»Xwebûn«

Eine Zeitung im Kampf um Sprache

Interview des Kurdistan Reports mit der Redaktion der kurdischen Wochenzeitung »Xwebûn«

Nachdem die kurdische Kultur jahrhundertelang unterdrückt und verfolgt worden war, gab es in den letzten Jahrzehnten unzählige Versuche, dagegen Widerstand zu leisten. Hunderte Zeitungen, Radiosender, später auch Fernsehsender u. v. m. wurden aufgebaut. Dazu gehört als erfolgreiches und wichtiges Element die kurdische Wochenzeitung »Xwebûn«. Der Kurdistan Report sprach mit der Redaktion der wöchentlich erscheinenden Zeitung »Xewbûn«.

»Xwebûn« – Eine Zeitung im Kampf um SpracheWann erschien die erste Ausgabe ? Womit befasste sie sich? Warum wurde sie herausgegeben?

Die erste Ausgabe erschien damals am 23. Dezember 2019. In großen roten Lettern leuchtet dem/der Leser:in das Wort »xwebûn« entgegen, was so viel wie »Selbstsein« bedeutet. Der damalige Leitartikel lautete: »Hekê zimanê te erzan be ...« (»Wenn deine Sprache nicht gebilligt wird ...«), verfasst vom kurdischen Schriftsteller Rênas Jiyan. Jiyan ging darin in breitem Umfang auf die Wichtigkeit und die Bedeutung ein, die Sprache für eine Gesellschaft hat. Das fasste damals auf den Punkt zusammen, was wir mit unserer überregionalen Zeitung zum Ausdruck bringen wollten. Und zwar eine Zeitschrift, die sich mit der kulturellen Identität der kurdischen Gesellschaft befassen sollte, und dies unabhängig davon, wie sehr die kurdische Kultur kriminalisiert bzw. zensiert wurde, und unabhängig davon, auf wie viele Teile der Welt die kurdische Gesellschaft zerstreut war.

Jiyan ging damals außer auf das zentrale Thema Sprache auch auf »Şeva Yeldayê« ein. Dies ist neben Newroz eines der wichtigsten Feste, das sowohl in Kurdistan als auch in einigen weiteren Regionen der Welt gefeiert wird. Dabei geht es um die »Wiedergeburt« der Sonne und das kommende Licht der längeren Tage wird dabei begrüßt. In Europa ist dieser Tag, am 21. oder 22. Dezember, als Wintersonnenwende bekannt. Jiyan brachte somit den Aspekt der Sprache und »Şeva Yeldayê« zusammen, um die Wichtigkeit der Zusammenhänge aufzuzeigen. Genau das ist es, was wir bis heute mit unserer Zeitung ausdrücken wollen.

Wenn wir uns einerseits die Repression gegen die kurdische Sprache vor Augen führen und andererseits die errichteten Medienmonopole in anderen Sprachen wie Türkisch, Arabisch, Persisch etc. betrachten, dann können wir uns denken, dass ihr mit großen Schwierigkeiten konfrontiert seid.

Das größte Problem für uns im Allgemeinen ist der Umgang mit der kurdischen Kultur und im Besonderen mit der kurdischen Sprache. Unsere Sprache ist jahrtausendealt, schwer lässt sich überhaupt ermitteln, wie sie damals entstand und wie sie sich mit der Zeit entwickelte. Ständig gab es Versuche, sie zu unterdrücken, die Menschen, die sie sprachen, zu assimilieren, und wir sehen viele gezielte Versuche, die kurdische Sprache auszulöschen. Das ist die härteste Repression, die uns bis heute, Jahrtausende später, noch trifft, insbesondere, da diese Politik von Staaten wie der Türkei, Syrien und dem Iran weitergeführt wird.

Unsere Zeitschrift wurde also von Beginn an gegen diese Repression gegründet und gegen das Monopol anderer Sprachen im Nahen Osten. Das heißt nicht, dass wir nun wiederum andere Sprachen zurückdrängen wollten, sondern dass wir unser Selbstsein, das wir ja auch im Namen tragen, leben wollten. Um dies umsetzen zu können, nutzen wir als zentrale Methode unserer Arbeit den philosophischen Grundsatz, dass Selbsterkenntnis die Grundlage allen Wissens ist. Wenn wir uns also heute mit Sprachverboten konfrontiert sehen und unsere kurdische Identität als Waffe gegen uns eingesetzt wird, dann müssen wir anfangen, uns mit unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart auseinanderzusetzen – und dies anhand unserer eigentlichen Identität in Sprache, Kultur und Geografie, um uns eine Zukunft schaffen zu können.

