Şengal: Quelle der Inspiration für alle anderen Teile des Irak

»Die irakischen Wahlen hatten keine Auswirkungen auf unsere Arbeit«

Firaz Amargî, Journalist


»Ich bringe euch ins Weiße Haus«, sagt unser Fahrer mit einem Lächeln auf dem Gesicht, bereits in Erwartung unserer überraschten Reaktion. Nur wenige Tage zuvor hatten wir uns mit Rîham Hesen, der Ko-Vorsitzenden der Koordination des MXDŞ (Meclîsa Xweseriya Demokratîk a Şengalê, Demokratischer Autonomierat Şengal), in Verbindung gesetzt und sie um ein Interview über die Situation in Şengal nach den irakischen Wahlen und die unklare Zukunft der Region gebeten. Als sie zustimmte, verließen wir die geschäftige südkurdische Stadt Silêmanî, die seit Tagen von großen Studierendenprotesten erschüttert wurde, fuhren durch die sogenannten »umstrittenen Gebiete«1, die sich von Kerkûk im Osten bis in den Westen des Irak erstrecken, und passierten Dutzende von Sicherheitskontrollpunkten, die von verschiedenen konkurrierenden Gruppierungen besetzt waren. Nach einer zehnstündigen Fahrt fühlte sich unsere Ankunft in Şengal wie der Eintritt in eine andere Welt an. Die Tränengaswolken aus Silêmanî und die grimmig dreinblickenden Soldaten und Milizionäre an den irakischen Kontrollpunkten waren plötzlich weit weg. Hier standen wir nun und blickten ehrfürchtig auf das langgestreckte Şengal-Gebirge, während wir durch kleine Dörfer fuhren, deren viele unbewohnte Häuser ein intensives Gefühl der Einsamkeit, aber auch der Ruhe vermittelten.

In Şengal sieht das Weiße Haus anders aus. Ein alter Mann in traditioneller weißer arabischer Kleidung sitzt unter dem einzigen Baum in dem kleinen, gepflegten Garten. Er begrüßt uns und erklärt: »Das ist unser Weißes Haus, unsere ›Koçka Spî‹. Hier, im Zentrum der Stadt Şengal, hat sich unser Volk Tag und Nacht getroffen und organisiert, um unsere Selbstverwaltung gegen das ›Abkommen vom 9. Oktober‹ zu verteidigen.« Während wir ihm in das Zentrum des MXDŞ folgen – ein zweistöckiges, strahlend weißes Gebäude, das früher einem Unterstützer des Islamischen Staats (IS) gehörte –, kommen wir nicht umhin, sein leichtes Hinken und die Prothese zu bemerken, die seinen rechten Fuß ersetzt. »Eine Minenexplosion, als ich in Rojava gegen den IS gekämpft habe«, erzählt er uns, während wir einen Tee trinken und auf Rîham Hesen warten. Das Weiße Haus, der 9. Oktober, der IS ... Die Fragen häufen sich in unseren Köpfen und wir sind erleichtert, als unsere Interviewpartnerin eintrifft und wir endlich Antworten finden können.

Die Zukunft von Şengal im krisengeschüttelten Irak

Seit der Bestätigung des britisch-irakischen binationalen Mustafa al-Kadhimi als irakischer Premierminister im Jahr 2020 unterstützten die USA die Bemühungen der Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI), ein Abkommen bezüglich Şengal zu vermitteln. Das so genannte »Şengal-Abkommen« wurde schließlich am 9. Oktober 2020 von der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Regierung unterzeichnet, ohne dass der MXDŞ oder andere lokale Vertreter aus Şengal einbezogen worden waren. Das Abkommen wurde seitdem deutlich von der Bevölkerung und dem MXDŞ abgelehnt. Als Reaktion versuchen Ankara und Washington seither, die Entschlossenheit der Bevölkerung Şengals zu brechen, indem sie die Kontrolle der PDK (Demokratische Partei Kurdistans) gewaltsam versuchen durchsetzen, derselben Partei also, die im August 2014 aus dem Gebiet floh und es damit dem IS ermöglichte, einen Völkermord an der êzîdischen Bevölkerung zu begehen. »All dies geschieht im Rahmen der Vorbereitungen des diktatorischen türkischen Regimes für das Jahr 2023«, sagt Rîham Hesen. »100 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Lausanne erhebt die Türkei erneut Anspruch auf irakisches und syrisches Territorium. Die türkische Regierung betrachtet es als ihr Recht, riesige Landstriche zu annektieren, die sich von Kerkûk über Şengal im Irak bis nach Aleppo im Nordwesten Syriens erstrecken.«

