Die Mär vom Typ-S-Gefängnis

Über die Entmenschlichung durch die Typ-F-Gefängnisse

Fabian Priermeier


Seit Jahrzehnten herrscht in der Türkei eine nach innen gerichtete Repressionspolitik vor, mit der die Regierung versucht, jegliche Form von Opposition im Land zu unterdrücken. Viele parlamentarische Parteien wurden verboten, unzählige Vereine geschlossen und politisch Andersdenkende werden verfolgt. Aktuell befinden sich zehntausende Politiker:innen und Journalist:innen in Gefängnissen im ganzen Land, unter den bekanntesten von ihnen sind beispielsweise Selahattin Demirtaş, ehemaliger Co-Vorsitzender der »Demokratischen Partei der Völker« (HDP) und Abdullah Öcalan, Vorsitzender der »Arbeiterpartei Kurdistans« (PKK). Der türkische Staat hat über die letzten Jahrzehnte hinweg ein Gefängnissystem geschaffen, welches mithilfe von Folter und Isolation die politischen Inhaftierten brechen soll. Die intensivste Form dieser Politik findet ihren Ausdruck in den sogenannten Typ-F-Gefängnissen. In diesem Text wollen wir ein Auge auf die Geschichte und den Aufbau dieser Art von Gefängnis werfen und dabei auch das neue Typ-S-Gefängnis vorstellen.

Über die Entstehung und den Aufbau von Typ-F-Gefängnissen

In der Türkei gibt es etliche verschiedene Formen von Gefängnissen (A, A1, A2, A3, B, C, D, E, F, H, K1, K2, L, L1, M, S, T), wobei wir uns auf den Typ-F und den neuen Typ-S fokussieren wollen. Das Typ-F-Gefängnis wurde in erster Linie zur Unterbringung von Angehörigen politischer Organisationen erbaut. Seitdem im Jahre 2002 die Todesstrafe in der Türkei abgeschafft wurde und durch die lebenslange Freiheitsstrafe ersetzt wurde, welche im Gegensatz zu hier in Deutschland eine tatsächliche Inhaftierung bis zum Tode bedeutet, sind hierfür zumeist die Typ-F-Gefängnisse vorgesehen.

Bereits seit den 60er und 70er Jahren ließ sich die türkische Justiz zunehmend von Methoden aus dem Westen beeinflussen. Während zu dieser Zeit in der Türkei Inhaftierung für politische Gefangene automatisch auch physische Folter bedeutete, wurde im Westen längst auf andere Methoden gesetzt. Nämlich auf psychische Folter in Form von Isolation – in ­Extremfällen durch den »toten Trakt«, der insbesondere gegen die Gefangenen aus der »Rote Armee Fraktion« (RAF) hier in Deutschland Anwendung fand – die keine äußerlich erkennbaren Spuren hinterließ. Seitdem hat sich vieles in der Türkei gewandelt und das Typ-F-Gefängnis (als dessen Vorbild das US-amerikanische »Supermax«-Gefängnis und die europäischen »Hochsicherheitsgefängnisse« dienten) stellt eine Verschmelzung beider Methoden dar. Gefangene berichten immer wieder von vielen abscheulichen Foltermethoden, insbesondere davon, dass sie geschlagen werden, dass ihnen Strom durch den Körper gejagt wird und hauptsächlich in den letzten Jahren verstärkt über die Wirkung der Isolationshaft.

Alle Typ-F-Gefängnisse, von denen aktuell nach offiziellen Angaben 13 bestehen, sind nach einem einheitlich festgelegten Bauplan errichtet worden. Dabei umfasst das geschlossene Gelände 30 000 m². Das Gefängnis selbst ist für 368 Inhaftierte ausgelegt, die in 59 Einzelhafträumen und 103 Gemeinschaftshafträumen (mit bis zu max. 3 Personen) untergebracht werden. Bereits das stellt einen starken Kontrast zu anderen »normalen« Gefängnissen in der Türkei dar. Denn normalerweise sind die dortigen Gefängnisse wie Kasernen konstruiert und die Hafträume umfassen dort zwischen 20 und 100 Personen, was den sozialen Austausch der Gefangenen gewährleistet. Die Einzelhafträume sind in etwa 8,5 m² groß, wohingegen die Gemeinschaftshafträume, je nach Angaben, bei 30 – 40 m² liegen. Für den Hofgang steht jeweils eine Fläche von bis zu 50 m² zur Verfügung.

