Wahlkampf in ElihEine Bewertung der Kommunalwahlen

Viele Möglichkeiten zum Widerstand

Dr. Nazan Üstündağ, Lehrbeauftragte an der Boğaziçi-Universität Istanbul

In dem Zeitraum zwischen dem Beginn der Gezi-Aufstände am letzten 1. Juni und den Kommunalwahlen vom 30. März gab es in der Türkei wichtige politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Sie führten dazu, dass sich drei unterschiedliche politische und gesellschaftliche Oppositionsgruppen gegenüber der AKP formiert haben.

Die erste hat sich aus dem Umfeld der kurdischen Freiheitsbewegung und einer Vielzahl sozialistischer Gruppen aus der Türkei organisiert und im Block der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) und der Demokratischen Partei der Völker (HDP) zusammengefunden. Ihre Kritik an der Regierung konzentriert sich darauf, dass die AKP ihrer Verantwortung im Lösungsprozess nicht gerecht werde und statt eines Demokratisierungskurses einen zunehmend autoritären Politikstil verfolge. Es geht um einen Kampf für Fortschritte im Lösungsprozess, eine Entwicklung kommunal-demokratischer Strukturen und für die Gleichberechtigung der Geschlechter, der Klassen und der Völker. Auch wenn sie in der türkischen Politik eine Minderheit darstellt, so ist sie dennoch eine politische Kraft, die zu einem Wandel beitragen kann. Am 30. März trat die HDP in 58 Provinzen und die BDP in 23 kurdischen Provinzen zur Wahl an. Beide zusammen erhielten rund 6,5 % der WählerInnenstimmen.

 

Eine zweite oppositionelle Front, die sich im Zuge der Gezi-Aufstände zusammenfand, ist eine recht heterogene und teilweise in sich widersprüchliche Gruppe, die aus den AlevitInnen, LaizistInnen, KemalistInnen und sogar Ergenekon-Mitgliedern und -AnhängerInnen besteht. Ein Teil erachtet die AKP als Gefahr für die eigene Existenz, ein anderer hält sie »lediglich« für zunehmend autoritär und plädiert deshalb für eine Beschränkung ihrer Macht. Die Mehrheit aus dieser Front unterstützte, ohne auf die KandidatInnen und die Inhalte der Parteien zu achten, die Republikanische Volkspartei (CHP) oder die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und hoffte, dass womöglich eine Koalition dieser beiden Parteien die AKP zu Fall bringen könnte. So stellte beispielsweise die CHP in Ankara mit Mansur Yavaş einen ehemaligen MHPler als Spitzenkandidaten gegen die AKP auf, um sowohl rechte als auch linke, sowohl nationalistische als auch liberale Stimmen auf sich zu vereinigen.

Der dritte und letzte Oppositionsblock ist die Bewegung von Fethullah Gülen. Auch wenn die Wahl verdeutlicht hat, dass die Gülen-Gemeinde wohl den geringsten Stimmenanteil der drei genannten Gruppen ausmacht, so kann sie, was die öffentliche Schlagkraft angeht, der AKP vermutlich am meisten schaden. Die Gülen-Bewegung, selbst bis vor Kurzem noch Bündnispartnerin der AKP, war die treibende Kraft hinter den Korruptionsoperationen vom 17. Dezember. Zugleich haben ihre Mitglieder durch die Veröffentlichung von Tonbandaufzeichnungen in den sozialen Medien die Drohpolitik gegenüber den Medien und der Justiz, die Regelwidrigkeiten bei der Auftragsvergabe im Bau- und Infrastruktursektor und die mit einer Vielzahl von Makeln behaftete Syrienpolitik der Regierung entlarvt. Die Bewegung, die daraufhin vom türkischen Ministerpräsidenten aufgrund der Korruptionsaffäre eines internationalen Komplotts und eines Putschversuchs bezichtigt wurde, unterstützte bei dieser Wahl auch die CHP-MHP-Koalition.

Auf dem Weg zur Wahl

Bekanntlich fährt Ministerpräsident Erdoğan gegenüber KritikerInnen seiner Regierung seit längerer Zeit eine äußerst feindselige Politik. Seine Taktik lautet stets, sie direkt anzugreifen und zu diffamieren, sodass der Inhalt der Kritik von allein obsolet wird. Andererseits höhlt er die Gewaltenteilung immer weiter aus, stellt seine Regierung praktisch unter Immunität und kriminalisiert die gesamte Opposition.