Viele verschiedene Kräfte konkurrieren um den Einfluss im Şengal, und alle versuchen ihre Interessen durchzusetzen, ohne den Willen der mehrheitlich êzîdischen Bevölkerung des Gebiets zu berücksichtigen. Für den Iran stellen Şengal und Mossul eine strategische Transitroute dar, die einen kontinuierlichen und sicheren Transport von Teheran bis in die libanesische Hauptstadt Beirut ermöglicht. Hierin liegt auch ein Hauptanliegen der USA und Israels, die ihre Ansichten in dieser Frage mit der Türkei teilen. Die Durchsetzung des »Şengal-Abkommens« würde dazu führen, dass der Iran große Teile des derzeit von ihm beherrschten Territoriums verliert, die Türkei könnte die PDK nutzen, um ihre Interessen in dem Gebiet zu verfolgen, und die Selbstverwaltung der êzîdischen Bevölkerung zerstören, die das Potenzial hat, ein Modell für den gesamten Irak zu werden. In diesem Machtspiel der großen internationalen und regionalen Kräfte nimmt die irakische Regierung aktiv an den von den USA und der NATO entwickelten Plänen teil. Die Rolle der PDK und Bagdads besteht darin, die Pläne in die Tat umzusetzen, die US-Beamte und NATO-Bürokraten in weit entfernten Hauptstädten entwickeln. Wie wird sich der MXDŞ in diesen chaotischen Zeiten bewegen? Rîham Hesen antwortet mit einem selbstbewussten Lächeln und wählt ihre Worte sorgfältig: »Wir wollen eine Lösung für den gesamten Irak. Wir sind nicht gegen den irakischen Staat, sondern wünschen uns, dass das Land zu einer friedlichen und stabilen Situation gelangt. Denn die Menschen im Irak sind Opfer der Politik all dieser verschiedenen Kräfte geworden. Wir arbeiten hart daran, unser System der demokratischen Autonomie zu einem demokratischen Modell und zu einer Quelle der Inspiration für alle anderen Teile des Irak zu machen. Als MXDŞ wollen wir unsere Beziehungen zu anderen Regionen des Landes nach dem Prinzip der Geschwisterlichkeit der Völker entwickeln und stärken. Wir setzen unsere Arbeit zum Aufbau der Einheit der verschiedenen Völker, Gemeinschaften und Religionen im Irak fort. Wir sehen Respekt und Autonomie für alle Völker, jede Kultur und jede Nation als den besten Weg, um Einheit zu erreichen. Dies ist der richtige Weg zur Demokratie. Das kann nur von den irakischen Völkern selbst erreicht werden. Deshalb betrachten wir es als Aufgabe der irakischen Regierung, die Einheit des irakischen Volkes nicht durch ausländische Interventionen destabilisieren zu lassen.«

Seit dem erfolgreichen Widerstand gegen den IS im Jahr 2014 hat sich Şengal zu einem Leuchtturm der Hoffnung für Kurdistan, den Irak und noch weiter entfernte Teile des Mittleren Ostens entwickelt. Trotz des Völkermords von 2014, eines von der PDK verhängten ständigen Embargos, der Aggression der Türkei und der ständigen Bombardierungen, der Angriffe des IS und der Einschüchterungspolitik der PDK haben die Menschen im Şengal ihre sozialen, politischen und Selbstverteidigungsstrukturen in Form des MXDŞ beständig weiter ausgebaut. Terroranschläge, ausländische Invasionen und eine korrupte Elite haben den Irak in eine anhaltende politische Krise geführt, die Infrastruktur zerstört und ein völliges Fehlen demokratischer Teilhabe verursacht. Die Proteste der Jugend seit 2019, regelmäßige Ermordungen führender Oppositionspolitiker:innen, die Präsenz einer Vielzahl bewaffneter Gruppen, der zunehmende Strom von Menschen, die das Land verlassen, und zerstörte Familien sind das Ergebnis von fast 20 Jahren Intervention unter Führung der USA und der NATO. In diesem chaotischen und konfliktgeladenen Kontext sind Autonomie und Selbstverwaltung für die Bevölkerung von Şengal im Besonderen und für alle Menschen im Irak und in der Region im Allgemeinen mehr als abstrakte politische Ideen. Sie sind eine lebenswichtige Notwendigkeit, um dem gegenwärtigen Zustand der Dauerkrise zu entkommen. In Südkurdistan und im Irak klafft eine große Lücke zwischen den Interessen der herrschenden Elite und dem Willen des Volkes. Ein völliger Verlust der Hoffnung und des Vertrauens in Wahlen oder politische Prozesse plagt die Menschen im Lande. Şengal, wo nicht nur die Mitglieder des MXDŞ, seine vielen Komitees, Gemeinden und Institutionen von der lokalen Bevölkerung gewählt und kontrolliert werden, sondern auch das System der Selbstverwaltung selbst durch Versammlungen, Konferenzen und Kongresse ständig überprüft, kritisiert und verbessert wird, gibt seiner eigenen Bevölkerung, Südkurdistan und dem ganzen Land wieder Hoffnung.