Doch unabhängig von dieser allgemeinen Unterdrückung der kurdischen Identität sind wir als Zeitschrift besonders von Repression betroffen. Um das zu erklären, muss ich zunächst kurz etwas in die Geschichte einsteigen. Bevor sich nämlich Ende 2019 einige kurdische Journalist:innen, die sich aufgrund des immer größer werdenden Drucks sammelten, um ein eigenes Medium, also »Xwebûn«, zu schaffen, hatte es nämlich bereits einige ähnliche Zeitungen gegeben. »Welat«, »Welatê Me«, »Azadiya Welat«, »Rojeva Medya«, »Rojev« und etliche andere, sind nur einige wenige, die in den letzten Jahrzehnten allein in Nordkurdistan und der Türkei gegründet worden waren. Müsste ich jetzt alle Namen der verbotenen Zeitungen aufzählen und von Journalist:innen, die aufgrund ihrer Tätigkeit verhaftet wurden, dann würden wir vermutlich bis morgen Abend noch hier sitzen. Erst kürzlich wurden wieder Journalist:innen der Zeitung »Azadiya Welat« festgenommen. So war damals auch ein Vakuum kurdischsprachiger Medien entstanden, das wir füllen wollten.

Aufgrund des Drucks auf alle kurdischen Medien und die Opposition im Allgemeinen halten sich viele, die kurdischen Journalismus betreiben wollen, von dem Namen »Xwebûn« fern. Sie haben Angst, ebenfalls von Repression getroffen zu werden. Aktuell werden oft ganze Nachrichtenbeiträge, die wir in den sozialen Medien teilen, wegen einzelner Bilder entfernt und Kanäle blockiert. Dadurch, dass Kurd:innen keinen muttersprachlichen Unterricht bekommen, haben sie logischerweise Schwächen beim Lesen und Schreiben, was uns auch zukünftig weiter schaden wird. Wir können also keine breite Masse erreichen. Aus dem gleichen Grund wenden sich viele junge Leute, die Journalist:in werden wollen, an andere Medieninstitutionen, die auf Türkisch, Arabisch oder eben Persisch berichten. Der Zulauf zu Zeitungen wie »Xwebûn« und anderen kurdischen Blättern ist jedoch sehr gering. Daraus ergibt sich auch die Situation, dass wir unsere Berichterstattung nur bedingt in allen vier Teile Kurdistans verbreiten können.

Auf eurer Internetseite finden sich verschiedenste Themen, wobei sich das meiste ausschließlich auf die kurdische Gesellschaft bezieht. Welche Themen versucht ihr speziell anzusprechen?

Als selbstständige Zeitung haben wir uns mit der »Xwebûn« ohne Zweifel einen breiten Handlungsspielraum geschaffen. Wie bereits erwähnt steht bei uns vor allem die Auseinandersetzung mit der kurdischen Sprache im Fokus, aber auch mit der kurdischen Kultur im Allgemeinen, um der oft so allgegenwärtig scheinenden Assimilationspolitik entgegenzuwirken.

Doch ist dies nicht das Einzige, mit dem wir uns befassen. Wir wollen Themen aus der breiten Gesellschaft behandeln, sodass sich alle Kurd:innen in unserer Zeitung wiederfinden können. Das bedeutet, dass es in vielen unserer Texte oft auch indirekt um die Frage der nationalen Einheit geht. Sie wird auf die Agenda gesetzt und Lösungsvorschläge werden angeschnitten, vor allem wird jedoch dazu angeregt, dass unsere Leser:innen selbst darüber diskutieren. Auch zu anderen sozialen Fragen, wie zum Beispiel denen der Frau oder der Jugend, wird in fast jeder Ausgabe etwas formuliert.

Die »Xwebûn« enthält sowohl im Internet als auch in ihrer Print-Ausgabe Rubriken wie »kurdische Sprache«, »kurdische Geschichte«, »Auf den Spuren der Wörter«, welche Reaktionen gibt es darauf?

