Die Rolle der PKK bei der Verteidigung Südkurdistans (RKI)
… dass »nur die PKK die Zukunft von Başur sein kann«
Ali Devrim, freier Journalist
Das von den Besatzungsmächten sowie der Kollaboration der PDK geprägte Südkurdistan bedarf nicht allein einer militärischen, sondern vor allem auch einer ideologischen Verteidigung.
Alle Teile Kurdistans haben – je nach Ideologie, Methodik und Charakter der jeweiligen Besatzerstaaten – rote und weiße Völkermorde1 erlebt. Insbesondere der Völkermord in Südkurdistan (RKI)2 ist einzigartig. Während Südkurdistan nach Jahrzehnten militärischer Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung in Bagdad ein gewisser autonomer Status zugestanden wurde, wurden die anderen Teile Kurdistans vollständig verleugnet und sollten vernichtet werden. Mit anderen Worten: Es gibt keine gänzliche Leugnung Kurdistans. Aber das Existenzrecht Südkurdistans war die Gegenleistung für den Verrat an den Freiheitsbewegungen in den anderen besetzten Teilen. Um die revolutionären Bewegungen in den anderen Teilen Kurdistans zu zerstören, war es zuerst notwendig, die patriotische Linie auszuschalten, und das wurde in Südkurdistan realisiert. Es sollte eine Haltung der Kollaboration und des Verrats etabliert werden, und diese wurde von den Barzanîs3 durchgesetzt. Südkurdistan wurde zum Labor eines vom kapitalistischen System erschaffenen kurdischen Modells.
Aber das Volk Başûrê4 Kurdistans hat seinen Freiheitswillen nicht aufgegeben. Es beharrt auf der kurdischen Identität, und jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit bot, erhob es sich und vertrieb die Besatzer. Bis heute wird ein unermüdlicher Kampf geführt, der die anderen Teile Kurdistans seit jeher inspiriert. Der Widerstand gipfelte in der Vertreibung der Besatzer aus Südkurdistan im Jahr 1991. Das Unglück begann aber mit diesem Sieg: zwar war der Kampf auf nationaler Ebene erfolgreich, der ideologische Kampf erlitt jedoch eine Niederlage. Die linke, sozialistische, freiheitliche Linie wurde liquidiert und durch eine ersetzt, die dem kapitalistischen System diente und mit jenen Staaten, die Kurdistan besetzt hielten, kollaborierte. Dies war der Beginn einer Zeit, in der Kurd:innen durch die Hand von Kurd:innen getötet wurden. Es ist wie bei einer leeren Mühle: der Mühlstein nutzt sich ab, während er sich bewegt, da er nur mehr auf bloßem Stein reibt. Passend wurde der Ausdruck »leere Mühle« (kurdisch: Aş Batal) von dort lebenden Menschen geprägt.
Die Funktion der PDK und der Regierung Südkurdistans
Gegenwärtig meint man in Başûr, Geld sei die wichtigste Ideologie. Aber trotz allem sind patriotische5 Gefühle und das Bewusstsein der Bevölkerung stark. Zur Zeit gibt keine der Fraktionen in Başûr, die sich als linke, sozialistische und demokratische Bewegungen definieren, dem Volk Hoffnung, weil sie von den Barzanîs abhängig sind. Da sie außerdem nicht in der Lage sind, das vom kapitalistischen System geschaffene Gesellschaftssystem angemessen zu analysieren, kämpfen sie eher um einen Anteil an der Macht, als dass sie einen ideologisch motivierten Kampf dagegen führen würden. Darum sind 70 Prozent der Stimmberechtigten letztes Jahr nicht zu den Wahlen gegangen. Unter den nur ca. 30 Prozent, die teilnahmen, waren die meisten Pêşmerga-Kräfte6 und Beamte. Sie haben gewählt, weil sie mussten.
Mit wem wir auch sprachen – Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, von Politiker:innen bis hin zu Intellektuellen und jungen Menschen –, viele erklärten, dass nur die PKK die Zukunft sowohl von Başûr als auch ganz Kurdistans sein kann. Es ist in der kollektiven Erinnerung noch lebendig, wie die Guerillakämpfer:innen ihre Prinzipien von Rojava bis Şengal, von Mexmûr bis Kerkûk und Xaneqîn gegen den IS verteidigte.