Die AKP und Erdoğan wandten diese, für ihre Zwecke praktische, aber letztlich illegitime, Politik zunächst gegen die kurdischen Opposition an. Das fand seinen Ausdruck in den KCK-Festnahmewellen, dem Gerichtsurteil zu Roboskî, wonach es sich um einen Unfall gehandelt haben soll, und der verächtlichen Haltung des Ministerpräsidenten zum Hungerstreik der kurdischen politischen Gefangenen. Trotz alldem ließ der bewaffnete und zivile Widerstand der KurdInnen der Regierung dennoch keinen anderen Ausweg, als sich im Januar 2013 erneut mit der kurdischen Bewegung an einen Tisch zu setzen und über eine Lösung der Frage zu diskutieren.

Im Juni 2013 ließ dann der Ministerpräsident die an den KurdInnen erprobten Strategien auch bei den Gezi-AktivistInnen anwenden. Es wäre sicherlich nicht falsch zu behaupten, dass gerade durch seine Anfeindungen, es handle sich bei den Gezi-ProtestlerInnen um marginale, kemalistische PutschistInnen oder VaterlandsverräterInnen, der Prozess der politischen und oppositionellen Identitätsbildung innerhalb der AktivistInnen erst recht vorangetrieben wurde.

Mit der Korruptionsaffäre vom 17. Dezember nahm der Ministerpräsident schließlich die Gülen-Gemeinde ins Visier und beschuldigte sie, eine parallele und illegale Struktur innerhalb des Staates geschaffen zu haben. Sowohl Bewegung als auch AKP definieren sich zwar über eine islamische Identität, doch infolge des Bruchs mit der bisherigen Bündnispartnerin erklärte Erdoğan sie zur Feindin des nationalen Willens und Partnerin der elitären und laizistischen Opposition. Es kann allerdings auch nicht geleugnet werden, dass die Bewegung in der Zeit vor der Wahl über ihre Medien manchmal ganz offen, manchmal über Umwege Wahlwerbung für die KandidatInnen der CHP und MHP betrieb. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass vor den Kommunalwahlen die Spaltungen in der Gesellschaft tief, die Fronten verhärtet waren. Aus Sicht des Ministerpräsidenten stellte sich das Tableau so dar, dass er, als selbsternannter Repräsentant des nationalen Willens, seinen Platz auf der einen Seite und eine Koalition aus Gülen-Bewegung, CHP und MHP, die allesamt der Wunsch eint, den nationalen Willen auszuhöhlen, ihren Platz auf der anderen Seite einnahm.

Die BDP hingegen führte ihren Wahlkampf in den kurdischen Gebieten so weit wie möglich abseits jener Debatten. Die Topics ihrer Wahlkampagne waren die Schaffung kommunal-demokratischer Selbstverwaltungsstrukturen, sprich der Aufbau der Demokratischen Autonomie, und im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit die Umsetzung des KobürgermeisterInnenpostens. Eine ähnliche Kampagne führte die HDP außerhalb Kurdistans. Doch sie wurde schnell zum Angriffsziel sowohl der AKP als auch der Dreierkonstellation Gülen/CHP/MHP. Egal, wo sie in der Türkei ihre Wahlkampfbüros eröffnen wollte, sie wurden schnell zur Zielscheibe eines nationalistischen Mobs, unterstützt von lokalen VerwaltungsbeamtInnen.

Aus dem oben gezeichneten Bild wird also deutlich, dass der Weg zur Wahl von äußerster Anspannung und Anfeindungen geprägt war.

Die Wahlergebnisse

Die Wahl hat trotz aller Spannungen, vielleicht auch gerade deswegen, weder große Gewinner noch deutliche Verlierer hervorgebracht. Die politischen Gleichgewichte sind weitgehend konstant geblieben. Die Politik und die Rhetorik des Ministerpräsidenten in den letzten zwei Jahren haben zu einer Lagerbildung geführt, derjenigen, die den »nationalen Willen« der AKP repräsentieren, und derjenigen, die dabei ausgeschlossen sind. Und beide Lager haben jeweils ihre eigene Identität ausgebildet, die trotz ihrer internen Heterogenität vor allem im Westen der Türkei einen erbitterten Kampf um den Wahlsieg führten. Nehmen wir die kurdische Politik hinzu, zeigt sich, dass insgesamt drei unterschiedliche politische Identitäten die Stadtverwaltungen der Türkei unter sich aufgeteilt haben. Die MHP-CHP-Koalition hat in zahlreichen Orten der Küstengebiete den größten Stimmenanteil auf sich vereinigt, die BDP ist in Kurdistan als stärkste Partei hervorgegangen und die AKP hat vor allem in den übrigen Gebieten gewonnen. Ironischerweise verteidigt jeder dieser Blöcke, die auch die Landkarte der Türkei dreigeteilt haben, auf seine Weise die Ganzheit der Türkei ...

