Hamburger Universitätsleitung kündigt Räumlichkeiten für kapitalismuskritische Konferenz

Verfassungsschutz sieht überall PKK am Werk

Elmar Millich


Am Osterwochenende sollte in den Räumlichkeiten der Hamburger Universität die Konferenz »Die kapitalistische Moderne herausfordern IV – Wir wollen unsere Welt zurück!« als internationales Symposium zur gegenwärtigen Krise des kapitalistischen Systems und möglichen Lösungswegen stattfinden. Veranstalter dieser Konferenz waren der AStA Hamburg und das Bündnis »Network for an Alternative Quest«. Eigentlich ein Standardvorgang, hatten doch bereits drei Vorläuferveranstaltungen von denselben Organisator:innen 2012, 2015 und 2017 in den Räumlichkeiten der Hamburger Universität problemlos stattgefunden.

Doch diesmal kam es anders: Etwa eine Woche vor Beginn der Konferenz kündigte der neue Universitätspräsident Prof. Dr. Hauke Heekeren dem mitorganisierenden AStA die Räumlichkeiten auf Zuruf des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz (VS). Nach dessen Einschätzung handele es sich bei der Konferenz um eine Werbeveranstaltung für die mit einem Betätigungsverbot belegte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Als Belege dafür mussten die bereits erwähnten vorausgegangenen drei Veranstaltungen herhalten. Aber natürlich nicht in einer wissenschaftlichen Gesamtschau, diese würde die intellektuellen Kapazitäten der Verfassungsschützer:innen sicherlich überschreiten, sondern indem singuläre Veranstaltungspunkte aufgegriffen wurden. Moniert wurde bei allen Veranstaltungen, dass Grußbotschaften des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan verlesen wurden und »Personen aus dem Umfeld der PKK bzw. der linken bis linksextremistischen Szene« aufgetreten waren. Zudem wurden die das »Network for an Alternative Quest« bildenden Gruppierungen, etwa die Internationale Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan«, das kurdische Frauenbüro für Frieden – Cenî oder das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit – Civaka Azad, als PKK-nahe Gruppierungen geoutet.

Da die Universitätsleitung den mitveranstaltenden AStA weder vor der Kündigung der Räumlichkeiten kontaktiert hatte noch danach zu Gesprächen bereit war, klagte dieser vor dem Verwaltungsgericht Hamburg auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Kündigung der Räumlichkeiten. Die Klage wurde im Rahmen einer Folgeabwägung abgelehnt, bei der mit ausschlaggebend war, dass die Veranstalter:innen bereits andere Räumlichkeiten, konkret das Bürgerhaus Wilhelmsburg, für ihre Veranstaltung gefunden hatten. Allerdings ließ das Gericht in seinem schriftlichen Urteil auch durchblicken, dass die Kündigung der Räume im abzuwartenden Hauptverfahren wahrscheinlich rechtmäßig sei, weil eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch werbende Inhalte für die PKK im Zuge der Veranstaltung zu erwarten seien. Dabei stützte sich das Gericht im Wesentlichen auf die Ausführungen des Hamburger Verfassungsschutzes. Eine Beschwerde des ­AStAs gegen diesen Beschluss vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg wurde ebenfalls im Hinblick auf die oben erwähnte Folgeabwägung abgelehnt.

Sabotage politisch missliebiger Veranstaltungen durch VS

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, es sei nun mal der Job des Verfassungsschutzes, vor aus seiner Sicht »ex­tremistischen« Veranstaltungen zu warnen, und sich mit seiner Kritik auf das Einknicken der Hamburger Universitätsleitung konzentrieren. Als Beispiel sei hier ein hervorragender Beitrag des Journalisten Ronen Steinke »Wo die Angst siegt« für das Feuilleton der »SZ« vom 6. April genannt. Aber dem VS und auch in anderen Fällen den Staatsschutzabteilungen der Polizei geht es nicht um »Warnungen«, sondern um aktive Sabotage politisch missliebiger Veranstaltungen, für deren Verbot keine juristische Handhabe vorliegt. Das zeigt schon der Zeitpunkt, eine Woche vor der Veranstaltung, zu dem der Hamburger VS die Universitätsleitung informierte. Die Konferenz war schon über Monate vorher angekündigt und natürlich lagen dem VS die Informationen vor. Mit der kurzfristigen Intervention sollte den Veranstalter:innenn gezielt die Möglichkeit genommen werden, zeitnah Ersatzräumlichkeiten anzumieten oder gegebenenfalls auch juristisch gegen die Raumkündigung vorzugehen. Nur durch den mit immensem Arbeitsaufwand verbundenen beherzten Einsatz der Organisator:innen und die breite Solidarität der Hamburger linken Öffentlichkeit konnte dieser Angriff abgewehrt werden und die Konferenz stattfinden, was sicherlich einen konkreten Erfolg darstellt. Aber dieses Vorgehen des VS hat System, vor allem, wenn es um die Öffentlichkeitsarbeit der kurdischen Befreiungsbewegung geht, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen.

