Editorial

 

Liebe Leser:innen,

in den letzten Tagen und Wochen haben die Drohnenangriffe des türkischen Staates in Kurdistan wieder zugenommen. Diesmal konzentrieren sich die Angriffe auf Südkurdistan (Nordirak). Die Opfer sind in der Regel Zivilist:innen. So kam es am 10. September zu einem Drohnenangriff auf das Flüchtlingslager Mexmûr in Südkurdistan. Bei dem Angriff auf ein Haus wurden drei Frauen verletzt. Am 5. September wurden bei einem Drohnenangriff in der Gemeinde Çiwarta drei Menschen getötet, darunter ein Kind. Am Tag zuvor wurden bei einem Drohnenangriff in Dukan ein Mann und seine beiden Söhne im Alter von 15 und 12 Jahren getötet. Am 23. August wurden die beiden Journalistinnen Gulistan Tara und Hêro Bahadîn bei einem Angriff in der Nähe von Silêmanî durch eine türkische Drohne ermordet. Rêbîn Bekir, ebenfalls Journalist, wurde bei dem Angriff schwer verletzt. Wenige Tage bevor das Fahrzeug, in dem Rêbîn zusammen mit Gulistan und Hêro saß, von einer türkischen Drohne angegriffen wurde, hatte er für die aktuelle Ausgabe des Kurdistan Reports einen Artikel über die sozioökonomische Lage in Südkurdistan verfasst und uns zugesandt. Kurz darauf wurde auch unser Autor zur Zielscheibe des türkischen Drohnenterrors.

Es ist kein Geheimnis, dass sich der Krieg des türkischen Staates auch gegen die Zivilbevölkerung Kurdistans richtet. Die gezielten Drohnenangriffe auf Menschen in Südkurdistan und Rojava erinnern an den schmutzigen Krieg in Nordkurdistan in den 1990er Jahren. Damals hatte die Türkei keine Drohnen. Stattdessen machten die paramilitärischen Einheiten der JITEM, einer Geheimdienststruktur der türkischen Gendarmerie, Jagd auf kurdische Zivilist:innen. Tausende Menschen, die sich politisch für die Rechte der Kurd:innen engagierten, wurden ermordet. Häufig konnten anschließend nicht einmal ihre Gebeine gefunden werden.

Heute setzt die türkische Regierung unter der AKP auf einen ähnlichen schmutzigen Krieg in Kurdistan. Der Unterschied ist, dass die Angriffe außerhalb der türkischen Staatsgrenzen stattfinden und die Morde nicht von JITEM, sondern von türkischen Drohnen verübt werden. Angriffsziel sind aber damals wie heute vor allem Zivilist:innen. Die Opfer sind oftmals kurdische Aktivist:innen, immer wieder trifft es aber auch Unbeteiligte. Das Kalkül hinter den Angriffen ist klar: Es sollen nicht nur gezielt Personen, die sich für die Freiheit der Kurd:innen engagieren und deshalb auf türkischen »Todeslisten« stehen, ausgeschaltet werden. Gleichzeitig soll Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreitet werden. Die regelmäßigen Angriffe auf Zivilist:innen, vor allem im Operationsgebiet des türkischen Staates in Südkurdistan, sollen die Bevölkerung zudem dazu veranlassen, ihre Dörfer und Städte zu verlassen. Der türkische Staat setzt damit auf eine wohlkalkulierte Strategie des Terrors in Kurdistan.

Dass es sich bei diesen Angriffen um Kriegsverbrechen handelt, steht außer Frage. Doch weder die internationale Staatengemeinschaft noch supranationale Organisationen haben sich bisher kritisch zum Drohnenterror des türkischen Staates geäußert. Die türkische Regierung fühlt sich dadurch in ihrem Kurs bestärkt. Sie wird deshalb parallel zu ihrem Annexionskrieg in Südkurdistan weiter auf Drohnenangriffe gegen die Zivilbevölkerung setzen.

Um die Angriffe zu stoppen, bleibt also wieder einmal nur eine Option. Und die heißt: Druck von unten. Es gilt, die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft über den türkischen Drohnenterror aufzuklären, die Beteiligung deutscher Firmen wie Hensoldt am Bau der Drohnen aufzudecken und Druck auf die Regierenden in Berlin aufzubauen. Denn die Bundesregierung ist nach wie vor einer der wichtigsten Partner des türkischen Staates - ein Partner, der den Regierenden in Ankara auch im Krieg in Kurdistan den Rücken stärkt.

Eure Redaktion


 Kurdistan Report 235 | Oktober-Dezember 2024