Es ist nicht gerade eine positive Nachricht, dass, während diese drei politischen Blöcke sich gegenseitig bekämpfen und dadurch auch gegenseitig reproduzieren, bald auch die Präsidentschafts- und anschließend die Parlamentswahl nahen. Doch wie ich weiter unten genauer ausführen werde, wird bei einem Anhalten der derzeit angespannten Politik kein Wahlkampf oder Wahlausgang zu einem Wandel führen können.

CHP/MHP

Wie schon erwähnt, führte unserer Ansicht nach die CHP einen aus ihrer Sicht falschen Wahlkampf. Eine Partei, die nicht in der Opposition, sondern an der Macht sein wollte, hätte nicht der Spannungspolitik der AKP dienen sollen, sie hätte sich politisch nicht nur auf die Feindseligkeit gegenüber der AKP beschränken sollen. Dies half der AKP, ihre Stimmen zu konsolidieren, und dem Bestreben des Ministerpräsidenten, seine StammwählerInnen von den anderen zu separieren, um einen Austausch oder eine Beeinflussung zwischen den Gruppen unmöglich zu machen. Obendrein haben sich die Kommunalwahlen zu einem Identitätskampf entwickelt, vielmehr hätte der Ruin thematisiert werden müssen, den die AKP-Kommunalpolitik bewirkt hat.

Auf der anderen Seite muss erwähnt werden, dass die CHP innerhalb dieser politischen Grenzen eine maximale Ausbeute geschafft hat. Damit die Stimmenzahl nicht geteilt wird und auf lokaler Ebene insgesamt gegen die AKP Verwendung findet, wurde in sozialen Netzwerken die »Tatava-Kampagne« organisiert. In diesem Rahmen sollten die Stimmen der stärksten Partei auf lokaler Ebene gegen die AKP gebündelt werden, womit die CHP insbesondere in den Großstädten Stimmen sammeln konnte.

Die CHP hat weder für die Lösung und den Frieden noch für demokratische Rechte, lokale Verwaltung, Neoliberalismus und Ungerechtigkeit eine verlässliche Politik entwickeln können. Indessen schaffte sie es, die Jugendlichen des Gezi-Aufstands unter ihrem Dach zu vereinen, und es ist ihr großes Glück, dass sie mit einer solchen Dynamik in Verbindung gebracht wird. Von der Wahlbeobachtung bis hin zu Twitter, diese Gruppe hat das Potential für eine neue militante Politik. Sie ist sehr gut ausgestattet, kann Informationen hervorragend verwerten, ist demokratisch und kommt politisch aus einer ganz anderen Richtung, aber die CHP hat es geschafft, diese demokratische Gruppe im Rahmen der Anti-AKP-Hegemonie unter ihrem Dach zu vereinen. Wenn wir bedenken, dass diese Gruppe ihre Stimmen der CHP nur geliehen hat und sich politisch von deren Parteipolitik distanziert, hat sie das Potential, die CHP in Bedrängnis zu bringen und bei deren Demokratisierung behilflich zu sein. Darüber hinaus kann sie dazu beitragen, dass die CHP ihre harte Linie in Bezug auf die KurdInnen und die nationalistische Symbolik überdenkt. Die Mehrheit der AlevitInnen (ausgenommen in Dêrsim/Tunceli) stimmte für die CHP. Das muss diese würdigen, sie muss sich anstelle der Anfeindungen gegen die AKP mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen; dies bietet ihr die Möglichkeit, sich mit dem Friedenswillen der Unterdrückten zu befassen. Aufgrund der Tatsache, dass sie in Kurdistan gar keine Stimmen erhalten hat, kann die CHP den Oppositionsstatus nicht überwinden. Solange sie den kurdischen Frieden nicht radikal und universellen Standards entsprechend angeht, wird sie von den KurdInnen nicht akzeptiert werden; das wird dann weiterhin ihr größtes Hindernis bleiben auf dem Wege, stärkste Partei zu werden.

