Der kurdische Musiker Mazlum Dora sitzt seit Mai 2021 in der JVA Stuttgart-Stammheim
Terroristische Musik?
Gule S.
I
m Fall Mazlum Dora sehen wir, wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht werden soll. Seit Jahrzehnten werden Menschen als »Terrorist:innen« verunglimpft und ihre Organisationen als »Hauptfeind der inneren Sicherheit« diffamiert: Kurd:innen in Deutschland. Obwohl diese Menschen einst aus ihrer Heimat geflohen sind, um Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden, kriminalisiert der Westen und insbesondere Deutschland fast alle Organisationen der kurdischen Bevölkerung.
Diese Politik wird bis heute mit dem PKK-Verbot von 1993 gerechtfertigt. Jede Bundesregierung, gleich welcher Farbkonstellation, hat diese antikurdische Politik bisher fortgeführt. Wir sehen, mit welch autoritären Methoden Kurd:innen hierzulande mundtot gemacht werden sollen. Und wir stellen fest: Die Repression gegen die kurdische Bewegung ist ein deutsches Demokratiedefizit. Menschen, die sich hier dafür einsetzen, die großen Probleme unserer Zeit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, und die für ein verantwortungsvolles und solidarisches Miteinander streiten, werden mit Repression überzogen.
Das Damoklesschwert eines willkürlichen 129er-Verfahrens schwebt über den Köpfen kurdischer Aktivist:innen. So wurde auch der Künstler Mazlum Dora unter anderem aufgrund seiner kulturellen und künstlerischen Tätigkeiten festgenommen und im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Als Künstler setzte er sich für die politische Anerkennung der kurdischen Community in Deutschland ein, indem er Demonstrationen mit Trommelklang begleitete und kurdische Lieder komponierte, wie beispielsweise das Lied »Cenga Rojava« (Der Kampf in Rojava). Zudem engagierte sich der am 12.5.2021 in Esslingen Festgenommene ehrenamtlich im kurdischen Gesellschaftszentrum Heilbronn und betreute hier Kulturprojekte. Mazlum leidet an einer Schädigung des Rückenmarks in der Halswirbelsäule. Daher hat er zahlreiche Operationen hinter sich, ihm wurden Platten im Halswirbelbereich eingesetzt. Da sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, war er am Tag seiner Festnahme in Esslingen, um sich ärztlich untersuchen zu lassen. Was er vorher nicht wissen konnte: Sein Arztbesuch würde ihm zum Verhängnis werden.
Doch nicht nur Mazlum Dora hat diese Erfahrungen im Mai 2021 machen müssen: Innerhalb einer Woche wurden 2021 drei kurdische Aktivisten verhaftet. In Nürnberg wurde am 7.5.2021 außerdem Mirza B. festgenommen. Bei der Festnahme wurde solche Gewalt angewandt, dass die Frührentnerin, bei der der Aktivist zu Gast war, einen Zusammenbruch erlitt und mehrere Tage auf der Intensivstation verbringen musste. Am 11.5.2021 ließ die Bundesanwaltschaft aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai in Heilbronn den Aktivisten Abdullah Ö. festnehmen. Als würde die Verhaftung nicht reichen, hat man den Kopf des Gefesselten unter ein Fahrzeug geschoben und ihn minutenlang in diese Position gezwungen.
Bei solcher Gewaltanwendung stellt sich die Frage, was diese Menschen gemacht haben könnten, um einen derartigen Umgang zu verdienen. Die Festgenommenen werden beschuldigt Versammlungen organisiert, Vereinsmitglieder zur Teilnahme an Veranstaltungen mobilisiert und Spendenkampagnen durchgeführt zu haben. Individuelle Straftaten werden ihnen nicht vorgeworfen. Doch sie sollen Mitglieder in einer »terroristischen« Vereinigung im Ausland sein und wurden deshalb nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch angeklagt.
Man fragt sich, wie diese Aktivitäten nach deutschem Recht als terroristisch eingestuft werden können. Während NATO-Partner wie die Türkei völkerrechtswidrig in andere Länder einmarschieren, Kriege führen und viele Menschen zur Flucht treiben, werden Friedensaktivist:innen und Demokrat:innen inhaftiert und als Terroris:innten verurteilt.
Die im Jahr 2021 erfolgten Festnahmen standen in kausalem Zusammenhang mit dem Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu am 6. Mai 2021 bei seinem Amtskollegen Heiko Maas in Berlin. Mit der Inhaftierung der kurdischen Aktivist:innen wollte man nämlich im Dienste der deutsch-türkischen Freundschaft agieren und symbolisch demonstrieren, dass auch hierzulande die deutsch-türkischen Interessensbeziehungen auf Kosten der Menschenrechte stets Vorrang haben. Damit macht sich Deutschland zum Handlanger des türkischen Regimes. Seit inzwischen Jahrzehnten erledigen die Strafverfolgungsbehörden geschäftsmäßig und routiniert ihr Geschäft der Repression gegen kurdische Aktivist:innen: festnehmen, anklagen, verurteilen. Kurd:innen in Deutschland sind der politisch motivierten strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, und ihre Aktivitäten werden – wie in der Türkei – als »Terrorismus« stigmatisiert und kriminalisiert.