Das Vorgehen des VS hat System

Am 20. Oktober 2018 veranstaltete der Rechtshilfefonds Azadî e.V. eine juristisch ausgeprägte Konferenz anlässlich des seit damals 25 Jahre bestehenden PKK-Verbots in Berlin. Angemietet für die Veranstaltung waren Räume im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linkspartei. Einen Tag vor der Veranstaltung wurden Vorstandsmitglieder von Azadî telefonisch von Mitarbeitern des Karl-Liebknecht-Hauses darüber informiert, dass die Veranstaltung nicht stattfinden könne. Als Grund wurden polizeiliche Auflagen genannt, die kurzfristig nicht eingehalten werden könnten. Nachfragen ergaben, dass am Vormittag vor der Veranstaltung VS und Staatsschutz der Polizei im Karl-Liebknechthaus aufgelaufen waren, um – zunächst erfolgreich – die dort anwesenden Mitarbeiter:innen durch Verbreitung von Halbwahrheiten über den »eigentlichen PKK-Charakter« der Veranstaltung einzuschüchtern. Durch schnelle Kontaktaufnahme mit Bundestagsabgeordneten der Linkspartei konnte dieser Sabotageversuch abgewehrt werden. Aber auch hier zeigt sich das Muster der Sicherheitsbehörden, möglichst kurzfristig zu intervenieren, um es im Erfolgsfall den Veranstalter:innen zu erschweren, alternative Möglichkeiten für die geplante Veranstaltung zu finden. Dabei setzen die Behörden gezielt auf die Wirkung ihrer »polizeilichen Autorität« gegenüber den Vermieter:innen von Räumlichkeiten, auch wenn für ihre Einflussnahme, geschweige ein Verbot der Veranstaltung, keine Rechtsgrundlage besteht. Die Beispiele ließen sich zahllos fortsetzen und betreffen nicht nur die kurdische Befreiungsbewegung in Deutschland, sondern auch andere emanzipatorische Veranstaltungen, die etwa von Antifa-Strukturen vorbereitet werden. Neben den Vermieter:innen von Veranstaltungsräumlichkeiten erleben auch häufig Busunternehmen diese staatliche Praxis, wenn ihre Fahrzeuge zur Anfahrt zu aus Staatssicht unliebsamen Demonstrationen angemietet werden.

Wie sich schützen?

Problematisch ist, dass dieses Vorgehen der Behörden in Deutschland von großen Teilen der Bevölkerung als normal angesehen wird und nicht als das, was es ist: eine Zersetzungstaktik gegen zivilgesellschaftliche Opposition. Die Frage ist, wie können wir uns davor schützen? Im Allgemeinen natürlich durch Öffentlichkeit und Solidarität. Das ist den Veranstalter:innen der Hamburger Konferenz vorbildlich gelungen. Einen kurzfristig initiierten Protestaufruf gegen die Kündigung der Räumlichkeiten unterzeichneten Hunderte Personen zumeist aus dem akademischen Spektrum unter Verweis auf die universitäre Freiheit von Forschung und Lehre. Auch Leitmedien wie der oben erwähnte Beitrag in der »SZ« nahmen das Thema auf und ließen die Universitätsleitung in keinem guten Licht erscheinen. Die lokale Solidarität bei der Bereitstellung alternativer Räume für die während der Konferenz geplanten Workshops tat ihr Übriges, um den Angriff des VS zu verhindern. Aber auch im Vorfeld lässt sich einiges tun, indem man mit solchen kurzfristigen Interventionen rechnet. Ob man die vermietende Organisation der Räumlichkeiten auf die Möglichkeit hinweist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Es besteht natürlich hier die Gefahr, »schlafende Hunde« zu wecken. Aber auf jeden Fall sollte man engen Kontakt zu den Vermietern suchen, über den Inhalt der Veranstaltung transparent informieren und auch kurzfristige Erreichbarkeit sicherstellen. In kritischen Fällen kann es auch sinnvoll sein, sich im Voraus informell alternative Räumlichkeiten zu sichern.

Im Falle kurdischer Veranstaltungen liegt das eigentliche Problem natürlich tiefer in der seit etwa vierzig Jahren fixierten Staatsdoktrin einer angeblich terroristischen PKK. Ob kurdische Vereine und Institutionen in Deutschland sinnvolle Arbeit leisten oder welche politischen Ideen vertreten werden, ist belanglos, sobald ihnen vom VS der Stempel PKK-nah aufgedrückt wird. Das zeigt sich deutlich am Beispiel der aktuellen Hamburger Konferenz. Weder seitens der Universitätsleitung noch bei der oben erwähnten Gerichtsentscheidung des VG Hamburg wurde auf die pluralen Inhalte der Gesamtkonferenz eingegangen. Die gesamte Themenbreite der Vorträge, vergleichbar mit den Inhalten der in den letzten Jahren stattgefundenen Weltsozialforen, findet in dem Urteil überhaupt keinen Eingang. Ein verlesenes Grußwort von Öcalan zu Konferenzbeginn reicht, um der gesamten Konferenz das Stigma »PKK-Veranstaltung« zu verleihen. Das Gericht räumt zwar großzügig ein, es sei »selbstverständlich möglich und von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt, die Theorien von Öcalan im Rahmen einer wissenschaftlichen Diskussion zu analysieren«. Allerdings sei »dem wissenschaftlichen Diskurs in Abgrenzung von der bloßen Verbreitung politischer Linien eine kritische Auseinandersetzung immanent«. Eine inhaltliche Bewertung, ob politische Konferenzen das Prädikat »wissenschaftlich« verdienen, kann aber nicht die Aufgabe von Gerichten sein und muss daher als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zurückgewiesen werden.

Im November dieses Jahres besteht das Verbot der PKK in Deutschland seit 30 Jahren. Daran wird sich wahrscheinlich so schnell nichts ändern und es ist mit weiteren staatlichen Repressionen zu rechnen. Aber der zivilgesellschaftliche Blick auf die kurdische Befreiungsbewegung entfernt sich immer weiter von der staatlichen juristischen Sichtweise. Dafür war die erfolgreiche Konferenz in Hamburg ein Zeichen und sollte uns Mut machen.


 Kurdistan Report 227 | Mai/Juni 2023