Mit dem Veröffentlichen der Zeitung geht es uns um mehr als nur Kultur, Sprache, Frauen und Politik. Wir wollen einerseits über aktuelle Geschehnisse rund um Kurdistan berichten und Wissen vermitteln, aber gleichzeitig wollen wir auch bilden. Das verstehen wir als essentiellen Teil journalistischer Arbeit.

Gleichzeitig sind uns auch weitere Themen wie die Formulierung der Forderungen und Bedürfnisse des kurdischen Volkes sehr wichtig. Genauso wie die Bekanntmachung und Aufdeckung von Angriffen auf die kurdische Identität und Politik. Dabei sehen wir, dass in Kurdistan eher Interesse an nationalen Fragen besteht, wohingegen in der Türkei bevorzugt über universelle Menschenrechtsfragen gelesen wird.

Um dem gerecht zu werden, erscheint »Xwebûn« seit ihrer Gründung als Print- wie als Online-Version. Doch ist in den letzten Monaten insbesondere die Online-Version in den Vordergrund unserer Aktivitäten gerückt und deswegen auch extra ein Videoservice eingerichtet worden, der von unseren Leser:innen aktiv verfolgt wird.

Weil ihr im Internet publiziert, lasst uns mal über die Welt des Internets sprechen. Wir leben in einer Zeit, in der Begriffe wie virtuelle Welt oder soziale Medien quasi zum Mittelpunkt unseres Lebens gemacht worden sind. Wie geht ihr damit um? Könnt ihr davon profitieren?

Das Journal von »Xwebûn« hat in den letzten Monaten mit der Veröffentlichung so genannter »visuals« begonnen. Das heißt, auch wenn wir von Anfang an im Internet vertreten sind, haben wir uns vor allem seit letztem Jahr darauf fokussiert. Im visuellen Bereich werden wöchentliche Abschnitte zur Geschichte Kurdistans, zu kurdischer Grammatik, historischen Wortspuren, Wirtschaft, Frauen und Kultur veröffentlicht. Mit der Aufnahme dieses visuellen Bereichs in die Website hat das positive Feedback stark zugenommen. Auch die Sichtungs- und Verfolgungsrate ist spürbar gestiegen. Der digitale Mediensektor ist wie andere Sektoren bestrebt, den Grundsatz der Neutralität und Objektivität zu beachten. Sie erforschen und kommentieren ihre digitalen Veröffentlichungen nicht. Informationen basieren aber nun einmal auf Forschung und Untersuchung. Aufgrund des Mangels an Reporter:innen publizieren immer mehr Agenturen unter Berufung auf Quellen kurdischer Berichterstatter:innen.

Wir als Kurdistan Report sind eine zweimonatlich erscheinende Zeitschrift, die im deutschsprachigen Raum zu Hintergründen aktueller Geschehnisse veröffentlicht. Einige unserer Abonnent:innen stammen ebenfalls aus Kurdistan und fragen uns nach Möglichkeiten, sich über die Situation in Kurdistan auf Kurdisch zu informieren. Schafft ihr es, die kurdische Bevölkerung in Europa zu erreichen? Bekommt ihr dazu Reaktionen?

Da unsere Veröffentlichungen im Internet frei verfügbar sind, können die Berichte problemlos die ganze Welt erreichen. Deshalb können auch Kurd:innen in Europa auf unsere Website zugreifen und die Zeitung abonnieren. Zurzeit ist die Zahl der Abonnent:innen aus europäischen Ländern aber noch gering. Das hat mehrere Gründe, an denen wir bereits zu arbeiten versuchen. Zum einen liegt es daran, dass es in Ländern mit unzähligen professionalisierten Medien schwierig ist, etwas Besonderes zu bieten. Einfach nur auf Kurdisch zu veröffentlichen reicht nicht mehr aus, gerade weil sich viele Kurd:innen, die in Europa leben, immer weiter von ihrer Muttersprache entfernen und assimilieren. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass wir »Xwebûn« im europäischen Raum noch zu wenig bewerben. Während wir hier in Kurdistan und in der Türkei allmählich einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, allein schon aufgrund unserer Repressionsgeschichte, kennen die wenigsten Kurd:innen in Europa unsere Zeitung. Das wollen wir jedoch künftig besser angehen, indem wir Stück für Stück unsere Inhalte auch auf die in der Diaspora lebenden Kurd:innen ausrichten.

Xebûn ist unter https://xwebun1.org/ im Internet zu finden.


 Kurdistan Report 220| März/April 2022