Die Region Südkurdistan spielt die Rolle eines schwarzen Lochs, das Revolutionäre aus allen vier Teilen regelrecht verschluckt. Wie eine Fata Morgana in der Wüste zerstören das kapitalistische System sowie die Kolonialherren nationale und freiheitliche Bewegungen aus anderen Teilen Kurdistans, indem sie diese in eine Scheinfreiheit lotsen, die sie in Başûrê-Kurdistan durch die PDK geschaffen haben. Ende der 1970er-Jahre wurden beispielsweise Sait Elçi und Dr. Sait Kırmızıtoprak, die für die Unabhängigkeit eintraten und versuchten, eine freiheitliche Bewegung in Bakurê-Kurdistan7 aufzubauen, im Auftrag des türkischen Staates von der PDK nach Südkurdistan gelockt und dort von den Barzanîs ermordet. Auch Vertreter:innen nationaler Bewegungen aus Rojhilatê-Kurdistan8 wurden von der PDK nach Başûr gelockt und massakriert. Dies setzt sich bis heute fort. Aktuell spielt die PDK auf Wunsch des Iran die Rolle, Parteien, Organisationen und Persönlichkeiten aus Rojhilat auszulöschen, sie von dort fernzuhalten, sie in Lager zu stecken und vom Kampf abzubringen. Als die Revolution in Rojava begann, hoben PDK-Angehörige Gräben an der Grenze zu Rojava aus und machten noch vor dem faschistischen türkischen Staat die Grenze dicht. Indem sie gemeinsam mit dem türkischen Geheimdienst MİT Konterrevolutionäre nach Rojava schleusten, versuchten sie, die wichtigste Revolution des 21. Jahrhunderts zu ersticken. Die internationalen Mächte machten die Bildung der Regierung und des Parlaments von Başûrê-Kurdistan 1992 davon abhängig, dass die Revolution in anderen Teilen Kurdistans erstickt werde. Deshalb war der erste Akt des im selben Jahr gegründeten Parlaments, gemeinsam mit der Türkei Krieg gegen die PKK zu führen.
Süleyman Maini (Vater von Siyamend Maini, ehemaliger Ko-Vorsitzender der PJAK9), der am 15. Mai 1968 auf Wunsch des iranischen Regimes von der PDK ermordet und dessen Kopf dem Iran übergeben werden sollte, sagte, als er darüber informiert wurde, dass er von der PDK getötet werden sollte: »Wenn ich wüsste, dass mein Tod der kurdischen Sache in Başûr nützen würde, wäre ich bereit, jetzt sofort zu sterben. Aber ich weiß, dass es der kurdischen Sache nicht nützen wird, sondern nur den Verrätern«. Die kollaborative Haltung der PDK lässt die übrige Gesellschaft von Başûr schutzlos zurück. Gegenwärtig bleibt in Başûrê-Kurdistan nichts mehr übrig von einer Politik im Namen eines kurdischen Interesses; es dominiert eindeutig die Politik der Besatzerstaaten. Die Autonomieregierung hat Başûrê zu einer Provinz, zu einem Gouvernement der Türkei und des Irans gemacht. Das Hauptproblem Başûrê-Kurdistans ist weder ein nationales, noch ein wirtschaftliches oder ein Sicherheitsproblem; es ist ideologischer und systemischer Natur. Deshalb ist die Verteidigung Südkurdistans eher durch ideologischen und politischen Kampf gegen die Kollaboration möglich als durch Waffengewalt. In den letzten 70 Jahren sind in allen vier Teilen Kurdistans viele nationale, freiheitliche oder revolutionäre Bewegungen entstanden. Da jedoch keine von ihnen das Ausmaß der Kollaboration, die im Auftrag der internationalen Mächte durch die PDK in Başûr umgesetzt wird, richtig verstanden hatte, sahen sie die PDK als kurdische Organisation, sind in die Falle getappt und wurden vernichtet.