Die mit der CHP zusammenarbeitende MHP hat auch ihren Stimmengewinn gesteigert. Allerdings hatte sie augenscheinlich wie Erstere keine andere Kampagne geführt als die gegen die AKP gerichtete. Aufgrund der historischen Gegnerschaft und der damit verbundenen Rolle bei der Wahl hat sie die normalerweise nicht an die CHP gehenden Stimmen dorthin kanalisiert und an anderen Standorten, wo sie die stärkere Partei ist, CHP-Stimmen an sich gebunden.

Kurz, CHP und MHP haben ein dem Anschein nach gutes Wahlergebnis erzielt. Es ist jedoch offensichtlich, dass sie über kein politisches Programm verfügen, das am bestehenden Gleichgewicht rütteln könnte.

AKP

Die Stimmen für die AKP bedeuten nicht die Befürwortung von Unterdrückung und Korruption. Die AKP-WählerInnen haben ein weiteres Mal ihre Treue zur AKP ausgedrückt und gezeigt, dass die Zugehörigkeit zur AKP eine Identitätsfrage ist. Einige Untersuchungen belegen, dass die historisch ausgegrenzten armen Muslime sich mit der AKP und insbesondere dem Ministerpräsidenten als Teil der Macht fühlen. Ein Teil der WählerInnen ist sicherlich an der Korruption beteiligt und aufgrund dessen bestrebt, die AKP an der Macht zu halten. Die Mehrheit gab ihre Stimme der AKP aber nicht, damit diese an der Macht bleibt, sondern nicht durch CHP oder MHP ersetzt wird. Bedenken bestehen gegen den Nationalismus und den Elitismus der CHP, wegen der Annahme, dass die MHP keine Lösung in der kurdischen Frage suchen werde, und aus Sorge um die religiöse Freiheit und die wirtschaftliche Stabilität. Gleichwohl zeigen Untersuchungen, dass die Gesundheitsreform und die Politik gegen die Armut die Armen an die Partei gebunden haben. Das größte Problem der Opposition ist nach wie vor ihre Unfähigkeit, die AKP-WählerInnen zu verstehen. Als Beispiel mag hier der Istanbuler CHP-Kandidat Sarıgül dienen, der dachte, sie mit alternativen Mega-Projekten zu gewinnen und mit der Versprechung, Staudämme zu errichten. Solche Äußerungen demonstrieren, dass die Rationalität der armen AKP-WählerInnen nicht verstanden wird. Die Aussagen und die praktische Politik, die den Alltag der AKP-AnhängerInnen nicht berühren, ihre Ängste nicht lindern, sich mit ihre Vergangenheit nicht auseinandersetzen, sie emotional nicht berühren – hier sind nicht nur die religiösen Faktoren gemeint –, können in der Türkei, das ist offensichtlich, keine Mehrheit bilden.

Gülen

Vermutlich ist das wichtigste Ergebnis der Wahl, dass die MachthaberInnen in der Türkei nicht durch eine Erpressungspolitik mit Tonaufnahmen, die Intervention durch die Gülen-Bewegung, mit Hilfe internationaler HandlangerInnen, also mit äußerer Einmischung, gestürzt werden können. Jedes Mal wird bei Wahlen in der Türkei auf die Überraschungen verwiesen, die von den WählerInnen bereitet, oder »Ohrfeigen«, die verteilt werden. Dieses Mal hat die Gülen-Bewegung eine Ohrfeige bekommen. Es ist offensichtlich, dass die Türkei weder die »tiefe Politik« der Gülen-Bewegung noch die der Ergenekon-Strukturen braucht. Eine Veränderung in der Türkei kann nur mit Dynamiken, die aus der Gesellschaft kommen, gelingen. Die Veröffentlichungspolitik, die die Gemeinde vor der Wahl praktizierte, hat die Bedenken gegen die Regierung bestätigt, aber die Opposition als VoyeurInnen und VerschwörungstheoretikerInnen dargestellt. Dadurch wurden alle Kanäle zu einer wirklichen Grundsatzdiskussion geschlossen und die AKP-AnhängerInnen schlossen sich vorübergehend zusammen.

Auf der anderen Seite geriet die Gemeinde mit ihrer staatlichen Ideologie in Widerspruch und wollte so die Regierung angreifen, womit sie aber den ganzen Staat aus seiner heiligen Position herausgenommen und verweltlicht hat. Der Staat ist in Verruf geraten und die Opposition dadurch zu etwas Normalem verkommen. Deshalb müsste mensch sich ironischerweise bei der Gemeinde bedanken, die ihr ganzes Dasein der Aufgabe gewidmet hat, innerhalb der Staatsstrukturen eine Kaderstruktur zu schaffen.