Wachsende Gefahren für Şengal nach den gescheiterten Wahlen im Irak

Die Wahlen am 10. Oktober 2021 sollten den Irak stabilisieren und die Grundlage für eine neue, demokratisch legitimierte Regierung schaffen. Doch mehr als zwei Monate später scheint genau das Gegenteil eingetreten zu sein. Wie große Teile der irakischen Gesellschaft und viele der Parteien, die an den Wahlen teilgenommen haben, kritisiert auch die Bevölkerung Südkurdistans und Şengals die Art und Weise, wie die Wahlen durchgeführt wurden, als intransparent, manipuliert und daher illegitim. Viele Parteien, darunter die YNK (Patriotische Union Kurdistans), die Gerechtigkeitsgesellschaft Kurdistans (Komela Dadgerî ya Kurdistanê), die schiitischen Parteien Nurî Malikîs, Emar Hekîms, Heyder Ebadîs, Hadî Amirîs und Qeys Xez Elîs sowie die êzîdische Partei PADÊ (Partiya Azadî û Demokrasiya Êzîdiyan), haben die Wahlergebnisse ganz oder teilweise abgelehnt. Im ganzen Land fanden seitdem zahlreiche Proteste statt. Es ist kein Zufall, dass der jüngste Aufstand der Studierenden in Slilêmanî oder die Flucht Tausender von Südkurd:innen an die Grenze zwischen Belarus und Polen kurz nach den gescheiterten Wahlen im Irak stattfanden. Sie zeigen deutlich die Hoffnungslosigkeit, in der sich die arabische, kurdische, turkmenische oder assyrische Bevölkerung des Landes heute befindet.

Im Şengal selbst hatte der PADÊ-Kandidat Şêx Semîr in den Wochen vor dem 10. Oktober einen lebhaften Wahlkampf geführt. Doch schon kurz nach Beginn der Wahl tauchten in Şengal Berichte über Betrug und vorsätzliche Behinderungen auf. Viele êzîdische Geflüchtete, die immer noch als Binnenvertriebene in von der PDK kontrollierten Flüchtlingslagern leben, berichteten von Einschüchterungen und Drohungen seitens PDK-Funktionär:innen. Marwa Kalo, eine unabhängige Kandidatin, die der Êzîdischen Bewegung für Reform und Fortschritt nahesteht, beschrieb einige der PDK-Praktiken in den Binnenflüchtlingslagern:2 »Einige Binnenflüchtlinge riefen mich an und sagten: ›Wir werden für Sie stimmen, aber bitte besuchen Sie uns nicht, denn das wird uns hier Probleme bereiten. [...] Die Asayiş geht von Zelt zu Zelt, besucht Familien und bedroht sie, indem sie ihnen sagt, wenn sie nicht für die PDK stimmen, werden ihnen ihre Sozialleistungen und Lebensmittelrationen vorenthalten.‹« Laut des offiziellen Wahlergebnisses wurden die drei Sitze im irakischen Parlament, die Şengal zugewiesen sind, alle von PDK-Kandidat:innen gewonnen. Die Wähler:innen im Şengal haben jedoch seither wiederholt die Legitimität der Wahl in ihrer Region in Frage gestellt, da viele von ihnen nicht wählen konnten, weil sie nicht als Wähler:innen registriert worden waren: »Die Wahlurne, die wir in unserem Viertel benutzen dürfen und die den Namen ›Nummer 1‹ trägt, wurde am 10. Oktober erst um 12 Uhr geöffnet. Zuerst sagte man uns, sie sei kaputt. Später haben unsere Freund:innen dann herausgefunden, dass diese Wahlurne für alle drei Stadtteile gilt«, berichtete Dewresh, ein Einwohner des Dorfes Borik3. Die Personalausweise von Seydo Hisnîs und seiner Familie aus dem Dorf Guhbel wurden von den in letzter Minute installierten Wahlmaschinen nicht anerkannt: »Diese Wahlen waren ein Angriff auf das Volk der Êzîden. Es stellte sich heraus, dass viele der bei uns lebenden Wähler:innen in Lagern für Binnenvertriebene oder in Städten der Region Kurdistan oder in irakischen Provinzen registriert worden waren, während die Namen der Bewohner dieser Gebiete auf unseren Stimmzetteln als registriert erschienen«, sagte er.4 Am 10. Oktober sollen 83.000 Menschen in die Wahllokale Şengals gegangen sein, aber am Ende des Tages waren nur 13.000 abgegebene Stimmzettel registriert. Das Schicksal der Stimmen von rund 70.000 Şengal-Bewohner:innen ist bis heute unbekannt.

