Option?

Während des letzten Jahres des Konflikts deutete sich jedoch an, dass die USA eine zweite Option verfolgen könnten, nämlich ihr ursprüngliches Ziel des »regime change« in Iran zugunsten einer Annäherung an den Iran aufzugeben. Wenn die USA eine friedliche Lösung für den Syrien-Konflikt tatsächlich anstreben wollen, müssen sie eine Verständigung mit Teheran suchen: direkte Kontakte, Vertrauen bildende Maßnahmen durch schrittweise Aufhebung von Sanktionen, Unterstützung der von den Vereinten Nationen beschlossenen Konferenz »für eine nuklearwaffenfreie Zone in Mittel- und Nahost« und so weiter.

Die Chance zur Verständigung zwischen den USA und Iran, die sich nach dem Präsidentenwechsel in Teheran aufgetan hat, ist allerdings bisher in Washington und in Teheran noch stark umstritten. Da zum einen eine Verständigung mit Teheran und ein gemeinsames Bemühen, den Krieg in Syrien zu beenden, gleichzeitig für die USA bedeutet, den militärischen Zugriff auf Mittel- und Nahost aufzugeben. Im Iran wollen zum anderen unterschiedliche Gruppierungen das Feindbild USA aus innenpolitischen Gründen nicht aufgeben.

Gelingt jedoch die Verständigung und sitzt Teheran erst mit am Verhandlungstisch, dann werden auch Russland und China kooperativer sein, da damit die US-Vorherrschaft in Mittel- und Nahost zumindest in Frage steht und neue Konstellationen der multipolaren Koexistenz ins Auge gefasst werden können. Auch die sunnitischen Kriegsakteure wie Saudi-Arabien und Katar und die kurdenfeindliche Türkei werden nicht mehr ihre kriegsfördernden Aktionen durchhalten können. Für eine Nah- und Mittelost-Konferenz, die auf lange Dauer angelegt sein muss und nicht nur die Frage der Atombewaffnung behandelt, bleibt dann die Aufgabe, schrittweise eine Annäherung zwischen den beiden konkurrierenden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien zu bewirken.

Das Projekt Rojava

Bei einer solchen auf Verhandlungen orientierten Situation können vermutlich die Konflikte im Inneren Syriens eher beigelegt werden. Doch auch dann hat die Zivilbevölkerung in Syrien keine starke Lobby und wäre den Interessen der Mächte von Außen und ihren Verhandlungsfortschritten unterworfen. Daraus ergibt sich die Frage, ob und welche Prozesse im Inneren Syriens friedensfördernd wirken und wie sie gestützt werden könnten.
Rojava, das kurdische Autonomie-Projekt, kann ein möglicher Ansatz für eine Befriedung des Krieges in Syrien von innen her sein. Es begreift sich als ein demokratisch organisierter Modellbaustein eines möglichen zukünftigen föderalen Vielvölkerstaates Syrien. Das ist ein großer, doch vernünftiger Anspruch. Er beinhaltet, die syrische Gesellschaft und ihre zukünftige politische Organisation zum Inhalt einer nationalen Zukunftsdiskussion zu machen und sich nicht als Parteigänger ausländischer Interessen zu zerfleischen. Es ist nicht undenkbar, dass sich andere Regionen Syriens mit gleicher Zielsetzung bilden, dass sie untereinander Friedensverträge schlössen und Zusammenarbeit vereinbaren würden. Koexistenzsituationen sind vorstellbar. Nicht auszuschließen ist, dass Mächte von außen eine solche Situation unterstützen würden. Friedensgewinnung und Kooperationsaufbau von unten, um die von außen betriebene Verfeindung zu überwinden. Das wäre kein leichter Weg. Aber wo ist der bessere? Ein militärischer Sieg einer der Konfliktparteien gebiert nicht Aussöhnung, sondern nur die Voraussetzungen für einen nächsten Krieg.
Das Rojava-Projekt gerät jedoch gegenwärtig in Gefahr. Von der Türkei aus und mit deren Unterstützung kämpfen islamistische Gruppierungen (ISIS und die Al-Nusra-Front) gegen das Autonomiegebiet. Die Türkei hat ihre Grenzen für den wichtigen Transithandel geschlossen. Ankara hat noch immer nicht seinen Frieden mit den Kurden gemacht. Von dem kurdischen Teil des Irak kommt wegen der dortigen inneren Auseinandersetzungen kaum Hilfe oder wurde sogar unterbunden.

Die Haltung Berlins

Die Bundesregierung hat angeblich wegen NATO-Verpflichtungen Flugabwehrraketen in der Türkei stationiert. Welche Funktion diese haben sollen, ist unklar. Ein Angriff Syriens auf die Türkei ist zwar nicht zu erwarten, solange die Türkei Syrien nicht angreift, was nicht auszuschließen ist. Die türkische Regierung hatte offensichtlich geplant, einen Angriffskrieg gegen Syrien zu provozieren. An einem abgehörten Gespräch im türkischen Außenministerium nahmen der türkische Außenminister, sein Staatssekretär, der Geheimdienstchef und der Vize-Generalstabschef teil. Dabei erklärte der Geheimdienstchef, durch einen fingierten Raketenangriff auf das Grabmal eines osmanischen Sultans an der türkisch-syrischen Grenze, der Syrien angelastet würde, könne ein Vorwand für einen Angriff auf Syrien geschaffen werden. In diesem Fall würde Deutschland per NATO zur Kriegspartei. Bislang hat sich Berlin jedoch nicht wie Frankreich, die USA und die Türkei militärisch eingemischt. Seine Hauptsorge bestand darin, möglichst wenige Flüchtlinge aufnehmen zu müssen.

Die Rolle der Friedensbewegung

Viele Gruppen der deutschen Friedensbewegung haben zu Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien die Aktion »Adopt a Revolution« (AaR) unterstützt. Gewaltfreiem Widerstand gegen den Terror der Assad-Regierung sollte politisch und materiell der Rücken gestärkt werden. Mit der Militarisierung des Konflikts wurde diesem Bemühen mehr und mehr der Boden entzogen. Die Bemühungen aus der deutschen Friedensbewegung konzentrierten sich deshalb auf die Vermittlung von Analysen über die wirklichen Kriegshintergründe in die deutsche Gesellschaft und auf humanitäre Hilfe, soweit diese möglich war. Sie forderte die Bundesregierung immer wieder auf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und die deutschen Raketen aus der Türkei abzuziehen. Die Gruppierungen in Deutschland, die sich mit dem türkisch-kurdischen Konflikt befassten, wiesen immer wieder darauf hin, wie wichtig es sei, endlich den türkisch-kurdischen Konflikt durch eine Politik der Aussöhnung und des Dialogs zu beenden. Dieser spiele nämlich auch im Verhalten der Türkei gegenüber den syrischen Kurden eine große Rolle.

Gegenwärtig bemühen sich kurdische und deutsche Gruppierungen gemeinsam um eine Unterstützung des Rojava-Projekts als einem möglichen, wenn auch gefährdeten Ansatz für eine friedliche Lösung des Krieges in Syrien.

Seit langem verfolgt die Friedensbewegung äußerst kritisch auch die Verhandlungen mit Iran, die vordergründig über die Atomfrage geführt werden. Auch hier geht es, wie bei der türkisch-kurdischen Frage, um Aufklärung der deutschen Gesellschaft über die wirklichen Hintergründe und den Kampf gegen bewusst geschürte Feindbilder.