Eskişehir – Über die Geschichte der Typ-F-Gefängnisse

Das erste Typ-F-Gefängnis entstand über eine lange Geschichte des Widerstandes hinweg in der Stadt Eskişehir im Westen der Türkei. Das dortige Gefängnis, in dem zu großen Teilen politische Gefangene inhaftiert waren, die noch im Zuge des Putsches 1980 in der Türkei inhaftiert worden waren, wurde im August 1989 geräumt, nachdem dort mehrere Fluchttunnel entdeckt worden waren. Das Justizministerium entschied, den sowieso notwendig gewordenen Umbau zu nutzen und einen ersten »Sondertyp« Gefängnis zu schaffen. Dieser Vorgänger des Typ-F-Gefängnisses wurde im Februar 1991 eröffnet und hatte zum ersten Mal zusätzliche Einzelhafträume. Kurz danach, am 12. April 1991, verabschiedete die Regierung trotz heftigen Widerstandes, das »Antiterrorgesetz« (ATG). Dies schrieb unter anderem nun vor, dass Personen die auf Grund des ATG‘s verurteilt wurden, in diesen speziellen Vollzugsanstalten ihre Strafe absitzen und in diesem »Zellensystem« – bestehend aus Einzel- und Gemeinschaftshafträumen für bis zu maximal drei Personen – untergebracht werden müssen. Mit dem verabschiedeten Gesetz kam zum ersten Mal auch der Begriff »Typ-F« auf.

In den folgenden Monaten bis zum November desselben Jahres, wurden insgesamt 206 politische Gefangene nach Eskişehir gebracht. Doch die Inhaftierten protestierten gegen die Haftbedingungen und insbesondere gegen die ungewohnten Einzelzellen, die sie als »Sargräume und enge Folterzellen« bezeichneten. Auch andere Berichte über Folter und Misshandlungen in dem Gefängnis wurden zusammengetragen, sodass es letztlich dem »Menschenrechtsverein« (İHD), der »Menschenrechtsstiftung der Türkei (TİHV) und dem »Türkischen Ärztebund« (TTB) gelang, gegen dieses Gefängnis vorzugehen. Das Justizministerium konnte sich nicht gegen die Vorwürfe wehren und war schließlich gezwungen, das Gefängnis in Eskişehir am 24. November 1991 wieder zu schließen. Doch der Erfolg hielt nicht lange an, denn im Oktober 1995 wurde das Gefängnis wieder eröffnet, mit dem Versuch, dies bis zu einem gewissen Punkt vor der Gesellschaft zu verheimlichen. Durch erneuten Widerstand gegen das Gefängnis im folgenden Jahr wurde erreicht, dass die Pläne wiederum aufgegeben werden mussten. Denn im Jahre 1996 versuchte die Regierung, alle nach dem ATG Verurteilte aus Istanbul nach Eskişehir zu verlegen. Daraufhin traten dutzende Gefangene in ein Todesfasten, eine extreme Form des Hungerstreiks, bei dem die Beteiligten nur noch Wasser, Zucker und Salz zu sich nehmen. Dabei verloren zwölf von ihnen ihr Leben.

Im Jahr der Jahrtausendwende 2000 verschärfte sich die Diskussion um die Typ-F-Gefängnisse erneut. Der damalige Justizminister Hikmet Türk wollte den Übergang zum Zellensystem schaffen und ließ mehrere Typ-F-Gefängnisse errichten, bzw. alte Gefängnisse umbauen. Als Reaktion auf diese Entwicklung entschieden sich die politischen Gefangenen erneut dazu, in Form eines Hungerstreiks Widerstand zu leisten, welchen sie am 20. Oktober starteten. Während sich anfangs hunderte Inhaftierte aus etlichen Gefängnissen daran beteiligten, wuchs die Zahl zeitweise auf 1150 Beteiligte aus 48 Gefängnissen der Türkei an. Nach knapp einem Monat wurde der Hungerstreik in Todesfasten umgewandelt.