HDP/BDP

Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der HDP um eine neue Partei handelt und sie keine Aussicht auf Erfolg hatte, hat sie die angestrebten demokratischen Stimmen nicht erhalten. Allerdings brachte sie mehr als den Wahlsieg die Demokratisierung der Türkei sowie die praktische Entwicklung in den Diskurs ein, wodurch sie mit ihrer demokratischen Haltung die Demokratisierung der ganzen Parteien in der Türkei fördern könnte.

Ich denke, dass die Diskussion zwischen CHP- und HDP-WählerInnen, die HDP würde die Stimmenzahl der CHP splitten und die CHP sei eine nationalistische und rechtsorientierte Partei, bei den CHP-WählerInnen, insbesondere bei den Frauen, DemokratInnen und AlevitInnen, Spuren hinterlassen hat und der Einfluss der HDP in diesen Bereichen in Zukunft wachsen wird.

Die HDP hat außer den kurdischen wenige Stimmen erhalten. Allerdings ist deren Einfluss nicht zu unterschätzen. Nur die KurdInnen votieren außerhalb der religiös-laizistischen Dualität und sind dadurch eine der wenigen Gruppen, die mit der Linken und den AKP-WählerInnen in Verbindung gebracht werden könnten. Das zeigt uns auch, wie eine starke Opposition gegen die AKP aussehen kann, oder ist ein deutliches Indiz, wie in einer zur AKP alternativen Welt die Gläubigen und Armen eingebunden werden könnten.

Wenn wir auf die BDP zu sprechen kommen, stellen wir fest, dass sie ihren größten Erfolg in der Region Serhat errungen hat. Ihr Einfluss ist damit vergrößert worden. Obwohl sie bei der Wahl das Gezänk ablehnte und ihre eigenen Prioritäten setzte. Damit stellte sie die eigentliche Opposition dar. Allerdings beginnt die eigentliche Prüfung der BDP, die als einzige Partei eine alternative Administration vertritt, jetzt.
Sie stützt sich vor allem auf die kurdische Identität. Unter dem Dach der HDP kann sie jedoch mit SozialistInnen, FeministInnen, ÖkologInnen, LGBTlerInnen, ArbeiterInnen und anderen Gruppen (inter)agieren. Bei der heutigen konjunkturellen Landkarte der Wahlen in der Türkei stellt sie, im Gegensatz zu den anderen Parteien, die mit ihrer Identitätspolitik am Ende sind, die einzige Alternative dar. Ansonsten würde in der Türkei für lange Zeit nichts passieren.

Fazit

Derzeit besteht eine aufgrund der Wahl starke Regierung, doch steht sie in institutioneller und Legitimitätshinsicht äußert lädiert da. Meiner Ansicht nach ist das ein Umstand, der nicht traurig, sondern froh stimmen sollte. Er bietet viele Möglichkeiten zum Widerstand und zum ersten Mal die Gelegenheit zur Kontrolle einer mit über 50 % gewählten Regierung in der Türkei. Mensch ist bestrebt, auch jeden einzelnen Fehler dieser Regierung öffentlich zu machen sowie seine eigene Identität und seine Wünsche zu verteidigen. Der organisierte Kampf gegen den Wahlbetrug von Ankara bis nach Kurdistan war ein Beispiel dafür. Das ist eine bedeutende Errungenschaft. Bei der gesellschaftlichen Organisierung werden die KurdInnen, AlevitInnen, Frauen, Jugendlichen und RentnerInnen weiter in Bewegung bleiben. Diese Wahl war in der Tat historisch. Alle Gesellschaftsbereiche wurden dadurch mobilisiert. Diese gesellschaftliche Organisierung wird ihrerseits eine Opposition hervorbringen und ihrer Verantwortung bei der Demokratisierung der Türkei und den Friedensbestrebungen gerecht werden. In dem Kampf, eine starke Opposition zu entwickeln, war das ein wichtiger Meilenstein. Allerdings wird dieser Kampf nicht durch die Marginalisierung einzelner Gruppen, sondern durch das Schaffen von Frieden, nicht über die Identität, Lebensart, Intelligenz- und Anstandswettbewerbe geführt werden, sondern mit einer starken gesellschaftlichen Organisierung und mit dem Zugewinn, dass statt der Zwietracht die Eintracht vorherrschen wird.