So auch bei dem kurdischen Aktivisten und Künstler Mazlum Dora. Trotz mangelnder Beweislage wurde er zu einer Strafe von drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Seine Tätigkeiten wurden ihm nach Paragraf 129b StGB als organisatorische Tätigkeiten für die PKK ausgelegt.
In Haft ist Mazlum isoliert. Er befindet sich in einer Einzelzelle, und gemeinsame Aktivitäten oder Kommunikation mit den anderen Gefangen sind ihm untersagt. Bei den Verhandlungsterminen wurde er immer mit Fuß- und Handschellen zum Gerichtsgebäude gebracht, obwohl die Justizvollzugsanstalt sich in unmittelbarer Nähe, auf demselben Gelände befindet. Das alles soll ein Bild in der Öffentlichkeit erzeugen: »Diese Person ist schwerstkriminell, von ihr geht eine Gefahr aus.«
Um dieser Unterdrückung zu entkommen und damit sein Protest gegen seine Behandlung im Gefängnis endlich wahrgenommen wird, hat Dora sterben wollen und sich selbst angezündet. Dafür hat er wegen besonders schwerer Brandstiftung noch eine zusätzliche Strafe von 2 Jahren und 3 Monaten Haft bekommen.1 Dieses noch nicht rechtskräftige Urteil grenzt an Perfidität und hat nichts mit einem demokratischen Rechtsstaat zu tun.
In seinem Verfahren wurden auch die Musikwerke Doras herangezogen, um ihn als Terrorist zu diffamieren. Ein Beispiel, das als Beleg eingeführt wurde, ist sein Lied »Cenga Rojava«. Hierin erzählt er von der die Revolution in Rojava (Nordostsyrien) und bringt zum Ausdruck, welche Bedeutung und Inspiration sie für uns, aber auch für alle unterdrückten Völker dieser Welt hat.
Rojava setzt das Konzept des demokratischen Konföderalismus um, dessen Grundprinzipien auf Frauenbefreiung, Basisdemokratie und Ökologie beruhen. Dieses alternative Gesellschaftsmodell umfasst die Partizipation von Araber:innen, Êzîd:innen, Christ:innen, Assyrer:innen, Kurd:innen und Armenier:innen, Tscherkess:innen, Tschetschen:innen. In den letzten Jahren sind überall basisdemokratische, selbstverwaltete und ökologische Projekte entstanden. Alle Bereiche des Lebens werden von Grund auf neu organisiert, und in allen Strukturen organisieren sich insbesondere Frauen autonom. Genau das bringt er in seinem Lied »Cenga Rojava« zum Ausdruck. Und genau dafür wurde er u.a. verurteilt.
Doch so unerbittlich der staatliche Apparat gegen Kurd:innen vorgeht, so untätig verhält er sich gegenüber Faschist:innen, die auch aus ihrem Hass auf Jüd:innen keinen Hehl machen. Es ist an der Zeit, dass diese Politik korrigiert wird und die politisch Verantwortlichen mit den in Deutschland aktiven politischen kurdischen Strukturen in einen Dialog treten, statt sie zu kriminalisieren und sie von der übrigen Gesellschaft zu isolieren.
Kurd:innen fliehen aus Ihrer Heimat vor Krieg und Vertreibung. Sie fliehen, weil sie einer starken Assimilationspolitik ausgesetzt sind, ihre Sprache nicht sprechen dürfen, ihre traditionelle Kleidung nicht tragen dürfen. Sie kommen nach Deutschland mit der Hoffnung, hier akzeptiert und aufgenommen zu werden. Doch sie werden auch hierzulande mit einer Realität der Unterdrückung, Verfolgung und Ausgrenzung konfrontiert.
Aus Protest gegen diese Ungerechtigkeit trat Mazlum Dora am 22.9.2023 in einen unbefristeten Hungerstreik. Er protestierte gegen die Anwendung von Paragraf 129b StGB, die Repression gegen kurdische Institutionen und die schlechte Behandlung kurdischer politischer Gefangener. Dora forderte mit seiner Aktion die Aufhebung von mittelalterlichen Unterdrückungsmaßnahmen wie Fußfesseln, die angeblich aufgrund von Sicherheitsbedenken bei Transporten zum Gericht und zu anderen Institutionen angelegt werden. Er betonte die Forderungen von Dutzenden politischen Gefangenen, die wie er aufgrund ihres Denkens inhaftiert sind.
Den Hungerstreik hat Mazlum Dora mit der Unterstützung von Aktivist:innen und kurdischen Organisationen nach fast fünfzig Tagen am 9.11.2023 beendet, nachdem öffentlicher Druck aufgebaut worden war.
Doch ist die Unterdrückung damit nicht beendet und genauso wenig der Kampf dagegen. Mazlum wird sich weiterhin für seine Rechte und die Rechte aller politischen Gefangenen einsetzen.
1 Vollzugspersonal der JVA hatte interveniert, und Mazlum Dora konnte ärztlich behandelt werden. Die zusätzliche Haftstrafe wurde damit begründet, dass er das Leben umliegender Gefangener gefährdet und öffentliches Eigentum beschädigt habe. Seine Anwält:innen haben Widerspruch eingelegt.
Kurdistan Report 231 | Januar / Februar 2024