Die türkische Regierung, die Angst vor einem erneuten Rückschlag hatte, griff auf Repression zurück und startete eine Operation in den Gefängnissen, die den zynischen Namen »Operation Rückkehr ins Leben« trug. In der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember stürmten 8500 schwerbewaffnete Soldaten und Beamte der Militärpolizei, darunter auch Spezial­bataillone und Eliteeinheiten der Geheimdienste, 20 türkische Gefängnisse. Während dieses militärischen Großangriffs mit Präzisionsgewehren, Nachtsichtgeräten, Flammenwerfern, Panzern, Hubschraubern, Nervengas-, Rauch- und Gasbomben, Bulldozern, Baggern, Vorschlaghämmern, Schweiß- und Bohrmaschinen wurden etwa 20 000 Tränengas-, Nervengas-, Pfefferspray- und Rauchbomben in die Gefängnisse geworfen. Mindestens 30 Gefangene und zwei Soldaten wurden getötet, mehrere hundert zum Teil schwer verletzt. Des Weiteren gelten bis heute 34 Gefangene als offiziell »verschwunden«.

Nach der Erstürmung wurde der Großteil der Gefangenen in Typ-F-Gefängnisse verlegt, wo sie ihren Hungerstreik über sieben Jahre fortsetzten. Etwa 300 Gefangene wurden zwangsweise in Krankenhäuser eingeliefert, verweigerten jedoch die Aufnahme von Nahrung und die medizinische Behandlung. Sie erreichten jedoch nur noch geringfügige Verbesserungen, wie etwa das Recht auf einen kollektiven Hofgang von zehn Stunden pro Woche. Dieses Recht wird aber bis heute immer wieder ausgesetzt.

Wie aus Typ-F plötzlich Typ-S wurde und über die aktuelle Lage in den Gefängnissen

Bis heute wurde die Zahl der Typ-F-Gefängnisse auf 13 erhöht. Sie sind chronisch überfüllt, jedoch wurden weder die Probleme beseitigt, noch ist der Widerstand in den über 20 Jahren erstickt worden. Deswegen entschied sich die türkische Regierung einen neuen Gefängnis-Typ zu schaffen, den sogenannten Typ-S. Die ersten Gefängnisse dieser Art wurden 2021 fertiggestellt und ab 2022 werden fünf von ihnen in den Städten Antalya, Manavgat, Bodrum, Iğdır und Samsun in Betrieb genommen. Berivan Korkut, Koordinatorin in der »Zivilgesellschaftliche Vereinigung im Strafvollzug« (CİSST), gab beispielsweise gegenüber der Medya News ihre Einschätzungen zu den Typ-S-Gefängnissen und den Vorgängen in ihnen ab. Sie betonte dabei, dass die »Einzel- und Dreierzellen […] die gemeinsamen Merkmale der beiden Gefängnisse [sind]. Es gibt jedoch Unterschiede bei den Kapazitäten der beiden Gefängnistypen. Die Kapazität der Typ-F-Gefängnisse liegt bei 368 Gefangenen, die der Typ-S-Gefängnisse dagegen bei 552. In dieser Hinsicht können wir sagen, dass es sich bei den Gefängnissen des Typs S im Grunde um renovierte Gefängnisse des Typs F mit einer höheren Kapazität handelt.«

Es lässt sich also festhalten, dass die türkische Regierung mit dieser Politik zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Zum einen will man den Widerstand gegen das Typ-F-Gefängnis ins Leere laufen lassen, indem man die Menschen durch eine Umbenennung täuscht und zum anderen wird der Umstand zugleich genutzt, um die Kapazitäten der Gefängnisse zu erhöhen. Es sind laut Korkut auch bereits erste Gerüchte darüber im Umlauf, dass es Pläne für zwei weitere Typ-S-Gefängnisse gibt. Sie betonte, dass die Vereinigung CİSST ganz klar erkennen kann, dass durch diesen Schachzug die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema immens verhindert wird. Während die Typ-F-Gefängnisse erhebliche Reaktionen in der breiten Gesellschaft auslösten, herrscht bisher noch ein großes Schweigen gegenüber den neuen Komplexen.

Korkut erklärte, dass das Justizministerium auf Anfragen der CİSST zu den Unterschieden zwischen F- und S-Typ-Gefängnissen geantwortet habe: »Diese Informationen betreffen die Vertraulichkeit der Einrichtungen, wir können sie nicht herausgeben.« Korkut wies darauf hin, dass es nicht genügend Informationen über diese Gefängnisse gebe, und betonte, dass sie hauptsächlich als neue Isolationsgefängnisse für politische Gefangene dienten. Trotz der Schwierigkeit detaillierte Informationen zu erhalten und obwohl gerade erst begonnen wurde, Gefangene in diese Gefängnisse zu verlegen, gibt es bereits erste Berichte von den Gefangenen selbst über Rechtsverletzungen wie Leibesvisitationen.