Das Lächeln von Rîham Hesen verblasst, als wir sie nach den jüngsten Wahlen im Irak fragen. So sehr sie sich auch bemüht, ihre Wut über die Ereignisse vom 10. Oktober bleibt uns nicht verborgen. »Die Wahlen waren eindeutig ein Plan, der sich nicht nur gegen Şengal, sondern gegen den gesamten Irak richtet«, sagt sie uns. »Aber die Wahlergebnisse haben sich nicht auf die Arbeit des MXDŞ ausgewirkt. Denn wir kennen die schmutzigen Pläne, die unser Feind gegen uns verfolgt, und wir führen seit vielen Jahren einen Kampf gegen diese Pläne. Viele Mitglieder unseres Volkes haben während dieses Kampfes ihr Leben gegeben. Als Antwort darauf haben wir versprochen, uns zu organisieren und Rache für den Völkermord zu nehmen, der an unserem êzîdischen Volk verübt wurde. Nach den Wahlen haben wir unser Versprechen erneuert.« Aber was ist mit den Berichten über Betrug und Manipulationen? Welche Auswirkungen hatte dies auf Şengal und den Irak insgesamt? »Sie mögen ihre Ziele durch Betrug und Manipulationen erreicht haben, aber die Unterstützung des Volkes haben sie nicht gewonnen. Deshalb wird ihre Politik auch keinen Erfolg haben«, so Rîham Hesen weiter. »Im Irak herrscht ein großes Chaos. Als Zeichen des Protests haben sich viele Menschen geweigert, zu den Wahlurnen zu gehen. Denn sie wussten, dass die Wahlen nicht demokratisch und transparent sein würden. Die Menschen sind sehr unglücklich über die Situation, in der sich der Irak heute befindet. Tausende haben das Land seit den Wahlen verlassen und befinden sich heute an den Grenzen Europas in großer Not. Die europäischen Länder lassen sie nicht einreisen und lassen sie einfach in einer ausweglosen Situation zurück. In Südkurdistan haben in letzter Zeit viele Proteste stattgefunden. Tausende Student:innen und Lehrer:innen sind auf die Straße gegangen und wurden brutal zusammengeschlagen. Sie protestieren, weil sie wollen, dass ihre Rechte respektiert werden.« Trotz der unklaren Zukunft, die das Land nach den jüngsten Wahlen zu erwarten scheint, versichert Rîham Hesen, dass der MXDŞ seine Arbeit fortsetzen wird: »Unsere Arbeit wird weitergehen. Wir sind uns über unsere Ziele im Klaren. Wir werden darauf bestehen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für den Völkermord an unserem Volk im Jahr 2014 verantwortlich sind. Die Unterstützung unseres Volkes ist groß und unsere Şehîds [Gefallenen] geben uns Kraft. Sie haben ihr Leben für das Projekt der demokratischen Autonomie gegeben, das wir heute in Şengal aufbauen. Ihr Opfer hat unsere Überzeugung nur noch verstärkt. Als MXDŞ ist es unser vorrangiges Ziel, die Autonomie Şengals zu sichern und zu stärken. Weder Wahlen noch irgendetwas anderes kann unseren Kampf für diese Ziele schwächen.«