Die Bedeutung der PKK für den Feiheitskampf in Südkurdistan
Trotz der Angriffe imperialistischer Mächte gegen die PKK, wächst und erstarkt diese Tag für Tag – eine Entwicklung, die beweist, dass Rêber Apo (Abdullah Öcalan) das wahre Gesicht der PDK sowie die in Başûr gestellte Falle erkannte und darum nicht hineintappte. Während andere Bewegungen in Bakur, Rojhilat und Rojava10 zur PDK nach Başûrê-Kurdistan kamen, um den Vernichtungsschlägen der Besatzerstaaten zu entgehen, brachte Rêber Apo, um dem Putsch in der Türkei 1980 zu entkommen, seine Kader zu den revolutionären Organisationen Palästinas. Als die PKK ihren bewaffneten Kampf 1984 aufnahm, wandte sich Mesûd Barzanî zunächst im Namen der NATO-Gladio an Rêber Apo und bat ihn, »die Waffen niederzulegen«. Als dieser der Bitte nicht nachkam, begann die PDK, sich gegen die PKK in Başûr zu verschwören und sie anzugreifen. 1992, 1995 und 1997 führte sie zusammen mit dem türkischen Staat Pêşmerga-Kräfte in den Kampf gegen die PKK. Die PDK unterstützt auch die Invasions- und Annexionsoperationen, die der türkische Staat am 24. Juli 2015 gegen Başûr begann und die sich fortwährend ausweiten. Im Rahmen des internationalen Komplotts vom 9. Oktober 1998 gegen Rêber Apo – und mit seiner Person gegen das ganze kurdische Volk – sagten PDK-Vertreter der italienischen wie auch den anderen europäischen Regierungen: »Öcalan vertritt nicht die Kurden, er ist ein Terrorist, lasst ihn nicht in Europa bleiben!« und übergaben ihnen Akten, die sie zusammen mit dem türkischen Staat vorbereitet hatten. Aus diesem Grund muss die Verteidigung von Başûr auf Grundlage der von Rêber Apo entwickelten Ideologie der freien Menschen und der freien kurdischen Identität erfolgen.
Militärisch stand die Guerilla bei der Verteidigung von Başûr an vorderster Front. Als sich 1991 das Volk von Başûr erhob und die einmarschierenden Truppen Saddam Husseins in die Flucht schlug, beteiligte sie sich aktiv an der Verteidigung von Başûr, indem sie an der Front in Zaxo und Dohuk gegen das Regime kämpfte, als dieses einige Monate später erneut angriff. Als IS-Banden nach der Invasion von Mûsil (Mosul) auch Başûr angriffen, kämpfte die PKK aufopferungsvoll an der Front von Şengal bis Mexmûr, von Kerkûk bis Xaneqîn, während die PDK-Pêşmerga ihre Verteidigungslinien verließen und auf Anweisung der Barzanîs das Weite suchten. Während die PKK in Mexmûr gegen den IS kämpfte, hatten PDK-Funktionäre bereits ihre Koffer zur Flucht vorbereitet und mit der Evakuierung von Hewlêr begonnen.
Der für Başûrê-Kurdistan gefährlichste Besatzerstaat ist die faschistische Türkei. Seit seiner Gründung betrachtet der türkische Staat die gesamte Region bis Mûsil und Kerkûk (d.h. Başûr) als zum Gebiet des Misak-ı Millî11 gehörig und hat das Ziel, sie eines Tages zu annektieren. Im Juli 2015 begann die Türkei erneut eine Offensive gegen die PKK, um diesen Traum zu verwirklichen. Diese Angriffe, die durch kein Kriegsrecht legitimiert sind, dauern nun seit 9 Jahren ununterbrochen an. Die Türkei greift so unerbittlich an, weil die PKK bei der Verteidigung von Başûr an vorderster Front steht und die einzige Kraft ist, die sich wirksam widersetzt. Zunächst hatte der türkische Staat die Okkupation von Başûr durch den IS erledigen lassen wollen. Aber als die PKK-Guerilla dieses Spiel mit ihrem Widerstand erfolgreich durchbrach, begann der türkische Staat selbst mit den Besatzungsoperationen.