Des Weiteren sind seit Jahresbeginn mindestens elf Insassen unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen. Zuletzt der zwanzigjährige Can Güder, ein gesunder junger Mann, inhaftiert in dem Typ-F-Gefängnis in Wan, der durch einen Herzinfarkt verstorben sein soll. Auch in dem neuen Typ-S-Gefängnis in Reşgelas (tür.: Iğdır) kam es bereits innerhalb kürzester Zeit zu zwei Toten, Sezer Alan und Sinan Kaya, mit überaus verdächtigen Todesumständen ist. Seit acht Monaten saß der 28-Jährige eine Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren wegen des Vorwurfs der »Terrorpropaganda« ab. Er soll in seiner Einzelzelle Suizid begangen haben, doch seine Angehörigen bezweifeln dies. Kurz vor seinem Haftantritt soll Sinan Kaya noch eine Lungentransplantation erhalten haben, äußerten die Eltern. Dass er suizidal gewesen sein könnte, wollen weder sie noch andere glauben, die Kaya in Xoşxeber kannten. Das endgültige Obduktionsergebnis im Fall Sinan Kaya stehe weiterhin aus, in einem vorläufigen Bericht würden keine Angaben zur Todesursache gemacht.

Zur Situation kranker Gefangener erklärte Berivan Korkut, dass es im offiziellen Institut für Gerichtsmedizin (ATK) strukturelle Probleme gebe. Sie sagte: »Viele Nichtregierungsorganisationen weisen seit Jahren darauf hin, dass das ATK strukturell keine unabhängige Einrichtung ist. Viele Gesundheitsorganisationen haben geäußert, dass das ATK politisch motivierte Entscheidungen trifft. Darüber hinaus haben Gefangene, die das ATK besucht haben, einen überwiegend negativen Eindruck von der Haltung, die sie dort antreffen.«

Korkut erklärte, dass anstelle des ATK unabhängige Universitätskliniken und Entscheidungsmechanismen mit großen unparteiischen Gremien eingerichtet werden sollten, und wies darauf hin, dass die Probleme kranker Gefangener weiter zunehmen werden, wenn das strukturelle Problem nicht gelöst wird. Sie sagte: »Auch wenn die Verwaltung gute Absichten in Bezug auf kranke Gefangene hat, wissen wir, dass es viele kranke Gefangene gibt, die während des bürokratischen Prozesses vor der Verlegung ins Krankenhaus ihr Leben verloren haben. Wir sind der Meinung, dass es eine grundlegende Notwendigkeit ist, Mechanismen zu schaffen, die der Gesundheit der Patienten so schnell wie möglich Vorrang einräumen.«

Korkut betonte, dass die CİSST versuche, die Zahlen über kranke Gefangene, die ihr Leben verloren haben, in Erfahrung zu bringen: »Es gibt auch eine sehr große Zahl kranker Gefangener, über die in der Presse nicht berichtet wird. Es ist sehr schwierig für sie, gemeinnützige Organisationen zu erreichen und für ihre Familien, ihre Fälle bekannt zu machen. Die Zahlen, die uns vorliegen, sind sehr begrenzt«, sagte sie. Sie wies darauf hin, dass sie sich wiederholt an die staatlichen Stellen gewandt habe, um Informationen in dieser Angelegenheit zu erhalten, dass ihr diese Zahlen jedoch nicht zur Verfügung gestellt worden seien.

Auch internationale Organisationen haben sich mehrfach zu den Haftbedingungen in den Gefängnissen geäußert. Amnesty International hat bereits mehrfach über die »harten und willkürlichen Disziplinarstrafen« und die »Isolation von Häftlingen in Typ-F-Gefängnissen« berichtet. Auch das »Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe« (CPT) berichtete, dass die Anwendung isolationsähnlicher Haft sehr schädliche Auswirkungen für die betroffene Person haben und zu unmenschlicher und entwürdigender Behandlung führen könne.

Seit Jahrzehnten gibt es regelmäßige Berichte über die unmenschliche Situation in türkischen Gefängnissen und auch über die Folter in der Haft. Trotzdem schweigt die internationale Staatengemeinschaft weiterhin dazu und lässt keine Konsequenzen auf die Berichte folgen. Im Gegenteil haben Länder, wie insbesondere Deutschland, nun erneut begonnen, eine große Anzahl geflüchteter Menschen aus der Diaspora in die Türkei abzuschieben, ungeachtet der dortigen Situation.


 Kurdistan Report 221 | Mai/Jubi 2022