Die Frauen von Şengal

Unsere Zeit im Weißen Haus ist fast vorbei. Während wir mit Rîham sprechen, gesellen sich mehrere ältere êzîdische Frauen zu uns und beobachten geduldig unser Gespräch. Die hellvioletten Schals, mit denen sie locker ihre Köpfe bedeckt haben, und der aufmerksame, warme Blick in ihren Augen wecken unsere Aufmerksamkeit. Bevor wir nach Şengal kamen, hatten wir viel über die Rolle gehört, die diese Frauen, Mütter, Ehefrauen, Töchter oder Schwestern beim Wiederaufbau, der Selbstverwaltung und der Verteidigung von Şengal spielen. Rîham, was hat es mit der starken Beteiligung von Frauen im MXDŞ auf sich? Woher kommt das? Als sie unsere Frage hört, merken wir sofort, dass die Ko-Vorsitzende der Koordination des MXDŞ gerne über dieses Thema spricht: »Als Frauen sind wir davon überzeugt, dass die Gesellschaft nur frei sein kann, wenn alle Frauen frei sind. Deshalb spielen Frauen in Şengal in allen Lebensbereichen eine führende Rolle – egal ob politisch, gesellschaftlich oder militärisch. Das liegt an der Wut, die wir Frauen in unseren Herzen tragen. Wir Frauen weigern uns, Sklaverei zu akzeptieren. Wir wollen ein freies Leben führen. Unser Ziel ist es, dieses freie Leben aufzubauen und damit die Stärke der Frauen zum Vorschein zu bringen. Die Ideen von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] sind unsere Kraftquelle für diesen Kampf. Wir streben danach, die führende Rolle der Frauen noch mehr zu stärken. Ein gutes Beispiel ist die entschlossene Haltung der Frauen von Şengal, als die PDK Anfang Oktober versuchte, in Şengal einzumarschieren. Durch den Verrat der PDK wurden mehr als 7.000 êzîdische Frauen vom IS entführt. Doch heute haben sich die Frauen Şengals organisiert und rächen sich so für den Völkermord von 2014. Wir arbeiten hart daran, jede einzelne Frau in Şengal zu erreichen, damit wir sie alle bilden, organisieren und vereinen können.«

Das Weiße Haus

Das Zentrum des MXDŞ in der Stadt Şengal – dieses glänzende zweistöckige Gebäude, das alle hier das Weiße Haus nennen – könnte sich nicht mehr von seinem Gegenstück in Washington unterscheiden. Dasselbe gilt auch für die politischen Vorstellungen, für die diese beiden symbolträchtigen Institutionen heute stehen. Auf der einen Seite ein exklusives, undurchsichtiges Machtzentrum in der US-Hauptstadt, in dem mächtige Lobbyist:innen, Politiker:innen und Generäle zusammenkommen, um ihre Pläne der eigenen und allen anderen Gesellschaften der Welt aufzuzwingen. Und dann ist da das Weiße Haus von Şengal. Ein Ort, an dem Rîham Hesen alle Zeit der Welt für unsere vielen Fragen zu haben scheint, an dem sie und all die Menschen, die während unseres stundenlangen Interviews beiläufig vorbeikommen, bereitwillig Einblicke in alle Aspekte ihrer täglichen Arbeit geben und in dem gemeinsam an einer friedlichen Zukunft der Region gearbeitet wird. Zwei Weiße Häuser, die sehr unterschiedliche Pläne für Şengal haben – für diesen kleinen, aber strategischen Ort in einer abgelegenen Ecke des Irak. Was wir während unseres kurzen Aufenthalts hier gesehen und gehört haben, lässt uns hoffen, dass es die Menschen in Şengal selbst sein werden, die die Zukunft ihrer Heimatregion, ihrer Gemeinschaft – und ihres eigenen Weißen Hauses – bestimmen werden.

Fußnoten:

1 - Bei den »umstrittenen Gebieten« handelt es sich um Territorien im Nordost­irak, deren administrative Zugehörigkeit zwischen der irakischen Zentral- und der kurdischen Regionalregierung umstritten ist. Der irakischen Verfassung von 2005 zufolge sollte die Frage bis 2007 in Volksabstimmungen geklärt werden, was aber immer wieder verschoben wurde.

2 - https://www.middleeasteye.net/news/iraq-elections-yazidi-sinjar-divided-determined

3 - https://rojnews.news/tr/kurdistan/sengal-halki-oy-kullanmamiza-izin-vermediler/

4 - https://medyanews.net/iraqi-kurdistan-locals-in-sinjar-question-the-fairness-of-sundays-vote/


 Kurdistan Report 219 | Januar/Februar 2022