Offiziell verfügt die Regierung von Başûr über mehr als 100.000 Pêşmerga. Aber diese Truppe ist nicht in der Lage, Başûr auch nur gegen den kleinsten Angriff zu verteidigen. Denn die von der PDK kontrollierte Regierung, der diese Kämpfer unterstehen, verfolgt keine patriotische, widerständige und freiheitliche Linie. Obwohl der autonome Status von Başûr verfassungsmäßig garantiert ist, hat der arabisch-schiitische Nationalismus im Irak dies bis heute nicht verdaut. Am 17. September 2017, als die irakischen Streitkräfte einmarschierten und 40% des Territoriums von Südkurdistan besetzten, zog sich die erwähnte 100.000 Pêşmerga starke Armee zurück, ohne eine einzige Kugel abzufeuern und übergab auf Anweisung Barzanîs u.a die Regionen Kerkûk und Xaneqîn. Wenn der irakische Staat heute die restlichen 60 Prozent von Başûr nicht auch besetzt hält, liegt das v.a. an der Präsenz der PKK. Der Irak wagt einen solchen Angriff nicht, weil er gesehen hat, dass der türkische Staat, der seit 40 Jahren mit der gesamten Macht der NATO im Rücken gegen die PKK kämpft, nicht erfolgreich war. Weder Irak und Syrien, noch Iran, noch die Türkei sind in der Lage, irgendwo eine wie auch immer geartete kurdische Autonomie zu akzeptieren. Wenn sie trotzdem 33 Jahre lang den Status in Başûr toleriert haben, dann nur, weil die PDK, die Başûr in ihren Händen hält, ihren Kolonialherren mehr dient als den Kurd:innen und weil sie nicht wollen, dass sich in einem der Teile Kurdistans eine revolutionäre Linie durchsetzt. Tatsächlich ist derzeit die PKK die einzige Garantie, die einzige Verteidigungskraft für alle vier Teile Kurdistans. Denn die Guerilla ist nicht nur eine militärische Kraft. Sie steht für eine Philosophie. Sie ist der Raum, in dem die moderne und freie kurdische Identität aufgebaut wird.
1 Rote Völkermorde: Genozide durch physische Vernichtung, weiße Völkermorde: Vernichtung der Kultur und der Identität durch (Zwangs-)Assimilation und Verleugnung (Anm. d. Übers.)
2 Region Kurdistan Irak, die Autonome Region Kurdistan, auf Kurdisch: Başûrê Kurdistanê, Südkurdistan
3 Barzanîs: Familienclan in Südkurdistan, der seit der Gründung der PDK (Demokratische Partei Kurdistans, häufig auch KDP abgekürzt) unter der Führung Mustafa Barzanîs 1946 die politische Machtelite in großen Teilen der autonomen Region Kurdistans Irak stellt
4 Başûr ist auf Kurdisch der Süden. Südkurdistan (der auf irakischem Staatsgebiet gelegene Teil Kurdistans) wird auf Kurdisch Başûr oder Başûrê Kurdistanê genannt.
5 Das deutsche Wort »patriotisch« gibt die Bedeutung des entsprechenden kurdischen Wortes nur sehr unzureichend wieder. Das kurdische »welatparêz« setzt sich aus den kurdischen Wörtern »parêz« für Land oder Heimat und »parastin« für verteidigen zusammen. Es wird vor allem für die Menschen verwendet, die ihr Land lieben und es gegen Kolonialisierung und Ausbeutung verteidigen. Es bedeutet auch, eine Verbindung zur eigenen Geschichte zu haben und zur Kultur des Ortes oder der Gemeinschaft, aus der eine Person kommt. Im Gegensatz zu Patriotismus ist es verbunden mit Internationalismus, was bedeutet, dass die Kämpfe und die Verteidigung des Landes niemals zu Lasten oder im Ausschluss anderer Orte oder anderer Gesellschaften gehen.
6 Pêşmerga: Bezeichnung der Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan im Irak
7 Bakurê Kurdistanê / Bakur: Nordkurdistan, der von der Türkei besetzte Teil Kurdistans
8 Rojhilatê Kurdistanê / Rojhilat: der Osten, vom Iran besetzte Teil Kurdistans
9 PJAK: Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê, dt.: Partei für ein freies Leben in Kurdistan, kurdische Befreiungsbewegung in Ostkurdistan
10 Rojava: Westkurdistan, der syrisch besetzte Teil Kurdistans
11 Misak-ı Millî: Nationalpakt; darin wurden von der türkischen Unabhängigkeitsbewegung nach dem 1. Weltkrieg die Grenzen des türkischen Nationalstaates festgelegt. Auch Gebiete, die heute auf irakischem und syrischem Staatsgebiet liegen, werden darin als zur Türkei gehörig betrachtet. Die nationalistischen türkischen Kräfte halten bis heute an den Misak-ı Millî Grenzen fest. Die Annexionen von Gebieten in Rojava und Başûr werden oft mit Hinweis auf den Misak-ı Millî gerechtfertigt.
Kurdistan Report 235 | Oktober-Dezember 2024